Urteilskopf
117 II 109
23. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. März 1991 i.S. B. gegen B. (Berufung)
Regeste
Zustimmung zur Adoption; Anfechtung wegen Urteilsunfähigkeit (
Art. 265a ZGB
;
Art. 44 OG
).
Wird dem Begehren, es sei die Zustimmung zur Adoption wegen Urteilsunfähigkeit als ungültig zu bezeichnen, von der oberen kantonalen Spruchbehörde nicht entsprochen, so kann deren Entscheid nicht mit Berufung beim Bundesgericht angefochten werden.
A.-
Am 25. Juni 1987 hatte Daniela B. der von einer Sozialarbeiterin vorbereiteten schriftlichen Erklärung betreffend Adoption ihres Sohnes durch ungenannte Pflegeeltern zugestimmt. Die Vormundschaftsbehörde entzog ihr in der Folge die elterliche Gewalt, stellte das Kind unter Vormundschaft und bestimmte die Sozialarbeiterin zu dessen Vormündin. Gleichentags wurde das Kind in Gegenwart seiner Mutter den Pflege- und künftigen Adoptiveltern übergeben. Am 13. August 1987 stellte die Vormundschaftsbehörde fest, dass nach Ablauf der gesetzlichen Widerrufsfrist die Zustimmungserklärung von Daniela B. endgültig geworden sei.
B.-
Mit Eingabe vom 29. November 1988 beantragte Daniela B. der Vormundschaftsbehörde, es sei ihre Zustimmung zur Adoption als nichtig bzw. als unverbindlich zu erklären und es sei ihr das Kind wieder zurückzugeben, eventuell sei die Frist für den
BGE 117 II 109 S. 110
Widerruf der Zustimmung wiederherzustellen. Sie machte im wesentlichen geltend, dass sie im Augenblick ihrer Zustimmung zur Adoption nicht urteilsfähig gewesen sei.
Nachdem die Vormundschaftsbehörde und die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde auf Nichtigkeit der Zustimmung zur Adoption erkannt hatten, beschwerte sich die Vormündin beim Regierungsrat des Kantons Thurgau. Dieser hiess die Beschwerde gut und stellte - in Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheide - fest, dass Daniela B. am 25. Juni 1987 im Sinne von
Art. 265a ZGB
gültig der Adoption ihres Kindes zugestimmt habe.
C.-
Daniela B. erhob gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Thurgau sowohl Berufung als auch staatsrechtliche Beschwerde. Auf die Berufung trat das Bundesgericht aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht ein.
Aus den Erwägungen:
2.
a) Der vorliegenden Streitsache liegt die Zustimmung zur Adoption im Sinne von
Art. 265a ZGB
zugrunde, die Daniela B. am 25. Juni 1987 für ihr Kind erteilt hat. Sie hat diese Zustimmung innert der Frist von
Art. 265b Abs. 2 ZGB
nicht widerrufen, möchte sie nun aber wegen Nichtigkeit, eventuell wegen Willensmängeln anfechten.
Eine solche Streitsache ist - wie von keiner Seite bestritten wird - wohl (formell) eine Zivilsache, jedoch keine Zivilrechtsstreitigkeit, die gestützt auf
Art. 44 OG
mit Berufung an das Bundesgericht weitergezogen werden könnte (
BGE 107 II 501
E. 2b). Sie lässt sich auch nicht ohne weiteres den Ausnahmen von Art. 44 lit. c und d zuordnen.
b) Daniela B. stellt sich nun aber auf den Standpunkt, der vorliegende Fall sei analog zu
Art. 265c Ziff. 2 ZGB
zu behandeln, welche Bestimmung in
Art. 44 lit. c OG
ausdrücklich genannt wird. Indem die Vorinstanz die Gültigkeit der Zustimmungserklärung bejaht habe, hätten nämlich die Behörden sinngemäss von der Einholung einer Zustimmungserklärung ganz abgesehen.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Nach dem klaren Wortlaut von
Art. 44 lit. c OG
ist die Berufung nur zulässig beim Absehen von der Zustimmung eines Elternteils zur Adoption - und auch dies nur im Fall der Ziff. 2 von
Art. 265c ZGB
. Die Ausnahmen in
Art. 44 lit. a-f OG
sind nach der Rechtsprechung und nach einhelliger Lehre abschliessend aufgezählt (BGE 109
BGE 117 II 109 S. 111
II 27 E. 1, 108 II 524 E. 1, 107 II 501 E. 2b, 95 II 302 E. 1; Kommentar BIRCHMEIER, S. 129, mit Verweis auf die ältere Rechtsprechung; POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bern 1990, Band II, S. 205). Daher lässt sich der vorliegende Sachverhalt nicht in derart extensiver Weise
Art. 44 lit. c OG
analog subsumieren, wie sich das die Berufungsklägerin vorstellt. Es geht um den Widerruf einer unbestritten erteilten Zustimmung zur Adoption, und dieser Sachverhalt kann nicht dem Absehen von der Zustimmung (weil der Elternteil sich um das Kind nicht ernstlich gekümmert hat) gleichgestellt werden (vgl. auch das Bundesgerichtsurteil vom 28. Juni 1984 i.S. Bernasconi gegen Dipartimento di giustizia della Repubblica e Cantone del Ticino, veröffentlicht in Repertorio di giurisprudenza patria 118/1985, S. 234 f., E. 1).
c) Daniela B. meint ausserdem, die Zulässigkeit der Berufung wäre auch aufgrund von
Art. 44 lit. d OG
zu bejahen. Nach dieser Vorschrift kann Berufung erhoben werden gegen Entscheide, welche die Entziehung oder die Wiederherstellung der elterlichen Gewalt zum Gegenstand haben (
Art. 311 und 313 ZGB
).
Die Berufungsklägerin verliert indessen aus den Augen, dass die Frage der Wiederherstellung der elterlichen Gewalt nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Sie müsste allenfalls nach Massgabe von
Art. 313 Abs. 1 ZGB
geprüft werden, wenn Daniela B. mit der Anfechtung des Entscheides des Regierungsrates des Kantons Thurgau Erfolg hätte. Der Regierungsrat hat - entsprechend seinem Standpunkt in dem hier allein streitigen Punkt - festgehalten, dass auf Fragen der Wiederherstellung der elterlichen Gewalt zugunsten von Daniela B. bzw. der Rückplazierung des Kindes zu seiner Mutter nicht einzutreten sei. Der Bezirksrat hat sich zur Wiederherstellung der elterlichen Gewalt überhaupt nicht geäussert. Daniela B. hat in ihrer dem Regierungsrat eingereichten Stellungnahme vom 1. September 1989 selber erklärt, dass über die Wiederherstellung der elterlichen Gewalt in diesem Verfahren nicht zu entscheiden sei.
Es kann demnach auf die Berufung auch nicht aufgrund von
Art. 44 lit. d OG
eingetreten werden.