Urteilskopf
117 IV 309
56. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. August 1991 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen gegen B. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
; Begriff des Anstaltentreffens.
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
erfasst Vorbereitungshandlungen qualifizierter Art zu den in Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1 bis 5 BetmG genannten Taten. Ein Anstaltentreffen ist nur anzunehmen in Fällen, in denen das Verhalten des Täters nicht ebensogut einem gesetzmässigen Zweck dienen könnte, sondern seinem äusseren Erscheinungsbild nach seine deliktische Bestimmung klar erkennen lässt (E. 1a und d; Präzisierung der Rechtsprechung).
A.-
Am 22. Oktober 1990 verurteilte die Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen B. wegen wiederholter und fortgesetzter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und wegen Hehlerei zu 18 Monaten Gefängnis bedingt, unter Auferlegung einer Probezeit von zwei Jahren. Von der Anklage, Anstalten zur Einfuhr von Heroin aus der Türkei in die Schweiz getroffen zu
BGE 117 IV 309 S. 310
haben, sprach es ihn frei. Dieser Anklage lag folgender Sachverhalt zugrunde: B. begab sich auf Anraten von C. in die Türkei, traf sich dort mit dessen Vater und erkundete die Möglichkeit, eine grössere Menge Heroin zu kaufen. C.'s Vater sah sich in der Folge nach einer Bezugsmöglichkeit um und nannte B. konkret einen Preis. In diesem Zeitpunkt brach B. seine Bemühungen ab, da ihm das Risiko zu hoch erschien und er auch die Mittel zum Barankauf einer entsprechenden Menge Heroin nicht aufbringen konnte.
B.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichtes aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung - Schuldigsprechung auch wegen Anstaltentreffens zum unbefugten Ankauf und zur unbefugten Einfuhr von Betäubungsmitteln im Sinne von
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
- an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
1.
a) Gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
ist strafbar, wer zu den in Absatz 1 bis 5 genannten Taten Anstalten trifft (
BGE 115 IV 261
).
Das Gesetz stellt damit Vorbereitungshandlungen qualifizierter Art unter Strafe, die gegeben sind, bevor die Tat die Stufe des Versuchs erreicht hat (
BGE 106 IV 74
E. 3;
BGE 112 IV 109
E. 3b). Anstalten im Sinne von
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
können folglich nur angenommen werden, solange der Täter mit der Ausführung der strafbaren Handlung nach Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1 bis 5 BetmG noch nicht begonnen (vgl.
Art. 21 Abs. 1 StGB
) und damit jene Tätigkeit noch nicht ausgeführt hat, die nach seinem Plan auf dem Weg zum Erfolg den letzten entscheidenden Schritt darstellt, von dem es in der Regel kein Zurück mehr gibt (
BGE 71 IV 211
).
Das Anstaltentreffen gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
ist abzugrenzen auch vom noch straflosen Verhalten. Ausser Frage steht, dass der blosse Entschluss, eine Tat nach Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1 bis 5 BetmG zu begehen, nicht strafbar ist; denn Sache des Strafrechts ist allein die Reaktion auf den geschehenen Rechtsbruch (STRATENWERTH, Allg. Teil I,
§ 12 N 3
; SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, 1. Band, 4. Aufl., S. 270). Dementsprechend erfüllen blosse Absichten und Pläne den
BGE 117 IV 309 S. 311
Tatbestand des Anstaltentreffens noch nicht. Nicht nach
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
strafbar ist daher beispielsweise, wer zunächst für den Eigenkonsum Betäubungsmittel erwirbt und sich später überlegt, ob und wie er einen Teil davon verkaufen kann; ebensowenig reicht aus, dass jemand, der in den Rauschgifthandel einsteigen will, nur in Gedanken die Möglichkeit prüft, Drogen zu erwerben und Abnehmer zu finden (
BGE 104 IV 41
;
BGE 106 IV 74
E. 3). Anstalten im Sinne von
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
können nur gegeben sein, wenn sich der Entschluss des Täters in bestimmten Handlungen äussert. Die entscheidende Frage ist, wie diese Handlungen beschaffen sein müssen, um nach
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
strafbar zu sein.
b) Das Bundesgericht hat ein Anstaltentreffen gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
bejaht:
- bei einer Täterin, die sich mit der Absicht des späteren Drogenverkaufs nach London begab, dort 1000 LSD-Tabletten erwarb und die Ware anschliessend in die Schweiz schmuggelte, wo sie sie plangemäss portionenweise verkaufen wollte (
BGE 104 IV 40
ff.);
- bei einem Täter, der eine ganze Reihe von Vorkehren traf, um das von ihm geplante Heroingeschäft durchzuführen; er fuhr von der Schweiz nach Deutschland, um die Adresse von Lieferanten ausfindig zu machen; er reiste nach Italien, um mit Abnehmern zu verhandeln; er investierte erheblich viel Zeit und Geld in wiederholten Reisen nach Deutschland, Griechenland, Italien und der Türkei für Unterhandlungen über die Liefer- und Abnahmebedingungen; er nahm bedeutende Geldmittel entgegen und offerierte den türkischen Partnern entsprechende Anzahlungen; schliesslich besichtigte er die in Plastiksäcken verpackte Ware (
BGE 106 IV 74
f.);
- bei einem Täter, der, um seine Schulden abzutragen, mit dem Gläubiger vereinbarte, Haschischhandel zu treiben, die dazu nötigen erheblichen Geldbeträge bereitstellen liess und eine weite Reise an einen ihm vertrauten Platz für Schwarzhandel mit Drogen unternahm (
BGE 106 IV 431
ff.);
- bei einem Täter, der zum Zweck der Abwicklung eines Rauschgiftgeschäfts ein Darlehen aufnahm (
BGE 112 IV 47
f.);
- bei einem Täter, der eine Handlung beging, die unmittelbar dazu bestimmt war, reine Betäubungsmittel zu "strecken" oder schon verschnittene Betäubungsmittel weiter zu verdünnen, um sie so in den Handel zu bringen (
BGE 112 IV 106
ff.);
BGE 117 IV 309 S. 312
- bei einem Täter, der in der Absicht, in Amsterdam Heroin zu erwerben, in der Schweiz mehrere tausend Franken in holländische Gulden umtauschte und in der Schweiz einen Zug nach Amsterdam bestieg; das Bundesgericht liess offen, ob der Umtausch einer grösseren Summe Schweizer Franken in holländische Gulden zum Zweck des Betäubungsmittelerwerbs in Amsterdam für sich allein entsprechend der Aufnahme eines Darlehens zwecks Abwicklung eines Drogengeschäfts bereits als Anstaltentreffen anzusehen gewesen wäre (
BGE 113 IV 91
ff.).
c) Die Vorbereitung einer Straftat ist im schweizerischen Recht grundsätzlich straflos. In verschiedenen Fällen erfasst das Gesetz jedoch Verhaltensweisen, die der Sache nach Vorbereitungshandlungen sind, in einem besonderen Tatbestand. So stellt es etwa unter Strafe das Sichverschaffen von Geräten zum Fälschen von Geld, um sie unrechtmässig zu gebrauchen (
Art. 247 StGB
), das Herstellen von Sprengstoffen, die zum verbrecherischen Gebrauch bestimmt sind (
Art. 226 StGB
), oder die Einfuhr usw. von technischen Geräten, die der Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs dienen (
Art. 179sexies StGB
). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber bei einer Reihe von Straftaten die Grenze der Strafbarkeit allgemein vor die Schwelle des Versuchs vorverlegt, ohne das strafbare Verhalten dabei zu typisieren, so insbesondere mit dem Erlass des
Art. 260bis StGB
, der bei bestimmten Verbrechen die Strafbarkeit auf Vorbereitungshandlungen ausdehnt. Hierher gehört auch
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
, der vor dem Versuch liegende Tätigkeiten strafrechtlich erfasst, die auf die Begehung einer der in Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1 bis 5 BetmG erwähnten Widerhandlungen ausgerichtet sind.
d) Die Handhabung von
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
bereitet Schwierigkeiten, weil der darin verwendete Begriff der Anstalten weit ist und eine Vielzahl von im einzelnen nicht näher umschriebenen Vorbereitungshandlungen umfasst. Bei einer wörtlichen Auslegung des Begriffs des Anstaltentreffens würden darunter Verhaltensweisen fallen, die mit der gesellschaftlichen Ordnung völlig in Einklang stehen und nicht darauf schliessen lassen, dass der Täter auf die Begehung einer strafbaren Handlung gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1 bis 5 BetmG hinarbeitet. So könnte bereits als Vorbereitungshandlung betrachtet werden, dass jemand in der Absicht, sich zu einem Drogenumschlagsplatz zu begeben und dort Betäubungsmittel zu erwerben, eine Tramfahrkarte löst oder mit
BGE 117 IV 309 S. 313
dem Vorhaben, damit Drogen zu befördern, eine Tasche kauft. Wäre ein derartiges Verhalten strafbar, bestünde die Gefahr, dass allein die Gesinnung zum Gegenstand der Strafverfolgung erhoben würde und sich in diesem Bereich das Tat- zum Täterstrafrecht entwickeln würde. Der Tatbestand des Anstaltentreffens nach
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
bedarf deshalb der Eingrenzung. Sein Anwendungsbereich ist zu beschränken auf Fälle, in denen das Verhalten des Täters nicht ebensogut einem gesetzmässigen Zweck dienen könnte, sondern seinem äusseren Erscheinungsbild nach seine deliktische Bestimmung klar erkennen lässt (vgl.
BGE 112 IV 47
E. 4). Das ist beispielsweise der Fall, wenn sich der Täter mit der Absicht des Erwerbs von Betäubungsmitteln nach Bezugsquellen erkundigt, nicht aber, wenn er im Hinblick auf den späteren Kauf von Betäubungsmitteln ein Sparkonto äufnet. Dabei darf allein aus dem Sicherkundigen nicht auf die Absicht geschlossen werden; diese muss auf Grund weiterer beweismässig gesicherter Umstände festgestellt werden.
e) Die Verurteilung gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter Anstalten zu einer der in
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-5 BetmG
genannten Straftaten vorsätzlich getroffen hat. Der Entschluss zur Begehung einer Tat nach
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-5 BetmG
braucht allerdings entgegen der Ansicht der Vorinstanz kein endgültiger zu sein. Auch wer sich vorbehält, beim Auftreten entsprechender Hindernisse von seinem deliktischen Vorhaben Abstand zu nehmen, kann gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
Anstalten treffen.
f) Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) begab sich der Beschwerdegegner auf Anraten des C. in die Türkei, traf sich dort mit dessen Vater und erkundete die Möglichkeit, eine grössere Menge Heroin zu kaufen. Vater C. sah sich nach einer Bezugsmöglichkeit um und nannte ihm konkret einen Preis.
Das Verhalten des Beschwerdegegners erfüllt den Tatbestand des Anstaltentreffens gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
. Er suchte gezielt Verbindung zum Drogenmilieu, um sich eine Bezugsquelle für Betäubungsmittel zu erschliessen, und er nahm ein bestimmtes Verkaufsangebot entgegen. Damit führte er Handlungen aus, die nicht ebensogut einem gesetzmässigen Zweck dienen konnten, sondern die Absicht des Kaufs und der Einfuhr von Drogen klar erkennen liessen. Zwar ist einzuräumen, dass er sich um die Finanzierung des Drogenkaufs und um den Transport
BGE 117 IV 309 S. 314
des Stoffs im einzelnen noch hätte kümmern müssen. Strafbare Anstalten sind, wie dargelegt, jedoch schon gegeben, bevor die Stufe des Versuchs erreicht ist.