BGE 119 III 113 vom 22. Dezember 1993

Datum: 22. Dezember 1993

Artikelreferenzen:  Art. 4 BV, Art. 191 SchKG, Art. 194 SchKG, Art. 221 SchKG, Art. 262 SchKG, Art. 265 SchKG , Art. 191 und 230 SchKG, Art. 25 Ziff. 2 SchKG, Art. 230 Abs. 1 SchKG, Art. 262 Abs. 1 SchKG

BGE referenzen:  109 IA 5, 116 II 196, 117 IA 277, 118 III 27, 118 IA 28, 118 III 33, 118 IA 369, 119 III 28, 119 IA 11, 121 I 60, 122 I 8, 122 I 267, 133 III 614 , 118 III 27, 117 IA 277, 118 IA 369, 118 III 33, 119 IA 11, 109 IA 5, 118 IA 28, 116 II 196, 119 III 28, 113 III 116, 119 IA 11, 109 IA 5, 118 IA 28, 116 II 196, 119 III 28, 113 III 116

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

119 III 113


33. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Dezember 1993 i.S. B. gegen Obergericht des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 4 BV , Art. 191 und 230 SchKG ; unentgeltliche Rechtspflege im Konkursverfahren; Kriterium der fehlenden Aussichtslosigkeit bei einer Insolvenzerklärung.
1. Der Schuldner kann im Konkursverfahren zufolge Insolvenzerklärung die unentgeltliche Rechtspflege unter den allgemeinen Voraussetzungen beanspruchen (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2).
2. Erfordernis der fehlenden Aussichtslosigkeit der Insolvenzerklärung im Sinne von Art. 191 SchKG für einen direkt aus Art. 4 BV ableitbaren Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege (E. 3a). Die Insolvenzerklärung ist aussichtslos, wenn feststeht, dass der Schuldner keine Aktiven besitzt. Hingegen kann sie nicht zum vornherein als aussichtslos bezeichnet werden, wenn der Schuldner glaubhaft gemacht hat, dass er wenigstens über so viele Vermögenswerte verfügt, wie für eine Verhinderung der durch Art. 230 SchKG drohenden Einstellung des Konkurses erforderlich sind (E. 3b).

Erwägungen ab Seite 114

BGE 119 III 113 S. 114
Aus den Erwägungen:

2. Dem angefochtenen Entscheid ist zu entnehmen, dass dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege für das Konkursverfahren wegen Aussichtslosigkeit seiner Insolvenzerklärung verweigert worden ist. Der Beschwerdeführer erachtet diesen Entscheid als willkürlich und Art. 4 BV widersprechend.
Den Anknüpfungspunkt für seine Rüge der Verletzung von Art. 4 BV sieht der Beschwerdeführer in der mit BGE 118 III 27 ff. vollzogenen und mit BGE 118 III 33 ff. bestätigten Änderung in der Rechtsprechung. Danach ist neu der aus Art. 4 BV abgeleitete Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege grundsätzlich auch für das Konkursverfahren zufolge Insolvenzerklärung gewährleistet. Allein mit dem Hinweis auf die Besonderheiten des Konkursverfahrens oder auf den Umstand, dass weder das SchKG noch der dazugehörige Gebührentarif das Armenrecht ausdrücklich vorsehen ( BGE 55 I 363 S. 366), lässt sich deshalb die unentgeltliche Rechtspflege nicht mehr verweigern. Nachdem das Obergericht seinen Entscheid ausdrücklich auf diese neue Rechtsprechung stützt, ist eine Auseinandersetzung mit der daran geübten Kritik in Lehre und kantonaler Gerichtspraxis (vgl. BlSchK 56/1992, S. 148 f. und 209 ff.) nur insoweit erforderlich, als die im vorliegenden Fall anstehenden Fragen dort ebenfalls behandelt worden sind.
Die unentgeltliche Rechtspflege befreit im Verfahren der Konkurseröffnung zufolge Insolvenzerklärung und des Konkurses bis zur ersten Gläubigerversammlung ganz oder teilweise von der Bezahlung der Verfahrenskosten und damit auch von der Bezahlung eines Kostenvorschusses, sofern die ersuchende Partei bedürftig ist, ihr Rechtsbegehren nicht zum vornherein aussichtslos erscheint und die verlangten Prozesshandlungen nicht unzulässig sind ( BGE 118 III 27 E. 3c). Das deckt sich mit den üblichen Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gestützt auf Art. 4 BV , wie sie ohne Unterschied für das Zivil- und Verwaltungsverfahren gelten ( BGE 118 Ia 369 E. 4 bzw. BGE 117 Ia 277 E. 5).

3. Ob mit Blick auf die Feststellungen des Obergerichts, nachdem die Bedürftigkeit des Gesuchstellers feststeht, auch das Erfordernis
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der fehlenden Aussichtslosigkeit als erfüllt zu betrachten sei, wie das der Beschwerdeführer behauptet, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition ( BGE 119 Ia 11 E. 3a mit Hinweisen; BGE 117 Ia 277 E. 5b).
a) Es ist allerdings nicht Aufgabe des Bundesgerichts, dem Sachrichter vorgreifend zu prüfen, ob das vom Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren gestellte Konkursbegehren zu schützen sei oder nicht. Bei der Abklärung, ob die fehlende Aussichtslosigkeit als Voraussetzung für einen grundrechtlichen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege gegeben ist, hat der Verfassungsrichter lediglich zu prüfen, ob der vom Bedürftigen verfolgte Rechtsstandpunkt grundsätzlich im Rahmen des sachlich Vertretbaren liegt bzw. nicht zum vornherein unbegründet erscheint ( BGE 118 Ia 369 E. 4; BGE 117 Ia 277 E. 5b/dd mit Hinweis). Massgebend ist, ob eine Partei, welche in der gleichen Lage wie der Gesuchsteller ist, jedoch über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen oder aber davon absehen würde; denn eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet ( BGE 109 Ia 5 E. 4 mit Hinweisen).
Das Obergericht hat dieses Erfordernis anhand der im vorliegenden Fall gegebenen Beweis- und Rechtslage summarisch geprüft. Mit Bezug auf das eingereichte Armenrechtsformular hat es zunächst festgestellt, der Gesuchsteller sei bedürftig, dann aber hat es auch ausgeführt, er verfüge über keine verwertbaren Aktiven. Dass letztere Feststellung mit den Akten in klarem Widerspruch stehe ( BGE 118 Ia 28 E. 1b mit Hinweisen), wird vom Beschwerdeführer nirgends dargetan. Nun hat aber das Obergericht aus dem Fehlen verwertbaren Vermögens gefolgert, der einmal eröffnete Konkurs könnte nicht abgewickelt, sondern müsste mangels Aktiven wieder eingestellt werden. Verfüge der Rekurrent (und heutige Beschwerdeführer) über keine verwertbaren Aktiven, müsse ihm die unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit verweigert werden. Demgegenüber hält der Beschwerdeführer sein Begehren in der Sache für nicht aussichtslos. Infolge der vorhandenen Schulden - so der Beschwerdeführer - sei nämlich sein Begehren auf Insolvenzerklärung gutzuheissen und es sei die Konkurseröffnung auszusprechen; die Aussprechung einer Insolvenzerklärung sei rechtlich zulässig. Abgesehen davon, dass sich das angefochtene Urteil zu den Schulden des Beschwerdeführers nicht äussert und daher dessen diesbezüglich neue Behauptung nicht zu hören ist (BGE 118
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Ia 20 E. 5a mit Hinweis), hat das Obergericht nun aber ganz offensichtlich nicht die Insolvenzerklärung als solche für unzulässig gehalten, was einer formellen Beanstandung oder der Anzweiflung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gleichgekommen wäre. Vielmehr hat es die vom Beschwerdeführer angestrebte Konkurseröffnung zufolge Insolvenzerklärung als aussichtslos beurteilt.
b) Nach Art. 191 SchKG kann der Schuldner die Konkurseröffnung bewirken, indem er sich beim Gericht zahlungsunfähig erklärt. Gibt der Schuldner eine solche Insolvenzerklärung ab, hat er dieser Bestimmung in materieller Hinsicht bereits Genüge getan, und er muss insbesondere nicht auch noch seine Zahlungsunfähigkeit belegen (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. A., Bern 1993, S. 308 f., N 27; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, 3. A., Zürich 1993, S. 94, N 14; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3. A., Lausanne 1993, S. 268). Die Abgabe einer Insolvenzerklärung kommt indessen nicht der Konkurseröffnung gleich; es bedarf dazu vielmehr eines richterlichen Erkenntnisses (Art. 175 in Verbindung mit Art. 194 SchKG ). Über ein Konkursbegehren ist gemäss Art. 25 Ziff. 2 SchKG im summarischen Prozessverfahren zu entscheiden. Mit Recht nimmt das Obergericht daher an, dass hier - wie in jedem anderen gerichtlichen Verfahren - die Prozessvoraussetzungen erfüllt sein müssen, damit überhaupt ein Sachurteil gefällt werden kann. Zu den Prozessvoraussetzungen, deren Vorliegen der Richter stets von Amtes wegen zu prüfen hat, wird das Rechtsschutzinteresse gezählt. Erweist sich, dass der Ansprecher kein solches schutzwürdiges Interesse an der Beurteilung seines Rechtsstandpunktes hat, tritt der Richter auf das Rechtsbegehren nicht ein (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. A., Zürich 1979, S. 221; KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. A., Bern 1984, S. 86 f.; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 3. A., Bern 1992, S. 170, N 14).
aa) Das Obergericht hält dafür, dem um das Armenrecht nachsuchenden Schuldner dürfte es mangels verwertbaren Vermögens am Rechtsschutzinteresse gebrechen, weshalb sein Konkursbegehren wohl für prozessual unzulässig gehalten werden müsste. Ob ein Rechtsschutzinteresse im konkreten Fall fehlt oder nicht, beurteilt sich für ein auf Art. 191 SchKG gestütztes Konkursbegehren nach Bundesrecht; denn das Bundesrecht regelt in seinem Anspruchsbereich die Prozessvoraussetzung des Rechtsschutzinteresses abschliessend ( BGE 116 II 196 E. 1a und 351 E. 3a mit Hinweis). Der
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Richter soll und darf nicht bemüht werden mit Prozessen, die überflüssig sind, zum vornherein Unerreichbares anstreben oder prozessfremde Zwecke verfolgen. Wer richterlichen Schutz anruft, muss daher ein nach vernünftigem Ermessen wesentliches Interesse daran haben, dass ihm sein Rechtsstandpunkt gerichtlich bestätigt werde (KUMMER, a.a.O., S. 104 f.).
bb) Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Schuldner mit seiner Insolvenzerklärung die Durchführung eines Konkurses ohne Aktiven anstrebt.
Dafür stellt indessen Art. 230 Abs. 1 SchKG ein unüberwindliches Hindernis dar. Nach dieser Bestimmung macht das Konkursamt beim Konkursgericht Anzeige, wenn bei der Inventaraufnahme gemäss Art. 221 SchKG keinerlei verwertbare Aktiven vorgefunden worden sind, und das Konkursgericht beschliesst sodann die Einstellung des Verfahrens. Das Bundesgericht hat erst kürzlich festgehalten, dass der Schuldner selbst im Falle der Gewährung des Armenrechts nicht davon entbunden sei, im Sinne dieser Bestimmung verwertbares Vermögen vorzuweisen, um die Einstellung des Verfahrens zu verhindern ( BGE 119 III 28 E. 2b/bb). Während ein Schuldner nach der Leistung des Kostenvorschusses, welcher gestützt auf Art. 169 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 194 SchKG bzw. Art. 35 der bundesgerichtlichen Verordnung über die Geschäftsführung der Konkursämter (KOV; SR 281.32) einverlangt wurde, ein solches Minimum an Konkursmasse vorweisen kann, das primär für die Verfahrenskosten haftet (vgl. Art. 262 Abs. 1 SchKG ), fehlt es daran zum vornherein im Falle unentgeltlicher Rechtspflege. Ihre Gewährung kann auch nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht dazu dienen, dem Schuldner Konkurssubstrat zu verschaffen (in diesem Sinne auch BlSchK 56/1992, S. 149, Anmerkung der Redaktion zu BGE 118 III 27 ff.). Das bedeutet freilich, dass die an sich mögliche Konkurseröffnung beim vermögenslosen Schuldner - unabhängig von der Gewährung des Armenrechts - nicht zum Verfahrensziel führt, weil der Konkurs nach der bereits erwähnten Vorschrift gleich wieder eingestellt werden muss. Damit fehlt aber einem vermögenslosen Schuldner bereits das schutzwürdige Interesse an der Konkurseröffnung, welches für ihn ausschliesslich in der Durchführung des Konkurses liegt; denn nur in diesem Fall werden Verlustscheine an die Gläubiger ausgestellt und der Schuldner kommt ihnen gegenüber in den Genuss der Einrede mangelnden neuen Vermögens gemäss Art. 265 SchKG (FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., S. 98; JAEGER, Kommentar SchKG, Zürich 1911, Bd. I, N 3 zu Art. 191 SchKG ; CHRISTOPH RUDOLF
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STOCKER, Entscheidungsgrundlagen für die Wahl des Verfahrens im Konkurs, Diss. Zürich 1984, S. 210).
cc) Um die Konkurseröffnung im vorne dargestellten Sinne bewirken zu können, hat der um das Armenrecht nachsuchende Schuldner daher bereits vor dem Konkursgericht darzutun, dass er wenigstens über so viele Vermögenswerte verfügt, wie für eine Verhinderung der durch Art. 230 SchKG drohenden Einstellung des Konkurses erforderlich sind. Dabei hat sich das Konkursgericht mit einer Glaubhaftmachung zu begnügen, weil erst nach der vom Konkursbeamten vorzunehmenden Inventaraufnahme grössere Klarheit darüber bestehen kann, wieviel verwertbares Schuldnervermögen tatsächlich vorhanden ist (vgl. BGE 113 III 116 E. 3d). Vermag der Schuldner Vermögenswerte, die zumindest für die Deckung der Kosten des summarischen Konkursverfahrens reichen, nicht vorzuweisen, so hat das - gleich wie bei der Nichtleistung oder verspäteten Leistung des Kostenvorschusses ( BGE 118 III 27 E. 2b mit Hinweis) - zur Folge, dass der Konkurs nicht eröffnet werden darf.
Im vorliegenden Fall steht wie gesagt fest, dass der Schuldner keine Aktiven besitzt und mithin der Konkurs nach der Eröffnung gleich wieder eingestellt werden müsste. Der hier aus den Akten hervorgehende Zweck der Bereinigung, nämlich der eines Neubeginns nach der Haftentlassung, liesse sich somit auch nicht erreichen. Das Obergericht hat folglich Art. 4 BV nicht verletzt, indem es Aussichtslosigkeit der Insolvenzerklärung angenommen hat.

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