Urteilskopf
116 V 51
9. Urteil vom 1. März 1990 i.S. Alpina Versicherungs-AG gegen L. und Bundesamt für Sozialversicherung
Regeste
Art. 77 UVG
,
Art. 112 Abs. 2 UVV
: Versichererwechsel.
- Wird nach eingetretenem Unfallereignis der Versicherer gewechselt, so bleibt der Versicherer leistungspflichtig, bei dem der Verunfallte im Zeitpunkt des leistungsbegründenden Ereignisses versichert war.
-
Art. 112 Abs. 2 UVV
ist gesetzwidrig.
A.-
S. L. war im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 UVG
bei der Alpina Versicherungs-AG freiwillig kollektivversichert. Am 12. April 1984 liess sie der Alpina eine Schadenmeldung wegen einer am 9. April 1984 beim Ausgleiten in der Küche erlittenen rechtsseitigen Rotatorenmanschettenruptur zugehen.
Durch Verfügung vom 28. Mai 1984 wurde die Firma L.-R. + Co., deren Arbeitnehmerin S. L. war, mit Wirkung ab 1. Juni 1984
BGE 116 V 51 S. 52
der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unterstellt. In der Folge wurde die freiwillige Versicherung der S. L. durch Verzichtserklärung der Firma L.-R. + Co. vom 22. August 1984 bei der Alpina aufgelöst und mit Wirkung ab 1. September 1984 neu mit der SUVA vereinbart.
Am 27. Februar 1986 teilte die SUVA der Versicherten verfügungsweise mit, dass die von ihr geklagten Schulterbeschwerden auf ein vor September 1984 eingetretenes Ereignis zurückzuführen seien. Dafür bestehe kein Versicherungsschutz bei der SUVA, weshalb sie einen Anspruch auf Versicherungsleistungen verneine. Diese Verfügung erlangte unangefochten Rechtskraft.
Mit Verfügung vom 22. Januar 1988 forderte die Alpina von ihr bereits erbrachte Leistungen in der Höhe von Fr. 49'256.55 von S. L. zurück, weil diese seit dem Sommer 1984 nicht mehr bei ihr versichert sei und die Alpina deshalb zu Unrecht Leistungen im genannten Umfang erbracht habe. Auf Einspruch hin bestätigte die Alpina diese Verfügung am 16. Februar 1988.
B.-
S. L. liess beim Versicherungsgericht des Kantons Wallis beschwerdeweise die Aufhebung des Einspracheentscheides vom 16. Februar 1988 und die Weitergewährung der Leistungen durch die Alpina beantragen.
Der kantonale Richter hiess die Beschwerde insoweit gut, als er die Rückforderungsverfügung aufhob. Im übrigen trat er auf die Beschwerde insofern nicht ein, als weiterhin gesetzliche Leistungen verlangt würden und der Entscheid sich über die Versicherteneigenschaft von Frau L. seit Sommer 1984 ausspreche; ferner werde auf die Beschwerde nicht eingetreten, "soweit UVG-Zusatzversicherungsleistungen in Frage stehen sollten" (Entscheid vom 15. Dezember 1988).
C.-
Gegen diesen Entscheid richtete sich die Beschwerde, mit welcher S. L. beim Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) beantragen liess, es sei festzustellen, dass die Alpina für den Versicherungsfall vom 9. April 1984 zuständig und leistungspflichtig sei; ferner habe die Alpina vollen Kostenersatz zu leisten.
Das BSV hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 25. August 1989 gut.
D.-
Die Alpina lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit folgenden Anträgen: Der bundesamtliche Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie für den Versicherungsfall ab Datum des Versicherungswechsels nicht mehr zuständig sei.
S. L. lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen.
Auch die als Mitinteressierte zur Stellungnahme eingeladene SUVA beantragt dem Sinne nach die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 77 Abs. 1 UVG
erbringt bei Berufsunfällen der Versicherer die Leistungen, bei dem die Versicherung zur Zeit des Unfalles bestanden hat. Bei Nichtberufsunfällen ist jener Versicherer leistungspflichtig, bei dem der Verunfallte zuletzt auch gegen Berufsunfälle versichert war (Abs. 2). Durch diese Vorschriften wird bestimmt, welcher Versicherer leistungspflichtig ist, wenn ein Arbeitnehmer bei Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses und in der Folgezeit bei verschiedenen Versicherern versichert war (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 68).
In diesem Zusammenhang ist
Art. 112 UVV
mit dem Randtitel "Wechsel des Versicherers" zu beachten, dessen Absatz 1 folgendes bestimmt: "Der Versicherer darf für den Fall, dass der Arbeitgeber den Versicherer wechselt (
Art. 59 Abs. 2 UVG
) oder dass der Betrieb neu zugeteilt wird (
Art. 76 UVG
), keine besonderen Reserven bestellen." Ferner schreibt Absatz 2 vor, dass beim Wechsel des Versicherers nach Absatz 1 der neue Versicherer vom Zeitpunkt des Wechsels hinweg die Kosten der vorher eingetretenen und nach dem Gesetz versicherten Unfälle übernimmt, mit Ausnahme der vor dem Wechsel festgesetzten Renten. Es fragt sich, ob diese Verordnungsbestimmung, welche die Leistungspflicht für vor dem Versicherungswechsel eingetretene Unfälle für die Zeit nach dem später erfolgten Versichererwechsel dem neuen Versicherer auferlegt, im Einklang steht mit
Art. 77 Abs. 1 und 2 UVG
, wonach ohne jede Ausnahme der Versicherer leistungspflichtig ist, der den Versicherten im Zeitpunkt des Schadenseintrittes versicherte. Diese Frage ist von Amtes wegen zu prüfen (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 227).
b) (Überprüfung von Verordnungen des Bundesrates)
c) Der Wortlaut der Absätze 1 und 2 von
Art. 77 UVG
ist eindeutig und lässt keinen Raum für davon abweichendes Verordnungsrecht. Lediglich der Absatz 3 von Art. 77 delegiert dem Bundesrat die Befugnis, die Leistungspflicht und das Zusammenwirken der Versicherer zu ordnen:
BGE 116 V 51 S. 54
"a. für Versicherte, die von verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt werden;
b. bei einem erneuten Unfall, namentlich wenn er zum Verlust paariger Organe oder zu anderen Änderungen des Invaliditätsgrades führt;
c. beim Tode beider Elternteile;
d. bei Berufskrankheiten, die in mehreren, bei verschiedenen Versicherern versicherten Betrieben verursacht wurden".
Die Aufzählung der Fälle, in denen der Bundesrat auf dem Verordnungsweg die Leistungspflicht und das Zusammenwirken der Versicherer abweichend von den Absätzen 1 und 2 des
Art. 77 UVG
regeln kann, sind in Absatz 3 abschliessend aufgezählt. Der Sachverhalt, dass ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer nach eingetretenem Unfallereignis bei einem andern Versicherer versichert oder der SUVA unterstellt wird, lässt sich unter keinen der in
Art. 77 Abs. 3 UVG
umschriebenen Sachverhalte subsumieren. Irgendeine andere Norm, welche den Bundesrat ermächtigen würde, abweichend von
Art. 77 Abs. 1 und 2 UVG
bei der Neuunterstellung eines Betriebes dem Grundsatz nach den leistungspflichtigen Versicherer zu bestimmen, enthält das UVG nicht. Soweit
Art. 77 Abs. 1 und 2 UVG
durch
Art. 112 UVV
abgeändert wird, steht dieser mit dem Gesetz nicht im Einklang. Ist er aber gesetzwidrig, so darf er nicht angewandt werden. Damit braucht - entgegen der Auffassung des BSV - nicht geprüft zu werden, ob
Art. 112 Abs. 2 UVV
überhaupt auf freiwillig kollektivversicherte Arbeitnehmer anwendbar ist oder nicht.
2.
Die Firma L.-R. + Co., bei welcher die Beschwerdegegnerin freiwillig versichert war, wurde auf den 1. Juni 1984 der SUVA unterstellt. Da
Art. 112 Abs. 2 UVV
wegen fehlender Gesetzeskonformität für die Bestimmung des leistungspflichtigen Versicherers ohnehin nicht zur Anwendung gelangen kann, ist ausschliesslich
Art. 77 Abs. 2 UVG
anwendbar, wonach bei Nichtberufsunfällen derjenige Versicherer die Leistungen zu erbringen hat, bei dem die verunfallte Person zuletzt gegen Berufsunfälle versichert war. Das war im vorliegenden Fall die Alpina, weshalb diese für die Folgen des Unfallereignisses vom 9. April 1984, trotz Unterstellung des Betriebes unter die SUVA auf den 1. Juni 1984, in Anwendung von
Art. 77 Abs. 2 UVG
nach wie vor leistungspflichtig ist. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich demnach als unbegründet.