BGE 119 IA 46 vom 12. März 1993

Datum: 12. März 1993

Artikelreferenzen:  Art. 46 Abs. 2 BV

BGE referenzen:  120 IA 349, 121 I 14, 133 I 19 , 104 IA 261, 116 IA 130, 101 IA 388, 111 IA 123, 97 I 41, 97 I 41

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

119 Ia 46


9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. März 1993 i.S. Eheleute X. gegen Kanton Aargau und Gemeindesteuerkommission Y. (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 46 Abs. 2 BV ; Änderung der für die interkantonale Steuerausscheidung massgebenden Verhältnisse.
1. Beim Erwerb einer ausserkantonalen Liegenschaft darf der Kanton der gelegenen Sache die Liegenschaft und deren Ertrag vom ersten Tag an besteuern; der Wohnsitzkanton, der das in die neue Liegenschaft investierte Vermögen und seinen Ertrag steuerlich für eine längere Veranlagungsperiode bereits erfasst hat, ist zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung von Bundesrechts wegen verpflichtet, eine Zwischenveranlagung vorzunehmen (Bestätigung der Rechtsprechung, E. 3).
2. Sofern durch den Erwerb der Liegenschaft der proportionale Anteil der gesamten Schulden an den gesamten Aktiven gestiegen ist, hat der Wohnsitzkanton einen verhältnismässigen Anteil an den gesamten bisherigen und neuen Schulden und Schuldzinsen zu übernehmen (E. 4 und 5).
3. Zur Bestimmung des Steuersatzes darf der Wohnsitzkanton auf die Werte gemäss bisheriger Veranlagung abstellen (E. 6).

Sachverhalt ab Seite 47

BGE 119 Ia 46 S. 47
Die Eheleute X. haben ihr ordentliches Steuerdomizil in Y. (Kanton Aargau). Am 1. September 1987 erwarb Frau X. in Zürich eine Liegenschaft. Fr. 150'000.-- brachte sie aus eigenen Mitteln auf (Wertschriften, Sparguthaben), die Fremdfinanzierung belief sich auf Fr. 400'000.--.
Auf den 1. September 1987 nahm das Gemeindesteueramt Y. eine Zwischeneinschätzung wegen Änderung der für die interkantonale Steuerausscheidung massgebenden Verhältnisse vor (§ 57 Abs. 1 lit. c des Aargauer Steuergesetzes vom 13. Dezember 1983). Dabei berechnete es bei unveränderter Fortführung der Vergangenheitsbemessung die Quoten neu. Das im Kanton steuerbare Vermögen reduzierte es um die weggefallenen Wertschriften, Sparguthaben usw. (Fr. 150'000.--), das steuerbare Einkommen um den daraus erzielten Ertrag (Fr. 3'000.--). Die bei Beginn der Steuerperiode am 1. Januar 1987 vorhanden gewesenen Schulden und darauf geschuldeten Zinsen verlegte es proportional gemäss der neuen Lage der bisherigen Aktiven (Aargau: Fr. 588'569.--; Zürich: Fr. 150'000.--). Das Gesamtvermögen und Gesamteinkommen liess es aufgrund der Vergangenheitsbemessung unverändert. Die im Zusammenhang mit dem Erwerb der Liegenschaft aufgenommenen neuen Schulden und die darauf geschuldeten Schuldzinsen blieben unberücksichtigt. Wie die Steuerpflichtigen behaupten, haben sie zufolge dieser Veranlagung ab 1. September 1987 mehr als ihr
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gesamtes Reinvermögen und Reineinkommen zu versteuern, weil die neuen Schulden und Schuldzinsen das im Kanton Zürich steuerbare Vermögen und seinen Ertrag übersteigen.
Eine Einsprache mit dem Begehren, dass die mit dem Erwerb der ausserkantonalen Liegenschaft verbundene höhere Verschuldung "unverzüglich und vollständig" berücksichtigt werde, wies die Steuerkommission Y. am 23. Oktober 1991 ab. Sie hob hervor, Anlass für die Zwischenveranlagung bildeten hier nicht veränderte finanzielle Verhältnisse beim Steuerpflichtigen, sondern eine Änderung der interkantonalen Abgrenzung. Nur wenn die Verlegung von Vermögen und Einkommen in einen andern Kanton mit einem Ereignis verbunden sei, das auch innerkantonal einen Zwischenveranlagungsgrund darstelle, sei der Übergang von der Vergangenheits- zur Gegenwartsbemessung (mit Neuberechnung des Gesamtvermögens und Gesamteinkommens) zulässig. Deshalb habe hier der Kauf der ausserkantonalen Liegenschaft lediglich zur Folge, dass die Quoten, nicht aber die Gesamtfaktoren neu zu berechnen seien.
Hiegegen führen die Steuerpflichtigen staatsrechtliche Beschwerde wegen Doppelbesteuerung ( Art. 46 Abs. 2 BV ). Sie beantragen, den Entscheid des Kantons Aargau aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Steuerkommission Y. zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Es ist ein seit langem geltender und allgemeiner Grundsatz des interkantonalen Steuerrechts, dass Liegenschaften und der daraus fliessende Ertrag der Steuerhoheit des Kantons der gelegenen Sache unterliegen ( BGE 116 Ia 130 mit Hinweisen). Befindet sich eine Liegenschaft ausserhalb des Kantons, in dem der Steuerpflichtige sein primäres Steuerdomizil hat, so ist daher eine Steuerausscheidung zwischen dem Wohnsitzkanton und dem Liegenschaftskanton vorzunehmen. Das Bundesgericht ist stets davon ausgegangen, dass beim Erwerb einer Liegenschaft der Kanton der gelegenen Sache die Besteuerungsbefugnis vom ersten Tag an in Anspruch nehmen kann, an dem der Steuerpflichtige über die Liegenschaft verfügt. Der Steuerausscheidung ist dabei nötigenfalls mit einer Zwischentaxation Rechnung zu tragen, auch wenn nach der Gesetzgebung des Wohnsitzkantons eine solche nicht vorgesehen ist. Lehnt es der
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Wohnsitzkanton ab, die Verminderung beim Vermögen und Einkommen auf den Zeitpunkt des Erwerbs im Liegenschaftskanton zu berücksichtigen, indem er den Steuerpflichtigen ganzjährlich für das bisherige Vermögen besteuert, verletzt er daher das Verbot der Doppelbesteuerung ( BGE 101 Ia 388 E. 4b; Urteile vom 12. Mai 1987 und 9. Oktober 1963 in ASA 57 S. 396 E. 2c und ASA 33 S. 61 E. 5). Gegen diese Grundsätze hat jedoch der Kanton Aargau nicht verstossen. Er hat auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Liegenschaft im Kanton Zürich eine Zwischentaxation durchgeführt und dabei berücksichtigt, dass das in der Liegenschaft investierte Eigenkapital (Fr. 150'000.--) und sein Ertrag (Fr. 3'000.--) ab dem 1. September 1987 im Kanton Aargau nicht mehr zur Verfügung stehen. Eine Verletzung von Art. 46 Abs. 2 BV kann dem Kanton Aargau insofern nicht vorgeworfen werden. Das ist im Grunde unbestritten.

4. Die Beschwerdeführer machen vielmehr geltend, dass in beiden Kantonen zusammen sämtliche Schulden und Schuldzinsen zu berücksichtigen seien. Sie haben zudem dargetan, dass sich infolge des Erwerbs der ausserkantonalen Liegenschaft ihr Verschuldungsgrad, d.h. das Verhältnis der gesamten Schulden zu den gesamten Aktiven, vergrössert hat und dass sie aufgrund der angefochtenen Veranlagung ab 1. September 1987 mehr als ihr gesamtes Reinvermögen und Reineinkommen zu versteuern haben, weil das im Kanton Zürich vorhandene Nettovermögen und Nettoeinkommen nicht ausreicht, um davon sämtliche Schulden und Schuldzinsen abziehen zu können. Sie haben das bereits im kantonalen Verfahren vorgetragen, ohne dass es von der Steuerverwaltung in Frage gestellt worden wäre. Auch wenn das Kantonale Steueramt zu dieser Behauptung nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, muss doch davon ausgegangen werden, dass es sich so verhält.
a) Grundsätzlich kann ein Steuerpflichtiger, der zwei Kantonen mit Reinvermögenssteuer und Reineinkommenssteuer angehört, beanspruchen, dass beide Kantone zusammen sämtliche Schulden und Schuldzinsen abziehen (LOCHER, Doppelbesteuerungsrecht, § 9, I A, 1 Nr. 17). Nach ständiger Rechtsprechung werden Schulden und Schuldzinsen als eine besondere Belastung des Vermögens und des daraus fliessenden Ertrages betrachtet; sie sind daher bei Privatpersonen quotenmässig, im Verhältnis der in den einzelnen Kantonen gelegenen Aktiven, zu verlegen ( BGE 111 Ia 123 E. 2a, BGE 104 Ia 261 E. 4b). Diese Regel muss nicht nur dann beachtet werden, wenn im Rahmen einer ordentlichen Haupteinschätzung eine Steuerausscheidung durchzuführen ist,
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sondern schon dann, wenn der Steuerpflichtige im Laufe des Jahres ausserhalb des Wohnsitzkantons eine Liegenschaft erwirbt und sich dadurch das Verhältnis der gesamten Schulden zu den gesamten Aktiven erhöht. Würden in einem solchen Fall nicht auch der Wohnsitzkanton oder die bisherigen Kantone im Rahmen der bundesrechtlich vorgeschriebenen Steuerausscheidung verpflichtet, einen proportionalen Anteil an den gesamten Schulden zu übernehmen, so hätte der Kanton der neuen Liegenschaft mehr als einen proportionalen Anteil an den gesamten Schulden zu tragen. Der Grundsatz der proportionalen Schulden- und Schuldzinsenverlegung wie auch die weitere doppelbesteuerungsrechtliche Regel, wonach der Kanton der gelegenen Sache das Grundeigentum vom ersten Tag an besteuern darf und dieses ihm zur ausschliesslichen Besteuerung zusteht, wären damit verletzt. In einem solchen Fall sind daher auch die bisherigen Kantone zu verpflichten, einen quotenmässigen Anteil an den gesamten Schulden zu übernehmen.
Diese Regel wurde zwar vom Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht ausdrücklich aufgestellt, sie ergibt sich aber schon aus den genannten doppelbesteuerungsrechtlichen Grundsätzen und entspricht auch der von HÖHN (Interkantonales Steuerrecht, 2. Auflage 1989, S. 341 ff., besonders Rz. 36) vertretenen Lehrmeinung. Sie ist immer dann zu beachten, wenn sich infolge des Erwerbs der ausserkantonalen Liegenschaft der Verschuldungsgrad erhöht. Wie zu entscheiden wäre, wenn das Verhältnis der Schulden zu den Aktiven infolge des Erwerbs der ausserkantonalen Liegenschaft nicht gestiegen wäre, kann hier offenbleiben, weil sich durch den Kauf der Liegenschaft im Kanton Zürich die Beschwerdeführer verhältnismässig höher verschuldet haben.
b) Die Beschwerdeführer können somit verlangen, dass der Wohnsitzkanton dem mit dem Erwerb der ausserkantonalen Liegenschaft gestiegenen Verschuldungsgrad Rechnung trägt und einen proportionalen Anteil an den Gesamtschulden übernimmt. Indem der Kanton Aargau bei seiner Steuerausscheidung auf den 1. September 1987 die für den Kauf der Liegenschaft aufgewendeten fremden Mittel und die darauf geschuldeten Zinsen nicht berücksichtigt, verletzt er Art. 46 Abs. 2 BV . Die Rüge wegen Doppelbesteuerung ist insoweit begründet und der angefochtene Einspracheentscheid der Steuerkommission Y. aufzuheben.
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5. Die Steuerkommission Y. wird für die Zeit ab 1. September 1987 eine neue Steuerausscheidung vornehmen müssen. Dabei hat sie sich an die bundesrechtlichen Grundsätze über die Verlegung der Schulden und Schuldzinsen zu halten. Nach der Regel, dass Schulden quotenmässig, im Verhältnis der jedem Kanton zugehörigen Aktiven, aufzuteilen sind, hat jeder Kanton einen dem Verhältnis der Aktiven entsprechenden Anteil an den gesamten Schulden zu übernehmen. Die bei Beginn der Steuerperiode vorhandenen und die neuen Schulden sind somit nach Lage der gesamten (bisherigen und neuen) Aktiven am 1. September 1987 zu verteilen.
Das gilt grundsätzlich auch für die Schuldzinsen. Diese sind entsprechend dem von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsatz ( BGE 104 Ia 261 ) als besondere Belastung des Vermögens im Verhältnis der jedem Kanton zugehörigen Aktivwerte zu verlegen, und zwar nach Lage der Aktiven am 1. September 1987. Soweit der auf den Kanton Zürich entfallende Anteil grösser ist als der dort steuerbare Vermögensertrag, ist der nicht gedeckte Teil vom Kanton Aargau zu übernehmen. Damit wird der weiteren bundesrechtlichen Regel Rechnung getragen, dass ein allfälliger Schuldzinsenüberschuss in einem Kanton in erster Linie von jenen übrigen Kantonen zu tragen ist, die noch über Kapitalertrag verfügen, und in zweiter Linie vom übrigen Einkommen abzuziehen ist ( BGE 66 I 41 ; vgl. auch BGE 97 I 41 E. 2).
An sich müsste zwar bei den Schuldzinsen unterschieden werden, ob sie die bisherigen oder die mit dem Erwerb der Liegenschaft neu eingegangenen Schuldverpflichtungen betreffen. Zinsen für bisherige Schulden müssten auf die bisherigen und Zinsen für die neuen Schulden auf diese verlegt werden (so auch der Vorschlag HÖHNS, a.a.O., S. 345 f. Rz. 39). Dieses Vorgehen mag dann angezeigt sein, wenn die Zinssätze für die alten und neuen Schulden wesentlich voneinander abweichen. Bei nur geringfügigen Unterschieden muss es den Steuerbehörden aus Gründen der Praktikabilität aber gestattet sein, die Gesamtheit der bisherigen und neuen Schuldzinsen nach Lage der gesamten bisherigen und neuen Aktiven zu verlegen.

6. Für die Bestimmung des Steuersatzes darf der Kanton Aargau auf die Werte gemäss bisheriger Veranlagung, d.h. auf das zu Beginn der Steuerperiode im Kanton steuerbare Vermögen und Einkommen, abstellen. Unter Berufung auf das Urteil des Bundesgerichts vom 30. November 1988 (ASA 59 S. 275 ff.)
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machen die Beschwerdeführer demgegenüber geltend, der Kanton Aargau habe generell zur Gegenwartsbemessung überzugehen. In diesem Entscheid ging es um die Veräusserung von ausserkantonalen Liegenschaften. Das Bundesgericht hat festgehalten, dass die Zwischenveranlagung, die der Wohnsitzkanton bei der Veräusserung einer Liegenschaft in einem andern Kanton vornehme, das Schlechterstellungsverbot nicht verletze, auch wenn der damit verbundene Übergang von der Vergangenheitsbemessung zur Gegenwartsbemessung eine steuerliche Mehrbelastung für den Steuerpflichtigen zur Folge habe (vgl. ASA 59 S. 278). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer hat das Bundesgericht aber nicht festgestellt, dass dann, wenn Grundeigentum in einem anderen Kanton veräussert werde, der Wohnsitzkanton vom Standpunkt des Bundesrechts aus zu einer Zwischenveranlagung mit Gegenwartsbemessung verpflichtet sei. Aus diesem Urteil kann somit nicht abgeleitet werden, bei der bundesrechtlich vorgeschriebenen Steuerausscheidung wegen Begründung (oder Aufgabe) eines Nebensteuerdomizils dürfe der Wohnsitzkanton nicht an die bisherige Veranlagung anknüpfen (vgl. aus der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch das Urteil vom 5. Mai 1976, ASA 46 S. 462). Das gilt für die Bestimmung des Steuersatzes in gleicher Weise. Unter dem Gesichtswinkel des Art. 46 Abs. 2 BV ist es deshalb nicht zu beanstanden, wenn der Kanton Aargau für das satzbestimmende Vermögen und Einkommen auf seine bisherige Veranlagung abstellt, auch wenn ein aufgrund der neuen Gesamtfaktoren bemessener Steuersatz für die Beschwerdeführer günstiger wäre.

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