Urteilskopf
114 V 61
13. Auszug aus dem Urteil vom 15. April 1988 i.S. F. gegen Ausgleichskasse des Kantons Obwalden und Kantonale Rekurskommission für Sozialversicherung Obwalden
Regeste
Art. 58 Abs. 1 BV
: Besetzung des Gerichts.
Die Garantie des verfassungsmässigen Richters gemäss
Art. 58 Abs. 1 BV
umfasst den Anspruch auf Bekanntgabe der personellen Zusammensetzung der entscheidenden Behörde.
Bis zu welchem Zeitpunkt sind Befangenheits- oder Ausstandsgründe geltend zu machen?
Aus den Erwägungen:
2.
a) Der Versicherte hat in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in formeller Hinsicht gerügt, dass der angefochtene Entscheid keinen Aufschluss über die Zusammensetzung der Vorinstanz gebe. Tatsächlich sind die an der Entscheidfindung beteiligten Mitglieder der kantonalen Rekurskommission nicht namentlich aufgeführt. Es fragt sich, ob darin eine Verletzung von Bundesrecht liegt.
Für die Eröffnung ihres Entscheides hatte die Vorinstanz die Vorschriften von
Art. 34-38 und 61 Abs. 2 und 3 VwVG
zu beachten (
Art. 1 Abs. 3 VwVG
). Weder in einer dieser Verfahrensbestimmungen noch in denjenigen von
Art. 85 Abs. 2 lit. a-h AHVG
ist vorgeschrieben, dass die Angaben über die personelle Besetzung zum notwendigen Inhalt der Entscheidungen kantonaler Rekursbehörden gehören. Gemäss
Art. 61 Abs. 2 VwVG
hat
BGE 114 V 61 S. 62
der Beschwerdeentscheid vielmehr nur "die Zusammenfassung des erheblichen Sachverhalts, die Begründung (Erwägungen) und die Entscheidungsformel (Dispositiv)" zu enthalten. Unabhängig vom anwendbaren Verfahrens- und Gerichtsorganisationsrecht gewährleistet indessen
Art. 58 Abs. 1 BV
dem Bürger einerseits die richtige Besetzung des Gerichts gemäss dem kantonalen Gerichtsverfassungsrecht, wobei der verfassungsmässige Schutz auf das Willkürverbot beschränkt ist, und anderseits die Beurteilung seiner Streitsache durch ein unparteiisches und unabhängiges Gericht (
BGE 105 Ia 175
Erw. 3a und
BGE 104 Ia 273
Erw. 3). Im Anspruch auf Unparteilichkeit des Gerichts ist derjenige auf Nichtmitwirkung eines befangenen Richters mitenthalten. Soweit nicht eine gerichtliche Beurteilung in Frage steht, ergibt sich der verfassungsmässige Mindestanspruch des Bürgers auf unbefangene Beurteilung für die verwaltungsbehördliche Rechtspflege direkt aus
Art. 4 BV
(
BGE 107 Ia 137
und
BGE 103 Ib 137
Erw. 2).
b) Insoweit dem Betroffenen die Besetzung des Gerichtes im Laufe des Verfahrens weder bekanntgemacht noch spätestens mit dem Endentscheid eröffnet wird, kann er nicht beurteilen, ob sein verfassungsmässiger Anspruch auf richtige Besetzung des Gerichts sowie auf unparteiische und unabhängige Beurteilung gewahrt worden ist. Insbesondere ist es ihm ohne Kenntnis der personellen Zusammensetzung des Gerichts nicht möglich, konkrete Befangenheits- oder Ausstandsgründe geltend zu machen. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters gemäss
Art. 58 Abs. 1 BV
umfasst deshalb auch den Anspruch auf Bekanntgabe der personellen Zusammensetzung der entscheidenden Behörde.
Die Rüge betreffend die unrichtige Besetzung eines Gerichts bzw. die Ablehnung eines Richters ist so früh wie möglich geltend zu machen. Nach der Rechtsprechung verstösst es gegen Treu und Glauben, Einwände dieser Art erst im Rechtsmittelverfahren vorzubringen, wenn und insoweit der - echte oder vermeintliche - Organmangel schon im vorangegangenen Verfahren hätte festgestellt werden können. Wer einen solchen Mangel feststellt und sich nicht unverzüglich dagegen zur Wehr setzt, sondern sich stillschweigend auf den Prozess einlässt, verwirkt den Anspruch auf spätere Anrufung der verletzten Verfassungsbestimmung (
BGE 112 Ia 340
Erw. 1c; vgl.
BGE 111 Ia 75
Erw. 2b für den Bereich der Schiedsgerichte).
c) Der Beschwerdeführer hat erstmals durch die durch das Eidg. Versicherungsgericht am 29. Oktober 1987 erfolgte Zustellung
BGE 114 V 61 S. 63
der vorinstanzlichen Vernehmlassung vom 8. September 1987 zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde Kenntnis davon erhalten, welche Mitglieder der Rekurskommission an der Entscheidfindung vom 14. Juli 1987 beteiligt gewesen waren. Damit erhielt er zum ersten Mal die Möglichkeit, allfällige Mängel bei der Zusammensetzung der urteilenden Rekurskommission festzustellen. Die Eingabe des Beschwerdeführers vom 23. November 1987 enthält indessen keine Rüge, welche die aus
Art. 58 Abs. 1 BV
fliessende Garantie des Anspruchs auf richtige Besetzung der Rekurskommission beschlagen würde. Das bedeutet, dass er die personelle Zusammensetzung der Vorinstanz nicht beanstandet, so dass es in diesem Punkt beim Entscheid der kantonalen Rekurskommission sein Bewenden hat.