BGE 119 II 177 vom 27. April 1993

Datum: 27. April 1993

Artikelreferenzen:  Art. 1 IPRG, Art. 5 IPRG, Art. 176 IPRG, Art. 196 IPRG, Art. 1 ZGB , Art. 5 Abs. 1 und Art. 196 IPRG, Art. 196 IPRG, Art. 196 Abs. 2 IPRG, Art. 5 Abs. 1 Satz 3 IPRG, Art. 5 und Art. 196 IPRG, Art. 196 Abs. 1 IPRG, Art. 1 SchlT ZGB, Art. 176 ff. IPRG, Art. 5 Abs. 2 IPRG, Art. 1 Abs. 1 und 2 IPRG, Art. 43 Abs. 1 und Art. 43a Abs. 2 OG, Art. 43a Abs. 1 lit. a OG

BGE referenzen:  115 II 390, 116 II 625, 123 III 35, 126 III 492, 129 III 295 , 118 II 350, 115 II 101, 115 II 390, 89 I 69, 116 II 625, 116 II 625

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

119 II 177


36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. April 1993 i.S. X. AG gegen A., B. und C. (Berufung)

Regeste

Internationales Privatrecht; Übergangsrecht; Gerichtsstandsvereinbarung ( Art. 5 Abs. 1 und Art. 196 IPRG ).
1. Die Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung unterstehen dem neuen Kollisionsrecht, soweit sie nach dem 1. Januar 1989 eingetreten sind ( Art. 196 IPRG ; E. 3b).
2. Ein nach Art. 5 Abs. 1 IPRG vereinbarter Gerichtsstand ist ausschliesslich, sofern die Vereinbarung keinen Vorbehalt zugunsten eines subsidiären Gerichtsstands enthält (E. 3d und e).

Sachverhalt ab Seite 178

BGE 119 II 177 S. 178
Am 19. August 1987 gewährte die M. Holding Anstalt in Vaduz A., B. und C. (Beklagte) je ein verzinsliches Darlehen, rückzahlbar in drei Raten per 30. Juni 1989, 30. Juni 1990 und 30. Juni 1991. Als Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus den Darlehensverträgen wurde Vaduz bestimmt und liechtensteinisches Recht anwendbar erklärt.
Mit schriftlicher Zessionserklärung vom 10. April 1990 trat die Darlehensgeberin die per 30. Juni 1990 fälligen Rückforderungen samt Zins für die Zeit vom 1. Juli 1989 bis 30. Juni 1990 an die X. AG (Klägerin) ab.
Am 23. Mai 1990 klagte die X. AG vor Bezirksgericht Oberrheintal gegen A., B. und C. auf Rückzahlung der noch ausstehenden Darlehensbeträge.
Dieses hiess mit Urteil vom 20. August/10. Dezember 1991 die Klage teilweise gut. Auf Berufung der Beklagten beschloss das Kantonsgericht St. Gallen am 8. Oktober 1992, auf die Klage nicht einzutreten, da ausschliesslicher Gerichtsstand Vaduz sei.
Das Bundesgericht weist eine Berufung der Klägerin ab, soweit es darauf eintritt.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Die Klägerin rügt eine Verletzung von Art. 5 und Art. 196 IPRG . Die Vorinstanz weiche zu Unrecht vom Grundsatz der Nichtrückwirkung gemäss Art. 196 Abs. 1 IPRG und Art. 1 SchlT ZGB ab und gehe fälschlicherweise von einem auf Dauer angelegten Rechtsvorgang im Sinn von Art. 196 Abs. 2 IPRG aus. Sie übersehe dabei, dass es vorliegend nur um die Auslegung eines vor Inkrafttreten des IPRG abgeschlossenen Vertrags gehe, auf welchen das neue Recht keine Anwendung finde. Ebenso sei Art. 5 Abs. 1 Satz 3 IPRG nicht anwendbar.
a) Art. 196 IPRG enthält in Abs. 1 ein grundsätzliches Verbot der Rückwirkung des neuen Kollisionsrechts auf Sachverhalte und
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Rechtsvorgänge, die noch unter altem Recht entstanden und abgeschlossen sind. Demgegenüber unterstellt Abs. 2 neuem Recht jene Sachverhalte und Rechtsvorgänge, die zwar vor seinem Inkrafttreten entstanden, jedoch auf Dauer angelegt sind. Wie das Bundesgericht in BGE 118 II 350 E. 2c ausführt, gibt diese Bestimmung insofern Probleme auf, als sie die Meinung aufkommen lassen könnte, es habe bei Dauerschuldverhältnissen ausnahmslos eine Aufspaltung der Anknüpfung für die Zeit vor dem Inkrafttreten des IPRG und diejenige nach ihm stattzufinden. Wie es sich damit verhält, braucht vorliegend nur in bezug auf die Gerichtsstandsvereinbarung geprüft zu werden.
b) Das Bundesgericht hatte sich bis anhin zur Frage des anwendbaren Rechts hinsichtlich einer Gerichtsstandsvereinbarung, die vor dem 1. Januar 1989 abgeschlossen wurde, aber erst nach diesem Datum zum Tragen kommt, noch nie zu äussern. Die gleiche Problematik stellt sich indessen auch bei Schiedsabreden. Dazu wird mehrheitlich anerkannt, dass die Übergangsbestimmungen von Art. 196 ff. IPRG - unter Beizug des bestehenden bundesrechtlichen Übergangsrechts zur Auslegung der unklar formulierten IPRG-Übergangsbestimmungen ( BGE 115 II 101 ) - auch auf das 12. Kapitel des IPRG über die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit ( Art. 176 ff. IPRG ) Anwendung finden (vgl. etwa BUCHER, Die neue internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, S. 33 N. 66; KNOEPFLER/SCHWEIZER, Précis de droit international privé suisse, S. 245 N. 800 ff.).
Nach WENGER (Welchem Recht unterstehen die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des IPR-Gesetzes hängigen Schiedsverfahren? ASA 6/1988, S. 309 ff., 310) gehören Schiedsabreden, die vor dem Inkrafttreten des IPRG abgeschlossen worden sind, im Sinn von Art. 196 Abs. 2 IPRG zu den vor Inkrafttreten dieses Gesetzes entstandenen, aber auf Dauer angelegten Sachverhalten resp. Rechtsvorgängen. die Entstehung und Wirkung solcher Vereinbarungen richten sich bis zum Inkrafttreten des IPRG nach bisherigem, danach jedoch nach neuem Recht ( Art. 196 Abs. 2 IPRG ; in diesem Sinn auch BUCHER, a.a.O., S. 34 N. 68 und 70; BLESSING, Intertemporales Recht zum 12. Kapitel IPRG, ASA 6/1988, S. 320 ff., 324, 339; POUDRET, Arbitrage international - Droit transitoire, ASA 6/1988, S. 304 f.; ROSSEL, Le champ d'application dans le temps des règles sur l'arbitrage international contenues dans le chapitre 12 de la loi fédérale sur le droit international privé, ASA 6/1988, S. 292 ff., 301; SCHNYDER, Das neue IPR-Gesetz, 2. Aufl. 1990, S. 151 f.). Dieser Ansicht ist zuzustimmen;
BGE 119 II 177 S. 180
sie steht auch nicht in Widerspruch zum übrigen Übergangsrecht. Insbesondere scheint es sachgerecht, die Gültigkeit von Schiedsabreden von deren Wirkungen zu trennen, wenn die Abrede vor dem 1. Januar 1989 abgeschlossen worden ist, aber erst nach diesem Datum zur konkreten Anwendung gelangt. Die gleichen Grundsätze hat das Bundesgericht auch in BGE 115 II 390 ff. angewendet.
Was für die Schiedsabrede übergangsrechtlich gilt, hat folglich auch für die Gerichtsstandsvereinbarung zu gelten. Demnach richtet sich die Frage der Gültigkeit einer Vereinbarung (etwa Konsens, Willensmängel und persönliche Voraussetzungen zum Abschluss einer gültigen Gerichtsstandsvereinbarung; dazu HANS REISER, Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem IPR-Gesetz, Diss. Zürich 1989, S. 66 ff.) nach altem Recht, das heisst dem Recht im Zeitpunkt der Vereinbarung. Die Folgewirkungen dieses Singulärereignisses unterstehen dem neuen Recht, soweit sie sich nach dem 1. Januar 1989 verwirklicht haben. Zu diesen Wirkungen gehört auch die Frage nach dem Inhalt der Gerichtsstandsvereinbarung, insbesondere jene, ob der vereinbarte Gerichtsstand ausschliesslich sei oder nicht.
c) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist die Gerichtsstandsvereinbarung in Ziff. 6 Abs. 1 der Darlehensverträge vom 19. August 1987 gültig zustande gekommen. Danach haben die Parteien vereinbart, Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesen Verträgen sei Vaduz.
Das Kantonsgericht wendet nun zu Recht das neue IPRG an. Wesentlich ist, dass die Wirkungen der 1987 abgeschlossenen Vereinbarung erst nach dem 1. Januar 1989 eingetreten sind: Die Klage wurde im Mai 1990 vor dem derogierten Gericht anhängig gemacht, was die Beklagten veranlasste, die Unzuständigkeitseinrede zu erheben. Dass die Gerichtsstandsvereinbarung ungültig sei, wird von den Parteien nicht geltend gemacht. Entgegen der Auffassung der Klägerin beurteilt sich die Gerichtsstandsvereinbarung kollisionsrechtlich unabhängig vom Darlehensvertrag und steht nicht im Zusammenhang mit der übrigen Vertragsauslegung. Vorliegend traten deren Wirkungen erst 1990 mit der Klageeinleitung ein, weshalb neues Recht massgebend ist.
d) Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 IPRG ist das vereinbarte Gericht ausschliesslich zuständig, sofern aus der Gerichtsstandsvereinbarung nichts anderes hervorgeht. Eine Prorogation ist aber nur insoweit zulässig, als sie einer Partei einen Gerichtsstand des schweizerischen Rechts nicht missbräuchlich entzieht ( Art. 5 Abs. 2 IPRG ; HABSCHEID, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht,
BGE 119 II 177 S. 181
2. Aufl. 1990, S. 128 N. 233; SCHNYDER, a.a.O., S. 24 Ziff. 4; KNOEPFLER/SCHWEIZER, a.a.O., S. 198 N. 612 und 614; REISER, a.a.O., S. 111 ff.). Nach herrschender Ansicht regelt Art. 5 Abs. 1 IPRG neben der Prorogation eines schweizerischen Gerichts auch die Derogation, das heisst die Vereinbarung der Unzuständigkeit eines international zuständigen schweizerischen Gerichts (HABSCHEID, a.a.O., S. 128 N. 233; VON OVERBECK, Les élections de for selon la loi fédérale sur le droit international privé du 18 décembre 1987, FS Max Keller, Zürich 1989, S. 616). Anderer Ansicht ist REISER (a.a.O., S. 25); danach statuiere Art. 5 Abs. 1 IPRG einzig die Prorogation, wogegen die Derogation sich aus Art. 1 Abs. 1 und 2 IPRG e contrario ergebe. Dass Art. 5 Abs. 1 IPRG ebenfalls die Derogation erfasst, ergibt sich implizite auch aus der Botschaft zum neuen IPRG. Artikel 5 sei hinsichtlich der Vereinbarung einer ausländischen Behörde insoweit von Bedeutung, als das allenfalls (fälschlicherweise) angerufene schweizerische Gericht seine Zuständigkeit gestützt auf diese Bestimmung ablehnen könne (Botschaft zum IPR-Gesetz vom 10. November 1982, BBl 1983 I 263ff., 301). Dass neben dem prorogierten Gericht subsidiär auch die Zuständigkeit des natürlichen Richters des Beklagten gegeben sein soll, sei ausdrücklich zu vereinbaren (BBl 1983 I 301). Indem der Gesetzgeber das vereinbarte Gericht als ausschliesslich zuständig bezeichnet, wendet er sich gegen die altrechtliche Praxis, wonach in Zweifelsfällen der ordentliche Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten nicht ausgeschlossen war ( BGE 89 I 69 ; dazu auch GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 105 Anm. 100; VON OVERBECK, a.a.O., S. 612, 619; vgl. auch GABRIELLE KAUFMANN-KOHLER, La clause d'élection de for dans les contrats internationaux, Diss. Basel 1979, S. 105 f., 110 f.). Die Unsicherheit über den massgeblichen Gerichtsstand bei einer Gerichtsstandsvereinbarung wurde damit beseitigt, ebenso jene über die Zulässigkeit der Prorogation eines Gerichtsstands. Diese beurteilte sich unter dem Regime des alten Rechts nach kantonalem Recht, selbst dann, wenn ein dispositiver Gerichtsstand des Bundesrechts wegbedungen wurde oder Streitverhältnisse einen internationalen Bezug aufwiesen ( BGE 116 II 625 mit weiteren Hinweisen; VON OVERBECK, a.a.O., S. 611).
Wird nun das derogierte Gericht angerufen und unter Berufung auf die Prorogation die Unzuständigkeitseinrede erhoben, so hat dieses nach seinem eigenen Recht darüber zu entscheiden, ob die Derogation zulässig gewesen und wirksam erfolgt ist (WALDER, Einführung in das Internationale Zivilprozessrecht der Schweiz, § 5
BGE 119 II 177 S. 182
N. 24; GULDENER, a.a.O., S. 96). Bei fehlender Zuständigkeit darf auf die Sache nicht eingetreten werden (SCHWANDER, Einführung in das internationale Privatrecht, 2. Aufl. 1990, S. 316 Rz. 676).
e) Nach dem Gesagten betrachtet das Kantonsgericht die Gerichtsstandsvereinbarung zu Recht als ausschliesslich im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 IPRG . die Vereinbarung entspricht der üblichen Formulierung und enthält keinen Vorbehalt zugunsten eines subsidiären Gerichtsstands am Wohnsitz des Beklagten. Es geht unter dem Regime des IPRG nicht an anzunehmen, im Fall einer gültigen Gerichtsstandsvereinbarung könne die Klage gleichwohl am ordentlichen Gerichtsstand erhoben werden. Die Rüge der Klägerin ist daher unbegründet.
Die Voraussetzungen, unter denen eine ausländische Behörde die Prorogation annimmt, richten sich nach der betreffenden lex fori (BBl 1983 I 301). Ob die Gerichtsstandsvereinbarung nach liechtensteinischem Recht gültig ist und dessen Formerfordernissen entspricht, ist vom Bundesgericht in einem Berufungsverfahren über vermögensrechtliche Streitigkeiten nicht zu prüfen ( Art. 43 Abs. 1 und Art. 43a Abs. 2 OG ). Die Klägerin macht auch nicht geltend, der angefochtene Entscheid wende nicht ausländisches Recht an, wie es das internationale Privatrecht vorschreibe ( Art. 43a Abs. 1 lit. a OG ).

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