Urteilskopf
119 II 64
14. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Februar 1993 i.S. X. gegen X. (Berufung)
Regeste
Ehescheidung; Gerichtsstand bei internationaler Verflechtung (
Art. 59 IPRG
).
Begriff des Wohnsitzes nach
Art. 59 lit. b IPRG
.
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beklagte hält die von der Klägerin angerufenen Gerichte nach wie vor für unzuständig.
a) Im Falle internationaler Verflechtung beurteilt sich die örtliche Zuständigkeit für die Ehescheidung nach
Art. 59 IPRG
. Der Entscheid der Vorinstanz beruht auf der Bestimmung von
Art. 59 lit. b IPRG
, wonach die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Klägers zuständig sind, wenn dieser sich seit einem Jahr in der Schweiz aufhält oder wenn er Schweizer Bürger ist. Mit den angeführten Einschränkungen (Mindestdauer des Wohnsitzes in der Schweiz bzw. Schweizer Bürgerrecht) soll einer missbräuchlichen Verlegung des Wohnsitzes im Hinblick auf die Begründung eines Gerichtsstandes in der Schweiz begegnet werden (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 10. November 1982 zum IPRG, BBl 1983 I S. 357).
b) Strittig ist einzig, ob die Klägerin, die Schweizer Bürgerin ist, im Zeitpunkt der Klageerhebung ihren Wohnsitz in A., d.h. in der Schweiz, gehabt habe.
aa) Im Sinne des IPRG hat eine natürliche Person ihren Wohnsitz in dem Staat, in dem sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält (
Art. 20 Abs. 1 lit. a IPRG
). Wie die Vorinstanz zutreffend bemerkt, deckt sich dieser Begriff wörtlich mit der Umschreibung des Wohnsitzes in
Art. 23 ZGB
. Gemäss Art. 20 Abs. 2 letzter Satz IPRG sind die Bestimmungen des Zivilgesetzbuches über Wohnsitz und Aufenthalt freilich nicht anwendbar; unbeachtlich sind im Geltungsbereich des IPRG somit namentlich die
Art. 24 ff. ZGB
, die verschiedene Fälle fiktiven Wohnsitzes vorsehen. Im internationalen Privatrecht dient der Wohnsitz als Anknüpfungsbegriff zur Ermittlung der Rechtsordnung bzw. des Gerichtsortes, mit denen eine Person und deren Rechtsverhältnisse den engsten Zusammenhang haben (vgl. Sten. Bull. 1985 StR, S. 134; Sten.Bull. 1986 NR, S. 1295). Dieser Umstand schliesst nicht aus, dass bei der Auslegung von
Art. 20 Abs. 1 IPRG
auf die Praxis zu
Art. 23 ZGB
zurückgegriffen wird (vgl. Botschaft, BBl 1983 I S. 316 f.; KNOEPFLER/SCHWEIZER, Précis de droit international privé suisse, S. 147 Rz. 437 ff.). Auch der Beklagte selbst beruft sich übrigens auf Entscheide (
BGE 97 II 1
ff. und
BGE 115 II 120
ff.), die zu
Art. 23 ZGB
ergangen sind.
bb) Wie der Beklagte mit Recht hervorhebt, beurteilt sich die Frage, wo eine Person ihren Wohnsitz habe, nach den objektiven Umständen. Entscheidend ist mit andern Worten, ob die Person den Ort, an dem sie weilt, in einer für Dritte erkennbaren Weise zum Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht hat oder zu machen beabsichtigt (
BGE 97 II 3
f.). Dieser Mittelpunkt ist regelmässig dort zu suchen, wo die familiären Interessen und Bindungen am stärksten lokalisiert sind (Botschaft, BBl 1983 I S. 317). Verlässt - wie hier die Klägerin - ein Gatte den ehelichen Wohnsitz, darf nicht leichthin angenommen werden, er habe am neuen Aufenthaltsort einen neuen, eigenen Wohnsitz begründet; es muss sich ein entsprechender Wille deutlich manifestiert haben (vgl.
BGE 115 II 121
E. a). Besonders im internationalen Verhältnis gilt es zu verhindern, dass einer missbräuchlichen Wohnsitzverlegung - beispielsweise in den Heimatstaat - zur Begründung eines günstigen Gerichtsstandes Vorschub geleistet wird.
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