BGE 120 II 182 vom 31. Mai 1994

Datum: 31. Mai 1994

Artikelreferenzen:  Art. 482 ZGB

BGE referenzen:  115 II 323, 117 II 142, 122 III 308, 124 III 406, 125 III 35, 124 III 414, 131 III 106 , 115 II 323, 117 II 142

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

120 II 182


34. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Mai 1994 i.S. Erben von X. gegen Kirchgemeinde S. (Berufung)

Regeste

Bedingung und Auflage beim Testament ( Art. 482 ZGB ).
Grundsätze für die Auslegung eines Testamentes (E. 2a).
Ob im Einzelfall eine Bedingung oder eine Auflage vorliegt, ist durch Auslegung des Testamentes zu ermitteln; eine Vermutung im einen oder im andern Sinn gibt es nicht (E. 2c).
Die Verpflichtung, eine Liegenschaft in bestimmter Weise zu nutzen, weist auf eine Auflage hin (E. 2d).

Sachverhalt ab Seite 182

BGE 120 II 182 S. 182

A.- Der im Alter von 86 Jahren verstorbene X. hinterliess als gesetzliche Erben seine Geschwister und, soweit diese vorverstorben sind, deren Nachkommen. Im Nachlass von X. befindet sich auch die Liegenschaft GB Nr. 596, die im Grundbuch auf den Namen
BGE 120 II 182 S. 183
der Erbengemeinschaft übertragen wurde. Das seinerzeit eigenhändig verfasste Testament von X. enthält unter anderm folgendes Vermächtnis:
"Die reformierte Kirchgemeinde S. könnte die Liegenschaft zum Preis von Fr. 150'000.-- als Kindergarten beziehen. Ansonsten für meine Angehörigen."
Die Kirchgemeinde S. und die Erben von X. kamen überein, die Liegenschaft vorerst auf den Namen der Erbengemeinschaft zu belassen und die Kirchgemeinde nachfolgende Beschlüsse fassen zu lassen:
"- Entscheid zur Übernahme des zu leistenden Kaufpreises von Fr. 150'000.--;
- Zusage der Baubehörde S., dergemäss eine Umnutzung der Liegenschaft als Kindergarten möglich ist;
- verbindliche Absichtserklärung zur dauernden Führung eines Kindergartens in der fraglichen Liegenschaft und zur Übernahme der damit verbundenen Investitionen."
Gestützt auf einen Beschluss der Kirchgemeindeversammlung, wonach das Vermächtnis angenommen, die Zahlung von Fr. 150'000.-- geleistet und ein Investitionskredit von Fr. 350'000.-- bewilligt werde, erklärte die Kirchgemeinde S., sie verlangte die Übertragung des Eigentums an der Liegenschaft GB Nr. 596 auf ihren Namen, gegen Leistung von Fr. 150'000.--. Die Erben von X. lehnten die Herausgabe des Vermächtnisses ab, da die Beschlüsse der Kirchgemeinde S. nicht vollständig seien und sie zudem von einem unzutreffenden Kindergartenbegriff ausgehe.

B.- Die Klage der Kirchgemeinde S. gegen die Erben von X. auf Zusprechung des Eigentums an der Liegenschaft GB Nr. 596 sowie auf Anweisung an den zuständigen Amtsschreiber, den entsprechenden Grundbucheintrag vorzunehmen, wurde vom Amtsgericht abgewiesen; der Kirchgemeinde S. wurde eine Frist von sechs Monaten angesetzt, den (näher festgelegten) Nachweis für die Erfüllung der Bedingungen des Vermächtnisses zu erbringen. Gegen dieses Urteil erklärten beide Parteien die Appellation, worauf das Obergericht der Kirchgemeinde S. in Gutheissung ihrer Klage das Eigentum an der Liegenschaft GB Nr. 596 zusprach und die zuständige Amtsschreiberei anwies, diese, gegen Nachweis der Zahlung von Fr. 150'000.-- an die Erben von X., als Eigentümerin des genannten Grundstückes im Grundbuch einzutragen.

C.- Das Bundesgericht weist die von den Erben von X. dagegen erhobene Berufung ab
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Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

2. Die Beklagten bringen vor, die in Frage stehende Liegenschaft komme der Klägerin nur zu, falls darin ein Kindergarten eingerichtet und zugleich der festgesetzte Betrag an die gesetzlichen Erben geleistet werde. Der Erblasser hätte derart auf das Verhalten der mit dem Vermächtnis Bedachten hinwirken wollen. Der Zusatz "ansonsten für meine Angehörigen" enthalte eine Bedingung, nämlich die Verwendung der Liegenschaft als Kindergarten, die seitens der Klägerin nicht eingehalten worden sei. Die vom Obergericht vorgenommene Auslegung des Testamentes von X. sei daher in Verletzung von Art. 482 und Art. 484 ZGB erfolgt.
a) Für die Auslegung eines Testamentes ist von dessen Wortlaut auszugehen. Ergibt er für sich selber betrachtet ein eindeutiges Ergebnis, so hat es bei dieser Aussage zu bleiben. Sind dagegen die Anordnungen so unklar, dass sie ebensogut im einen wie im andern Sinn verstanden werden können, oder lassen sich mit guten Gründen mehrere Auslegungen vertreten, so dürfen ausserhalb der Testamentsurkunde liegende Beweismittel zur Auslegung herangezogen werden. Massgebend bleibt immer der Wille des Erblassers, wie er in seinem Testament zum Ausdruck kommt, und nicht, wie er von einem Adressaten verstanden werden könnte. Nach ständiger Rechtsprechung prüft das Bundesgericht die vorinstanzliche Auslegung eines Testamentes frei. Es ist nur an die tatsächlichen Feststellungen gebunden, aus denen sich der Wille des Erblassers ergibt ( BGE 115 II 323 E. 1a S. 325; BGE 117 II 142 E. 2a S. 144).
b) Das Obergericht hat in der Verpflichtung der Vermächtnisnehmerin, die Liegenschaft als Kindergarten zu nutzen, eine Zweckbestimmung erblickt, die klar auf eine Auflage zu Gunsten Dritter hinweise; es liege daher eine unselbständige Stiftung vor, deren Destinatäre die künftigen Kindergartenschüler seien. Diese Auslegung erfolgte ausschliesslich aufgrund des Wortlautes der in Frage stehenden Anordnung des Erblassers; ausserhalb der Testamentsurkunde liegende Anhaltspunkte, die den letzten Willen des Erblassers klären würden, gehen aus dem angefochtenen Urteil keine hervor.
c) Durch die Bedingung wird vom Erblasser der Vollzug einer letztwilligen Verfügung von bestimmten Gegebenheiten abhängig gemacht. Bei der Auflage fällt der eigene Anspruch des Beschwerten mit der Nichterfüllung der Anordnung nicht dahin; hingegen steht jedem daran Interessierten ein Vollzugsanspruch zu. Was im
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Einzelfall vorliegt, ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung zu ermitteln; eine Vermutung im einen oder andern Sinn ist nicht gegeben (ESCHER/ESCHER, Art. 482 ZGB N. 1, N. 4, N. 13; TUOR, Art. 482 ZGB N. 3, N. 6, N. 8, N. 9, N. 12; PIOTET, Erbrecht, SPR IV/1, S. 98, S. 147 ff.; DRUEY, Grundriss des Erbrechts, 3.A. Bern 1992, S. 132; UFFER/TOBLER, Die erbrechtliche Auflage, Diss. Zürich 1982, S. 32 ff., S. 37 ff.; MÜLLER, Die erbrechtliche Auflage beim Testament, Diss. Freiburg 1980, S. 142/143).
d) Die Formulierung "als Kindergarten" weist durchaus auf eine der Vermächtnisnehmerin auferlegte Verpflichtung, die Liegenschaft in einer bestimmten Weise zu nutzen, und damit auf eine Auflage hin. Gegen den Bedingungscharakter spricht zudem, dass eine Frist für die Erfüllung fehlt (DRUEY, a.a.O., S. 132 N. 32). Die Klägerin hat sich über die Annahme des Vermächtnisses zu äussern und den im Testament festgelegten Erwerbspreis an die gesetzlichen Erben zu leisten. Ist sie dazu nicht bereit, verbleibt die Liegenschaft - gemäss ausdrücklicher Anordnung des Erblassers - im Nachlass, und die gesetzlichen Erben können darüber frei verfügen. Das Obergericht hat den Nachsatz "ansonsten für meine Angehörigen" somit zu Recht nicht als Bedingung verstanden. Die Klägerin hat sich bereits für die Annahme des Vermächtnisses entschieden. Wie sie der Auflage, einen Kindergarten in der Liegenschaft zu führen, im einzelnen nachzukommen hat, darüber ist im vorliegenden Verfahren nicht zu befinden.

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