Urteilskopf
115 Ia 180
115 Ia 180 32. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. Juli 1989 i.S. X. gegen Präsident des Landgerichts Uri, Staatsanwaltschaft des Kantons Uri, Landgericht Uri (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Art. 58 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; Ablehnung eines Richters.
Ein Richter erscheint aufgrund seines Verhaltens dann als voreingenommen, wenn Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit objektiv zu rechtfertigen vermögen; Anwendung dieses Grundsatzes.
Am 11. Oktober 1988 verurteilte das Landgericht Uri X. wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe. Zu Beginn der Hauptverhandlung stellte der Verteidiger von X. den Antrag, der Präsident des Landgerichts habe sich in den Ausstand zu begeben, da er in der Voruntersuchung an Entscheiden betreffend die Verlängerung der Untersuchungshaft mitgewirkt und sich dabei offensichtlich schon eine Meinung über die Schuld des Angeklagten gebildet habe. Das Landgericht wies diesen Antrag ab.
Gegen diesen ablehnenden Entscheid sowie gegen das Urteil des Landgerichts vom 11. Oktober 1988 erhob X. staatsrechtliche Beschwerde, mit der er u.a. eine Verletzung von
Art. 58 BV
und von
Art. 6 EMRK
rügt. Das Bundesgericht lässt die Frage offen, ob die Personalunion von Haftrichter und Sachrichter als solche mit der Verfassung und der Konvention vereinbar ist und heisst die Beschwerde teilweise gut aus folgender
Erwägung:
3.
bbb) Zu prüfen bleibt, ob die Art der Begründung, mit der der Landgerichtspräsident die Haftentlassung des Beschwerdeführers abgelehnt hat, geeignet ist, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Auch in diesem Punkt kommt es nicht darauf an, ob sich der Landgerichtspräsident im Haftprüfungsverfahren tatsächlich
BGE 115 Ia 180 S. 181
schon eine Meinung über die Schuld des Beschwerdeführers gebildet hat. Es genügt vielmehr, wenn Umstände vorliegen, die nach objektiver Betrachtungsweise bei einer der beteiligten Parteien den Eindruck erwecken können, der Richter sei befangen (zuletzt
BGE 114 Ia 158
E. b mit Hinweis). So hat das Bundesgericht bei einem Untersuchungsrichter, der später die Anklage vertreten sollte, Befangenheit bejaht, da er zu Beginn der Untersuchung gegenüber einem Journalisten Äusserungen gemacht hatte, die darauf schliessen liessen, er betrachte den Angeschuldigten als schuldig (unveröffentlichtes Urteil in Sachen H. vom 28. Januar 1981). Im gleichen Sinn wurde entschieden bezüglich des Mitglieds eines Jugendgerichts, das vor dem Strafverfahren einen Aufruf unterzeichnet hatte, mit dem Amnestie und Milde gegenüber den an den fraglichen Taten beteiligten Jugendlichen gefordert wurde (
BGE 108 Ia 53
f. E. 3). Ebenso entschied das Bundesgericht in einem Fall, in dem der Gerichtspräsident in seiner Funktion als Regierungsstatthalter gegenüber der Baudirektion geäussert hatte, es stehe sicher fest, dass die Bauherrschaft die Bauarbeiten widerrechtlich ausführen liess (unveröffentlichtes Urteil vom 7. April 1982 in Sachen K.) sowie in einem Fall, in dem in einem Zivilverfahren der zuständige Gerichtspräsident die Ergebnisse eines "informellen" Augenscheins in einer Weise festhielt und bewertete, die den Schluss zuliess, dass er sich bereits eine Meinung über den Ausgang des Verfahrens gebildet hatte (
BGE 114 Ia 158
ff. E. b). Vergleichbare Umstände sind auch im vorliegenden Fall gegeben. Bereits in seiner ersten Verfügung vom 5. Mai 1988, mit der der Landgerichtspräsident die Untersuchungshaft erstmals verlängert hat, finden sich folgende Aussagen: "Obschon er bestreitet, mit Drogenhandel etwas zu tun zu haben, haben die zwei Gegenüberstellungen klar ergeben, dass er der Lieferant des Heroins gewesen ist"... "Die Ermittlungen haben ergeben, dass X. mit Heroin in der Grössenordnung von 300 g Handel betrieben hat". Sinngemäss gleiche Feststellungen finden sich in den späteren Verfügungen vom 8. und 19. Juli sowie vom 17. August 1988. In der zuletzt genannten Verfügung ist zusätzlich ausgeführt, dass die (den Beschwerdeführer entlastenden) "Zeugenaussagen mit dem Bruder des Gesuchstellers und dessen Freundin eindeutig zu relativieren sind". Auch wenn in den Verfügungen an anderen Stellen nur von einem entsprechenden Verdacht gegen den Beschwerdeführer die Rede ist und somit nicht auszuschliessen ist, dass die zitierten Passagen eher auf eine wenig glückliche Formulierung als
BGE 115 Ia 180 S. 182
auf eine vorgefasste Meinung des Landgerichtspräsidenten zurückzuführen sind, kann nicht zweifelhaft sein, dass diese Passagen zumindest den Anschein der Befangenheit erwecken können. Die Art, wie der Landgerichtspräsident den Stand der Untersuchung festgehalten und darüber hinaus gewürdigt hat, kann objektiv dahin verstanden werden, dass er sich sowohl in bezug auf den Tatbestand des Betäubungsmittelhandels als auch in bezug auf die Schuldfrage bereits festgelegt hat. Ob dies tatsächlich der Fall war, ist, wie dargelegt, ohne Bedeutung. Für den Beschwerdeführer lag jedenfalls der Eindruck nahe, der Landgerichtspräsident könne sich als Vorsitzender des urteilenden Gerichts von den Feststellungen und Wertungen, die er im Haftprüfungsverfahren geäussert hat, nicht oder kaum mehr lösen und die Strafsache nicht völlig unbefangen beurteilen. Dies genügt, um im vorliegenden Fall den Anschein der Befangenheit zu erwecken.