Urteilskopf
117 II 251
49. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. September 1991 i.S. Vogel gegen Stockwerkeigentümergemeinschaft "Fäld-Stettli" (Berufung)
Regeste
Art. 712h ZGB
; Verteilung der gemeinschaftlichen Kosten und Lasten.
1.
Art. 712h Abs. 3 ZGB
ist eine zwingende Gesetzesvorschrift (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 5b).
2. Bilden zwei miteinander verbundene Häuser eine Einheit und besitzt ein Miteigentümer im einen Haus zwei Wohnungen und vier Büros, während ihm im andern Haus Keller-, Hobby- und Archivräume zur Verfügung stehen, so ist davon auszugehen, dass eine Dachrenovation des zweiten Hauses diesem Miteigentümer auch Nutzen bringe. Der Miteigentümer hat demnach nach Massgabe seiner gesamten Wertquoten Beiträge an die Dachrenovation zu leisten (Art. 712h Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 ZGB). Die Vorschrift von
Art. 712h Abs. 3 ZGB
gelangt nicht zur Anwendung (E. 6).
A.-
Die Stockwerkeigentümergemeinschaft "Fäld-Stettli" besteht seit 1975 aus 37 Miteigentumsanteilen, die über zwei Häuser in Geroldswil verteilt sind. Bei den beiden Liegenschaften handelt es sich um freistehende Mehrfamilienhäuser an steiler Hanglage. Im Haus Nr. 87 befinden sich neben dem einzigen Lift unterirdische Hobbyräume, eine Spielhalle, ein Abwartsraum und im zweiten Untergeschoss die Heizung für beide Liegenschaften. Über der Heizung befindet sich eine Garage. Eine Garage befindet sich auch im Haus Nr. 89, dessen Dach als Spielplatz eingerichtet wurde. Die beiden Häuser werden durch zwei in der Treppenhausflucht übereinanderliegende Galerieübergänge aus Beton verbunden. Diese Galerien führen einerseits von der Tiefgarage des Hauses Nr. 87 zum Laubengang des Hauses Nr. 89 und anderseits vom Erdgeschoss des Hauses Nr. 87 zum Spielplatz auf dem Dach des Hauses Nr. 89.
Robert A. Vogel besitzt seit Anbeginn sechs Anteile mit insgesamt 116 Tausendstel. Zwei Wohnungen und vier Büros sind im
BGE 117 II 251 S. 253
Haus Nr. 89, worin er zudem einen Lagerraum sowie drei davorliegende Parkplätze benützt. Im Haus Nr. 87 stehen ihm die Keller-, Hobby- und zwei Archivräume sowie zwei Garagenplätze zur Nutzung zu. Wertquotenmässig beträgt sein Anteil am Haus Nr. 87 15 Tausendstel.
B.-
Mit Urteilen vom 2. November 1988 hiess das Bezirksgericht Zürich zwei Klagen von Robert A, Vogel gegen die Stockwerkeigentümergemeinschaft "Fäld-Stettli" teilweise gut und erklärte die Beschlüsse der Stockwerkeigentümergemeinschaft betreffend die Genehmigung der Jahresrechnung 1985 vom 19. August 1986 sowie jene betreffend die Jahresrechnung 1986 vom 30. April 1987 als ungültig. Diese Beschlüsse betrafen insbesondere die Kostenverteilung für eine Dachsanierung im Haus Nr. 87 und für den Lift. Im übrigen und zum überwiegenden Teil wies es die Klagen ab.
Mit zwei Urteilen vom 21. November 1989 wies das Obergericht des Kantons Zürich (II. Zivilkammer) zwei Berufungen des Robert A. Vogel ab, hiess die Berufung der Stockwerkeigentümergemeinschaft "Fäld-Stettli" gut und wies die beiden Klagen vollständig ab.
C.-
Das Bundesgericht hat die Berufungen des Robert A. Vogel abgewiesen und die Urteile des Obergerichts des Kantons Zürich bestätigt.
Aus den Erwägungen:
5.
a)
Art. 712h Abs. 1 ZGB
schreibt vor, dass die Stockwerkeigentümer an die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums und an die Kosten der gemeinschaftlichen Verwaltung Beiträge nach Massgabe ihrer Wertquoten zu leisten haben. Nach der beispielhaften Aufzählung der einzelnen Lasten und Kosten in
Art. 712h Abs. 2 ZGB
fallen auch die Betriebs- und Unterhaltskosten einer gemeinschaftlichen Anlage oder Einrichtung darunter. Dienen bestimmte gemeinschaftliche Bauteile, Anlagen oder Einrichtungen einzelnen Stockwerkeinheiten indessen nicht oder nur in ganz geringem Masse, so ist dies nach
Art. 712h Abs. 3 ZGB
bei der Verteilung der Kosten zu berücksichtigen.
b) Bei der zuletzt zitierten Bestimmung handelt es sich nach der Rechtsprechung um eine zwingende Gesetzesvorschrift (
BGE 107 II 144
, bestätigt in
BGE 112 II 314
E. 3a). Es gibt keinen Grund, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Das Obergericht des Kantons Zürich rechtfertigt seine gegenteilige Auffassung damit, dass weder der Gesetzestext noch die Materialien auf eine zwingende Bestimmung schliessen liessen. Im Lichte des Grundgedankens der Stockwerkeigentümergemeinschaft, nämlich einer gewissen gegenseitigen Toleranz und Solidarität, sollte es möglich sein, die finanziellen Lasten anders als nur nach dem reinen Nutzen zu verteilen. Auch der Schutz des wirtschaftlich Schwächeren rechtfertige noch nicht die Annahme, dass es sich um eine zwingende Vorschrift handle, weil der Verzicht auf die Anwendung von
Art. 712h Abs. 3 ZGB
keine übermässige Bindung im Sinne von
Art. 27 ZGB
schaffe.
Diesen Überlegungen ist entgegenzuhalten, dass das gesetzliche System der Kostenverteilung des
Art. 712h ZGB
grundsätzlich vom Nutzniessungsprinzip ausgeht, indem es die Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums nicht nach Köpfen, sondern nach Wertquoten auferlegt. Den Parteien steht es allerdings frei, eine andere Regelung zu treffen, um beispielsweise dem Solidaritätsgedanken vermehrt Geltung zu verschaffen; und in diesem Sinne ist
Art. 712h Abs. 1 ZGB
unbestrittenermassen eine Bestimmung dispositiver Natur. Die Dispositionsfreiheit ist nur gerade durch
Art. 712h Abs. 3 ZGB
eingeschränkt. Den zwingenden Charakter dieser Bestimmung zu leugnen, liefe darauf hinaus, ihr jeden Sinn und Zweck abzusprechen (vgl.
BGE 112 II 317
). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat im übrigen in der Lehre Zustimmung gefunden oder ist zumindest nicht auf Kritik gestossen (HANS-PETER FRIEDRICH, Das Stockwerkeigentum, 2. Auflage Bern 1972, S. 96, N. 1 zu § 19, und S. 98, N. 11 zu § 19; Kommentar MEIER-HAYOZ/REY, N. 66 zu
Art. 712h ZGB
; REY in ZBJV 124/1988, S. 122; ROLF WEBER, Aktuelle Streitfragen des Stockwerkeigentums, in Baurechtstagung Freiburg 1989, Tagungsunterlage V, S. 11 ff.).
6.
Es ist nun zu prüfen, ob
Art. 712h Abs. 3 ZGB
im vorliegenden Fall zu Unrecht nicht angewendet worden ist.
a) Das Obergericht des Kantons Zürich hat für das Bundesgericht verbindlich festgestellt (
Art. 63 Abs. 2 OG
), dass die Renovationskosten für das Dach des Hauses Nr. 89 in der Höhe von Fr. 54'000.-- in den Jahren 1983/84 wie auch übrige Renovationskosten einzig aufgrund der Wertquoten verteilt wurden und dass der Kläger diese Verteilung nicht angefochten hatte. Ungeachtet der Tatsache, dass von der Beklagten kein fester Plan für die Renovation der beiden Häuser erstellt und die entsprechenden
BGE 117 II 251 S. 255
Ausgaben nicht an einer einzigen Versammlung beschlossen wurden - führt das Obergericht weiter aus -, sei die Dachrenovation des Hauses Nr. 87 aufgrund der entsprechenden jährlich wiederkehrenden Ausgabenbeschlüsse als weitere Etappe im Rahmen einer Gesamtrenovation der beiden Häuser zu betrachten. Bei zeitlich gestaffelten Renovationsarbeiten habe bei der Beklagten die Regelung bestanden, dass sich die einzelnen Miteigentümer am Schaden der anderen in der berechtigten Erwartung beteiligten, dass Gegenrecht gehalten werde. Diese Erwartung könne sich auch auf den dem Miteigentum zugrunde liegenden Gedanken der Solidarität stützen.
b) Bei der konkreten Anwendung von
Art. 712h Abs. 3 ZGB
ist von einer objektiven Betrachtungsweise auszugehen. Zudem ist diese Bestimmung nur mit Zurückhaltung anzuwenden, weil die gemeinsamen Anlagen und Einrichtungen normalerweise den Standard der gesamten in Stockwerkeigentum unterteilten Liegenschaft bestimmen (
BGE 112 II 315
E. 3b und 3c). Das führt, auf den hier zu beurteilenden Fall angewandt, zu folgenden Überlegungen:
Es kann nicht gesagt werden, dass das Dach des Hauses Nr. 87 dem Kläger überhaupt keinen Nutzen bringe, hat er in diesem Haus doch Keller-, Hobby- und zwei Archivräume sowie zwei Garagenplätze zur Nutzung. Überdies steht ihm auch der für beide Liegenschaften einzige Lift im Haus Nr. 87 zur Benutzung frei. Zwar wäre es durchaus möglich, diesem Nutzen in dem Masse Rechnung zu tragen, als der Kläger aufgrund seiner Wertquoten nur am Haus Nr. 87 an der Kostentragung für die allgemeinen Anlagen beteiligt ist. Dies widerspräche jedoch der Regelung des Stockwerkeigentums im vorliegenden Fall. Darnach war es klarerweise der Wille der Gründer des Stockwerkeigentums - zu denen insbesondere auch der Kläger gehörte -, die beiden Terrassenhäuser in einer einzigen in Stockwerkeigentum unterteilten Liegenschaft zu verbinden. Eine Änderung des Reglements im Sinne der Bildung von Untergemeinschaften wäre zwar grundsätzlich zulässig, würde aber die Zustimmung der notwendigen Mehrheit der Stockwerkeigentümer erfordern und kann jedenfalls nicht über die Anrufung von
Art. 712h Abs. 3 ZGB
erzwungen werden.
Bei der hier einzig richtigen Betrachtungsweise der Einheit des Stockwerkeigentums der Häuser Nrn. 87 und 89 spielt es im Ergebnis keine Rolle, ob notwendige Renovationen an allgemeinen Bauteilen strikt nach Wertquoten gemäss
Art. 712h Abs. 1 ZGB
oder
BGE 117 II 251 S. 256
allenfalls nach einer verfeinerten Form des Nutzniessungsprinzips gemäss
Art. 712h Abs. 3 ZGB
verteilt werden. Wären nämlich die Kosten im vorliegenden Fall anlässlich der Dachrenovation des vom Kläger bewohnten Hauses Nr. 89 nach seinen jetzigen Vorstellungen verteilt worden, so hätten die Miteigentümer des Hauses Nr. 87 nur sehr geringfügige Beiträge leisten müssen; umso höher waren die Beiträge der Bewohner des Hauses Nr. 89 und mithin des Klägers gewesen. Was er anlässlich jener Renovation gespart hat, muss sich der Kläger bei der Renovation des Hauses Nr. 87 in Rechnung stellen lassen. Das Endergebnis ist aber, ohne Berücksichtigung der Verzinsung, dasselbe.
Dieses Ergebnis entspricht der gesetzlichen und reglementarischen Ordnung, und es ist deshalb nicht einzusehen, inwiefern eine Verletzung von Bundesrecht vorliegen sollte. Bei dieser Rechtslage mag die Frage offenbleiben, ob das Vorgehen des Klägers gar derart gegen Treu und Glauben verstösst, dass es deswegen ohnehin keinen Rechtsschutz verdient (
Art. 2 Abs. 2 ZGB
).