Urteilskopf
116 Ib 106
13. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Mai 1990 i.S. X. gegen Bezirksanwaltschaft Zürich und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste
Art. 21 Abs. 3 IRSG
; Beschwerdelegitimation einer Person, gegen die sich das ausländische Strafverfahren richtet.
1. Der Beschuldigte im ausländischen Strafverfahren als Verfasser von Dokumenten, die sich ausschliesslich in Drittbesitz - hier im Besitz einer Bank oder allenfalls eines Kunden dieser Bank - befinden, ist durch die die Bank oder allenfalls den Kunden betreffende Verpflichtung zur Herausgabe dieser Dokumente wie auch durch die Herausgabe von weiteren Auskünften seitens der Bank bzw. der rechtshilfeweise als Zeugen einvernommenen Bankbeamten nicht persönlich berührt. Er ist somit in dieser Hinsicht nicht beschwerdelegitimiert im Sinne von
Art. 21 Abs. 3 IRSG
(E. 2a).
2. In einem Fall wie dem vorliegenden könnte die Gewährung der Rechtshilfe die Verteidigungsrechte der vom ausländischen Strafverfahren betroffenen Person vor allem dann beeinträchtigen, wenn es für sie keine Gelegenheit mehr gäbe, in die den ersuchenden Behörden auf dem Rechtshilfeweg ausgehändigten Akten Einsicht zu nehmen, oder wenn keine Möglichkeit mehr bestünde, einem im Rechtshilfeverfahren abgehörten Zeugen Ergänzungsfragen stellen zu lassen oder mit ihm eine Konfrontation zu verlangen. Derartige Umstände muss der Beschuldigte nachweisen. In casu ist dieser Nachweis nicht erbracht, so dass die Legitimation nach
Art. 21 Abs. 3 IRSG
auch insoweit nicht gegeben ist (E. 2b).
Die Staatsanwaltschaft Alkmaar/NL führt gegen X., Y. und weitere Beteiligte eine Strafuntersuchung wegen betrügerischen Konkurses und Hehlerei. Im Rahmen des betreffenden Verfahrens gelangte sie im Jahre 1987 mit einem Rechtshilfeersuchen und dieses ergänzenden Eingaben an die zuständigen Behörden in der Schweiz. Gestützt darauf verpflichtete die Bezirksanwaltschaft Zürich die Bank A. AG, Zürich, mit Verfügung vom 13. März 1989 zur Erteilung verschiedener Auskünfte über von Y. und der B. SA gehaltene Konti, unter gleichzeitiger Sperre allfälliger noch vorhandener Vermögenswerte. Insbesondere sollten alle für diese Konti bestehenden Unterlagen herausgegeben werden, darunter auch "alle Briefe von und an RA X." und Unterlagen über den Bezug von Fr. 250'000.-- im April/Mai 1985, für welchen "sich
BGE 116 Ib 106 S. 108
RA X. im Auftrag und Namen von Y. brieflich eingesetzt hatte". Der Bezirksanwalt hielt in seiner Rechtshilfeverfügung zudem fest, er werde nach Eintritt ihrer Rechtskraft ein Zeugenprotokoll vom 30. Juni 1987, welches er gestützt auf eine Verfügung vom 12. Juni 1987 mit einem Angestellten der genannten Bank aufgenommen hatte, als Beweismittel an die ersuchende Behörde weiterleiten.
Am 22. März 1989 rekurrierte X. gegen die Rechtshilfeverfügung vom 13. März 1989 mit dem Antrag, sie sei, soweit sie ihn betreffe, aufzuheben. Dabei beschränkte er den Rekurs auf die Frage der beidseitigen Strafbarkeit, hielt jedoch auch seinen bereits während der genannten Zeugeneinvernahme eingenommenen Standpunkt aufrecht, wonach diese ungültig und die Weiterleitung des sie betreffenden Protokolles unzulässig sei. Auf diesen Rekurs trat die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 9. Februar 1990 nicht ein, da sie auf den Rekurrenten bezogen die Legitimationsvoraussetzungen gemäss
Art. 21 Abs. 3 IRSG
als nicht erfüllt erachtete. Nebstdem wies sie darauf hin, dass aber auch die Voraussetzungen dafür, die Verfügung aus aufsichtsrechtlichen Gründen aufzuheben, nicht gegeben seien. Die Sachverhaltsdarstellung der zugrundeliegenden Ersuchen sei zwar in einem sehr schwer verständlichen Deutsch abgefasst, dennoch aber knapp verständlich. Das Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit erscheine als gegeben, weil der geschilderte Sachverhalt nach den gesetzlichen Bestimmungen beider Länder einen Straftatbestand erfülle; dass es sich hierbei nicht um einen in der Gesetzgebung der beiden Länder identischen Tatbestand handle, sei unerheblich, da eine solche Identität nicht verlangt werden müsse. Auch sonstwie seien der Rechtshilfe entgegenstehende Gründe nicht ersichtlich.
Hiergegen gelangte X. am 14. März 1990 mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt (soweit hier wesentlich), die Verfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 9. Februar 1990 sei aufzuheben, und die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, auf den Rekurs vom 22. März 1989 gegenüber der Verfügung der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 13. März 1989 einzutreten.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
aus folgenden Erwägungen:
1.
a) Die Schweiz und die Niederlande sind dem Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen
BGE 116 Ib 106 S. 109
(EÜR, SR 0.351.1) beigetreten. Nach dem Grundsatz des Vorrangs des Völkerrechts sind Rechtshilfeersuchen somit in erster Linie nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens zu beurteilen. Soweit es bestimmte Fragen nicht regelt, gelangt das interne Recht der Schweiz, d.h. hier das Bundesgesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG, SR 351.1) und die dazugehörige Ausführungsverordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV, SR 351.11), zur Anwendung (vgl.
Art. 1 Abs. 1 IRSG
).
b) Beim angefochtenen Entscheid der Staatsanwaltschaft handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid (§ 409 der zürcherischen Strafprozessordnung), der im Zusammenhang mit der Ausführung eines Ersuchens um Rechtshilfe im Sinne von
Art. 16 Abs. 1 IRSG
sowie des dritten Teils dieses Gesetzes getroffen wurde. Es handelt sich somit hierbei um einen Entscheid, der in einem in den Grundzügen durch Bundesrecht geregelten Verfahren erging und der die Auslegung bzw. Anwendung der auch für ein kantonales Verfahren massgebenden (s.
BGE 110 Ib 391
E. 3a) bundesrechtlichen Bestimmung des
Art. 21 Abs. 3 IRSG
zum Gegenstand hatte. Der Beschwerdeführer wirft der Staatsanwaltschaft vor, ihn zu Unrecht als nicht nach dieser Bestimmung rekurslegitimiert erachtet zu haben. Nach der Rechtsprechung genügt dies für die Annahme, dass der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides der Staatsanwaltschaft hat und daher zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert ist (
BGE 114 Ib 157
f. E. 1c,
BGE 104 Ib 317
E. 3a, s. auch
BGE 115 Ib 369
ff.).
Demnach ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Nichteintretensentscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 9. Februar 1990 zulässig (
Art. 25 Abs. 1 IRSG
). Auch ist sie frist- und formgerecht erhoben worden. Somit sind die Prozessvoraussetzungen erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.
2.
Personen, gegen die sich ein ausländisches Strafverfahren richtet, können eine Rechtshilfemassnahme nur anfechten, wenn eine der in
Art. 21 Abs. 3 IRSG
genannten Voraussetzungen erfüllt ist, nämlich wenn eine Massnahme sie persönlich trifft oder sie in ihren Verteidigungsrechten im ausländischen Strafverfahren beeinträchtigen könnte.
a) Die Person, gegen die sich das ausländische Strafverfahren richtet, ist nur dann persönlich betroffen im Sinne von
Art. 21
BGE 116 Ib 106 S. 110
Abs. 3 IRSG
, wenn sie sich in der Schweiz selber einer konkreten Massnahme - wie etwa einer Hausdurchsuchung oder einer Beschlagnahme bzw. Herausgabe von ihr gehörenden Dokumenten - zu unterwerfen hat. Der Umstand allein, dass eine Rechtshilfemassnahme ein im Ausland hängiges Verfahren fördert, genügt nicht. Würde die Bestimmung anders ausgelegt, könnte eine betroffene Person in jedem Fall Beschwerde erheben, was dem Sinn und Zweck der genannten Gesetzesbestimmung zuwiderlaufen würde (
BGE 114 Ib 158
E. 1a und
BGE 110 Ib 390
E. 3, s. mit Bezug auf
Art. 21 Abs. 3 IRSG
auch
BGE 113 Ib 265
E. 3c sowie nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 4. Januar 1990 i.S. K.H. E. 4 und vom 19. September 1989 i.S. F.M. E. 1b).
aa) Soweit die angefochtene Verfügung die Erteilung von Bankauskünften und eine Kontensperre anordnet, bezieht sie sich weder auf Vermögenswerte noch auf Urkunden, die dem Beschwerdeführer persönlich zustehen. Im Zusammenhang mit seiner Person wird lediglich um Herausgabe der von ihm an die Bank gerichteten Korrespondenz ersucht. Die betreffenden Dokumente befinden sich somit ausschliesslich in Drittbesitz. Entsprechend richtet sich die fragliche Rechtshilfemassnahme und damit auch die Aufhebung des Bankgeheimnisses durch Verpflichtung der Bank zur Auskunfterteilung und Aktenedition nicht gegen den Beschwerdeführer selber, sondern gegen seinen Mitbeschuldigten Y., welcher allein mit der Bank in einer Kundenbeziehung steht, bzw. gegen die Bank selber. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, wäre somit lediglich der Inhaber der betreffenden Konti, dem gegenüber das Bankgeheimnis aufgehoben werden soll, bzw. allenfalls die Bank als direkt betroffen und damit als rekurs- bzw. beschwerdelegitimiert zu erachten, nicht aber der blosse Verfasser der zur Diskussion stehenden, an die Bank gerichteten Schreiben.
Eine Ausdehnung des Rechtsschutzes auf den Verfasser von Aktenstücken, die im Besitze eines Dritten sind, ist so wenig wie etwa im Falle der Versiegelung von Akten vorgesehen, die auch höchstens vom Besitzer der Papiere, nicht aber vom Angeschuldigten, der nicht gleichzeitig Besitzer ist, verlangt werden kann (
Art. 69 Abs. 3 BStP
i.V.m.
Art. 9 IRSG
; s. hiezu
BGE 111 Ib 51
E. 3b, zudem
BGE 114 Ib 359
f.). Eine solche Ausdehnung des Rechtsschutzes widerspräche dem Sinn und Zweck der die allgemeine Legitimationsbestimmung des
Art. 103 lit. a OG
einschränkenden Regelung des
Art. 21 Abs. 3 IRSG
(s.
BGE 110 Ib 390
ff. E. 3 und
BGE 116 Ib 106 S. 111
114 Ib 158 f. E. 2); sie hätte eine unhaltbare Verzögerung des Rechtshilfeverfahrens zur Folge.
bb) Das Zeugenprotokoll vom 30. Juni 1987 gibt, was den Beschwerdeführer anbelangt, Antwort auf die Frage, ob er als Rechtsanwalt die Bank namens seines Klienten Y. beauftragt habe, an dessen Ehefrau Fr. 250'000.-- zu übergeben. Es geht somit um dasselbe Beweisthema wie beim Begehren um Herausgabe der Kontenunterlagen. Auch hierin kann keine den Beschwerdeführer persönlich treffende Massnahme im genannten Sinne erblickt werden. Die Aufhebung des Bankgeheimnisses durch die Einvernahme des Bankbeamten erfolgte auch insoweit gegenüber dem Mitbeschuldigten Y. und der B. SA; dass Auskünfte über deren Beziehungen zu Dritten zu erteilen waren, lag in der Natur der Rechtshilfesache, wie die Staatsanwaltschaft ebenfalls zutreffend festgestellt hat. Auch diesbezüglich ist der Beschwerdeführer somit nicht legitimiert im Sinne von
Art. 21 Abs. 3 IRSG
.
Im übrigen war der Beschwerdeführer an dieser Zeugeneinvernahme vom 30. Juni 1987 durch seinen Anwalt vertreten. Auch wenn er schon damals ihre Unzulässigkeit gerügt hatte, wurde von seiner Seite kein Rechtsmittel gegen ihre Durchführung ergriffen, obwohl die der betreffenden Einvernahme zugrundeliegende Verfügung vom 12. Juni 1987 jedenfalls ihm - dem Anwalt des Beschwerdeführers - zusammen mit der fakultativen Vorladung zu dieser Einvernahme zugestellt und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war. Gegen die Durchführung der Einvernahme vom 30. Juni 1987 erst am 22. März 1989 zu rekurrieren, erscheint daher als verspätet, so dass auf die betreffende Rüge auch aus diesem Grunde nicht hätte eingetreten werden können.
cc) Ebenfalls die Berufung des Beschwerdeführers auf das Anwaltsgeheimnis ist unbehelflich. Das Berufsgeheimnis und das daraus fliessende Zeugnisverweigerungsrecht erlauben es einem Anwalt, sich einer Aktenherausgabe zu widersetzen, sofern er im Strafverfahren Zeuge ist und seine persönlichen Akten herausverlangt werden (
BGE 106 IV 424
E. 7c). Nach der in der Schweiz herrschenden Lehre und Rechtsprechung kann aber eine Person, die ein Berufsgeheimnis zu wahren hat und der aus diesem Grunde ein Zeugnisverweigerungsrecht zustünde, sich der Beschlagnahme von Akten dann nicht widersetzen, wenn sie im Verfahren nicht als Zeuge in Frage kommt, weil sie selbst Beschuldigte ist (
BGE 106 IV 424
E. 7c,
BGE 102 IV 241
E. 4a mit Hinweisen). Dies aber trifft für den Beschwerdeführer zu. Im übrigen vermag er nicht
BGE 116 Ib 106 S. 112
nachzuweisen, inwiefern ein gewichtiges Interesse an der Geheimhaltung der Akten (s. in diesem Zusammenhang ebenfalls
BGE 106 IV 424
E. 7c, zudem 101 Ia 11 E. 5b) der Aufklärung der Straftat vorgehen soll.
b) Unbegründet ist ferner auch die Behauptung des Beschwerdeführers, die Rechtshilfemassnahmen könnten seine Verteidigungsrechte im niederländischen Strafverfahren beeinträchtigen. Die Gewährung der Rechtshilfe könnte die Verteidigungsrechte der vom ausländischen Strafverfahren betroffenen Person vor allem dann beeinträchtigen, wenn es für sie keine Gelegenheit mehr gäbe, in die den ersuchenden Behörden auf dem Rechtshilfeweg ausgehändigten Akten Einsicht zu nehmen, oder wenn keine Möglichkeit mehr bestünde, einem im Rechtshilfeverfahren abgehörten Zeugen Ergänzungsfragen stellen zu lassen oder mit ihm eine Konfrontation zu verlangen (
BGE 114 Ib 159
E. 2b,
BGE 110 Ib 391
E. 3b). Derartige Umstände muss der Beschuldigte nachweisen (s. die soeben zitierten Urteile). Im vorliegenden Fall liegen seitens des Beschwerdeführers keine hinlänglichen Begründungen in dieser Richtung vor. Mit dem Vorlegen der in den Niederlanden ergangenen Urteile hat er den Nachweis der Gefährdung seiner Verteidigungsrechte jedenfalls nicht erbracht, wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat. Im übrigen macht der Beschwerdeführer nicht geltend, er sei nicht in der Lage, in dem ihn betreffenden Strafverfahren eine allenfalls unzulässige Verwendung von Auskünften aus dem anwaltlichen Geheimbereich zu rügen. Im Gegenteil beruft er sich sogar auf entsprechende Bestimmungen der niederländischen Prozessordnung, die eine solche Verwendung verbieten sollen.
Auch die zweite Voraussetzung des
Art. 21 Abs. 3 IRSG
ist somit nicht gegeben.
c) Der Beschwerdeführer ist demnach nicht legitimiert, gegen die Verfügung der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 13. März 1989 zu rekurrieren.