BGE 119 IV 250 vom 16. September 1993

Datum: 16. September 1993

Artikelreferenzen:  Art. 293 StGB , Art. 346 StGB, Art. 293 Abs. 1 StGB, Art. 347 StGB, Art. 349 Abs. 1 StGB

BGE referenzen:  116 IV 88, 132 IV 89, 133 IV 235, 141 IV 205, 141 IV 336, 144 IV 265 , 116 IV 86, 115 IV 272, 116 IV 88

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

119 IV 250


47. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 16. September 1993 i.S. H. u. S. gegen Generalprokurator des Kantons Bern

Regeste

Art. 346 StGB ; Gerichtsstand; Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen ( Art. 293 StGB ) mittels Radio und Fernsehen.
1. Für strafbare Handlungen, die durch das Mittel von Radio und Fernsehen begangen werden, gilt grundsätzlich der Ort des Sendestudios als Ausführungsort (E. 2).
2. Die Strafverfolgungsbehörde, die - ausgehend von offensichtlich falschen rechtlichen Gesichtspunkten - ihre Zuständigkeit anerkennt, obwohl es an einem örtlichen Anknüpfungspunkt in ihrem Kanton fehlt, überschreitet das ihr bei der Bestimmung des Gerichtsstandes zustehende Ermessen (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 251

BGE 119 IV 250 S. 251

A.- Dr. H. wird als verantwortlichem Redaktor vorgeworfen, amtliche geheime Verhandlungen veröffentlicht zu haben, indem in der Sendung "Rundschau" des Schweizer Fernsehens DRS vom 15. Januar 1992 Interview-Abschnitte aus einer als Beweismittel beschlagnahmten Gesprächsaufzeichnung mit Aussagen wiedergegeben wurden. H. erklärte anlässlich einer Einvernahme vom 20. Januar 1992, Fürsprecher S. habe ihm die Untersuchungsakten herausgegeben bzw. zur Verfügung gestellt.
Am 30. Januar 1992 eröffnete der Untersuchungsrichter von Thun gegen H. und S. ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren. Dieses wurde am 17. Juli 1992 abgeschlossen; gleichzeitig wurde die Strafverfolgung durch Einleitung einer abgekürzten Voruntersuchung eröffnet gegen H. wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen ( Art. 293 StGB ) und gegen S. wegen Beihilfe dazu.
Am 23. März 1993 erachtete der Untersuchungsrichter die Voruntersuchung als vollständig und erklärte diese als geschlossen. Gleichzeitig beantragte er, die beiden Beschuldigten dem Gerichtspräsidenten von Thun zur Beurteilung zu überweisen. Durch Zustimmung des stellvertretenden Prokurators vom 13. April 1993 wurde der Antrag zum Beschluss erhoben.
Anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter von Thun vom 18. August 1993 bestritten die Beschuldigten vorfrageweise die örtliche Zuständigkeit, worauf der Gerichtspräsident die Akten dem Generalprokurator des Kantons Bern überwies. Dieser anerkannte mit Beschluss vom 18. August 1993 die Gerichtsbarkeit des Kantons Bern.

B.- Mit Gesuchen vom 26. bzw. 31. August 1993 beantragen S. bzw. H. der Anklagekammer des Bundesgerichts, es seien die Behörden des Kantons Zürich berechtigt und verpflichtet zu erklären, ihre Strafsache zu beurteilen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt unter Hinweis auf den Beschluss des Generalprokurators des Kantons Bern, die Gesuche abzuweisen und den Gerichtsstand Kanton Bern zu bestätigen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. a) Dem Gesuchsteller H. wird zur Last gelegt, kopierte Akten aus einer geheimen Strafuntersuchung, die er vom Gesuchsteller S.
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erhalten hat, veröffentlicht und damit den Tatbestand von Art. 293 Abs. 1 StGB (Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen) erfüllt zu haben.
Übergeben wurden die Akten in Thun, d.h. im Kanton Bern. Veröffentlicht, d.h. einem grösseren Personenkreis bekannt gemacht, wurden sie durch die Ausstrahlung des Beitrages.
Die Übergabe der Akten an den Gesuchsteller H., d.h. an eine einzelne Person erfüllt dabei entgegen der Auffassung des Generalprokurators des Kantons Bern noch nicht den Tatbestand der Veröffentlichung (vgl. STRATENWERTH, BT II, S. 298 N 49).
b) Für strafbare Handlungen, die durch das Mittel von Radio und Fernsehen begangen werden, besteht kein Art. 347 StGB entsprechender Sondergerichtsstand, weshalb grundsätzlich der Ausführungsort im Sinne von Art. 346 StGB massgebend ist (BUESS, Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaffenden, Diss. Bern 1991; RIKLIN, Pressedelikte im Vergleich zu den Rundfunkdelikten, ZStrR 1981, S. 194; SJZ 1967 Nr. 79)...
Erfolgt die strafbare Veröffentlichung durch den Täter wie im vorliegenden Fall aus einem Fernsehstudio, so ist davon auszugehen, dass der Ausführungsort an jenem Ort liegt, wo sich das Studio befindet bzw. wo der Täter vor die Kamera tritt (und nicht etwa im ganzen Sendegebiet des Schweizer Fernsehens DRS). Der Gesuchsteller H. hat daher - soweit sich dies anhand der spärlichen Unterlagen beurteilen lässt - die ihm vorgeworfene strafbare Handlung im Studio Leutschenbach, von wo die Sendung ausgestrahlt (act. 1, S. 5) bzw. wo über die Ausstrahlung des Beitrages entschieden wurde, im Sinne von Art. 346 StGB ausgeführt (vgl. auch BUESS, a.a.O., S. 137; ebenso RIKLIN, a.a.O., S. 194); der gesetzliche Gerichtsstand liegt daher im Kanton Zürich.

3. a) Im vorliegenden Fall ist der bernische Untersuchungsrichter offenbar von Anfang an fälschlicherweise davon ausgegangen, das Delikt sei im ganzen Sendegebiet vom Schweizer Fernsehen DRS verübt worden; der Generalprokurator scheint demgegenüber davon auszugehen, die amtlichen geheimen Verhandlungen seien bereits mit der Weitergabe deren Inhaltes in Thun an den Gesuchsteller im Sinne von Art. 293 StGB veröffentlicht worden. Auch letzteres ist, wie oben bereits ausgeführt, nicht der Fall, denn dieser Vorgang stellt erst eine (straflose) Vorbereitungshandlung des Gesuchstellers H. und die Gehilfenschaftshandlung des Gesuchstellers S. dar, dem in der Anklage nicht vorgeworfen
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wird, selbständig den Tatbestand von Art. 293 Abs. 1 StGB erfüllt zu haben.
b) Mit Vernehmlassungen vom 2. bzw. 6. September 1993 hat sich die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich der Auffassung des Generalprokurators des Kantons Bern angeschlossen. Damit wurde der Gerichtsstand im Kanton Bern durch Vereinbarung der beiden beteiligten Kantone anerkannt.
c) Vom gesetzlichen Gerichtsstand kann auch durch Vereinbarung unter den Kantonen abgewichen werden, sofern die Kantone damit nicht das ihnen zustehende weite Ermessen überschreiten und diesem Vorgehen nicht die Interessen des Verletzten entgegenstehen (vgl. BGE 116 IV 86 E. 4a).
Ein örtlicher Anknüpfungspunkt besteht im Kanton Bern zwar insofern, als der Gesuchsteller H. sich die veröffentlichten Akten in Thun aushändigen liess. Dieser Vorgang stellt in bezug auf den Gesuchsteller H. noch keine eigentliche tatbestandsmässige Handlung der Veröffentlichung dar. Die strafbare Handlung wird indessen nicht erst mit jener Handlung verübt, die, wenn sie beendet wird, das eigentliche Delikt ausmacht; denn zur Ausführung im Sinne von Art. 346 StGB gehört schon jede Tätigkeit, die nach dem Plan des Täters auf dem Weg zur Verwirklichung des Tatbestandes den letzten entscheidenden Schritt darstellt, von dem es in der Regel kein Zurück mehr gibt, ausgenommen wegen äusserer Umstände, die eine Weiterverfolgung der Absicht verunmöglichen oder erschweren; eine blosse Vorbereitungshandlung ist für die Bestimmung des Gerichtsstandes nicht massgeblich, sofern diese nicht ausnahmsweise ausdrücklich als strafbar erklärt wird ( BGE 115 IV 272 E. 1; vgl. SCHWERI, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, N 70).
Die Übernahme der Akten in Thun kann nicht als letzter entscheidender Schritt zur Veröffentlichung derselben bezeichnet werden; denn zu diesem Zeitpunkt hätte der Gesuchsteller H. noch ohne weiteres von einer Veröffentlichung absehen können; eine solche war damals offensichtlich noch nicht unwiderruflich in die Wege geleitet. Die Aktenübergabe war daher noch blosse (straflose) Vorbereitungshandlung und nicht bereits Teil der Ausführung der strafbaren Handlung des Gesuchstellers H., die als solche in Zürich mit der Ausstrahlung der Sendung vollendet wurde.
Damit fehlt es in bezug auf den Gesuchsteller H. an einem örtlichen Anknüpfungspunkt im Kanton Bern. Unter diesen Umständen sind die Behörden des Kantons Bern bei der Anerkennung des
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Gerichtsstandes von offensichtlich falschen Voraussetzungen ausgegangen, womit sie ihr Ermessen überschritten haben (vgl. BGE 116 IV 88 E. d).
Da der Ausführungsort in bezug auf den Gesuchsteller wie oben ausgeführt offensichtlich in Zürich (Studio Leutschenbach) liegt, von wo die Sendung ausgestrahlt wurde, ist der Gerichtsstand für den Gesuchsteller H. auch in diesem Kanton zu bestimmen.
d) Gemäss Art. 349 Abs. 1 StGB sind die Behörden des Kantons Zürich damit auch für die Verfolgung und Beurteilung des Gesuchstellers S. zuständig.

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