BGE 115 IV 75 vom 20. April 1989

Datum: 20. April 1989

Artikelreferenzen:  Art. 16 VwVG, Art. 27 StGB, Art. 34 StGB, Art. 320 StGB, Art. 55 BV, Art. 113 BV , Art. 65 BStP, Art. 16 Abs. 3 VwVG, Art. 113 Abs. 3 BV, Art. 27 Ziff. 3 StGB, Art. 77 BStP, Art. 69 Abs. 1 BStP

BGE referenzen:  123 IV 236, 129 IV 6 , 107 IV 210, 107 IA 51, 107 IV 209, 104 IV 14, 95 II 494, 107 IA 49, 107 IA 50, 86 IV 147, 94 IV 70, 94 IV 71, 95 II 494, 107 IA 49, 107 IA 50, 86 IV 147, 94 IV 70, 94 IV 71

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

115 IV 75


16. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 20. April 1989 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen X.

Regeste

Art. 65 BStP ; Art. 55 BV ; Entsiegelung.
Ausserhalb der eigentlichen Pressedelikte ergibt sich - auch aus Art. 55 BV - kein umfassendes Recht des Journalisten auf Geheimhaltung der Quelle einer durch eine strafbare Handlung erlangten Information, welches einer strafprozessualen Zwangsmassnahme im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Amtsgeheimnisverletzung entgegengehalten werden könnte.

Sachverhalt ab Seite 75

BGE 115 IV 75 S. 75

A.- Am 19. Januar 1989 erschienen u.a. in der Westschweizer Wochenzeitschrift X. unter dem Titel "Qui soutient la mafia?" Ausschnitte aus einem als vertraulich klassierten Interpol-Fahndungsersuchen aus dem Jahre 1983 betreffend den türkischen Staatsangehörigen M., gegen welchen die türkischen Behörden wegen Waffenhandels einen Haftbefehl erlassen hatten.
Das Dokument stammt nach Auffassung der Bundesanwaltschaft aus den Akten des Bundesamtes für Polizeiwesen; dies veranlasste sie, ein bereits in vergleichbarem Zusammenhang gegen Unbekannt eröffnetes Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses durch eine im Bundesdienst stehende Person auf diesen Fall auszudehnen.
Am 23. Januar 1989 verfügte die Bundesanwaltschaft gestützt auf Art. 65 BStP gegenüber der Zeitschrift die Herausgabe des in deren Besitz befindlichen Fahndungsersuchens.
Am 14. Februar 1989 übermittelte der Vertreter der Zeitschrift der Bundesanwaltschaft einen versiegelten Briefumschlag, der gemäss Begleitschreiben eine Kopie des Dokumentes enthalte - das Original befinde sich nicht im Besitz der Zeitschrift; gleichzeitig wurde Einsprache gegen die Durchsuchung erhoben.
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B.- Mit Gesuch vom 8. März 1989 beantragt die Bundesanwaltschaft, die Durchsicht des versiegelten Aktenstücks als zulässig zu erklären und sie zur Vornahme dieser Massnahme zu ermächtigen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Die durch die Bundesanwaltschaft verfügte Herausgabe des in Frage stehenden Dokuments ist vom angestrebten Ziel her der Durchsuchung gemäss Art. 65 BStP gleichzusetzen, weshalb die Gesuchsgegnerin dagegen Einsprache erheben und das Dokument in versiegeltem Umschlag einreichen durfte (vgl. BGE 107 IV 209 f. E. 1).

2. a) Die Bundesanwaltschaft verlangt die Entsiegelung, weil sie von diesem Dokument Hinweise auf die Täterschaft im Verfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung erwartet.
b) Die Gesuchsgegnerin führt gegen die beantragte Entsiegelung an, die durch Art. 55 BV gewährleistete Pressefreiheit werde in Frage gestellt, wenn dem Journalisten nicht ein Berufsgeheimnis zugestanden werde, von welchem auch Dokumente erfasst würden, die diesem als Informationsquelle dienten.
Ein solcher Quellenschutz sei erstmals durch die Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten, angenommen am 17. Juni 1972 durch die Delegiertenversammlung des Vereins der Schweizer Presse, statuiert worden, welche verlange, dass der Journalist das Berufsgeheimnis zu beachten und die Quelle von vertraulich erhaltenen Informationen nicht bekanntzugeben habe (wiedergegeben bei D. BARRELET, Droit suisse des mass media, 2. Auflage, Bern 1987, S. 410 f.).
Auch der Bundesgesetzgeber habe in Art. 16 Abs. 3 VwVG ein Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten eingeführt.
Die Gesuchsgegnerin führt schliesslich zur Begründung ihrer Auffassung eine Stelle aus dem Zusatzbericht des Bundesrates zur Revision von Art. 55 BV an, wo - unter Bezugnahme auf einen Entscheid des deutschen Bundesverfassungsgerichts - ausgeführt wird, das Vertrauensverhältnis zwischen der Presse und ihren Mitarbeitern und Informanten bilde eine wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit eines Presseorgans; prozessuale Zwangsmassnahmen würden daher dieses Vertrauensverhältnis nicht nur im Einzelfall gefährden, sondern könnten geeignet sein, nachteilige Auswirkungen auf die Pressefreiheit überhaupt nach
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sich zu ziehen (BBl 1983 III 832). Die Gesuchsgegnerin schliesst daraus, dass solche Massnahmen auch gegenüber Journalisten grundsätzlich nicht zulässig seien.

3. a) Aus dem in Art. 55 BV verankerten Grundsatz der Pressefreiheit ergibt sich kein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht von Pressemitarbeitern ( BGE 107 Ia 51 ) und damit auch nicht ohne weiteres ein Recht des Journalisten, die Bekanntgabe von schriftlich erhaltenen Informationen und anderen Quellen in einem Strafverfahren zu verweigern.
Auch wenn man den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privatem Informanten als notwendiges Element zur Erfüllung der der Presse obliegenden besonderen Aufgabe (vgl. dazu BGE 104 IV 14 mit Hinweis auf BGE 95 II 494 ) und damit in Art. 55. BV eingeschlossen betrachtet, gilt die Pressefreiheit dennoch nicht uneingeschränkt: Wie jedem anderen Grundrecht erwachsen auch der Pressefreiheit Schranken aus dem Gebiet des Straf-, Zivil- und Verwaltungsrechts; so kann die Pressefreiheit gestützt auf eine genügende gesetzliche Grundlage eingeschränkt werden, wenn der Eingriff zum Schutz der öffentlichen Ordnung erforderlich ist und dem Gebot der Verhältnismässigkeit entspricht ( BGE 107 Ia 49 E. 3).
Im Bereich des Strafverfahrensrechts ist dabei in erster Linie abzuwägen, ob der Schutz von Informationsquellen gegenüber dem prozessualen Anliegen der Abklärung des Sachverhaltes bzw. an der materiellen Rechtsfindung (BBl 1983 III 832) den Vorrang verdiene. Die Beantwortung der Frage, wann zugunsten des einen und wann zugunsten des anderen Interesses zu entscheiden ist, muss indessen sowohl nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ( BGE 107 Ia 51 ; BGE 107 IV 210 E. 2a) als auch nach der Auffassung des Bundesrates (BBl 1983 III 832) grundsätzlich Sache des zuständigen Gesetzgebers bleiben.
Im Zusammenhang mit Zwangsmassnahmen im Strafverfahren ergeben sich Inhalt und Umfang der Pressefreiheit somit aus der jeweiligen Gesetzgebung, welche - sofern es sich um Bundesgesetze handelt - für das Bundesgericht gemäss Art. 113 Abs. 3 BV verbindlich ist; dieser durch die Gesetzgebung bestimmte Rahmen kann auch durch den Ehrenkodex einer Berufsorganisation nicht aufgehoben werden ( BGE 107 IV 210 E. 2a mit Hinweisen).
b) Die Frage der Zulässigkeit der Beschlagnahme oder Herausgabe von Dokumenten bzw. der Einsichtnahme in solche steht im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Pflicht, als Zeuge auszusagen:
BGE 115 IV 75 S. 78
Diese besteht, sofern die entsprechende Prozessordnung kein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt (vgl. BGE 107 Ia 50 f.).
c) In der Schweiz räumt Art. 27 Ziff. 3 StGB einzig dem Redaktor ein Zeugnisverweigerungsrecht ein, indem er den Namen des Verfassers nicht bekanntzugeben braucht. Diese Bestimmung findet indessen nur Anwendung bei eigentlichen Pressedelikten, d. h. wenn eine strafbare Handlung durch das Mittel der Druckerpresse begangen wird und sich im Presseerzeugnis erschöpft. Dies ist hier nicht der Fall: Der Veröffentlichung ging eine Amtsgeheimnisverletzung voraus, wegen welcher auch das Ermittlungsverfahren eröffnet wurde.
Unter den Schutz des Verfassers dürfte grundsätzlich auch der Informant fallen (W. GUT, Pressefreiheit und Zeugnisverweigerungsrecht der Presseleute im Strafprozess, ZStrR 85 (1969), S. 183), denn es kann nicht darauf ankommen, ob der Verfasser namentlich bekannt ist oder nicht (vgl. dazu BGE 86 IV 147 ); dies gilt aber nur, wenn sich dieser nicht - wie hier - bei der Beschaffung seiner Informationen einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hat (M. REHBINDER, Der Quellenschutz im schweizerischen Medienrecht, SJZ 79 (1983), S. 222). Es geht also im vorliegenden Fall nicht um ein Strafverfahren wegen Pressedelikten, sondern um ein gewöhnliches Strafverfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses ( Art. 320 StGB ), auf welches Art. 27 StGB keine Anwendung finden kann.
d) Der Quellenschutz als Recht des Journalisten, seine Informationsquelle nicht preisgeben zu müssen, kann sich auch nicht allgemein aus dem Berufsgeheimnis ergeben: Der Journalist zählt nicht zu den in Art. 77 BStP aufgezählten Personenkategorien, welche sich im Bundesstrafprozess auf ein Berufsgeheimnis berufen können ( BGE 107 IV 210 E. 2b); die Bestimmung enthält weder einen Hinweis, noch einen Anhaltspunkt für ein publizistisches Zeugnisverweigerungsrecht, weshalb ein solches auch nicht durch verfassungskonforme Auslegung gewonnen werden kann (W. GUT, a.a.O., S. 187 ff.).
Ein Privatgeheimnis, das gemäss Art. 69 Abs. 1 BStP "mit grösster Schonung" zu behandeln wäre, steht im vorliegenden Fall ebenfalls nicht in Frage und wird auch nicht geltend gemacht.
Auch der allgemeine Grundsatz, dass sich der Zeuge im Strafverfahren nicht selber belasten muss (R. HAUSER, Kurzlehrbuch des Strafprozessrechts, Basel 1984, S. 172), dürfte im vorliegenden
BGE 115 IV 75 S. 79
Fall keine Rolle spielen, denn die Gesuchsgegnerin macht nicht geltend, bei einer Herausgabe des Dokumentes hätten sie bzw. ihre Mitarbeiter zu gewärtigen, in das Strafverfahren gegen Unbekannt wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses verwickelt zu werden.
e) Dass ein Zeugnisverweigerungsrecht des Journalisten in Art. 16 Abs. 3 VwVG vorgesehen ist, hilft der Gesuchsgegnerin nicht. Die Botschaft des Bundesrates zur Revision von Art. 55 BV führt dazu klar aus, es bestehe in anderen gerichtlichen Verfahren - und damit auch dem Strafverfahren - des Bundes kein vergleichbarer Schutz der Presse, d. h. kein Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten (BBl 1983 III 832 ff.; vgl. auch L. SCHÜRMANN, Medienrecht, Bern 1985, S. 40). Wird daher ein Strafverfahren eingeleitet, etwa - wie hier - wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses, so entfällt der Schutz, den Art. 16 Abs. 3 VwVG dem Journalisten gewährt (R. WEBER, Der Journalist in der Verfassungsordnung, ZBl 89 (1988), S. 104).
f) Es ist nicht zu übersehen, dass heute die Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten zunehmend gefordert wird. Ein Teil der Lehre will direkt aus Art. 55 BV (D. BARRELET, a.a.O., N. 1263) ein "verfassungsrechtlich" erforderliches "minimales Zeugnisverweigerungsrecht" ableiten, dies allerdings mit der Einschränkung, dass dessen weitere Ausgestaltung dem Gesetzgeber überlassen sein müsse (J.P. MÜLLER, in Kommentar BV, Art. 55, Rz. 79 mit Hinweis auf die deutsche Lehre). Der überwiegende Teil der Lehre fordert zwar ein Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten und die damit verbundene Stärkung des Informantenschutzes, räumt jedoch ein, dass ein solches nicht direkt aus Art. 55 BV abzuleiten, sondern durch den Gesetzgeber zu schaffen sei (P. NOBEL, Leitfaden zum Presserecht, S. 100; H. FEHR, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaffenden, Diss. Zürich 1982, S. 110); dies entspricht auch der Auffassung der Expertenkommission für die Revision von Art. 55 der Bundesverfassung (Presserecht/Presseförderung, Bericht vom 1. Mai 1975, Bern 1975, S. 51).
g) Nach geltendem Recht ergibt sich somit ausserhalb der eigentlichen Pressedelikte kein umfassendes Recht des Journalisten auf Geheimhaltung der Quelle einer durch eine strafbare Handlung erlangten Information, welches einer strafprozessualen Zwangsmassnahme im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Amtsgeheimnisverletzung entgegenhalten werden könnte (vgl. BBl 1983 III 828). Im vorliegenden Fall kann sich die
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Gesuchsgegnerin daher nicht mit der Berufung auf ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht des Journalisten einer Entsiegelung widersetzen.

4. a) Die Gesuchsgegnerin macht schliesslich den (aussergesetzlichen) Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen geltend. In diesem Zusammenhang behauptet sie, da das Dokument - mindestens auf den ersten Blick - geeignet sei, schwerwiegende und unverständliche Mängel bei der Bundesanwaltschaft und im Bundesamt für Polizeiwesen aufzudecken, könne sie dessen Herkunft bzw. Quelle nicht aufdecken und daher die Kopie auch nicht der Bundesanwaltschaft oder dem Bundesamt für Polizeiwesen aushändigen.
b) Die Wahrung berechtigter Interessen ist an dieselben Voraussetzungen gebunden wie sie in Art. 34 StGB verlangt werden ( BGE 94 IV 70 ). Die Gesuchsgegnerin macht mit ihrem Einwand sinngemäss Notstandshilfe geltend, denn das Strafverfahren ist nicht gegen sie selber, sondern gegen ihren Informanten gerichtet. Da es sich bei diesem vermutlich um einen Beamten handelt, stand ihm zur Meldung von Unstimmigkeiten oder Missständen im Amt der Dienstweg offen. Wenn er nicht an die direkt vorgesetzte Stelle zu gelangen wagte, hätte er zumindest den zuständigen Departementsvorsteher über die von ihm entdeckten Vorkommnisse aufmerksam machen können. Wenn er diesen Weg nicht beschreiten wollte, dann hätte für ihn immer noch die Möglichkeit bestanden, mit seinem Anliegen an die parlamentarische Geschäftsprüfungskommission zu gelangen. Dies räumt die Gesuchsgegnerin im Grunde genommen auch ein, da sie nach ihren Angaben durchaus bereit wäre, das Dokument der nun vom Parlament eingesetzten besonderen Untersuchungskommission auszuhändigen. Von einer nicht anders - als durch Veröffentlichung - abwendbaren Gefahr kann unter diesen Umständen keine Rede sein.
Damit kann aber dem als Informanten in Frage kommenden Beamten nicht zugestanden werden, mit dem hier in Frage stehenden Amtsgeheimnis die "Flucht in die Öffentlichkeit" anzutreten, solange er nicht vorgängig mit allen ihm zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln versucht hat, gegen allfällige Missstände anzukämpfen, die er in seiner Stellung wahrgenommen hat (vgl. BGE 94 IV 71 ). Kann sich aber der Informant nicht auf Notstand berufen, so entfällt auch eine Notstandshilfe durch die Gesuchsgegnerin.

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