BGE 117 II 186 vom 10. April 1991

Datum: 10. April 1991

Artikelreferenzen:  Art. 23 OR, Art. 365 OR, Art. 685 OR, Art. 707 OR, Art. 940 OR , Art. 940 Abs. 2 OR, Art. 21 Abs. 2 HRegV, Art. 627 Ziff. 10 OR, Art. 699 Abs. 2 OR, Art. 707 Abs. 1 und 2 OR, Art. 23 ff. OR

BGE referenzen:  107 II 246, 114 II 68, 119 II 463, 121 III 368, 125 III 18, 132 III 668 , 114 II 70, 107 II 247, 114 IB 264, 107 II 246, 114 II 68, 90 II 171, 114 II 68, 90 II 171

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

117 II 186


39. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. April 1991 i.S. Schweizerische Bankgesellschaft gegen Handelsregisteramt und Justizdirektion des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 940 Abs. 2 OR , Art. 21 Abs. 2 HRegV ; Eintragung von Statutenänderungen einer Aktiengesellschaft in das Handelsregister.
1. Bestätigung der Rechtsprechung, wonach die Prüfungsbefugnis des Handelsregisterführers beschränkt ist, soweit es um die Anwendung materiellen Rechts geht (E. 1).
2. Nicht verweigern darf der Registerführer den Eintrag einer Statutenbestimmung, welche den Verwaltungsrat berechtigt, Eintragungen ins Aktienbuch, die mit falschen Angaben erschlichen worden sind, mit Rückwirkung auf das Datum der Eintragung im Aktienregister rückgängig zu machen (E. 2).
3. Ebenfalls einzutragen hat der Registerführer eine statutarische Bestimmung, welche den Verwaltungsrat für berechtigt erklärt, mit Banken Vereinbarungen bezüglich des Depotstimmrechts zu treffen, die von der statutarisch festgelegten Beschränkung des Stimmrechts eines einzelnen Aktionärs auf einen bestimmten Prozentsatz sämtlicher Aktienstimmen abweichen (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 187

BGE 117 II 186 S. 187
Die Generalversammlung der als Aktiengesellschaft im Handelsregister eingetragenen Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) beschloss am 25. April 1990 mehrere Statutenänderungen, darunter zwei Zusätze zu den Paragraphen 3a und 9, nämlich:
§ 3a
Zusätzlicher Satz 2 zu Absatz 6:
"Der Verwaltungsrat ist zudem berechtigt, Eintragungen von Namenaktien, welche mit falschen Angaben erschlichen worden sind, mit Rückwirkung auf das Datum der Eintragung im Aktienregister rückgängig zu machen."
§ 9
Zusätzlicher Absatz 4:
"Der Verwaltungsrat ist berechtigt, mit Banken Vereinbarungen zu treffen, um die Ausübung des Depotstimmrechts zu ermöglichen. Er kann dabei von den in Absatz 3 festgelegten Beschränkungen abweichen."
Die erwähnten Beschränkungen sind in Absatz 3 von § 9 wie folgt umschrieben:
"Bei der Ausübung des Stimmrechts kann kein Aktionär direkt oder indirekt für eigene und vertretene Aktien zusammen mehr als 5% sämtlicher Aktienstimmen auf sich vereinigen. Dabei gelten juristische Personen und Personengesellschaften, die untereinander kapital- oder stimmenmässig, durch einheitliche Leitung oder auf andere Weise verbunden sind, sowie natürliche oder juristische Personen oder Personengesellschaften, welche sich zum Zwecke der Umgehung der Begrenzung zusammenschliessen, als eine Person."
Mit Verfügung vom 30. April 1990 beanstandete das Handelsregisteramt des Kantons Zürich die beiden Statutenänderungen als gesetzwidrig und lehnte ihre Eintragung ab. Eine von der SBG dagegen erhobene Beschwerde wurde von der Direktion der Justiz des Kantons Zürich am 29. August 1990 abgewiesen.
BGE 117 II 186 S. 188
Die SBG hat die Verfügung der Justizdirektion mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten. Sie beantragt, diese Verfügung aufzuheben und das Handelsregisteramt anzuweisen, die beanstandeten Statutenänderungen im Register einzutragen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Erwägungen:

1. Gemäss Art. 940 Abs. 2 OR und Art. 21 Abs. 2 HRegV hat der Registerführer vor der Eintragung von Statutenänderungen zu prüfen, ob diese keinen zwingenden Vorschriften widersprechen und den vom Gesetz verlangten Inhalt aufweisen. Wo nicht Registerrecht, sondern materielles Recht in Frage steht, ist die Prüfungsbefugnis des Registerführers indessen beschränkt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts hat er bloss auf die Einhaltung jener zwingenden Gesetzesbestimmungen zu achten, die im öffentlichen Interesse oder zum Schutze Dritter aufgestellt sind, während die Betroffenen zur Durchsetzung von Vorschriften, die nachgiebigen Rechts sind oder nur private Interessen berühren, den Zivilrichter anzurufen haben. Da die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein kann, ist die Eintragung nur dann abzulehnen, wenn sie offensichtlich und unzweideutig dem Recht widerspricht, nicht dagegen, falls sie auf einer ebenfalls denkbaren Gesetzesauslegung beruht, deren Beurteilung dem Richter überlassen bleiben muss ( BGE 114 II 70 , BGE 107 II 247 f. je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 114 Ib 264 ).
Entgegen einer in der Literatur erhobenen Kritik (KÜNG, Die Prüfungspflicht des Handelsregisterführers in materiellrechtlichen Fragen, SZW 1990, S. 43) hat sich das Bundesgericht auch in den beiden von diesem Autor zitierten Urteilen an seine Praxis gehalten. Im einen Fall ( BGE 107 II 246 ff.) kam es zum Ergebnis, die Statuten einer Aktiengesellschaft verletzten die zwingende und dem Schutz Dritter sowie öffentlicher Interessen dienende Vorschrift von Art. 699 Abs. 2 OR . Dass es sich um eine zwingende Bestimmung handelt, ergab sich für das Bundesgericht klar aus der Entstehungsgeschichte und dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften über die Organisation der Aktiengesellschaft; die teilweise in der Literatur vertretene gegenteilige Meinung, die aber von den betreffenden Autoren nicht begründet wurde, hielt das Bundesgericht deshalb für eindeutig falsch. Ähnlich verhielt es sich im zweiten Fall (nicht publ. Urteil vom 27. August 1975 i.S. T.). Dort
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ging es um die Frage, ob ein Verwaltungsrat zugleich Aktionär der Aktiengesellschaft sein müsse. Das wurde vom Bundesgericht mit der Begründung bejaht, sowohl aus dem Wortlaut von Art. 707 Abs. 1 und 2 OR wie auch aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergebe sich, dass von dieser Vorschrift nicht abgewichen werden dürfe. Hingewiesen wurde auf Äusserungen in der Literatur, mit denen die Zweckmässigkeit der Bestimmung in Frage gestellt worden ist, die aber deren zwingende Geltung nicht in Zweifel gezogen haben.
Neue und stichhaltige Einwände gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichts, welche nicht bereits im Zeitpunkt der letzten veröffentlichten Bestätigung der Praxis bekannt waren, liegen somit nicht vor. Es besteht deshalb kein Anlass, im vorliegenden Fall von den in BGE 114 II 68 ff. dargelegten Regeln bezüglich der Prüfungsbefugnis des Registerführers abzuweichen.

2. Nach Ansicht der Vorinstanz verstösst § 3a Abs. 6 Satz 2 der Statuten der Beschwerdeführerin gegen die ungeschriebene und zwingende Regel des Aktienrechtes, dass die Streichung einer Eintragung im Aktienregister nur im Einverständnis mit dem Aktionär oder vom Richter, nicht aber eigenmächtig von der Gesellschaft selbst vorgenommen werden dürfte.
a) Vorweg ist zu bemerken, dass sich diese Auffassung nicht auf BGE 69 II 313 ff. stützen lässt. Zum einen ging das Bundesgericht damals noch von der konstitutiven Wirkung der Eintragung im Aktienbuch aus, einer Praxis, die später geändert worden ist (vgl. BGE 90 II 171 E. 3). Zum andern lässt sich dem Entscheid nichts Schlüssiges bezüglich der hier streitigen Frage entnehmen. Darin wird zwar ausgeführt, der Gesellschaft gegenüber sei immer der im Aktienbuch Eingetragene und nur dieser legitimiert, und zwar solange, bis die Eintragung in zulässiger Weise - im Streitfall durch den Richter - berichtigt sei ( BGE 69 II 316 ). Die Frage, ob die Gesellschaft oder deren Verwaltungsrat eine Eintragung rückgängig machen dürfe, welche mit falschen Angaben erschlichen worden ist, spielte bei der Beurteilung jenes Falles aber gar keine Rolle. Im übrigen sind sich Beschwerdeführerin und Vorinstanz zu Recht einig, dass die Gesellschaft nicht endgültig über die Streichung der Eintragung entscheiden darf, sondern anschliessend der Richter angerufen werden kann. Mehr ergibt sich aber auch aus dem zitierten Entscheid nicht.
b) Die Lehre ist zwar hinsichtlich der hier streitigen Frage ergiebiger als die veröffentlichte Judikatur, eine herrschende
BGE 117 II 186 S. 190
Meinung lässt sich aber entgegen der Behauptung der Vorinstanz nicht ausmachen.
Im älteren Schrifttum hat sich FRITZ VON STEIGER ausführlich mit der Frage befasst. Er ist zum Ergebnis gekommen, dass eine Statutenbestimmung zulässig sei, wonach der Verwaltungsrat die Eintragung eines Aktionärs im Aktienbuch rückgängig machen dürfe, falls diese auf einem Willensmangel beruht (Berichtigung des Aktienbuches durch die Gesellschaft selbst?, SAG 36/1964, S. 57 ff.). Vorher hatte sich BÜRGI gegenteilig geäussert, ohne seine Auffassung aber selbst zu begründen (N. 9 zu Art. 685 OR ). Geteilt wurde die Meinung BÜRGIS von ALFRED WIELAND (Das Aktienbuch und der Rechtsübergang an Namenaktien nach dem revidierten Obligationenrecht, Diss. Basel 1945, S. 31). Nicht eindeutig bezüglich dieser speziellen Frage sind dagegen die Äusserungen von EUGÉNIE HAGMANN (Die Vertretung der Aktien in der Generalversammlung der Aktiengesellschaft, Diss. Zürich 1951, S. 84), von MAX BERNHARD WINKLER (Das Aktienbuch, Diss. Bern 1940, S. 42) und von GEORG WETTSTEIN (Die nicht voll einbezahlte Aktie, Diss. Zürich 1948, S. 83 f.). In allgemeiner Form spricht schliesslich HANS R. FORRER der Aktiengesellschaft bzw. der Verwaltung eine solche Befugnis ab (Die Mitgliedschaft und ihre Beurkundung, Diss. Zürich 1959, S. 243).
In der neueren Literatur finden sich ebenfalls Äusserungen, die nicht eindeutig sind oder sich nicht auf den besonderen Sachverhalt beziehen, welcher im vorliegenden Fall gegeben ist. So meinen GUHL/MERZ/KUMMER allgemein und ohne Begründung, eine Zustimmung der Verwaltung zur Übertragung vinkulierter Namenaktien sei nicht mehr rückgängig zu machen, selbst wenn sie statutenwidrig erfolgt sei (Schweiz. Obligationenrecht, 7. Aufl., S. 633). PETER LUTZ hält lediglich fest, ein Entscheid der Gesellschaft, der auf einem Irrtum oder anderen Willensmängeln beruhe, könne nach Massgabe der Bestimmungen von Art. 23 ff. OR angefochten werden (Vinkulierte Namenaktien, Diss. Zürich 1988, S. 79). Bejaht wird die Befugnis der Gesellschaft zur eigenmächtigen Streichung eines Aktionärs im Register dagegen von ANDRÉ KUY (Der Verwaltungsrat im Übernahmekampf, Diss. Zürich 1989, S. 88). Differenzierter ist die Meinung von ULRICH BENZ, der bezüglich des hier interessierenden Sachverhalts die Zulässigkeit der Streichung durch die Gesellschaft aber ebenfalls bejaht (Aktienbuch und Aktionärswechsel, Diss. Zürich 1981, S. 103). Im Ergebnis gleich äussert sich auch DANIEL WÜRSCH, allerdings mit der
BGE 117 II 186 S. 191
Bemerkung, die Frage sei zur Zeit noch nicht vollends geklärt (Der Aktionär als Konkurrent der Gesellschaft, Diss. Zürich 1989, S. 123 f.). Auf BÜRGI (N. 9 und 14 zu Art. 365 OR ; recte: Art. 685 OR ) verweist schliesslich MARKUS STEINMANN, welcher die Gesellschaft nur dann für befugt hält, den Aktionär im Fall der Täuschung aus dem Aktienregister zu streichen, wenn eine richterliche Anordnung vorliegt (Präventive Abwehrmassnahmen zur Verhinderung unfreundlicher Übernahmen mit Mitteln des Aktienrechts, S. 58).
Eine herrschende Lehrmeinung gab und gibt es somit nicht. Daran ändern auch die neuesten Publikationen nichts, welche zur Widerlegung bzw. Stützung der Praxis des Handelsregisteramtes des Kantons Zürich erfolgt sind (FORSTMOSER, Die Rückgängigmachung von Eintragungen im Aktienbuch - problemlos oder unzweideutig rechtswidrig?, SAG 61/1989, S. 173 ff.; KÜNG, Aberkennung der Aktionärseigenschaft durch den Verwaltungsrat?, SAG 61/1989, S. 181 ff.). Abgesehen davon, dass beide Autoren am Ausgang des vorliegenden Verfahrens interessiert sind, tragen ihre Äusserungen lediglich zusätzlich dazu bei, dass die Meinungen in der Doktrin als kontrovers beurteilt werden müssen. Diese Beurteilung entspricht denn auch jener des Eidgenössischen Amtes für das Handelsregister, das in ständiger Praxis Einträge wie den hier streitigen bisher genehmigt hat (ROLAND BÜHLER, Amtspraxis zum Handelsregisterrecht aus dem Jahre 1989, SZW 1990, S. 242/3).
Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, § 3a Abs. 6 Satz 2 der Statuten der Beschwerdeführerin verstosse offensichtlich und unzweideutig gegen eine zwingende Gesetzesvorschrift. Die Eintragung der Statutenänderung hätte deshalb nicht verweigert werden dürfen.

3. Ähnlich verhält es sich auch mit § 9 Abs. 4 der Statuten der Beschwerdeführerin. Selbst wenn mit der Vorinstanz angenommen wird, dass diese Vorschrift im Ergebnis auf eine Einschränkung des Stimmrechts bestimmter Aktionäre hinausläuft, kann nicht davon ausgegangen werden, es liege ein offensichtlicher und unzweideutiger Widerspruch zu Art. 627 Ziff. 10 OR vor. Massgebend ist einzig die Frage, ob § 9 Abs. 4 der Statuten den gemäss Art. 627 Ziff. 10 OR notwendigen Detaillierungsgrad aufweist. Dem Gesetz selbst lässt sich nichts Eindeutiges entnehmen. Zudem gibt es dazu weder eine allgemein anerkannte oder überwiegend befolgte Gerichtspraxis noch eine herrschende
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Lehrmeinung. Im übrigen könnte der einzige Nachteil einer ungenügend detaillierten Regelung darin bestehen, dass ein pflichtwidrig handelnder Verwaltungsrat einzelne Aktionäre oder Aktionärsgruppen ungleich behandelt. Es ist indessen grundsätzlich nicht Aufgabe des Registerführers, die Interessen solcher Aktionäre für den Fall möglichen Fehlverhaltens des Verwaltungsrates zu wahren.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde in vollem Umfang gutzuheissen, die angefochtene Verfügung aufzuheben und das Handelsregisteramt des Kantons Zürich anzuweisen, die Eintragung der Statutenänderungen im Handelsregister vorzunehmen.

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