Urteilskopf
118 IV 74
15. Urteil des Kassationshofes vom 24. Januar 1992 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen gegen T. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 42 Abs. 1 MPG (SR 661);
Art. 64 StGB
.
Wer mit dem Argument, keinen Beitrag zu Gewalt und Krieg, Zerstörung der Umwelt und Tötung von Menschen leisten zu wollen, die Bezahlung des Militärpflichtersatzes verweigert, handelt nicht aus achtenswerten Beweggründen im Sinne von
Art. 64 StGB
(Bestätigung der Rechtsprechung).
A.-
T. bezahlte die rechtskräftig veranlagte Militärpflichtersatzabgabe von Fr. 41.75 für das Jahr 1988 ungeachtet der Mahnung vom 12. September 1989 und der Verwarnung vom 12. Oktober 1989 nicht, obschon ihm dies nach seinen finanziellen Verhältnissen möglich gewesen wäre.
Am 20. April 1990 lenkte T. seinen Personenwagen mit einem Sachentransportanhänger, auf dem sich 12 Personen befanden, von Gossau in Richtung Neuchlen-Anschwilen.
B.-
Die Gerichtskommission Gossau sprach T. am 9. November 1990 der schuldhaften Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes (Art. 42 MPG) sowie des unerlaubten Mitführens von Personen auf
BGE 118 IV 74 S. 75
einem Sachentransportanhänger (
Art. 30 Abs. 1 SVG
und
Art. 61 Abs. 3 VRV
in Verbindung mit
Art. 90 Ziff. 1 SVG
) schuldig und verurteilte ihn, einen überzeugten Pazifisten, unter Zubilligung des Strafmilderungsgrundes der achtenswerten Beweggründe (in bezug auf die schuldhafte Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes) zu einer Busse von Fr. 700.--, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr.
Das Kantonsgericht St. Gallen wies die von der Staatsanwaltschaft eingereichte Berufung am 2. Juli 1991 ab.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Kantonsgerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung unter Nichtanwendung des Strafmilderungsgrundes der achtenswerten Beweggründe gemäss
Art. 64 StGB
an die Vorinstanz zurückzuweisen.
T. beantragt in seiner Vernehmlassung sinngemäss die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der 1951 geborene Beschwerdegegner wurde im Jahre 1972 wegen Dienstverweigerung zu einem Monat Haft sowie zum Ausschluss aus der Armee verurteilt. Das Divisionsgericht billigte ihm zu, aus ethischen Gründen in schwerer Gewissensnot gehandelt zu haben. Der Beschwerdegegner hatte anstelle der Rekrutenschule freiwillig und ohne Bezahlung während fünf Monaten in einem Heim für schwer cerebralgelähmte Kinder gearbeitet und dadurch seinen Willen bekundet, anstelle des Militärdienstes einen Zivildienst zu leisten. Der Beschwerdegegner verweigerte in der Folge stets auch die Bezahlung des Militärpflichtersatzes. Er wurde deswegen mehrmals auch zu unbedingten Haftstrafen verurteilt und musste jeweils den Militärpflichtersatz weit übersteigende Verfahrenskosten zahlen. Der Beschwerdegegner will nach seinen eigenen Aussagen im kantonalen Verfahren ungeachtet der verschiedenen Verurteilungen weiterhin seinen Weg gehen. Er setze sich ein für eine bessere, gerechtere und friedlichere Welt, er wehre sich für die Natur, für rechtlose Menschen sowie für eine gerechte Güterverteilung; die Armee aber laufe diesen Bestrebungen zuwider. Es sei mit den genannten Zielen, so erklärte er im kantonalen Verfahren weiter, unvereinbar, Militärdienst zu leisten, sei es mit dem Körper, sei es mit Geld. Die Tatbestände der Militärdienstverweigerung und der
BGE 118 IV 74 S. 76
Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes liessen sich nicht gesondert betrachten, zumal er als Militärdienstverweigerer ersatzpflichtig geworden sei. Die Verweigerung des Militärpflichtersatzes stelle einen symbolischen Teil der Gewaltverweigerung dar. Der Beschwerdegegner zieht eigenen Angaben zufolge aus den genannten Gründen seit Jahren bei der direkten Bundessteuer einen Betrag von 20% ab; dies sei der Anteil, welcher dem Militär zugute komme.
Zu prüfen ist im vorliegenden Verfahren allein, ob dem Beschwerdegegner in bezug auf die schuldhafte Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes der Strafmilderungsgrund der achtenswerten Beweggründe gemäss
Art. 64 StGB
zu Recht zugebilligt wurde oder nicht.
2.
a) Der Kassationshof hat in
BGE 115 IV 65
anerkannt, dass das Streben, Krieg und damit verbundene Tötung von Menschen nicht zu unterstützen, als solches fraglos einer ethisch zu rechtfertigenden Gesinnung entspringt und deshalb einen achtenswerten Beweggrund im Sinne von
Art. 64 StGB
darstelle. Er hat unter Berufung auf seine insoweit ständige Rechtsprechung festgehalten, dass der achtenswerte Beweggrund als Strafmilderungsgrund aber nur dann in Betracht falle, wenn er effektiv die Schuld herabsetzt, den Täter aus diesem Grunde also ein erkennbar wesentlich geringerer Schuldvorwurf trifft als den andern, ohne diesen Beweggrund handelnden, nicht aber dann, wenn der achtenswerte Beweggrund mit der verübten Tat in keiner besonderen Beziehung steht. Der Kassationshof hat im zitierten Entscheid darauf hingewiesen, dass der Militärpflichtersatz eine Ersatzabgabe darstellt, welche anstelle der Naturallast, der Militärdienstleistung aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht, tritt und in bezug auf diese die Rechtsgleichheit herstellen, also einen öffentlichen Pflichtenausgleich verwirklichen soll. Er hat betont, dass die aus dem Militärpflichtersatz stammenden Mittel nicht direkt und ausschliesslich zur Deckung der Militärausgaben verwendet werden, sondern wie beispielsweise Steuern in die allgemeine Bundeskasse fliessen. Er ist zum Schluss gekommen, wer den Militärpflichtersatz nicht bezahle, handle deshalb, auch wenn er es aus Gründen der Vermeidung von Krieg und der Rettung von Menschenleben zu tun erkläre, völlig sachfremd, mit einer Haltung also, die sein Verschulden gegenüber jenem anderer, aus keinem solchen speziellen Grunde säumig gewordener Täter nicht erkennbar verringere; ihm gegenüber wegen achtenswerter Beweggründe die Strafe zu mildern, verstosse deshalb klar gegen den Sinn des Gesetzes;
Art. 64 StGB
sei in solchen Fällen nicht anwendbar.
b) Das Kantonsgericht St. Gallen vermag im angefochtenen Entscheid, wie schon die Gerichtskommission Gossau als erste Instanz, der vom Kassationshof in BGE
BGE 115 IV 65
in dieser absoluten Form vertretenen Auffassung nicht zu folgen. Es gibt mit SCHULTZ (Die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1989, ZBJV 127/1991 S. 50) der differenzierteren Betrachtungsweise den Vorzug, die das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft in einem Urteil vom 3. Juli 1990 (SJZ 86/1990 S. 360 Nr. 76), ebenfalls in bewusster Abweichung von
BGE 115 IV 65
, angestellt hat. Die Vorinstanz legt eingehend dar, dass in Anbetracht des Zwecks der Militärpflichtersatzabgabe sowie nicht zuletzt auch der Begründung für die Androhung einer Haftstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes, wie sie sich aus den Gesetzesmaterialien ergeben, zwischen dieser Ersatzabgabe und der Militärdienstpflicht ein enger Zusammenhang bestehe; dafür spreche im übrigen schon der Begriff "Militärpflichtersatzabgabe" sowie die Tatsache, dass die Ersatzabgabe nicht in der Fiskalhoheit, sondern in der Wehrhoheit begründet ist. Wer die Ersatzabgabe nicht leistet, mache grundsätzlich das gleiche wie der Dienstpflichtige, der den Militärdienst verweigert, er erfülle nämlich die Wehrpflicht - in der Form der Bezahlung einer Ersatzabgabe - nicht. Angesichts dieses sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden und auch in verschiedenen Bundesgerichtsentscheiden betonten engen Zusammenhangs zwischen der Ersatzabgabe und der allgemeinen Wehrpflicht könne das Bestehen eines Konnexes zwischen dem Bestreben der Kriegsverhinderung und der Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes nicht mit dem Argument abgetan werden, die aus dem Militärpflichtersatz stammenden Mittel würden nicht ausschliesslich und direkt für Militärausgaben verwendet. Der Pflichtige, der nach der Überzeugung des Gerichts die Bezahlung des Militärpflichtersatzes aufgrund seiner pazifistischen Grundhaltung verweigere, handle daher entgegen der vom Bundesgericht in
BGE 115 IV 65
vertretenen Auffassung keineswegs völlig sachfremd, sondern im Gegenteil konsequent. Die Strafe sei daher in einem solchen Fall gemäss
Art. 64 StGB
unter Zubilligung achtenswerter Beweggründe zu mildern.
c) Die Staatsanwaltschaft macht in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde demgegenüber geltend, dass die Pflicht zur Bezahlung einer Ersatzabgabe die Rechtsgleichheit in bezug auf die allgemeine Wehrpflicht herstelle, die in der Schweiz allgemein anerkannt sei. Der Richter habe das öffentliche Gewissen zu vertreten und sich danach zu richten; er dürfe sich nicht die davon abweichende Wertordnung eines Angeklagten
BGE 118 IV 74 S. 78
zu eigen machen. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass das MPG im Unterschied zu
Art. 81 Ziff. 2 MStG
nicht eine Privilegierung des aus ethischen oder religiösen Gründen in schwerer Gewissensnot handelnden Täters vorsehe. Eine Änderung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dränge sich - insbesondere unter dem Aspekt der zeitlichen Verhältnisse und der Rechtssicherheit - nicht auf. Die Beschwerdeführerin fügt abschliessend bei, dass dem Beschwerdegegner der Strafmilderungsgrund gemäss
Art. 64 StGB
auch deshalb nicht zugebilligt werden könne, weil, wie sich aus
BGE 116 IV 386
ergebe, durch Art. 42 MPG der Ungehorsam gegenüber den Veranlagungsbehörden und der von ihnen erlassenen Zahlungsaufforderungen strafrechtlich sanktioniert werde.
d) Der Beschwerdegegner wiederholt in seiner Vernehmlassung zur Nichtigkeitsbeschwerde seine bereits im kantonalen Verfahren vorgetragenen Argumente. Er führt zudem aus, schon die Bezeichnung der fraglichen Abgabe als "Militärpflichtersatz" zeige deren engen Zusammenhang mit der Militärdienstleistung; dieser ergebe sich auch daraus, dass die Abgabe von militärischen Behörden erhoben und eingetrieben werde, dass geleistete Diensttage verrechnet werden und dass die Bezahlung der Abgabe im Dienstbüchlein quittiert werde. Das Argument, diese Abgabe fliesse in die allgemeine Bundeskasse, hält nach Meinung des Beschwerdegegners nicht; denn nicht die Kasse, in die das Geld fliesst, sei entscheidend, sondern die Tatsache, dass sein Ausschluss aus dem Heer durch die Bezahlung dieser Abgabe quasi aufgehoben würde. Der Beschwerdegegner bemüht sich nach seinen weiteren Ausführungen, sich, wo immer es gehe, gegen die Existenz von Armeen zu wehren, die in letzter Konsequenz immer lebensfeindlich, zerstörerisch und menschenverachtend seien. Seine Wertprioritäten entsprächen einem globalen Muss, falls die Menschheit nicht in einem Genozid oder in einer Ökokatastrophe untergehen wolle; seine Anliegen entsprächen also dem Anliegen der meisten verantwortungsvollen Menschen, seien daher weder asozial noch egoistisch, sondern stünden im Einklang mit der auf christlichen Grundwerten beruhenden Bundesverfassung. Angesichts des offensichtlichen Zusammenhangs zwischen dem Militärpflichtersatz und der Armee, die allen seinen Zielen und Anliegen betreffend die Erhaltung der Menschheit und der Umwelt zuwiderlaufe, sei ihm die Bezahlung der Ersatzabgabe unmöglich, so klein der Betrag an sich auch sei. Die Bezahlung der Abgabe würde seiner Grundhaltung und seiner Überzeugung zutiefst widersprechen und ihn vor sich selber unglaubhaft machen.
3.
An der in
BGE 115 IV 65
begründeten Rechtsprechung ist im Ergebnis festzuhalten. Es besteht allerdings Anlass zu einer etwas vertiefenden Betrachtung einerseits und einer präzisierenden Ergänzung anderseits.
a) Das Bundesgesetz betreffend den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878 sah noch keine Bestrafung des Ersatzpflichtigen wegen schuldhafter Nichtbezahlung der Ersatzabgabe vor. Hingegen bestand in verschiedenen Kantonen eine Praxis, bei Nichtbezahlung der Ersatzabgabe unabhängig vom Verschulden des Täters Haftstrafen zu verhängen bzw. ausgefällte Bussen in Haftstrafen umzuwandeln oder die Säumigen zwangsweise zum "Abverdienen" der Abgabe einzuberufen. Das Bundesgericht hat in mehreren Entscheiden erkannt, dass diese Praxis gegen das in
Art. 59 Abs. 3 BV
statuierte Verbot des Schuldverhafts verstosse (BGE XIX S. 44 ff., S. 471 ff., XXII S. 24 ff.). Es hat in BGE XIV S. 175 ff. festgehalten, dass "die Belegung schuldhafter (böswilliger oder fahrlässiger) Nichterfüllung aller oder gewisser vermögensrechtlicher Verbindlichkeiten mit öffentlicher Strafe dagegen, wie § 73 Ziff. 5 des solothurnischen Strafgesetzbuches sie statuiert, ... kein Schuldverhaft (sei)". Angesichts dieser bundesgerichtlichen Rechtsprechung wurde von Parlamentariern eine Strafbestimmung gefordert, die für schuldhafte Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes eine Freiheitsstrafe androht, um auf diese Weise einen wirksameren Zahlungseingang zu erreichen, zumal der oft mühsame Weg der Zwangsvollstreckung häufig nicht zum Ziel führte (vgl. Botschaft des Bundesrates, BBl 1898 III 572 ff.). Nach eingehenden Verhandlungen beschlossen die Eidgenössischen Räte das Bundesgesetz vom 29. März 1901 betreffend die Ergänzung des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878 (AS XVIII S. 695). Dessen Art. 1 Abs. 1 bestimmte, dass vom Strafrichter mit Haft von ein bis zehn Tagen bestraft wird, wer schuldhafterweise, ungeachtet zweimaliger Mahnung durch die Militärbehörden, den Militärpflichtersatz nicht entrichtet. Diese Strafbestimmung ist im wesentlichen unverändert in das neue, heute geltende Bundesgesetz über den Militärpflichtersatz vom 12. Juni 1959 übernommen worden (vgl. Botschaft des Bundesrates BBl 1958 II 333 ff., 341, 380, 394; Sten.Bull. 1959 NR S. 30 ff., StR S. 172 f.). In den eingehenden parlamentarischen Beratungen von 1898 bis 1901 über die Ergänzung des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz von 1878 durch eine (Freiheitsstrafe androhende) Strafbestimmung war heftig umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Freiheitsstrafe wegen Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes
BGE 118 IV 74 S. 80
angesichts des in
Art. 59 Abs. 3 BV
statuierten Verbots des Schuldverhafts vor der Verfassung standhalte (s.u.a. Sten.Bull. 1899 S. 111 ff.). Die Befürworter der Vorlage brachten im wesentlichen folgendes vor: erstens solle nur die schuldhafte Nichtbezahlung der Ersatzabgabe mit Freiheitsstrafe bestraft werden; zweitens liege in der schuldhaften Nichtbezahlung der Ersatzabgabe ein Ungehorsam gegenüber den Behörden bzw. die Missachtung eines obrigkeitlichen Befehls; drittens sei der Militärpflichtersatz eine Abgabe ganz besonderer Art, die sich wesentlich etwa von den Steuern unterscheide, da die Leistung der Ersatzabgabe als Erfüllung der Wehrpflicht in anderer Form zu betrachten sei (zum Ganzen siehe JOHANN PAUL LIENHART, Der schweizerische Militärpflichtersatz, Diss. Zürich 1923, S. 58 ff., 103 ff.; ARMIN JEGER, Das Recht der schweizerischen Militärpflichtersatzabgabe, Diss. Bern 1942, S. 139 ff.; M. HUNZINGER, Die Bestrafung schuldhafter Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes, SJZ 53/1957, S. 340 ff.; Botschaft des Bundesrates BBl 1958 II 369f.). Diese Argumente fanden - alternativ und kumulativ - auch Eingang in verschiedene Bundesgerichtsentscheide, in denen das Bundesgericht unter anderem zu beurteilen hatte, unter welchen Voraussetzungen die Nichtbezahlung der Ersatzabgabe schuldhaft sei, welche Opfer mit andern Worten den Pflichtigen insoweit zugemutet werden können. In mehreren Entscheiden wurde unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien betont, dass es sich beim Militärpflichtersatz um eine Abgabe besonderer Art handle, da die Leistung des Militärpflichtersatzes eine Form der Erfüllung der Wehrpflicht sei (
BGE 85 IV 242
E. 1,
BGE 76 IV 196
,
BGE 68 IV 144
). In andern Entscheiden wurde festgehalten, dass die Strafandrohung hauptsächlich den Ungehorsam treffen wolle, als welcher sich die Nichterfüllung der Wehrpflicht in der Form der Militärsteuerpflicht darstelle (
BGE 51 I 344
), bzw. dass durch die Strafbestimmung der Ungehorsam gegenüber den Veranlagungsbehörden und den von ihnen erlassenen Zahlungsaufforderungen sanktioniert werde (
BGE 116 IV 389
E. 2d).
Angesichts der sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Argumente, mit denen die umstrittene - vorliegend nicht zu überprüfende (vgl.
Art. 113 Abs. 3 BV
) - Verfassungsmässigkeit einer in einem Bundesgesetz angedrohten Freiheitsstrafe wegen schuldhafter Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes bejaht wurde, könnte an sich in der Tat die Annahme naheliegen, dass ein enger materieller Zusammenhang zwischen der Abgabepflicht und der Militärdienstpflicht bestehe. Wenn insoweit ein enger Zusammenhang
BGE 118 IV 74 S. 81
bestünde, dann wäre es an sich entgegen der vom Kassationshof in
BGE 115 IV 65
vertretenen Auffassung nicht abwegig, gegenüber dem Pflichtigen, der die Abgabe infolge seiner pazifistischen Grundhaltung nicht bezahlt, die Strafe unter Zubilligung achtenswerter Beweggründe gemäss
Art. 64 StGB
zu mildern.
b) In Tat und Wahrheit besteht aber zwischen der Militärdienstpflicht und der Pflicht zur Zahlung der Ersatzabgabe nur ein formaler Zusammenhang. Der Wehrpflichtige hat eine Ersatzabgabe zu bezahlen, wenn und soweit er aus irgendwelchen Gründen keinen Militärdienst leistet. Die Zahlung der Ersatzabgabe ist der Leistung von Militärdienst aber keineswegs gleichwertig und kann nicht ernsthaft als Erfüllung der Wehrpflicht in anderer Form qualifiziert werden. Sie ist in jeder Hinsicht etwas völlig anderes als die Militärdienstleistung (HÖHN in Kommentar BV, Art. 18 Abs. 4, Rz. 3). Die Ersatzabgabe wird aus Gründen der Gerechtigkeit und der Rechtsgleichheit erhoben. In dieser Ausgleichsfunktion liegt, wie in
BGE 115 IV 66
festgehalten worden ist, ihr wesentlicher Sinn und Zweck (PETER RUDOLF WALTI, Der schweizerische Militärpflichtersatz, Diss. Zürich 1979, S. 45 ff., 55 f. mit Hinweisen). Der Wehrpflichtige soll, soweit er nicht Militärdienst leistet, aus Gründen der Gerechtigkeit und der Rechtsgleichheit durch Bezahlung einer Ersatzabgabe ein Opfer bringen. Es geht nicht um die Erfüllung der Wehrpflicht in anderer Form, sondern um ein Opfer, das eben jener zu erbringen hat, der die gesetzliche Dienstpflicht nicht oder nicht vollumfänglich erfüllt, und dieses Opfer soll, was allerdings eine Fiktion ist, den Lasten, Mühen und Risiken der nicht erbrachten Dienstleistung entsprechen (s. dazu
BGE 113 Ib 206
E. 3 mit Hinweisen auf
BGE 91 I 430
und die Materialien). Wohl bedarf es einer Ersatzabgabepflicht aus Gründen der Gerechtigkeit und der Rechtsgleichheit gerade deshalb, weil die allgemeine Wehrpflicht besteht. Dies darf aber nicht zum Schluss verleiten, dass die Leistung der Ersatzabgabe Erfüllung der Wehrpflicht in der dem nicht diensttuenden Schweizer möglichen, unvollkommenen Form sei (so aber unter anderen M. HUNZINGER, op.cit., S. 341), und ein solcher Schluss ist denn auch in
BGE 115 IV 66
nicht gezogen worden. Die Auffassung, die Wehrpflicht umfasse auch die Pflicht der Bezahlung der Ersatzabgabe, stellt das Verhältnis schief dar (BURCKHARDT, Kommentar BV, 3. Aufl. 1931, S. 138; eingehend ARMIN JEGER, op.cit., S. 12 ff.; HÖHN, a.a.O., soweit die Ersatzleistung von an sich Diensttauglichen betreffend; vgl. auch A. MACHERET in Kommentar BV, Art. 18 Abs. 1-3, Rz. 16 f.). Die Bezahlung der Ersatzabgabe ist angesichts der Art dieser Leistung
BGE 118 IV 74 S. 82
so wenig Erfüllung der Wehrpflicht in anderer Form wie etwa ein ziviler Ersatzdienst bzw. ein Zivildienst. Die Pflicht zur Bezahlung des Militärpflichtersatzes aus Gründen der Gerechtigkeit und der Rechtsgleichheit ist, gleich der Pflicht zur Leistung eines Zivildienstes, Ausfluss einer allgemeinen Leistungspflicht. Daran ändert materiell nichts, dass die Abgabe als "Militärpflichtersatz" bezeichnet und von militärischen Behörden erhoben wird. Dass die Ersatzabgabepflicht möglicherweise die Zahl der Wehrpflichtigen vermindert, die durch Dispens oder Verweigerung der Militärdienstpflicht zu entgehen suchen, und sie somit den personellen Bestand der Milizarmee sichern hilft (dazu WALTI, op.cit., S. 48 f.), ist allenfalls eine erwünschte Nebenfolge, aber nicht der wesentliche Zweck des Militärpflichtersatzes (dazu eingehend ARMIN JEGER, op.cit., S. 9 ff.). Die Ersatzabgabe erfüllt sodann die ihr wesentliche Ausgleichsfunktion unabhängig von der Art der Verwendung der eingezogenen Gelder, also auch dann, wenn mit ihr ausschliesslich beispielsweise Aufgaben in den Bereichen Umweltschutz, Altenpflege oder Friedensforschung finanziert würden. Es gehört nicht zum Wesen der Ersatzabgabe, dass sie gerade für den Zweck verwendet wird, dem die Leistung, welche die Abgabe ersetzt, dient.
Dem Abgabepflichtigen, der aus seiner pazifistischen Grundhaltung heraus die Bezahlung des Militärpflichtersatzes verweigert, können daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht unter Berufung auf einen engen Zusammenhang zwischen dieser Abgabe und dem Militärdienst strafmildernde achtenswerte Beweggründe zugebilligt werden. Denn der Abgabepflichtige verweigert ein finanzielles Opfer, welches aus Gründen der Gerechtigkeit und der Rechtsgleichheit von ihm gefordert wird, und er handelt damit sachfremd.
c) Auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verwendung des Militärpflichtersatzes können einem Pflichtigen, der die Zahlung der Abgabe aus pazifistischen Gründen verweigert, nicht achtenswerte Beweggründe zugebilligt werden.
BGE 115 IV 66
bedarf allerdings insoweit einer gewissen Präzisierung.
Die Nichtbezahlung der gesamten geschuldeten Ersatzabgabe ist sachfremd, da die Abgabe, wie z.B. Steuern, in die allgemeine Bundeskasse fliesst und somit nur zu einem Bruchteil (von nach Ansicht des Beschwerdegegners ca. 20%) indirekt für das Militär verwendet wird. Eine eigenmächtige Kürzung der geschuldeten Abgabe durch den Pflichtigen aus pazifistischen Gründen um ca. 20% wäre dagegen - und insoweit ist
BGE 115 IV 66
zu präzisieren - nicht geradezu sachfremd. Dennoch fällt auch insoweit die Zubilligung des
BGE 118 IV 74 S. 83
Strafmilderungsgrundes der achtenswerten Beweggründe aus nachstehenden Überlegungen ausser Betracht. Die Staatszwecke und ihre Finanzierung werden durch die Verfassung und die Gesetze definiert. Der Schweizer Bürger kann daran in Ausübung seiner politischen Rechte mitwirken. Er hat sie im übrigen wie jeder andere auch - allenfalls unter Vorbehalt eines Widerstandsrechts unter dessen strengen Voraussetzungen - zu respektieren. Eine pazifistische Grundhaltung kann als strafmildernder achtenswerter Beweggrund nur dann in Betracht fallen, wenn vom Pflichtigen eine persönliche Dienstleistung gefordert wird, nicht aber dann, wenn er bloss eine Geldleistung zu erbringen hat. Die Geldleistung unterscheidet sich derart fundamental von der persönlichen Dienstleistung, dass sich insoweit auch eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt. Die Verweigerung der Militärpflichtersatzabgabe hat, wie offenbar auch der Beschwerdegegner nicht übersieht, eher einen symbolischen Charakter. Sie kann im übrigen ohnehin nicht zum Ziele führen, da es den Behörden auch im Falle der Bestrafung des Pflichtigen unbenommen ist, auf dem Wege der Zwangsvollstreckung den geschuldeten Geldbetrag einzufordern (vgl. Art. 42 Abs. 3 MPG). Die Nichtbezahlung der Militärpflichtersatzabgabe unter Berufung auf eine pazifistische Grundhaltung erscheint unter diesen Umständen als eine Demonstration am untauglichen Objekt.