Urteilskopf
117 IV 345
61. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. November 1991 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Widerhandlungen gegen das Kriegsmaterialgesetz. Einziehung von Kriegsmaterial (
Art. 20 KMG
,
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
). Verwendung eines allfälligen Verwertungserlöses.
Der Nettoerlös aus der Verwertung von eingezogenem Kriegsmaterial ist an den von der Einziehung betroffenen Eigentümer auszubezahlen.
Zum Sachverhalt siehe BGE 117 IV Nr. 60. Die 2. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern bestätigte mit Entscheid vom 11. Dezember 1990 die im Appellationsverfahren allein angefochtene Einziehung der insgesamt 742 Pistolen zuhanden des Bundes. Sie ordnete aber an, dass ein allfälliger Verwertungserlös durch den Bund dem X. zurückzuerstatten sei.
Der Generalprokurator des Kantons Bern führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung betreffend die Einziehung von 742 Pistolen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ficht, wie sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, die Anordnung des Obergerichts betreffend Rückerstattung eines allfälligen Verwertungserlöses an den Beschwerdegegner an.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Obergericht verfügte zwar gestützt auf
Art. 20 KMG
die Einziehung von 742 Pistolen, es ordnete aber an, dass ein allfälliger Verwertungserlös dem X. durch den Bund zurückzuerstatten sei. Das Gericht hält zunächst fest, es habe keine Aussagen darüber zu machen, was mit den fraglichen Pistolen zu geschehen habe; denn
Art. 20 Abs. 2 KMG
bestimme, dass das eingezogene Kriegsmaterial dem Bund verfällt. Es führt sodann aus, die Einziehung
BGE 117 IV 345 S. 346
von Gegenständen sei aber nicht eine Nebenstrafe, sondern eine vorbeugende Massnahme; sie habe keinen repressiven Charakter, und es gehe nicht darum, den Verurteilten am Vermögen zu schädigen und dem Staat durch die Einziehung ungerechtfertigt Vermögenswerte zukommen zu lassen. Aus diesem Grunde sowie in Anwendung des gerade auch im Massnahmerecht geltenden Verhältnismässigkeitsgrundsatzes (
BGE 104 IV 149
; STRATENWERTH, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 14 N. 45) müsse ein allfälliger Verwertungserlös X. zukommen.
2.
a) Das Bundesgericht hat in
BGE 84 IV 7
erkannt, es sei Sache des kantonalen Rechts zu bestimmen, ob der Erlös aus der Verwertung eines eingezogenen Gegenstandes dem Täter herauszugeben sei, und es hat offengelassen, ob eine entsprechende kantonalrechtliche Bestimmung mit
Art. 58 StGB
vereinbar wäre. WAIBLINGER stimmt dieser Auffassung grundsätzlich zu, fügt aber bei, dass "die Herausgabe des Verwertungserlöses der eingezogenen Gegenstände, da dem Gelde keine Gefahr innewohnt, vor der die Öffentlichkeit zu sichern wäre, sicher nicht bundesrechtswidrig (sei), zumal dem Bundesrecht selbst die Restituierung des Verwertungserlöses an den durch die Einziehung Betroffenen nicht fremd ist (vgl. z.B. Art. 29 Musterschutzgesetz)" (ZBJV 96/1960 S. 87 f.).
Der Kassationshof hat seine in
BGE 84 IV 7
vertretene Auffassung in einem nicht publizierten Urteil vom 16. Juli 1984, in dem es um die Einziehung eines Motorfahrzeuges nach
Art. 58 StGB
ging, aufgegeben. Gemäss den Ausführungen in diesem Entscheid untersteht die Massnahme der Einziehung nach
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Der Eingriff in das Eigentum des Betroffenen soll nicht weiter gehen, als der Zweck (Beseitigung der Gefährdung, Verhinderung weiterer Straftaten) es erfordert (
BGE 104 IV 149
). Wenn die Verwertung des einzuziehenden Gegenstandes möglich sei, dann bestehe, so hielt der Kassationshof im zitierten nicht veröffentlichten Urteil fest, von Bundesrechts wegen kein Grund, dem rechtmässigen Eigentümer den Verwertungserlös vorzuenthalten und so die Einziehung zu einer zusätzlichen Vermögensstrafe zu machen. Aus dem Prinzip der Verhältnismässigkeit ergebe sich somit in Abweichung von
BGE 84 IV 6
f., dass gemäss
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
nur insoweit in das Vermögen des Betroffenen eingegriffen werden dürfe, als dies zur Erreichung des Zwecks der Massnahme notwendig sei. Komme es zur Einziehung eines rechtmässig erworbenen,
BGE 117 IV 345 S. 347
verwertbaren Motorfahrzeuges, dann habe der Betroffene Anspruch auf den Verwertungserlös.
An dieser Auffassung ist grundsätzlich festzuhalten, zumal sie der heute herrschenden Lehre entspricht. Danach wäre die Einziehung auch des Verwertungserlöses durch den Sicherungszweck der Massnahme nicht mehr gedeckt und daher unverhältnismässig (STRATENWERTH, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 14 N. 45; SCHULTZ, Einziehung und Verfall, ZBJV 114/1978 S. 329; TRECHSEL, Kurzkommentar, Art. 58 N. 15; vgl. schon die beiden Urteile des Berner Obergerichts, wiedergegeben in ZBJV 81/1945 S. 137 ff. und ZBJV 85/1949 S. 179 ff.). Die dargelegten Grundsätze gelten nicht nur für die Einziehung gemäss
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
, sondern auch für die Einziehung nach
Art. 20 KMG
.
b) Wohl sehen
Art. 20 KMG
und
Art. 58 StGB
nicht ausdrücklich die Auszahlung eines allfälligen Verwertungserlöses an den Täter als ehemaligen Eigentümer des eingezogenen Gegenstandes vor.
Art. 20 KMG
und
Art. 58 StGB
unterscheiden sich damit insoweit von den Einziehungsbestimmungen in verschiedenen Spezialgesetzen. So bestimmt
Art. 29 Abs. 2 Satz 2 MMG
(SR 232.12): Der Reinerlös der übrigen eingezogenen Gegenstände wird zur Zahlung der Geldstrafe, der Kosten und der Entschädigung an den Geschädigten verwendet; ein allfälliger Überschuss fällt dem bisherigen Eigentümer zu. Ähnlich ist die Regelung in
Art. 69 Abs. 2 PatG
(SR 232.14): Der Verwertungsreinerlös wird zunächst zur Bezahlung der Busse, dann zur Bezahlung der Untersuchungs- und Gerichtskosten und endlich zur Bezahlung einer rechtskräftig festgestellten Schadenersatz- und Prozesskostenforderung des Verletzten verwendet; ein Überschuss fällt dem bisherigen Eigentümer der verwerteten Gegenstände zu. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 des Giftgesetzes vom 21. März 1969 (SR 814.80) lautet: Der Erlös aus eingezogenen Giften und deren Behältern kann dem früheren Eigentümer je nach dessen Verschulden ganz oder teilweise zurückerstattet werden. Ähnlich bestimmt
Art. 45 Abs. 2 LMG
(SR 817.0): Der Reinerlös wird zur Bezahlung der Busse, der Kosten und der Entschädigung an den Geschädigten verwendet; ein allfälliger Überschuss wird zurückerstattet. Auch wenn
Art. 20 KMG
und
Art. 58 StGB
nicht ausdrücklich die Aushändigung eines allfälligen Verwertungserlöses an den Täter als ehemaligen Eigentümer des eingezogenen Gegenstandes vorsehen, so schliessen diese Bestimmungen eine solche auch nicht ausdrücklich aus. Insbesondere liesse sich aus
Art. 20 Abs. 2
BGE 117 IV 345 S. 348
KMG
, wonach das eingezogene Kriegsmaterial dem Bund "verfällt" ("le matériel confisqué est dévolu à la Confédération"; "il materiale confiscato è devoluto alla Confederazione"), nicht ableiten, dass der Bund auch einen allfälligen Verwertungserlös nach Belieben verwenden könne. Durch
Art. 20 Abs. 2 KMG
wird lediglich, wie in
Art. 381 Abs. 2 StGB
für die von den Bundesassisen und vom Bundesstrafgericht beurteilten Straffälle, das Verfügungsrecht des Bundes über das eingezogene Material statuiert. Auch wenn die Einziehung von Kriegsmaterial gemäss
Art. 20 KMG
nicht den Nachweis einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung etc. in der Zukunft voraussetzt, ist sie doch, da sie unabhängig von der Strafbarkeit einer bestimmten Person anzuordnen ist, eine Massnahme und nicht eine (Neben-)Strafe, d.h. gewissermassen eine Realbusse. Der Sinn der Einziehung von Kriegsmaterial nach
Art. 20 KMG
liegt nicht darin, dem Täter einen Vermögensschaden zuzufügen; die Einziehung nach
Art. 20 KMG
soll vielmehr ausschliessen, dass das fragliche Kriegsmaterial vom Betroffenen allenfalls ein weiteres Mal im Rahmen einer Widerhandlung im Sinne des Kriegsmaterialgesetzes verwendet werde. Aus Sinn und Zweck der bundesrechtlichen sachlichen Massnahme der Einziehung sowie aus dem bundesrechtlichen Verhältnismässigkeitsgrundsatz ergibt sich, dass ein allfälliger Verwertungserlös an den Täter als ehemaligen Eigentümer des eingezogenen Gegenstandes herauszugeben ist, sofern davon nach der Verwendung des Verwertungserlöses zugunsten Dritter (vgl.
Art. 58bis, 60 StGB
) sowie nach Abzug der Verwertungskosten noch etwas übrigbleibt. Dabei kann es keine Rolle spielen, ob die Anknüpfungstat objektiv und/oder subjektiv mehr oder weniger schwer wiegt oder etwa in ethischer Hinsicht als verwerflich erscheint; unerheblich ist insoweit auch, ob die wirtschaftliche Existenz des von der Einziehung Betroffenen gefährdet wäre, wenn ihm ein allfälliger Verwertungserlös nicht ausgehändigt würde. Darauf kann es deshalb nicht ankommen, weil die Einziehung eines allfälligen Verwertungserlöses durch den Sicherungszweck der Einziehung nicht mehr gedeckt und aus diesem Grunde, unabhängig von der Schwere der Tat und der finanziellen Situation des Täters, unverhältnismässig ist. Der Aushändigung eines allfälligen Verwertungserlöses steht auch nicht entgegen, dass der Täter damit erneut Gegenstände von der Art erwerben könnte, mit denen er die Straftat begangen hat, derentwegen die Gegenstände eingezogen wurden (siehe dazu SCHULTZ, op.cit., S. 329 unten).
c) Allerdings kann man sich fragen, ob bei Gegenständen, die ohne weiteres problemlos jederzeit gekauft und veräussert werden können, nicht schon auf deren Einziehung zu verzichten sei. Denn die Einziehung solcher Gegenstände, die der Staat in der Regel verwerten wird, dürfte jedenfalls dann zweckuntauglich sein und einen "Schlag ins Wasser" darstellen (vgl. dazu eingehend ALBIN ESER, Die strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum, Tübingen 1969, S. 274 ff.), wenn dem Täter als bisherigem Eigentümer der Verwertungserlös herauszugeben ist. Wie es sich damit im einzelnen verhält, kann vorliegend jedoch dahingestellt bleiben. Denn bei den insgesamt 742 Pistolen handelt es sich nicht um Gegenstände, die problemlos jederzeit gekauft und veräussert werden können. Die Einziehung von insgesamt 742 Pistolen, die unter das Kriegsmaterialgesetz fallen, ist als sachliche Massnahme der Sicherung, selbst wenn sie den Inhaber eines Waffengeschäfts trifft, auch dann sinnvoll, wenn ein allfälliger Verwertungserlös an den bisherigen Eigentümer herauszugeben ist.
d) Die Anordnung des Obergerichts, ein allfälliger Verwertungserlös sei dem X. durch den Bund zurückzuerstatten, verstösst somit nicht gegen Bundesrecht. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Generalprokurators ist daher abzuweisen.