Urteilskopf
119 II 232
47. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Juni 1993 i.S. X. gegen Y. (Berufung)
Regeste
Rechtzeitigkeit der Erfüllung einer Geldschuld mittels Postanweisung (
Art. 74 OR
); Rechtsmissbrauch (
Art. 2 Abs. 2 ZGB
).
1. Bei Begleichung einer Geldschuld durch einen Erfüllungsgehilfen wie bspw. die Post darf der Gläubiger nicht schlechter gestellt sein als bei Barzahlung. Die Erfüllung erfolgt deshalb nur rechtzeitig, wenn der entsprechende Auftrag so frühzeitig erteilt wird, dass der Zahlungsvorgang bei Ablauf der Zahlungsfrist erledigt ist. Dieser Grundsatz gilt auch für den Bereich des Mietrechts (E. 2).
2. Ein Vermieter verhält sich nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er nach Entgegennahme verspäteter Mietzinszahlungen das Mietverhältnis wegen Zahlungsversäumnis auflöst (E. 3).
Mit Vertrag vom 22. März 1991 mietete X. von Y. das Restaurant Z. in Luzern für die Zeit vom 1. Oktober jenes Jahres bis zum 30. September 1993. Den jährlichen Mietzins setzten die Parteien auf Fr. 245'000.-- zuzüglich Fr. 12'000.-- a conto Nebenkosten fest, zahlbar in vorschüssigen monatlichen Raten von Fr. 21'417.-- jeweils auf den ersten Tag des Monats.
Am 9. Dezember 1992 mahnte Y. seinen Mieter mit eingeschriebenem Brief für den verfallenen Dezember-Mietzins und setzte ihm eine Nachfrist von 30 Tagen zur Bezahlung des Ausstandes an. Gleichzeitig drohte er X. an, das Mietverhältnis nach Fristablauf zu kündigen. Das betreffende Schreiben wurde dem Mieter am 10. Dezember ausgehändigt. Die dreissigtägige Zahlungsfrist endete am Montag, den 11. Januar 1993. Am Abend jenes Tages erstattete X. den geschuldeten Dezember-Mietzins mittels Postanweisung an die Wohnadresse des Gläubigers; die Zahlung ging Y. erst am 13. Januar zu. Gestützt auf
Art. 257d Abs. 2 OR
kündigte der Vermieter
BGE 119 II 232 S. 234
das Mietverhältnis am 3. Februar auf den 31. März 1993. Wegen verspäteter Bezahlung des Januar-Mietzinses kündigte er X. am 12. Februar ein zweites Mal. Am gleichen Tag verlangte er die Ausweisung des Mieters. Einen knappen Monat später sprach er ferner eine vorsorgliche Kündigung wegen Nichtbezahlens des Februar-Mietzinses auf den 30. April aus.
Mit Entscheid vom 12. März 1993 stellte das Amtsgericht fest, dass das Mietverhältnis aufgrund der Kündigung des Vermieters vom 3. Februar per 31. März nach Massgabe von
Art. 257d OR
rechtsgültig aufgelöst sei, und befahl dem Beklagten, das Mietobjekt bis zum 1. April zu verlassen. Das Obergericht des Kantons Luzern bestätigte am 27. April 1993 dieses Urteil und entschied, X. habe das Mietobjekt bis zum 17. Mai zu verlassen.
X. führt staatsrechtliche Beschwerde und beantragt Aufhebung des angefochtenen Entscheids.
Y. und das Obergericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht nimmt die Beschwerde als Berufung entgegen und weist sie ab.
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beklagte bringt vor, er habe den Mietzins für die Monate Dezember und Januar rechtzeitig bezahlt. Somit habe kein Grund für eine ausserordentliche Kündigung bestanden.
Gemäss den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen haben die Parteien die Zahlungsmodalitäten nicht näher geregelt. Nach Angaben des Beklagten, welche vom Kläger ausdrücklich anerkannt wurden, überwies jener die Zinse jeweils mit einem Vergütungsauftrag der Bank. Es ist deshalb mit dem Obergericht und den Parteien von einem entsprechenden stillschweigenden Übereinkommen auszugehen. Dies bedeutet nun allerdings nicht, dass der Schuldner nicht eine andere Zahlungsart hätte wählen dürfen. Es stellt sich aber die Frage, wie eine solche hinsichtlich der Fristenwahrung zu handhaben ist.
Nach
Art. 74 OR
sind Geldschulden Bringschulden. Der Schuldner hat die Leistung am Wohnort oder am Geschäftssitz des Gläubigers zu erbringen. Ist Barzahlung geschuldet, so erfüllt er nur rechtzeitig, wenn er seinem Gläubiger an jenem Ort den betreffenden Betrag spätestens am letzten Tag der Zahlungsfrist übergibt oder übergeben lässt. Entscheidend ist somit, dass der Gläubiger zum vereinbarten Erfüllungszeitpunkt über das Geld verfügen kann.
BGE 119 II 232 S. 235
Bedient sich der Schuldner eines Erfüllungsgehilfen, wie beispielsweise der Post, so darf der Gläubiger nicht schlechter gestellt sein als bei Barzahlung. Der Schuldner hat mit anderen Worten dafür zu sorgen, dass das Geld rechtzeitig in dessen Verfügungsbereich gelangt. Der entsprechende Auftrag muss so frühzeitig erteilt werden, dass der Zahlungsvorgang im Zeitpunkt des Ablaufs der Zahlungsfrist erledigt ist.
Bis zu diesem Zeitpunkt trägt der Schuldner die Verlust- und Verzögerungsgefahr (OR-LEU, Art. 74 N. 6; BK-WEBER, N. 125 zu
Art. 74 OR
; ZK-SCHRANER, N. 102 zu
Art. 74 OR
; BUCHER, OR Allg. Teil 2. Aufl. S. 304 Ziff. 4; für Einzelfragen zur Erfüllung durch bargeldlose Überweisung, GAUCH/SCHLUEP, Bd. II 5. Aufl. Rz. 2351 ff.).
Diese Grundsätze des Allgemeinen Teils des OR haben, da keine Gründe für eine Ausnahme sprechen, auch für den Bereich des Mietrechts Gültigkeit. Dabei ergibt sich ohne weiteres, dass eine am Abend des letzten Tages der Zahlungsfrist erteilte Postanweisung - im Gegensatz etwa zur direkten Übergabe des Geldes an den Gläubiger - den Anforderungen an die Rechtzeitigkeit einer Zahlung nicht zu genügen vermag. Ob der Vermieter früher allenfalls verspätete Mietzinszahlungen mittels Überweisungsauftrag annahm, kann hier offengelassen werden, da der Beklagte hinsichtlich des Dezember- und des Januar-Mietzinses von sich aus eine andere Zahlungsart gewählt und die Konsequenzen dieses Vorgehens selbst zu tragen hat.
Da bei diesem Ergebnis bereits die am 3. Februar ausgesprochene ausserordentliche Kündigung gültig ist, kann auf die Beurteilung der Frage, ob eine am zweitletzten Tag erteilte Postanweisung als rechtzeitig erfolgte Zahlung im Sinne der vorinstanzlichen Erwägungen zu betrachten sei, verzichtet werden.
3.
Ebenfalls nicht durchzudringen vermag der Beklagte mit seinem Vorbringen, der Kläger verhalte sich rechtsmissbräuchlich, wenn er sich nach Entgegennahme der Zahlungen darauf berufe, diese seien verspätet erfolgt. Mit seiner Argumentation scheint der Beklagte zu verkennen, dass ein Vermieter auch dann Anspruch auf die (verbleibenden) Mietzinse hat, wenn er das Mietverhältnis wegen Zahlungsversäumnis auflöst. Nimmt er die verspäteten Mietzinszahlungen an, macht er sich deshalb keineswegs eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens schuldig.