Urteilskopf
118 II 157
33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. März 1992 i.S. Marie-Therese B. gegen Y. R.-AG (Berufung)
Regeste
Franchisevertrag.
1. Grundsätzliches zur Rechtsanwendung auf Franchiseverträge (E. 2).
2. Keine Anwendung der zum Schutz des Mieters und des Pächters erlassenen Vorschriften auf einen Franchisevertrag, der ein bloss untergeordnetes miet- bzw. pachtvertragliches Element enthält (E. 3).
3. Steht der Franchisenehmer faktisch in einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis vom Franchisegeber wie ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber, so rechtfertigt sich die sinngemässe Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften. Das führt im vorliegenden Fall zur Zusprechung einer Entschädigung an den Franchisenehmer wegen missbräuchlicher Kündigung des Vertrages durch den Franchisegeber (E. 4).
A.-
Nachdem Marie-Therese B. ein Y. R.-Schönheitszentrum in Luzern seit dem Frühjahr 1984 als Directrice im Angestelltenverhältnis geleitet hatte, übertrug ihr die Y. R.-AG mit Vertrag vom 23. Oktober 1984 dessen Nutzung auf eigene Rechnung. Der Vertrag, der am 1. November 1984 in Kraft trat und auf unbestimmte Zeit abgeschlossen war, sah unter anderem eine umsatzabhängige Nutzungsgebühr vor.
Am 9. Oktober 1986 fand eine Besprechung über neue Budgetwerte und neue Ansätze für die Nutzungsgebühr statt. Bei diesem Anlass gab die Y. R.-AG ihre Absicht bekannt, die Nutzungsgebühr von 1 auf 7% des Umsatzes zu erhöhen. Mit Schreiben vom 30. Oktober 1986 wies der Anwalt von Marie-Therese B. diese Erhöhung zurück. Nach ergebnislosen Verhandlungen hielt die Y. R.-AG mit Schreiben vom 23. März 1987 an der Nutzungsgebühr von 7% fest.
Am 27. März 1987 erschien ein Vertreter der Y. R.-AG im Ladengeschäft und verlangte von Marie-Therese B., dass sie dieses am 31. März 1987 räume. Zugleich behändigte er die Kundenkartei. Noch am gleichen Tag kündigte die Y. R.-AG den Vertrag vom 23. Oktober 1984 auf den 30. Juni 1987, wobei sie Marie-Therese B. mit Wirkung ab 1. April 1987 von der Verpflichtung zur Führung des Geschäfts entband und sie aufforderte, auf den 31. März 1987 das Inventar zu erstellen und die Schlüssel zu übergeben. Nachdem Marie-Therese B. sich schriftlich gegen diese "fristlose Kündigung" verwahrt hatte, erklärte die Y. R.-AG mit Brief vom 30. März 1987 die sofortige Auflösung des Vertrages aus wichtigem Grund für den Fall, dass Marie-Therese B. nicht Hand zur Geschäftsübergabe bieten sollte.
Am Morgen des 1. April 1987 verklebten zwei Vertreter der Y. R. AG das Schaufenster des Ladens mit einem Plakat "Wegen Umbau geschlossen".
B.-
Mit superprovisorischer Verfügung vom gleichen Tag verbot der Präsident des Amtsgerichtes von Luzern-Stadt der Y. R.-AG,
BGE 118 II 157 S. 159
den Geschäftsbetrieb - ausser während des Umbaus des Ladenlokals vom 3. bis 10. April 1987 - zu betreten. Die von der Y. R.-AG dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 8. April 1987 ab. Am 12. Mai 1987 bestätigte der Amtsgerichts-Präsident die superprovisorische Verfügung vom 1. April 1987. Das Obergericht hiess jedoch am 18. August 1987 einen Rekurs der Y. R.-AG gegen diesen Entscheid gut. Eine staatsrechtliche Beschwerde von Marie-Therese B. gegen den obergerichtlichen Rekursentscheid wies das Bundesgericht am 15. Oktober 1987 ab.
Inzwischen hatte die Y. R.-AG ein Ausweisungsverfahren eingeleitet. Am 1. September 1987 wies der Befehlsrichter des Amtsgerichts Luzern-Stadt das Ausweisungsbegehren ab. Das Obergericht des Kantons Luzern hob diesen Entscheid jedoch am 27. Oktober 1987 auf und wies Marie-Therese B. an, die Geschäftsräumlichkeiten innert 20 Tagen zu verlassen. Am 23. November 1987 räumte Marie-Therese B. das Ladenlokal.
C.-
Am 13. Juni 1988 reichte die Y. R.-AG beim Handelsgericht des Kantons Zürich Klage ein mit dem Begehren, Marie-Therese B. sei zu verpflichten, der Klägerin Fr. 85'000.-- nebst Zins zu bezahlen. Die Beklagte erhob Widerklage auf Bezahlung von Fr. 148'176.60 nebst Zins.
Mit Urteil vom 10. September 1991 sprach das Handelsgericht der Klägerin Fr. 3'474.65 nebst Zins zu und wies im übrigen Haupt- und Widerklage ab.
D.-
Das Bundesgericht heisst die von der Beklagten eingelegte Berufung teilweise gut und ändert das handelsgerichtliche Urteil dahin ab, dass die Klägerin verpflichtet wird, der Beklagten Fr. 6'525.35 nebst Zins zu bezahlen.
Aus den Erwägungen:
2.
Das Handelsgericht hat den Vertrag der Parteien vom 23. Oktober 1984 als Franchiseverhältnis aufgefasst.
a) Franchiseverträge dienen dem Vertrieb von Waren und Dienstleistungen über selbständige Händler oder Unternehmer, aber nach einer einheitlichen Vertriebskonzeption. Der einzelne Franchisenehmer vertreibt die vom Franchisegeber hergestellten bzw. organisierten Waren und Dienstleistungen zwar auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko, befolgt dabei aber das einheitliche Absatz- und
BGE 118 II 157 S. 160
Werbekonzept, das ihm der Franchisegeber zur Verfügung stellt, erhält dessen Beistand, Rat und Schulung und verwendet dessen Namen, Marken, Ausstattungen oder sonstige Schutzrechte. Der Franchisegeber behält sich in der Regel das Recht vor, Weisungen zu erteilen und eine Kontrolle über die Geschäftstätigkeit auszuüben (SCHLUEP, Der Franchisevertrag, SPR VII/2, S. 853; BAUDENBACHER, Die Behandlung des Franchisevertrags im schweizerischen Recht, in: Neue Vertragsformen der Wirtschaft: Leasing, Factoring, Franchising, S. 210; BAUDENBACHER/ROMMÉ, Ausgewählte Rechtsprobleme des Franchising, in: Mélanges Pierre Engel, Lausanne 1989, S. 1 ff.; vgl. auch
BGE 109 II 487
E. 4a).
b) Dem Handelsgericht ist darin beizupflichten, dass diese Merkmale auf den Vertrag der Parteien zutreffen. Die Beklagte konnte ihre Tätigkeit zwar auf eigene Rechnung und Gefahr ausüben. Sie hatte ihr Verkaufs- und Schönheitspflegegeschäft jedoch unter der Bezeichnung "Y. R." zu führen und sich in jeder Hinsicht in das Vertriebskonzept der Klägerin einzufügen. So hatte sie sich insbesondere "im Interesse und zur Wahrung einer einheitlichen Geschäftspolitik und Präsentation von Y. R. an die allgemeinen und speziellen Weisungen und Empfehlungen von Y. R. in bezug auf die Verkaufstechniken, Werbung, Gestaltung von Schaufenstern, Sortiment, Kundenkarteiführung etc." zu halten. Im weiteren schrieb der Vertrag der Beklagten sowie deren Personal vor, auf Verlangen der Klägerin an "Schulungs-, Auffrischungs- und Weiterbildungskursen" teilzunehmen. Schliesslich stand der Klägerin ein umfassendes Kontrollrecht über die Geschäftstätigkeit der Beklagten zu.
c) Mit der Qualifikation des Vertrages als Franchiseverhältnis ist allerdings noch nicht viel gewonnen. Franchiseverträge treten in derart vielgestaltigen Erscheinungsformen auf, dass weder eine hinreichend scharfe begriffliche Umschreibung dieses Vertragstypus möglich erscheint, noch ein für allemal gesagt werden könnte, welchen Rechtsregeln solche Verträge unterstehen (zur analogen Situation im deutschen Recht MARTINEK, Franchising, Heidelberg 1987, S. 6 ff.; vgl. ferner SCHULTHESS, Der Franchise-Vertrag nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1975, S. 22 ff.; DE HALLER, Le contrat de franchise en droit suisse, Diss. Lausanne 1978, S. 21 ff.). Das anwendbare Recht muss deshalb in jedem Einzelfall aufgrund des konkreten Vertrages ermittelt werden. Dabei wird der Vertrag selten einheitlich einem bestimmten gesetzlichen Vertragstypus zugeordnet werden können (vgl. aber SCHLUEP, a.a.O., S. 856 bei Anm. 24; BAUDENBACHER, a.a.O., S. 221 f.), herrscht doch bei Franchiseverträgen
BGE 118 II 157 S. 161
gewöhnlich nicht die Natur eines einzigen gesetzlichen Vertragstypus derart vor, dass typenfremde Elemente ohne weiteres darin aufgingen (Absorptionsprinzip; dazu SCHLUEP, Innominatverträge, SPR VII/2, S. 801 und 804; Beispiel:
BGE 110 II 378
f.). In der Regel muss vielmehr für jede sich stellende Rechtsfrage gesondert geprüft werden, nach welchen gesetzlichen Bestimmungen oder nach welchen Rechtsgrundsätzen sie zu beurteilen ist. Denn Franchiseverträge werden meist von mehreren verschiedenartigen Komponenten entscheidend geprägt, so namentlich von Elementen eines Überlassungsvertrages (Überlassung des Franchisepackage durch den Franchisegeber) und eines Arbeitsleistungsvertrages (Absatzförderungspflicht des Franchisenehmers). Häufig finden sich auch Elemente des Warenlieferungsvertrages (BAUDENBACHER, a.a.O., S. 211 f.). Im gemeinsamen Ziel der Maximierung des Umsatzes kann - ähnlich wie beim Alleinvertretungsvertrag - zudem ein gesellschaftsvertraglicher Einschlag erblickt werden (
BGE 107 II 220
Nr. 29 E. 4; KUHN, Der Alleinvertriebsvertrag im Verhältnis zum Agenturvertrag, in: FS Keller 1989, S. 197 f.; vgl. aber auch BAUDENBACHER, a.a.O., S. 212). Das rechtfertigt die Heranziehung von Normen des Gesellschaftsrechts insbesondere dann, wenn zwischen den Parteien nicht ein Unterordnungs-, sondern ein partnerschaftliches Verhältnis besteht (sog. Partnerschaftsfranchising; BAUDENBACHER/ROMMÉ, a.a.O., S. 6). Ist hingegen der Franchisenehmer, wie dies typischerweise - und auch vorliegend (E. b hievor und 4a hienach) - der Fall ist, dem Franchisegeber untergeordnet (sog. Subordinationsfranchising), tritt die Frage einer analogen Anwendung arbeitsvertrags- oder agenturvertragsrechtlicher Schutzvorschriften in den Vordergrund (E. 4 hienach).
3.
Zu den Vertragsleistungen der Klägerin gehörte unter anderem die Überlassung des Geschäftslokals (...) mitsamt Ladeneinrichtung. Die Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, dabei handle es sich um einen selbständigen Vertragsbestandteil, auf welchen die zwingenden Vorschriften des BMM und des OR über Miete und Pacht anzuwenden seien; nach diesen Bestimmungen aber sei die von der Klägerin ausgesprochene Vertragskündigung nichtig. Das Handelsgericht billigt demgegenüber dem miet- bzw. pachtrechtlichen Element keine selbständige Bedeutung zu und unterstellt den Vertrag der Parteien insgesamt dem "Recht des Franchising".
a) Die Anwendung der zum Schutz des Mieters und des Pächters erlassenen Vorschriften über die Beendigung des Vertragsverhältnisses setzt das Vorliegen eines eigentlichen Miet- oder Pachtvertrages
BGE 118 II 157 S. 162
voraus. Bei aus verschiedenen Einzelverträgen zusammengesetzten Vertragskomplexen und bei gemischten Verträgen, die neben miet- oder pachtrechtlichen auch andere Elemente enthalten, ist nach der Rechtsprechung auf den Regelungsschwerpunkt abzustellen. Demgemäss ist die Anwendung der miet- und pachtrechtlichen Vorschriften über die Vertragsbeendigung ausgeschlossen, wenn die Überlassung des Miet- bzw. Pachtobjektes bloss als untergeordnete Nebenabrede erscheint, die Rechtsbeziehungen der Parteien mithin schwergewichtig durch andere Vertragsbestandteile geprägt werden. In jedem Einzelfall ist daher, ausgehend von der Interessenlage der Parteien, wie sie in der von ihnen getroffenen vertraglichen Regelung zum Ausdruck gelangt, zu prüfen, welche Bedeutung den einzelnen Vertragsbestandteilen im Hinblick auf die Gestaltung der Gesamtrechtslage zukommt (
BGE 115 II 454
E. a).
An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Stehen verschiedene Parteivereinbarungen nicht als selbständige Verträge nebeneinander, sondern sind nach dem Willen der Parteien mehrere Vertragsbestandteile in der Weise miteinander verknüpft und voneinander abhängig, dass ein gemischter oder ein zusammengesetzter Vertrag vorliegt, so ist dieser als Einheit aufzufassen. Das wirkt sich insbesondere hinsichtlich der Vertragsbeendigung aus. Die einzelnen Vertragsbestandteile einem unterschiedlichen rechtlichen Schicksal zu unterwerfen, ginge angesichts ihrer gegenseitigen Abhängigkeit nicht an. In
BGE 109 II 466
hat deshalb das Bundesgericht einen Architektenvertrag mit auftrags- und werkvertraglichen Elementen gesamthaft der Auflösungsregel von
Art. 404 OR
unterstellt und es ausdrücklich abgelehnt, die einzelnen Vertragsbestandteile in bezug auf die Vertragsbeendigung gesondert zu behandeln. Entsprechendes hat, wie Barbey (Commentaire du droit de bail, Chapitre III, Genève 1991, Introduction, N 160) zutreffend ausführt, für gemischte oder zusammengesetzte Verträge mit miet- oder pachtvertraglicher Komponente zu gelten (im gleichen Sinne bereits
BGE 41 II 111
E. 3).
b) Im vorliegenden Fall kommt, wie im angefochtenen Urteil mit Recht festgehalten wird, dem miet- bzw. pachtvertraglichen Element im Rahmen des gesamten Franchiseverhältnisses bloss untergeordnete Bedeutung zu. Der Zweck des Vertrages vom 23. Oktober 1984 bestand im Vertrieb der Produkte und Dienstleistungen der Klägerin. Allein diesem Zweck diente auch die Überlassung des Ladenlokals zur Nutzung durch die Beklagte. Einzig darauf waren die mit einer Y. R.-Ladeneinrichtung ausgestatteten Räumlichkeiten denn auch ausgelegt. Unter diesen Umständen kann von einem selbständigen
BGE 118 II 157 S. 163
Miet- oder Pachtvertrag keine Rede sein. Die Überlassung des Ladenlokals erscheint vielmehr als Bestandteil des sogenannten Franchisepackage, d.h. des Leistungsbündels, das die Klägerin der Beklagten im Hinblick auf die Förderung des Absatzes ihrer Produkte erbrachte. Da das pachtvertragliche Element mithin in jeder Hinsicht vom Zweck des gesamten Franchiseverhältnisses abhängt, teilt es dessen rechtliches Schicksal. Die miet- bzw. pachtrechtliche Beendigungsordnung kommt nicht zur Anwendung, da kein eigentliches Miet- oder Pachtverhältnis vorliegt.
c) Abwegig ist die Berufung der Beklagten auf
Art. 254 OR
, welcher Koppelungsgeschäfte, die im Zusammenhang mit der Miete von Wohn- oder Geschäftsräumen stehen, unter bestimmten Voraussetzungen für nichtig erklärt. Abgesehen davon, dass diese Bestimmung erst mit der am 1. Juli 1990 in Kraft getretenen Mietrechtsrevision eingeführt worden und auf den vorliegenden Sachverhalt daher noch die entsprechende Vorschrift des alten Rechts (Art. 16 in Verbindung mit
Art. 2 Abs. 3 BMM
) anwendbar ist (
Art. 1 SchlT ZGB
), kann von einem unzulässigen Koppelungsgeschäft nur gesprochen werden, wenn das Interesse des Mieters an sich bloss auf den Mietvertrag gerichtet ist, der Vermieter dessen Abschluss oder Weiterführung aber davon abhängig macht, dass der Mieter Hand zu einem anderweitigen Nebengeschäft bietet (SVIT-Kommentar zum Schweizerischen Mietrecht, N 12 ff., insbesondere N 15 und 16 zu
Art. 254 OR
). Der Vertrag vom 23. Oktober 1984 war indessen von Anfang an in seinem Kern gerade kein Miet- oder Pachtvertrag (E. b hievor); er verschaffte der Beklagten in erster Linie eine berufliche Stellung und nicht bloss ein Gebrauchs- bzw. Nutzungsrecht an Geschäftsräumlichkeiten. Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, dass die Klägerin das Interesse der Beklagten an einem Miet- bzw. Pachtverhältnis dazu missbraucht hätte, sie zur Eingehung weiterer Verpflichtungen zu bewegen.
4.
Ist die von der Klägerin ausgesprochene Kündigung somit nicht nach Miet- bzw. Pachtrecht zu beurteilen, so bleibt zu prüfen, ob allenfalls andere gesetzliche Bestimmungen herangezogen werden können.
a) aa) Bei Dauerschuldverhältnissen, in welchen die eine Partei wirtschaftlich von der andern abhängig ist, kann die Schutzbedürftigkeit der schwächeren Vertragspartei die sinngemässe Anwendung zwingender Vorschriften erheischen, welche das Gesetz für verwandte Vertragstypen vorsieht (vgl. BAUDENBACHER, a.a.O., S. 213 f.). Voraussetzung ist allerdings stets, dass sich der Regelungsgedanke
BGE 118 II 157 S. 164
bestimmter gesetzlicher Schutzvorschriften auf das konkrete Vertragsverhältnis übertragen lässt. Ob und für welche Bestimmungen dies zutrifft, ist im Einzelfall ausgehend von der Bedeutung zu beurteilen, die der Vertrag für die schwächere Vertragspartei einnimmt. Massgebend sind die Art und das Ausmass der Abhängigkeit der schwächeren von der stärkeren Vertragspartei.
bb) Im Franchiseverhältnis ist regelmässig der Franchisenehmer die schwächere Vertragspartei, vorliegend demnach die Beklagte (BAUDENBACHER/ROMMÉ, a.a.O.). Unter den Vertragspflichten der Beklagten steht die Arbeitsleistung im Vordergrund. Der Beklagten oblag einerseits die Ausübung einer Verkaufs- und Schönheitspflegetätigkeit, anderseits die Ausbildung und Führung ihres Personals. Sie hatte sich dieser Aufgaben vollberuflich anzunehmen; die Aufnahme einer anderweitigen selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit war ihr ausdrücklich verwehrt. Ferner stand die Beklagte in einem ausgesprochenen Unterordnungsverhältnis zur Klägerin. Ihr Entscheidungsspielraum war durch die Weisungen der Klägerin und durch deren Kontrollrecht eng eingegrenzt. Der Vertrag enthält in seinem Anhang 2 genaue und ins einzelne gehende Vorschriften über die Geschäftsführung der Beklagten, worunter beispielsweise detaillierte Anordnungen über Erstellung und Nachführung der Kundenkartei, der Lagerkartei, der Absatzstatistik, über den Umfang des Warenlagers und über die Ladenöffnungszeiten. Im weiteren wurde der Beklagten in umfassender Weise die Pflicht auferlegt, die "allgemeinen und speziellen Weisungen und Empfehlungen" der Klägerin hinsichtlich Verkaufstechniken und Werbung zu befolgen. Schliesslich übte die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit mit den ihr von der Klägerin zur Verfügung gestellten Betriebsmitteln, insbesondere in den ihr von dieser überlassenen Räumlichkeiten aus.
All das rückt den Vertrag in seiner Bedeutung für die Beklagte in die Nähe eines Arbeitsverhältnisses, bestand doch, obschon die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit formell selbständig ausübte, faktisch eine Abhängigkeit von der Klägerin, die derjenigen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber zumindest sehr nahe kommt. Damit rechtfertigt sich die sinngemässe Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften. Die Heranziehung von Arbeitsrecht für Franchiseverträge mit ausgeprägtem Unterordnungsverhältnis zwischen Franchisenehmer und -geber wird denn auch in der Lehre befürwortet (MEYER, Der Alleinvertrieb, Diss. St. Gallen 1990, S. 10 ff.; im gleichen Sinne, wenn auch zurückhaltender BAUDENBACHER, a.a.O., S. 221 f.; zur vergleichbaren Rechtslage bei den sogenannten
BGE 118 II 157 S. 165
Tankstellenverträgen SCHLUEP/WERDER, Die Tankstellenverträge, SPR VII/2, S. 866 f.).
b) aa) Die Klägerin hat ihre Kündigung am 27. März 1987 mit Wirkung auf den 30. Juni 1987 ausgesprochen. Abzustellen ist daher nicht auf die
Art. 336 ff. OR
in ihrer am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen revidierten Fassung, sondern auf die vorher geltende gesetzliche Regelung (
Art. 1 SchlT ZGB
), bei deren Auslegung das neue Recht allerdings mitberücksichtigt werden darf (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N 160 und 225 zu
Art. 1 ZGB
).
Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung fand bereits unter der Herrschaft des alten Rechts die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers ihre Schranke am Rechtsmissbrauchsverbot (
BGE 111 II 243
;
BGE 107 II 170
E. 2 mit Hinweisen). Umstritten war hingegen, ob Missbräuchlichkeit zur Nichtigkeit der Kündigung führe (so REHBINDER, Grundriss des Arbeitsrechts, 9. Aufl. 1988, S. 103) oder ob die Kündigung zwar gleichwohl gültig, der Kündigende jedoch zur Leistung einer Entschädigung verpflichtet sei (so MERZ, Berner Kommentar, N 317 f. zu
Art. 2 ZGB
; VISCHER, Der Arbeitsvertrag, SPR VII/1, S. 417 f.). Für letztere Auffassung sprechen einerseits Praktikabilitätserwägungen sowie die Analogie zu Art. 336g aOR (MERZ, a.a.O.; VISCHER, a.a.O.). Anderseits rechtfertigt es sich auch im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers, wie er im neuen Recht zum Ausdruck gelangt, die bisherige Regelung entsprechend dem heute geltenden
Art. 336a OR
dahin auszulegen, dass die Missbräuchlichkeit einer Kündigung deren Gültigkeit nicht berührt, sondern lediglich eine Entschädigungspflicht des Kündigenden nach sich zieht.
bb) Nach den verbindlichen Feststellungen des Handelsgerichts hat die Klägerin ihre Kündigung mit der Weigerung der Beklagten begründet, die Erhöhung der Nutzungsgebühr auf 7% zu akzeptieren. Bei dieser Begründung hat sie sich behaften zu lassen.
Der Vertrag vom 23. Oktober 1984 sah zwar vor, dass die Klägerin die Ansätze für die Nutzungsgebühr nachträglich ändern könne. Wie das Handelsgericht zutreffend darlegt, hatte die Klägerin dieses einseitige vertragliche Gestaltungsrecht jedoch nach billigem Ermessen auszuüben (VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. I, S. 191), und die Klausel, wonach die Änderung der Nutzungsgebühr nur unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist erfolgen könne, kann nur dahin verstanden werden, dass die Beklagte berechtigt war, statt die Änderung anzunehmen, den Vertrag aufzulösen. Der Vorinstanz ist in jeder Hinsicht darin
BGE 118 II 157 S. 166
beizupflichten, dass eine Erhöhung der Nutzungsgebühr von 1 auf 7% des Umsatzes aufgrund der gesamten Umstände des vorliegenden Falles als unbillig bezeichnet werden muss. Gegen die entsprechenden Urteilserwägungen wendet die Klägerin in ihrer Berufungsantwort lediglich ein, alle übrigen Franchisenehmerinnen in der Schweiz hätten die Gebührenerhöhung auf 7% anstandslos angenommen, ohne dass ihre Verdienstmöglichkeiten beeinträchtigt worden wären, hätten doch verkaufsfördernde Massnahmen, Produktivitätssteigerungen und erhöhtes Kostenbewusstsein die angehobenen Nutzungsgebühren problemlos wettgemacht. Dem angefochtenen Urteil lässt sich indessen nicht entnehmen, dass das bereits im kantonalen Verfahren vorgebracht worden wäre, und die Beklagte macht auch nicht geltend, das Handelsgericht habe entsprechende Vorbringen zu Unrecht nicht berücksichtigt. Die Behauptungen haben deshalb als neu und damit im Berufungsverfahren als unzulässig zu gelten (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
).
Ist demnach davon auszugehen, dass die Klägerin nicht befugt war, die Nutzungsgebühr auf 7% zu erhöhen, so hat sich die Beklagte mit Recht gegen die Erhöhung zur Wehr gesetzt. Dass die Klägerin die Weigerung der Beklagten, die neuen Ansätze für die Nutzungsgebühr zu akzeptieren, dennoch zum Anlass für eine Vertragsauflösung genommen hat, ist deshalb nicht gerechtfertigt. Immerhin kann dahingestellt bleiben, ob dies für sich allein bereits ausreichen würde, um die Kündigung als missbräuchlich erscheinen zu lassen. Denn die Missbräuchlichkeit ergibt sich zusätzlich auch aus der Art und Weise, wie die Klägerin ihr Kündigungsrecht ausgeübt hat.
cc) Darüber ist dem angefochtenen Urteil folgendes zu entnehmen: Im Anschluss an Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien über die Erhöhung der Nutzungsgebühr hat die Klägerin bereits am 31. Dezember 1986 ohne Wissen der Beklagten einen Vertrag mit Kerstin S. abgeschlossen, wonach diese das Geschäft der Beklagten auf den 1. April 1987 übernehmen sollte. Noch in einem Brief vom 9. März 1987 hat jedoch die Klägerin die Beklagte mit dem Hinweis beruhigt, sie habe bezüglich der Nutzungsgebühr noch keinen Entscheid getroffen, die Beklagte könne aber mit einem Bericht in der zweiten Hälfte des Monats rechnen. Mit Schreiben vom 23. März 1987 hat sie dann an der Nutzungsgebühr von 7% festgehalten. Am 27. März 1987 ist ein Vertreter der Klägerin im Laden der Beklagten erschienen, hat von dieser die Räumung des Geschäfts auf den 31. März 1987 verlangt und zugleich die Kundenkartei behändigt. In ihrer Kündigung vom gleichen Tag hat die Klägerin die Beklagte
BGE 118 II 157 S. 167
mit Wirkung ab 1. April 1987 von der Verpflichtung zur Führung des Geschäfts entbunden und sie zur Erstellung des Inventars und zur Schlüsselübergabe auf den 31. März 1987 aufgefordert.
Das Handelsgericht bezeichnet das Vorgehen der Klägerin mit Recht als falsches und verstecktes Spiel, das Treu und Glauben krass widerspreche. Die Klägerin hat in krasser Weise dem Gebot der schonenden Rechtsausübung zuwidergehandelt. Die dadurch bewirkte Missbräuchlichkeit der Kündigung führt nach dem Gesagten (E. aa hievor) dazu, dass der Vertrag zwar auf den 30. Juni 1987 als beendet zu gelten hat, der Beklagten jedoch ein Entschädigungsanspruch gegen die Klägerin zusteht.
dd) Die Entschädigung wegen Kündigungsmissbrauchs gemäss Art. 336g aOR und
Art. 336a OR
soll neben allfälligem, aus der Missbräuchlichkeit der Kündigung entstandenem Schaden des Kündigungsempfängers vor allem die von diesem erlittene seelische Unbill angemessen abgelten. Da der Entschädigung zudem auch pönaler Charakter zukommt, ist der Nachweis eines konkreten Schadens oder einer konkreten seelischen Beeinträchtigung nicht erforderlich (vgl. Botschaft des Bundesrates zur Volksinitiative "betreffend Kündigungsschutz im Arbeitsvertragsrecht" und zur Revision der Bestimmungen über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Obligationenrecht vom 9. Mai 1984, BBl 1984 II, S. 600 f.; missverständlich BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, N 2 zu
Art. 336a OR
).
Die Zusprechung einer derartigen Entschädigung ist im vorliegenden Fall durch die Widerklagebegehren der Beklagten auf Schadenersatz und Genugtuung gedeckt. Dass die Beklagte diese Forderungen aus anderen rechtlichen Überlegungen ableitet, schadet ihr nichts, da das Bundesgericht an die Rechtsauffassung der Parteien nicht gebunden ist (
Art. 63 Abs. 1 Satz 2 OG
).
ee) Den Betrag der Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung setzt der Richter unter Würdigung der gesamten Umstände ermessensweise fest (Art. 336g Abs. 3 aOR;
Art. 336a Abs. 2 OR
). Dabei berücksichtigt er insbesondere die Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeit des Kündigungsempfängers, die Enge und die Dauer der vertraglichen Beziehungen sowie die Art und Weise, wie das Vertragsverhältnis gekündigt worden ist (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 601; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, a.a.O., N 4 zu
Art. 336a OR
).
Dass die stossende Art und Weise, in welcher die Klägerin ihr Kündigungsrecht ausgeübt hat (E. cc hievor), auch einen entsprechend schweren Eingriff in die Persönlichkeit der Beklagten darstellt,
BGE 118 II 157 S. 168
versteht sich von selbst. Auf der anderen Seite ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kündigung keine sehr langen vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien vorausgegangen sind. Aufgrund dieser Umstände rechtfertigt es sich insgesamt, der Beklagten eine Entschädigung von Fr. 10'000.-- zuzubilligen. Die Widerklage der Beklagten ist daher abweichend vom angefochtenen Urteil nicht bloss im Umfang von Fr. 23'245.--, sondern im Betrag von Fr. 33'245.-- als ausgewiesen zu erachten.