Urteilskopf
118 II 359
70. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. August 1992 i.S. K. gegen X. und IHK-Schiedsgericht (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Art. 190 Abs. 2 lit. a IPRG
; Ablehnung von Schiedsrichtern wegen Befangenheit.
Überprüfungsmöglichkeiten von Ablehnungsgründen im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens gegen den Schiedsspruch selbst (E. 3b). Kriterien, die für die Beurteilung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Schiedsrichtern massgeblich sind (E. 3c).
A.-
Am 14. April 1978 schloss die ungarische Unternehmung K. mit dem Konsortium X. einen Vertrag über die Errichtung einer integrierten Maiszucker- und Alkoholfabrik in Ungarn. In Ziff. 13.1 wurde vereinbart, dass alle sich aus dem Vertrag ergebenden Streitigkeiten nach der Vergleichs- und Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer, Paris, von drei gemäss dieser Ordnung ernannten Schiedsrichtern endgültig entschieden werden. Als Sitz des Schiedsgerichts wurde Bern vorgesehen. Gemäss Ziff. 13.6 war das schweizerische materielle Recht auf den Vertrag anwendbar.
B.-
Die K. leitete am 5. Mai 1982 gegen das Konsortium X. das vertraglich vorgesehene Schiedsgerichtsverfahren ein. Sie machte Ersatz von Verzugsschaden, von Aufwendungen für Mängelbeseitigung, Preisminderung und andere Ansprüche geltend. Das Konsortium X. widersetzte sich der Klage und erhob Widerklage. Als Schiedsrichter ernannte die Klägerin Professor A., die Beklagten Rechtsanwalt B.; als Obmann wurde Rechtsanwalt C. bezeichnet. Nachdem B. am 21. Dezember 1988 seinen Rücktritt als Schiedsrichter erklärt hatte, übertrugen die Beklagten ihr Schiedsrichtermandat
BGE 118 II 359 S. 360
am 9. Januar 1989 Fürsprecher D. Das Schiedsgericht lehnte in seiner neuen Zusammensetzung mit Beschluss vom 4. Juli/8. September 1989 den Antrag der Klägerin ab, alle Verfahrensabschnitte seit 25. Juni 1982 zu wiederholen. Gleichzeitig beschloss es, die Akten aus zwei vorsorglich eingeleiteten Regressprozessen gegen Subunternehmer der Beklagten beizuziehen und den Auftrag an einen der Gutachter zu ergänzen. Das Bundesgericht wies eine von der Klägerin gegen den Zwischenentscheid des Schiedsgerichts erhobene staatsrechtliche Beschwerde am 14. Juni 1990 ab, soweit es darauf eintrat. In der Sache lehnte das Schiedsgericht die Ansprüche der Klägerin mit Schiedsspruch vom 19. Dezember 1991 grösstenteils ab, diejenigen der Widerklägerinnen anerkannte es dagegen weitgehend.
Die von der Klägerin gestützt auf
Art. 85 lit. c OG
erhobene staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.
Aus den Erwägungen:
3.
Die Beschwerdeführerin bringt einmal vor, das Schiedsgericht sei sowohl in seiner ursprünglichen als auch in der geänderten Besetzung, in der der angefochtene Entscheid ergangen sei, vorschriftswidrig zusammengesetzt gewesen. Sie macht insbesondere geltend, der erste von den Beklagten benannte Schiedsrichter sei als deren Anwalt weder unabhängig noch unbefangen gewesen. Auch in seiner neuen Besetzung habe die Mehrheit des Schiedsgerichts, insbesondere dessen Präsident, nach über sechsjähriger intensiver Beeinflussung durch den ausgeschiedenen Schiedsrichter nicht den Anforderungen entsprochen, die an die Unabhängigkeit und Unbefangenheit von Schiedsrichtern zu stellen seien.
a) Der Anfechtungsgrund von
Art. 190 Abs. 2 lit. a IPRG
ist erfüllt, wenn das Schiedsgericht vorschriftswidrig zusammengesetzt wurde. Schiedsgericht im Sinne dieser Bestimmung kann dabei nur jenes Gericht sein, das den angefochtenen Entscheid auch tatsächlich gefällt hat. Von vornherein unzulässig ist die Rüge der Beschwerdeführerin daher insoweit, als sie sich gegen die Zusammensetzung des ursprünglichen Schiedsgerichts richtet.
b) Weiter ist zu prüfen, wie es sich mit dem Einwand der Beschwerdegegnerinnen verhält, der IHK-Schiedsgerichtshof habe am 9. Mai 1989 den Ablehnungsantrag gegen die beiden verbliebenen
BGE 118 II 359 S. 361
Schiedsrichter rechtskräftig abgewiesen. Zutreffend ist, dass gegen eine Ablehnungsentscheidung eines privaten Gremiums wie jenes des IHK-Schiedsgerichtshofes ein direkter Rechtsbehelf ausgeschlossen ist (WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN, Kommentar zu Kapitel 12 des IPRG, S. 112). Die Möglichkeit einer indirekten Überprüfung eines solchen Entscheids im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens gegen den Schiedsspruch selbst wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. BUCHER (Le nouvel arbitrage international en Suisse, Rz. 341) und LALIVE/POUDRET/REYMOND (Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, S. 424 N 5 zu
Art. 190 IPRG
) lassen im Rahmen eines solchen Beschwerdeverfahrens nur solche Ablehnungsgründe zu, von denen die Partei erst nach dem Erlass des Schiedsentscheids Kenntnis erhalten hat. WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN (a.a.O., S. 113) sind demgegenüber der Meinung, dass auch Ablehnungsgründe gehört werden können, die vor dem Erlass des Schiedsspruchs bekannt und geltend gemacht, aber von dem über die Ablehnung entscheidenden Gremium nicht akzeptiert worden sind. Sie legen dabei überzeugend dar, dass sich eine Rechtsordnung die Möglichkeit vorbehalten müsse, Schiedsspruch und -verfahren auf ihre rechtsstaatliche Unbedenklichkeit zu überprüfen, wozu die Unparteilichkeit eines Schiedsrichters gehöre. Es ist daher mit diesen Autoren davon auszugehen, dass auch solche Ablehnungsgründe im Verfahren auf Aufhebung des Schiedsspruchs vorgebracht werden können. Als Aufhebungsgrund kommt dabei entgegen deren Ansicht (a.a.O., S. 113 und 217) nicht jener von
Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG
(unrichtiger Zuständigkeitsentscheid), sondern jener gemäss lit. a (vorschriftswidrige Zusammensetzung des Schiedsgerichts) in Betracht. Auf die von der Beschwerdeführerin erhobene Rüge der fehlenden Unabhängigkeit ist daher insoweit einzutreten, als sie jene Schiedsrichter betrifft, die den angefochtenen Entscheid gefällt haben.
c) Die berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit eines Schiedsrichters im Sinne von
Art. 180 Abs. 1 lit. c IPRG
bestimmen sich im wesentlichen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 58 BV
und zu Art. 19 des Schiedsgerichtskonkordats (SR 279). Danach muss sich ein ernsthafter Zweifel an der Unabhängigkeit des Schiedsrichters auf konkrete Tatsachen stützen, die objektiv und vernünftigerweise geeignet sind, Misstrauen gegen die schiedsrichterliche Unabhängigkeit zu erwecken (
BGE 115 Ia 403
,
BGE 113 Ia 409
, 111 Ia 263 mit Hinweisen). In diesem Zusammenhang wird, insbesondere gestützt auf die Gesetzesmaterialien, mitunter geltend gemacht, die
BGE 118 II 359 S. 362
Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit von parteibenannten Schiedsrichtern sei nicht mit der gleichen Strenge zu beurteilen wie diejenige des durch einen Dritten oder den Richter ernannten Schiedsrichters (vgl. dazu BUCHER, a.a.O., Rz. 168 ff., WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN, a.a.O., S. 109 f., LALIVE/POUDRET/REYMOND, a.a.O., S. 339 f. N 4 zu
Art. 180 IPRG
). Wie die Beschwerdeführerin selbst ausführt, ist vorliegend indes nicht weiter auf diese Frage einzugehen, da sie sich in bezug auf den Obmann des Schiedsgerichts, um dessen Unbefangenheit es der Beschwerdeführerin vorwiegend geht, ohnehin nicht stellt.
Was in der Beschwerde zur Begründung des Vorwurfs der Befangenheit vorgebracht wird, erfüllt die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien nicht. Auf die Befangenheit des ausgeschiedenen Schiedsrichters selbst und die Gründe seines Rücktritts kommt es dabei nicht an. Hinsichtlich der Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der verbleibenden zwei Schiedsrichter vermögen die Ausführungen der Beschwerdeführerin einen begründeten Anschein der Befangenheit nicht darzutun. So wird insbesondere nicht geltend gemacht, der Obmann und der verbleibende Beisitzer hätten den Prozessgegenstand mit dem ausscheidenden Schiedsrichter nach dessen Rücktritt ausserhalb des Schiedsverfahrens einlässlich erörtert (vgl.
BGE 97 I 320
ff.). Die Stellungnahme vom 24. Februar 1989 zum Ablehnungsantrag der Beschwerdeführerin sowie der Zwischenentscheid vom 4. Juli/8. September 1989 betreffend Ablehnung des Antrags, alle bisherigen Verfahrensabschnitte zu wiederholen, lassen an sich nicht schon auf Parteilichkeit schliessen. Weitere Umstände, die einen solchen Schluss zuliessen, sind nicht dargetan. Das insbesondere dem Obmann des Schiedsgerichts vorgeworfene Vorgehen reicht aufgrund objektiver Beurteilung für sich allein nicht aus, den Anschein der Voreingenommenheit gegenüber der Beschwerdeführerin zu erwecken. Ob das von dieser von ihrem subjektiven Standpunkt aus anders empfunden wird, ist für die Beurteilung unerheblich (
BGE 117 Ia 184
,
BGE 116 Ia 33
,
BGE 115 Ia 405
).