Urteilskopf
116 IV 26
7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. April 1990 i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft Uri (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
1.
Art. 165 Ziff. 1 und
Art. 172 Abs. 1 StGB
; Leichtsinniger Konkurs und Vermögensverfall, Anwendung auf juristische Personen.
Art. 172 überträgt die täterschaftliche Qualifikation von der juristischen Person auf ihre Organe bzw. deren Mitglieder; dasselbe gilt, wenn das Organ seinerseits eine juristische Person ist (E. 4b).
Bei der Anwendung von
Art. 165 Ziff. 1 StGB
dürfen an die Pflichten einer Kontrollstelle nicht höhere als die im OR umschriebenen Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist die Kontrollstelle nicht verpflichtet, während des Geschäftsjahres Kontrollen vorzunehmen (E. 4b).
2.
Art. 166 StGB
; Unterlassen der Buchführung.
Eine Kontrollstelle bzw. ihre Organe oder deren Mitglieder (
Art. 172 StGB
) können sich der Unterlassung der Buchführung nicht schuldig machen (E. 4c).
Das Obergericht Uri verurteilte A. am 31. Mai, 15. und 29. Juni 1988 unter anderem wegen wiederholten leichtsinnigen Konkurses
BGE 116 IV 26 S. 27
und wiederholter Unterlassung der Buchführung zu 2 Jahren und 3 Monaten Gefängnis und einer Busse von Fr. 3'000.--.
A. und sein Rechtsvertreter führen Nichtigkeitsbeschwerde und beantragen die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz.
Aus den Erwägungen:
4.
a) Die am 24. September 1979 gegründete X. AG fiel am 1. Dezember 1981 in Konkurs, der bei Schulden von über Fr. 41'000.-- mangels Aktiven eingestellt wurde. Bücher wurden während der ganzen Dauer der Firmenexistenz nicht geführt (abgesehen von einer zeitweise geführten rudimentären Debitoren- und Kreditorenliste).
Die ebenfalls am 24. September 1979 gegründete Y. AG fiel am 20. Oktober 1981 in Konkurs, der bei Schulden von rund Fr. 77'000.-- mangels Aktiven eingestellt wurde. Auch in dieser Firma waren während der ganzen Dauer ihrer Existenz praktisch keine Bücher geführt worden (die Z. AG war zwar im August 1980 mit der Buchführung beauftragt worden und erstellte dann eine Zwischenbilanz per 1. August 1980 und eine Zwischenauswertung per 31. August 1980; sie legte in der Folge aber das Mandat nieder, weil sie nicht bezahlt wurde).
Kontrollstelle beider Firmen war bis mindestens Ende 1980 die B. AG, die praktisch identisch war mit dem Beschwerdeführer. Dieser war auf dem Briefpapier der B. AG als Präsident des Verwaltungsrates aufgeführt, was indessen nicht den Tatsachen entsprach, weil er diese Funktion formell nie innehatte. Der im Handelsregister als Verwaltungsratspräsident eingetragene Bruder des Beschwerdeführers hatte nach der Anklageschrift keine Ahnung davon, welche Tätigkeit diese Gesellschaft ausübte. Die Korrespondenz der B. AG wurde vom Beschwerdeführer oder von seinen Sekretärinnen unterzeichnet.
Die kantonalen Instanzen legten dem Beschwerdeführer zur Last, er hätte als (faktischer) Geschäftsführer der B. AG in beiden Firmen für die Einhaltung der Buchführungspflichten sorgen müssen; er habe um deren Überschuldung gewusst und durch sein grobnachlässiges Verhalten als Kontrollstelle im Bewusstsein der Zahlungsunfähigkeit zur Verschlimmerung der Vermögenslage beigetragen und den Eintritt des Konkurses zumindest mitverursacht. Sie sprachen den Beschwerdeführer deshalb des leichtsinnigen
BGE 116 IV 26 S. 28
Konkurses im Sinne von
Art. 165 StGB
und der Unterlassung der Buchführung im Sinne von
Art. 166 StGB
schuldig.
b) Nach
Art. 165 Ziff. 1 StGB
macht sich des leichtsinnigen Konkurses schuldig der Schuldner, der unter anderem durch grobe Nachlässigkeit in der Ausübung seines Berufes seine Zahlungsunfähigkeit herbeiführt oder im Bewusstsein seiner Zahlungsunfähigkeit seine Vermögenslage verschlimmert, sofern in der Folge über ihn der Konkurs eröffnet wird. Die dem Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorgeworfenen Verfehlungen wurden im Betrieb einer juristischen Person (Aktiengesellschaft) verübt. Nach
Art. 172 Abs. 1 StGB
findet unter diesen Umständen die Strafbestimmung des
Art. 165 StGB
unter anderem auch auf die Kontrollorgane Anwendung, welche diese Handlungen begangen haben.
Unbestritten ist, dass die B. AG Kontrollstelle der beiden genannten Firmen war. Sie ist ihrerseits eine juristische Person, die als solche deliktsunfähig ist.
Art. 172 StGB
überträgt die täterschaftliche Qualifikation von der juristischen Person auf deren Organe, d.h. auf die Direktoren, Bevollmächtigten oder Mitglieder des Verwaltungsrates; wenn in den in
Art. 172 StGB
aufgezählten Bestimmungen die Verantwortlichen der juristischen Person belangbar sind, so muss dies auch für den Fall gelten, wo die verantwortliche Person selbst eine juristische ist. Denn sonst wäre z.B. ein Buchhalter, der ein Kontrollstellenmandat annimmt, strafrechtlich belangbar, wenn er eine Einzelfirma führt, nicht aber, wenn er dieselbe Aufgabe im Geschäftsbereich seiner Einmann-AG erfüllt. Dass dieser Durchgriff auf die natürliche Person gewollt ist, ergibt sich bereits aus dem Gesetzestext, wonach die fraglichen Bestimmungen auf die Mitglieder der Kontrollorgane anwendbar sind (
Art. 172 StGB
). Damit fällt auch die B. AG unter den Anwendungsbereich des
Art. 172 StGB
. Der strafrechtliche Begriff des Organs deckt sich nicht mit demjenigen des Zivilrechts, sondern ist weitergefasst und schliesst alle Personen ein, die im Rahmen der Gesellschaftstätigkeit selbständige Entscheidungsbefugnis haben, auch wenn sie diese mit andern teilen müssen (
BGE 106 IV 23
).
Für den Sachverhalt verwies die Vorinstanz unter anderem auf die Anklageschrift. Darin wurde festgehalten, die B. AG sei faktisch identisch gewesen mit dem Beschwerdeführer, der die Korrespondenzen dieser Firma (selber oder durch eine seiner Sekretärinnen) unterzeichnet habe. Unter diesen Umständen kann nicht bezweifelt werden, dass der Beschwerdeführer (zumindest faktisch)
BGE 116 IV 26 S. 29
als Bevollmächtigter der B. AG betrachtet werden muss und dass er bezüglich dieser Gesellschaft unter den strafrechtlichen Begriff des Organes fällt. Was der Beschwerdeführer dagegen einwendet, ist unzulässige Kritik an den vorinstanzlichen Feststellungen (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
).
Die Vorinstanz führte aus, es sei zu untersuchen, ob der Beschwerdeführer durch einzelne Handlungen bzw. durch sein allgemeines Verhalten bei der Ausübung seines Mandats als Kontrollstelle arg leichtsinnig gehandelt und dadurch den Konkurs grobfahrlässig verschuldet habe; nach
Art. 699 Abs. 1 OR
habe die Kontrollstelle die Generalversammlung einzuberufen, wenn die Verwaltung dazu nicht imstande sei oder wenn sie die Einberufung böswillig und in unverantwortlicher Weise unterlasse. Das Mandat der Kontrollstelle sei nach Ablauf eines Jahres nicht beendet, da die Amtsdauer nicht mit dem Geschäftsjahr zusammenfalle; vielmehr erstrecke sie sich über das zu prüfende Geschäftsjahr hinaus mindestens bis zur nächsten Generalversammlung. Wenn auch die Kontrollstelle von der Gesellschaft für ihre Arbeit keine Unterlagen erhalten habe, hätte sie dafür besorgt sein müssen, dass die Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Bilanz ordnungsgemäss erstellt werde.
Die Aufgaben der Verwaltung (
Art. 721 ff. OR
) und der Kontrollstelle (
Art. 728 ff. OR
) dürfen nicht vermischt werden (BÜRGI, Kommentar zum schweizerischen Zivilgesetzbuch,
Art. 727 N 11
ff.). Die Verwaltung hat die Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Bilanz aufzustellen (
Art. 722 Abs. 3 OR
). Da die Ausführung dieser Arbeiten erst nach Ablauf eines Geschäftsjahres möglich ist, kann die Kontrollstelle die Bücher erst nach Abschluss des Geschäftsjahres überprüfen (
Art. 728 OR
).
Art. 699 Abs. 2 OR
bestimmt, dass die ordentliche Generalversammlung, die die Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Bilanz abnimmt (
Art. 698 Abs. 2 Ziff. 3 OR
), alljährlich innerhalb sechs Monaten nach Schluss des Geschäftsjahres stattfindet. Deshalb muss die Kontrollstelle die Unterlagen für die Kontrolle so rechtzeitig von der Verwaltung verlangen, dass sie innert der Halbjahresfrist seit Abschluss des Geschäftsjahres über die Buchführung Bericht erstatten kann (BÜRGI,
Art. 728 N 48
). Aus den Akten erhellt bloss, dass die B. AG bis mindestens Ende 1980 Kontrollstelle der fraglichen Firmen war. Auf welchen Zeitpunkt das erste Geschäftsjahr endete, ist nicht ersichtlich. Nimmt man dafür - nach den Angaben des Beschwerdeführers - den
BGE 116 IV 26 S. 30
31. Dezember 1980 an, so war die Kontrollstelle nach dem Gesagten erst etwa anfangs Juni verpflichtet, die Geschäftsbücher zur Kontrolle von der Verwaltung zu verlangen. Ob die Kontrollstelle zu diesem Zeitpunkt ihre Pflichten verletzt hat, ist aufgrund der vorinstanzlichen Feststellungen nicht überprüfbar, weshalb der angefochtene Entscheid gemäss
Art. 277 BStP
aufzuheben ist. Bei der neuen Beurteilung darf das Obergericht bezüglich der Pflichten einer Kontrollstelle nicht strengere Anforderungen stellen als das Obligationenrecht. Insbesondere wäre es nicht haltbar zu fordern, dass die Kontrollstelle bereits während des Geschäftsjahres Kontrollen vornehmen müsste; denn eine solche Lösung war bei der Gesetzesrevision ausdrücklich abgelehnt worden mit der Begründung, die Kontrollstelle dürfe keine zweite Verwaltung werden (BÜRGI,
Art. 728 N 48
; vgl. dazu auch die Kasuistik bei PETER FORSTMOSER, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, 2. Auflage, S. 256 ff., wonach die Pflichtwidrigkeiten den Zeitraum nach dem Geschäftsjahr betreffen). Bei der Beantwortung der Frage, wann der Beschwerdeführer hätte tätig werden müssen, wird die Vorinstanz zu berücksichtigen haben, dass die Halbjahresfrist gemäss
Art. 699 Abs. 2 OR
zwar nicht zwingend vorgeschrieben ist, die Kontrollstelle aber bei übermässiger Verschiebung der Generalversammlung einzuschreiten hat (BÜRGI, a.a.O.,
Art. 728 N 48
und
Art. 699 N 10
ff.). Sie wird auch Feststellungen darüber zu treffen haben, ob die Kontrollstelle auf den 31. Dezember 1980 demissionierte; bejahendenfalls wird sie sich nicht auf
BGE 86 II 171
berufen können, da diesem Entscheid sachverhaltsmässig keine Demission zugrunde lag. Da zwischen einer AG und den die Kontrollstelle bildenden Revisoren ein Auftragsverhältnis besteht, ist ein Rücktritt der Kontrollstelle jederzeit möglich (BÜRGI, a.a.O.,
Art. 727 N 25
, 28 und 34; siehe auch
BGE 111 II 483
). Wenn die Vorinstanz zum Schluss gelangt, der Beschwerdeführer habe während der Mandatsdauer Pflichten der Kontrollstelle verletzt, so wird sie sich schliesslich dazu äussern müssen, ob diese Pflichtverletzungen für den tatbestandsmässigen Erfolg von
Art. 165 StGB
kausal waren, also entweder die Zahlungsunfähigkeit der fraglichen Firmen herbeigeführt oder im Bewusstsein der Zahlungsunfähigkeit deren Vermögenslage verschlimmert haben.
c) Nach
Art. 166 StGB
wird unter anderem der Schuldner bestraft, der die ihm gesetzlich obliegende Pflicht zur ordnungsgemässen Führung von Geschäftsbüchern verletzt, so dass ein
BGE 116 IV 26 S. 31
Vermögensstand nicht oder nicht vollständig ersichtlich ist, sofern über ihn der Konkurs eröffnet wird.
Der Beschwerdeführer macht in diesem Anklagepunkt geltend, die Unterlassung der Buchführung könne nur vom Schuldner selbst begangen werden; die Kontrollstelle sei nie buchführungspflichtig und könne deshalb nicht im Sinne von
Art. 166 StGB
schuldig gesprochen werden. Diese Rüge ist begründet. Gemäss dem Wortlaut von
Art. 166 StGB
kommt als Täter nur der Schuldner selbst in Frage. Als weiteres Tatbestandsmerkmal wird verlangt, dass der Schuldner die ihm gesetzlich obliegende Pflicht zu ordnungsmässiger Führung und Aufbewahrung von Geschäftsbüchern oder zur Aufstellung einer Bilanz verletzt hat. Der Beschwerdeführer war weder Schuldner noch traf ihn die erwähnte gesetzliche Pflicht. Nicht anders verhält es sich, wenn man die Anwendung von
Art. 172 StGB
in Betracht zieht. Die Tätermerkmale ("... Schuldner, der die ihm gesetzlich obliegende Pflicht zur ordnungsmässigen Führung und Aufbewahrung von Geschäftsbüchern oder zur Aufstellung einer Bilanz verletzt ...") können der Natur der Sache nach bei der Kontrollstelle gar nicht vorhanden sein; sie ist von Gesetzes wegen nicht buchführungspflichtig und darf es auch nicht sein, wenn sie die Prüfungspflichten gemäss
Art. 728 OR
wirksam und unabhängig soll wahrnehmen können; dies im Unterschied zu Direktoren, Bevollmächtigten und Mitgliedern der Verwaltung einer AG sowie auch den Liquidatoren (
Art. 740-43 OR
; ALFRED VON ARX, Das Buchdelikt, Diss. Zürich 1942, S. 20). Die Mitglieder der Kontrollstelle können daher nicht "zu Gunsten der juristischen Person" handeln (
BGE 110 IV 17
E. c mit Hinweis). Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers von der Anklage der Unterlassung der Buchführung an die Vorinstanz zurückzuweisen.