Urteilskopf
119 III 54
14. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 5. April 1993 i.S. S. (Rekurs)
Regeste
Betreibungsort (
Art. 46 Abs. 1,
Art. 48 und
Art. 50 Abs. 2 SchKG
).
Wer seinen schweizerischen Wohnsitz aufgibt, kann an diesem ordentlichen Betreibungsorte nicht mehr betrieben werden.
Massgebend ist die Gesamtheit der Lebensumstände einer Person, wobei die Schriftenniederlegung immer nur ein Indiz für die Absicht dauernden Verbleibens bildet, das selbständig zu würdigen ist.
Für die Betreibung an einem schweizerischen Aufenthaltsort genügt die bloss zufällige Anwesenheit des Schuldners nicht.
Bei Wohnsitz im Ausland oder bei Fehlen eines festen Wohnsitzes überhaupt kann der Schuldner an dem von ihm gewählten Spezialdomizil betrieben werden; der Zahlungsort auf einem Wechsel gilt als solcher nur bei eindeutigen Ortsangaben.
Das Betreibungsamt D. stellte S. in B. einen Zahlungsbefehl zu, wobei unter der Rubrik "Forderungsurkunde/Grund der Forderung" auf einen Wechsel sowie auf das Spezialdomizil in B. hingewiesen
BGE 119 III 54 S. 55
wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde des S. wurde von der kantonalen Aufsichtsbehörde abgewiesen. Mit Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer beantragt S., das angefochtene Urteil und die Betreibung aufzuheben, eventuell die Sache zur Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse an die kantonale Aufsichtsbehörde zurückzuweisen.
Die Rekursgegnerin und die kantonale Aufsichtsbehörde beantragen die Abweisung des Rekurses.
Aus den Erwägungen:
2.
Der Rekurrent bestreitet die örtliche Zuständigkeit des Betreibungsamtes D., da er in L. wohnhaft sei und sich überdies in B. weder aufhalte noch dort ein Spezialdomizil begründet habe.
a) Nach
Art. 46 Abs. 1 SchKG
ist der Schuldner an seinem schweizerischen Wohnsitz zu betreiben, wobei das Betreibungsrecht hier an das Zivilrecht anknüpft. Der Wohnsitz einer Person befindet sich demnach an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält und den sie zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen gemacht hat (
Art. 23 Abs. 1 ZGB
; BUCHER, Berner Kommentar, N 8 ff. zu
Art. 23 ZGB
). Gibt der Schuldner seinen bisherigen Wohnsitz in der Schweiz auf, ohne dass er irgendwo einen neuen begründet, so ist
Art. 24 Abs. 1 ZGB
nicht anwendbar. Er kann nun allenfalls an einem besondern Betreibungsort belangt werden (
Art. 48 ff. SchKG
;
BGE 82 III 13
;
BGE 88 III 139
E. 1; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 4. A. Bern 1988, S. 83 N 5; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Band I, 3. A. Zürich 1984, S. 109 N 9).
b) In tatsächlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass der Rekurrent sich im Jahre 1988 bei der Einwohnerkontrolle der Stadt X. abgemeldet hat, eine Adresse in L. vorweist und sich dort bei der Schweizer Botschaft immatrikuliert hat, den örtlichen Behörden jedoch nicht bekannt ist. Diese Feststellungen der kantonalen Aufsichtsbehörde sind für das Bundesgericht verbindlich, da sie weder offensichtlich auf einem Versehen beruhen noch unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen sind (
Art. 63 Abs. 2 OG
in Verbindung mit
Art. 81 OG
;
BGE 112 III 71
E. 2a;
BGE 107 III 2
E. 1).
c) Die kantonale Aufsichtsbehörde stützt ihre Ansicht, der Rekurrent habe seit dem Jahre 1988 keinen festen Wohnsitz mehr, vor allem
BGE 119 III 54 S. 56
auf den Umstand, dass er den Behörden in L. nicht bekannt sei. Nun ist die Schriftenniederlegung immer nur ein Indiz für die Absicht dauernden Verbleibens, das selbständig zu würdigen ist (
BGE 88 III 139
E. 1; KARL SPÜHLER, Die Rechtsprechung zur polizeilichen Meldepflicht bei Niederlassung und Aufenthalt, ZBl 93/1992 S. 337 ff.; BUCHER, Berner Kommentar, N 36 zu
Art. 23 ZGB
). Der Rekurrent hat sich in L. bei der Schweizer Botschaft gemeldet; gerade in dieser Stadt aber hat er seine einzig bekannte Adresse. Es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass er sich in L. tatsächlich aufhält, und sich dort auch sein räumlicher Lebensmittelpunkt befindet. Davon ausgehend könnte er an einem schweizerischen Aufenthaltsort nicht betrieben werden (
Art. 48 SchKG
; AMONN, a.a.O., S. 85 N 14; FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., S. 109 N 9; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 2. A. Lausanne 1988, S. 84). Ob der Rekurrent überhaupt einen festen Wohnsitz hat, muss jedoch nicht abschliessend beurteilt werden, denn die Voraussetzungen, ihn an einem Aufenthaltsort zu betreiben, sind ohnehin nicht gegeben.
d) Aufenthalt bedeutet übrigens Verweilen an einem bestimmten Orte, wobei eine bloss zufällige Anwesenheit nicht genügt (BUCHER, Berner Kommentar, N 15 zu
Art. 23 ZGB
). Der Zahlungsbefehl wurde dem Rekurrenten in B. zugestellt, wo er auch bei der Aufnahme des Wechselprotestes anwesend war. Einzig aus diesen beiden Vorkommnissen und ohne irgendwelche weitere Angaben über die Ausgestaltung seiner Anwesenheit an diesem Ort kann - entgegen der Auffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde - nicht bereits ein Aufenthalt des Rekurrenten in B. angenommen werden.
e) Nach Ansicht der kantonalen Aufsichtsbehörde hat der Rekurrent in B. kein Spezialdomizil zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten begründet (
Art. 50 Abs. 2 SchKG
). Dieser besondere Betreibungsort gilt einzig für Verbindlichkeiten gegenüber einem bestimmten Gläubiger (
BGE 107 III 56
E. 3a), und zwar nicht nur bei Wohnsitz des Schuldners im Ausland, sondern auch wenn dieser überhaupt keinen festen Wohnsitz hat (
BGE 89 III 3
). Nach den verbindlichen Feststellungen der kantonalen Behörden hat der Rekurrent einen auf ihn gezogenen Wechsel angenommen, wobei darauf als Zahlungsort X. und O. sowie als Adresse des Bezogenen B. vermerkt wurde.
f) Nun genügt die Vereinbarung eines Erfüllungsortes im allgemeinen noch nicht zur Annahme eines Spezialdomizils, sondern besondere Umstände müssen hinzutreten, um ihm diese Bedeutung
BGE 119 III 54 S. 57
zu verleihen. Dem Zahlungsort auf einem Wechsel hingegen wird gemeinhin bereits diese Wirkung zugestanden (
BGE 89 III 4
). Ob dies auch im vorliegenden Fall zutrifft, kann indessen offenbleiben, lautet der Zahlungsort ohnehin gerade nicht auf B. Überdies erlauben die verschiedenen Angaben auf dem Wechsel - entgegen der von der Rekursgegnerin vertretenen Auffassung - nicht, auf ein Spezialdomizil an einem bestimmten Orte, nämlich in B., zu schliessen.
Demzufolge war das Betreibungsamt D. auch gestützt auf
Art. 50 Abs. 2 SchKG
für das vorliegende Betreibungsverfahren nicht zuständig.