Urteilskopf
120 IV 260
43. Urteil der Anklagekammer vom 26. September 1994 i.S. Bankinstitute der Städte Zürich und Genf sowie des Kantons Tessin gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft
Regeste
Art. 101bis und 105bis Abs. 2 BStP
; Ersuchen um Auskünfte.
Ein Ersuchen der Bundesanwaltschaft um Auskunft über das Bestehen eines Bankkontos oder -depots stellt ein Auskunftsbegehren gemäss
Art. 101bis BStP
dar und ist weder eine Zwangsmassnahme noch eine damit zusammenhängende Amtshandlung im Sinne von
Art. 105bis Abs. 2 BStP
, weshalb dagegen nicht Beschwerde bei der Anklagekammer geführt werden kann (E. 3).
Erwägungen:
1.
Mit Verfügungen vom 5. September 1994 verlangt die Schweizerische Bundesanwaltschaft im Verfahren Ref. No. 126/94, welches bezwecke, aus dem Betäubungsmittelhandel stammende Gelder aufzuspüren, zu beschlagnahmen und einzuziehen, von allen Bankinstituten der Stadt Zürich, der Stadt Genf sowie des Kantons Tessin zu überprüfen, ob Bankkonten, Depots bzw. Vermögenswerte in der Verfügbarkeit von 60 namentlich aufgeführten Personen bestünden, wobei abzuklären sei, ob diese Inhaber, Bevollmächtigte, Gesellschaftsorgane oder wirtschaftlich Berechtigte seien; das Ergebnis der Überprüfung sei unverzüglich der Schweizerischen Bundesanwaltschaft bekanntzugeben. Den Banken wird untersagt, die Verfügung den Kunden zur Kenntnis zu bringen; das Beschwerderecht werde durch die anschliessende Beschlagnahmeverfügung gewahrt sein.
2.
a) Die Adressaten der Verfügung, verschiedene Bankinstitute in Zürich, Bern und im Kanton Tessin, wenden sich mit Beschwerde gemäss
Art. 105bis Abs. 2 BStP
an die Anklagekammer des Bundesgerichts mit dem Antrag, die Verfügung der Bundesanwaltschaft vom 5. September 1994 aufzuheben.
b) Die meisten Adressaten der angefochtenen Verfügung haben gleichzeitig die Kopie einer Beschwerde an den Bundesrat gemäss
Art. 14 Abs. 1 BStP
in Verbindung mit
Art. 72 lit. b VwVG
(SR 172.021) beigelegt oder darauf hingewiesen, dass eine solche ebenfalls erhoben worden sei.
c) Die angefochtenen drei Verfügungen haben denselben Inhalt; es handelt sich um dieselbe Verfügung in den drei Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch. Die Identität des Anfechtungsgegenstandes rechtfertigt es, die Beschwerden in einem Urteil zu erledigen. In Anwendung von
Art. 37 Abs. 3 OG
wird das Urteil in einer der Amtssprachen verfasst; da eine der
BGE 120 IV 260 S. 262
Verfügungen auch in deutscher Sprache verfasst ist und davon ausgegangen werden darf, dass alle Parteien bzw. deren Vertreter diese Sprache verstehen, wird das Urteil deutsch abgefasst.
d) Auf eine Vernehmlassung der Bundesanwaltschaft wird verzichtet, da sich die Beschwerden als offensichtlich unzulässig erweisen.
3.
a) Die angefochtenen Verfügungen stützen sich ausdrücklich auf
Art. 101bis BStP
. Nach dieser Bestimmung kann die gerichtliche Polizei (vgl. dazu
Art. 17 Abs. 2 BStP
), die unter der Leitung des Bundesanwalts steht (
Art. 17 Abs. 1 BStP
) mündliche und schriftliche Auskünfte einholen. Die Bestimmung entspricht
Art. 40 VStrR
(SR 313.0) (vgl. BBl 1990 III 1232). Auskunftsersuchen unterliegen, wie andere Amtshandlungen der gerichtlichen Polizei, der Beschwerde an den Bundesanwalt (
Art. 105bis Abs. 1 BStP
).
Stellt wie im vorliegenden Fall der Bundesanwalt selber das Auskunftsbegehren, so entfällt diese Beschwerdemöglichkeit; die angefochtenen Verfügungen enthalten denn auch keine Rechtsmittelbelehrung, sondern den Hinweis, dass das Beschwerderecht durch eine anschliessende Beschlagnahmeverfügung gewahrt sein werde. Es ist zu prüfen, ob solche Amtshandlungen dennoch der Beschwerde an die Anklagekammer des Bundesgerichts unterliegen.
b) Gemäss
Art. 105bis Abs. 2 BStP
kann gegen Zwangsmassnahmen und damit zusammenhängende Amtshandlungen, die der Bundesanwalt angeordnet oder bestätigt hat, innert 10 Tagen bei der Anklagekammer des Bundesgerichts Beschwerde geführt werden.
Die Bezeichnung des möglichen Anfechtungsobjektes deckt sich mit derjenigen von
Art. 26 Abs. 1 VStrR
. Dass dies kein Zufall ist, sondern vielmehr der Absicht des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich aus der bundesrätlichen Botschaft vom 16. Oktober 1990, nach welcher "wie im Verwaltungsstrafverfahren (vgl.
Art. 26 Abs. 1 VStrR
) auch mit Zwangsmassnahmen zusammenhängende weitere Amtshandlungen bei der Anklagekammer angefochten werden können" (BBl 1990 III 1235). Der Gesetzgeber wollte damit offensichtlich die Überprüfung der Massnahmen und Handlungen im Bundesstrafprozess gleich regeln, wie dies bereits im Verwaltungsstrafverfahren geschehen ist.
Als Zwangsmassnahmen werden in der bundesrätlichen Botschaft ausdrücklich erwähnt: Verhaftung, vorläufige Festnahme, Beschlagnahme, Untersuchung und Durchsuchung sowie die Einziehung (BBl 1988 II 505, vgl. auch BBl 1990 III
BGE 120 IV 260 S. 263
1226 und 1235). Auch nach der Gesetzessystematik des Verwaltungsstrafrechts zählen zu den Zwangsmassnahmen (Dritter Titel, zweiter Abschnitt, zweiter Unterabschnitt, Buchstabe F) die Beschlagnahme (II.), die Durchsuchung von Personen, Räumen (III.) und Papieren (IV.), die vorläufige Festnahme (V.) und die Verhaftung (VI.). Dies ergibt sich schon aus
Art. 45 VStrR
, welcher als allgemeine Bestimmung für die Zwangsmassnahmen diese ausdrücklich aufführt, sowie aus dem klaren Wortlaut von
Art. 26 Abs. 1 VStrR
, welcher dem Begriff Zwangsmassnahmen in Klammern den Verweis auf Art. 45 ff. beifügt. Damit wird klar zum Ausdruck gebracht, dass nur die gemäss
Art. 45 ff. VStrR
verfügten Massnahmen als - der Beschwerde an die Anklagekammer unterliegende - Zwangsmassnahmen zu betrachten sind.
Da entsprechend einem allgemeinen Grundsatz in verschiedenen Bundesgesetzen verwendete identische Begriffe auch gleich auszulegen sind, sind zu den Zwangsmassnahmen gemäss
Art. 105bis BStP
nur die in den
Art. 45 ff. VStrR
aufgeführten zu zählen.
c) Nicht zu den Zwangsmassnahmen in diesem Sinne sind Auskunftsbegehren gemäss
Art. 101bis BStP
zu zählen. Denn diese Bestimmung "ist die gesetzliche Umschreibung einer bereits vorher geübten Praxis und entspricht im übrigen Artikel 40 des Verwaltungsstrafrechts" (BBl 1990 III 1232).
Art. 40 VStrR
, welcher im Wortlaut mit
Art. 101bis BStP
übereinstimmt, findet sich indessen gesetzessystematisch - unter Buchstabe C "Einvernahmen, Auskünfte" - vor der Regelung der Zwangsmassnahmen (Buchstabe F, Art. 45 ff.) und kann schon deshalb nicht zu diesen gezählt werden.
d) Es bleibt zu prüfen, ob ein Ersuchen um Auskunft als eine mit einer Zwangsmassnahme zusammenhängende Amtshandlung zu betrachten ist. Solange noch keine Zwangsmassnahme angeordnet wurde, kann grundsätzlich auch nicht von einer damit zusammenhängenden Amtshandlung gesprochen werden. Eine solche ist etwa dann gegeben, wenn gegenüber dem verhafteten Beschuldigten dessen Anspruch auf Besuch durch seinen Anwalt beschränkt wird; denn eine solche Massnahme hängt mit der - bereits angeordneten - Zwangsmassnahme der Verhaftung zusammen (unveröffentlichtes Urteil der Anklagekammer vom 15. September 1993 i.S. G. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft, E. 3, in welchem Verfahren in bezug auf die Zuständigkeit ein Meinungsaustausch mit dem Eidg. Justiz- und Polizeidepartement durchgeführt wurde). Andererseits
BGE 120 IV 260 S. 264
bildet die Beschlagnahme von bei einer Bank befindlichen Gegenständen, verbunden mit der Einräumung einer Frist für deren Herausgabe, eine blosse Aufforderung, diese bereitzustellen und damit weder eine Zwangsmassnahme noch eine damit zusammenhängende Massnahme, da noch nicht feststeht, ob überhaupt eine Beschlagnahme erfolgen wird und welche Gegenstände davon betroffen sein werden (unveröffentlichtes Urteil der Anklagekammer vom 12. März 1993 i.S. Schweiz. Volksbank gegen Direktion des I. Zollkreises, E. 2). Gleich verhält es sich mit einer Verfügung, in welcher eine Bank aufgefordert wird, Belege über die geschäftlichen Beziehungen von namentlich bezeichneten Kunden vorzulegen, verbunden mit der Ankündigung, dass schliesslich nur jene Dokumente beschlagnahmt würden, die als Beweismittel in Frage kämen; da weder eine Durchsuchung erfolgte noch Papiere beschlagnahmt wurden, sondern bloss angekündigt wurde, dass solche Zwangsmassnahmen bevorstünden, liegt darin keine Zwangsmassnahme oder eine damit zusammenhängende Amtshandlung (Verfügung des Präsidenten der Anklagekammer vom 16. Juni 1994 i.S. A. gegen Oberzolldirektion).
e) Die angefochtene Verfügung verlangt gemäss
Art. 101bis BStP
Auskünfte bei den betreffenden Banken über Bankkonti, Depots und Vermögenswerte von 60 namentlich erwähnten Personen. In der Begründung wird darauf hingewiesen, dass auf entsprechende Benachrichtigung durch die Bank, wonach Vermögenswerte bestünden, ein Einziehungsverfahren mit Ausstellen eines begründeten Beschlagnahmebefehls eingeleitet werde.
Ein solches Ersuchen um Auskünfte über Konti, Depots und Vermögenswerte ist keine mit Beschwerde an die Anklagekammer anfechtbare Zwangsmassnahme - wie die eigentliche Beschlagnahmeverfügung -, sondern die blosse Aufforderung, die entsprechenden Informationen mitzuteilen. Damit steht aber noch gar nicht fest, ob überhaupt eine eigentliche Zwangsmassnahme verfügt wird und welche Gegenstände und Vermögenswerte davon betroffen sein werden. Das Ersuchen um Auskünfte kann nach dem oben Gesagten auch nicht als mit einer Zwangsmassnahme zusammenhängende Amtshandlung bezeichnet werden, die mit Beschwerde an die Anklagekammer angefochten werden könnte.
4.
Das vorliegende Urteil erübrigt einen Entscheid über die Gesuche um aufschiebende Wirkung.