BGE 117 III 52 vom 5. Dezember 1991

Datum: 5. Dezember 1991

Artikelreferenzen:  Art. 164 OR, Art. 325 OR , Art. 81 OG, Art. 164 OR

BGE referenzen:  116 III 120, 120 III 18, 133 III 105 , 116 III 120, 111 III 75

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

117 III 52


16. Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 5. Dezember 1991 i.S. Kellfina Kellwa Finanz AG (Rekurs)

Regeste

Verbot der Abtretung oder Verpfändung von Lohnansprüchen ( Art. 325 OR ; Art. 1-4 SchlTZGB).
Die Abtretung oder Verpfändung von Lohnansprüchen, die nach dem 1. Juli 1991 fällig geworden sind oder werden und nicht der Sicherung familienrechtlicher Unterhalts- oder Unterstützungspflichten dienen, wird hinfällig (E. 1-3).

Sachverhalt ab Seite 52

BGE 117 III 52 S. 52

A.- Vier Schuldner hatten gegenüber der Kellfina Kellwa Finanz AG zur Sicherung von Darlehen Lohnzessionserklärungen abgegeben. Die Lohnzessionen wurden von der Gläubigerin den jeweiligen Arbeitgebern der Schuldner notifiziert, nachdem diese ihren Rückzahlungsverpflichtungen nicht mehr nachgekommen waren. Da in der Folge Drittgläubiger dieselben Schuldner betrieben, kam es zu Lohnpfändungen; diese wurden vom Betreibungsamt Basel-Stadt unter Berücksichtigung der vorgehenden Lohnzessionsquoten der Kellfina Kellwa Finanz AG festgesetzt.
Mit Schreiben vom 13. Juni 1991 liess das Betreibungsamt Basel-Stadt die Arbeitgeber der Schuldner wissen, dass gemäss dem neuen Art. 325 OR ab 1. Juli 1991 Lohnabtretungen hinfällig geworden seien und daher nicht mehr berücksichtigt werden könnten. Es setzte eine neue, um den Betrag der Lohnzessionsquote erhöhte Lohnpfändungsquote fest und ersuchte die Adressaten,
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ihm ab dem Juli-Lohnabzug diesen erhöhten Betrag zu überweisen. Eine Kopie der Schreiben ging an die Kellfina Kellwa Finanz AG, die bei den betreffenden Arbeitgebern protestierte.

B.- Mit Verfügungen vom 8. Juli 1991 teilte das Betreibungsamt Basel-Stadt der Kellfina Kellwa Finanz AG mit, es halte an seiner Auffassung fest, dass die volle pfändbare Lohnquote nun an das Amt zuhanden der betreibenden Gläubiger abzuliefern sei.
Hierüber beschwerte sich die Kellfina Kellwa Finanz AG bei der Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt. Sie verlangte, dass die Verfügungen des Betreibungsamtes und damit die Neufestsetzung der Lohnpfändungsquoten in den Betreibungen gegen die erwähnten Schuldner aufzuheben und die zu ihren Gunsten erfolgten Lohnzessionen anzuerkennen seien.
Die kantonale Aufsichtsbehörde wies die Beschwerden mit Entscheid vom 11. Oktober 1991 ab, und auch die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts wies den von der Kellfina Kellwa Finanz AG bei ihr erhobenen Rekurs ab.

Erwägungen

Erwägungen:

1. Mit einer am 10. Dezember 1986 eingereichten parlamentarischen Initiative verlangte Nationalrat Eggli-Winterthur die Revision von Art. 325 OR in dem Sinne, dass Abtretungen und Verpfändungen künftiger Lohnforderungen allgemein und ausnahmslos unzulässig sein sollten. Die Petitions- und Gewährleistungskommission des Nationalrates und mit ihr der Bundesrat folgten im Grundgedanken dem Initianten, liessen aber die Abtretung oder Verpfändung künftiger Lohnforderungen zur Sicherung familienrechtlicher Unterhalts- und Unterstützungspflichten weiterhin zu. In diesem Sinne ist die zitierte Bestimmung revidiert und vom Bundesrat auf den 1. Juli 1991 in Kraft gesetzt worden (vgl. AS 1991 974; BBl 1989 III 1233, BBl 1990 I 120).
Im vorliegenden Fall - wo der Lohn unbestritten nicht zur Sicherung familienrechtlicher Unterhalts- und Unterstützungspflichten abgetreten worden ist - stellt sich die intertemporalrechtliche Frage, ob nach dem 1. Juli 1991 fälliger Lohn vom Verbot der Lohnzession auch erfasst werde, wenn die Abtretungserklärung noch vor dem genannten Datum abgegeben worden ist.

2. a) Die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt ist im angefochtenen Entscheid
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zutreffend davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber bei der Revision des Art. 325 OR keine übergangsrechtliche Regelung vorgesehen habe und dass deshalb (gemäss Art. 1 SchlTOR) die Vorschriften des Schlusstitels des Zivilgesetzbuches, insbesondere die Art. 1 bis 4 SchlTZGB, heranzuziehen seien.
Für die kantonale Aufsichtsbehörde steht es ausser Frage, dass im vorliegenden Fall Art. 3 SchlTZGB zum Zuge komme, wonach Rechtsverhältnisse, deren Inhalt unabhängig vom Willen der Beteiligten durch das Gesetz umschrieben wird, nach dem neuen Recht zu beurteilen sind, auch wenn sie vor dessen Inkrafttreten begründet worden sind. Grenze der Rückwirkung des neuen Rechts sei zwar der Anspruch des Privaten gegenüber dem Gesetzgeber auf Vertrauensschutz, das heisst, der Anspruch darauf, dass die bereits unter der früheren Rechtsordnung eingetretenen Rechtswirkungen weiterhin anerkannt werden. Doch gelte auch der Vertrauensschutz nur soweit, als ihm nicht ein überwiegendes öffentliches Interesse entgegenstehe.
Das öffentliche Interesse sieht die kantonale Aufsichtsbehörde darin, dass Art. 325 OR verhindern wolle, dass Arbeitnehmer Rechtsgeschäfte, insbesondere Abzahlungs- und Kleinkreditgeschäfte, abschliessen und dabei zur Sicherheit ihr künftiges Einkommen abtreten. Lohnzessionen - sagt die kantonale Aufsichtsbehörde unter Hinweis auf die Begründung der parlamentarischen Initiative (BBl 1989 III 1243) - führten nämlich immer wieder dazu, dass Einzelpersonen oder Familien ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten könnten und auf die staatliche Sozialhilfe angewiesen seien. Diese habe dann mit hohem finanziellem und personellem Aufwand für die Wohnung und den täglichen Bedarf der Betroffenen sowie für die Sanierung der Schulden zu sorgen. Dieses im öffentlichen Interesse liegende Anliegen könne nur wirksam durchgeführt werden, wenn sämtliche Abtretungen von künftigen Lohnforderungen - also auch diejenigen, die vor Inkrafttreten des revidierten Art. 325 OR erfolgten - erfasst würden.
Nach der Meinung der kantonalen Aufsichtsbehörde hat das Betreibungsamt daher richtig gehandelt, als es die Arbeitgeber der Beschwerdegegner aufforderte, per 1. Juli 1991 die bisherige Lohnzessionsquote an das Amt zu überweisen. Das Betreibungsamt habe sich im übrigen auf eine Orientierung des Bundesamtes für Justiz vom 24. Juni 1991 abgestützt, welches davon ausgehe, dass bestehende Lohnzessionen mit Inkrafttreten des neuen Art. 325 OR dahinfielen.
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b) Nach der entgegengesetzten Auffassung der Rekurrentin verletzt der angefochtene Entscheid Art. 3 SchlTZGB, der aufgrund der Eigentumsgarantie verfassungskonform auszulegen sei. Das öffentliche Interesse sei gegenüber dem Anspruch auf Vertrauensschutz überbewertet worden.
Um die Bedeutung des Vertrauensschutzes darzulegen, erklärt die Rekurrentin, sie habe im Hinblick auf die Gewährung von Zessionskrediten ihrerseits eine Refinanzierung vorgenommen, aufgrund derer sie Dritten Geld schulde, und der Refinanzierungskredit sei durch eine Bürgschaft gesichert. Bei Eingehung der Bürgschaft habe der Bürge darauf vertrauen dürfen, dass die Lohnzessionskredite - im Gegensatz zu Blankokrediten - nicht durch eine Insolvenzerklärung eines Gläubigers unter den Tisch gewischt werden könnten. Dies komme nämlich wirtschaftlich einer materiellen Enteignung gleich, bringe doch der Bestand an Blankokrediten über den neuen Art. 325 OR ein Kleinkreditinstitut wie die Rekurrentin dazu, in der Bilanz entsprechende Rückstellungen zu verbuchen, was zur Deponierung der Bilanz beim Richter führe. Diese Situation - genauso wie die Bevorzugung von im Juli 1991 pfändenden Gläubigern gegenüber Lohnzessionsgläubigern - sei offensichtlich vom Gesetzgeber und der kantonalen Aufsichtsbehörde nicht bedacht worden. Zudem dürfte es nicht im öffentlichen Interesse liegen, dass alle nicht den Grossbanken gehörenden Kleinkreditunternehmen auf dem Umweg über Art. 325 OR zur Liquidation veranlasst würden.
Da das Konsumkreditgesetz abgelehnt worden sei, führt die Rekurrentin aus, sei "ein sozialhilfebedingtes öffentliches Interesse gegenüber dem Vertrauensprinzip als nicht gleichwertig einzustufen". Ihre im kantonalen Verfahren vorgebrachten Argumente wiederholend, betont die Rekurrentin sodann die Eigentumsgarantie und den daraus fliessenden Schutz wohlerworbener Rechte; und sie ruft in diesem Zusammenhang auch Art. 17 SchlTZGB an. Die Rekurrentin weist auch darauf hin, dass Lohnzessionen in beschränktem Umfang (zur Sicherung familienrechtlicher Unterhalts- und Unterstützungspflichten) weiterhin möglich bleiben, und folgert daraus - unter Bezugnahme auf BGE 116 III 120 ff. -, dass das Übergangsrecht bei Lohnzessionen gleich zu handhaben sei wie das auch nicht völlig aufgehobene Retentionsrecht des Vermieters.

3. a) Vergeblich möchte die Rekurrentin (sinngemäss) Art. 1 SchlTZGB angewendet wissen, indem sie ihr Vertrauen auf das vor
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dem Inkrafttreten des revidierten Art. 325 OR geltende Recht in die Waagschale wirft.
Das Verbot der Lohnzession war schon mit dem Konsumkreditgesetz zur Diskussion gestanden. Nachdem die Gesetzesvorlage in der Wintersession 1986 des Ständerats gescheitert war, was die parlamentarische Initiative zur Revision des Art. 325 OR auslöste, gab der Verband Schweizerischer Kreditbanken und Finanzierungsinstitute eine Erklärung ab, worin u.a. wörtlich gesagt wurde (BBl 1989 III 1243): "Die Konsumkreditinstitute verzichten auf die Vereinbarung von Lohnzessionen in Konsumkreditverträgen." Schon deshalb kann die Rekurrentin von der Gesetzesrevision nicht unvorbereitet getroffen worden sein; und insofern entbehrt ihr Vorbringen, dass sie durch die Gesetzesrevision in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet sei, der Überzeugung.
Mit der Revision des Art. 325 OR (und den gleichzeitigen Änderungen im Recht des Abzahlungs- und Vorauszahlungskaufs) sollte dem Abschluss - wie sich die Petitions- und Gewährleistungskommission des Nationalrates ausdrückte - sozial besonders gefährlicher Verträge und der damit verbundenen Abtretung oder Verpfändung künftiger Lohnforderungen entgegengetreten werden. Dieses gesetzgeberische Ziel liegt im öffentlichen Interesse, hinter welchem der von der Rekurrentin hochgehaltene Vertrauensschutz zurückzutreten hat.
b) Vergeblich beruft sich die Rekurrentin daher auch auf die Eigentumsgarantie (deren Verletzung im übrigen nur mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden könnte; Art. 43 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 81 OG ) und den Schutz wohlerworbener Rechte. Art. 17 SchlTZGB, den die Rekurrentin in diesem Zusammenhang zitiert, bezieht sich auf die dinglichen Rechte und kann auf Fälle wie den vorliegenden, wo es um Darlehen und diese sichernde Lohnzessionen geht, nicht angewandt werden.
c) Abweichend von der Auffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde ist im vorliegenden Fall nicht Art. 3 SchlTZGB anzuwenden.
Die Abtretung künftiger Forderungen entfaltet ihre Wirkung erst im Zeitpunkt, wo diese entstehen ( BGE 111 III 75 E. 3a mit Hinweisen). Bei Inkrafttreten des revidierten Art. 325 OR am 1. Juli 1991 hatte die Rekurrentin hinsichtlich der nach diesem Zeitpunkt fällig werdenden Forderungen - anders als der Vermieter beim Retentionsrecht bezüglich verfallener Mietzinse ( BGE 116 III 120 ff.) - noch kein erworbenes Recht; der Erwerb
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des abgetretenen Rechts tritt erst ein, wenn dieses selbst entsteht, und nur unter der Bedingung, dass es, wenn keine Abtretung vorläge, dem Vermögen des Abtretenden angefallen wäre. Es geht - mit anderen Worten - um Tatsachen, die rechtlich nicht unerheblich sind, von denen aber im Zeitpunkt des Inkrafttretens des revidierten Rechts noch nicht alle eingetreten waren, um zu einem rechtlich geschützten Anspruch zu führen (Kommentar BECKER, N 16 zu Art. 164 OR ; Kommentar MUTZNER, N 1-4 zu Art. 4 SchlTZGB).
Somit gelangt Art. 4 SchlTZGB zur Anwendung, der bestimmt, dass nicht erworbene Rechte in bezug auf ihre Wirkung unter dem neuen Recht stehen. Das ändert nichts daran, dass der angefochtene Entscheid im Ergebnis richtig ist: Die Abtretung oder Verpfändung von Lohnansprüchen, die nach dem 1. Juli 1991 fällig geworden sind oder werden und nicht der Sicherung familienrechtlicher Unterhalts- oder Unterstützungspflichten dienen, wird hinfällig (in diesem Sinne auch die Pressemitteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes vom 26. April 1991, BlSchK 55/1991, S. 115).

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