Urteilskopf
120 V 106
14. Urteil vom 25. April 1994 i. S. Migros-Pensionskasse Zürich gegen B. und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft
Regeste
Art. 23 und 24 Abs. 1 BVG
,
Art. 4 Abs. 1 IVG
.
Die Bindung der Vorsorgeeinrichtungen an den durch die Invalidenversicherung bei teilerwerbstätigen Personen aufgrund der gemischten Methode ermittelten Invaliditätsgrad beschränkt sich auf die Invalidität im erwerblichen Bereich.
A.-
B. (geboren 1940) arbeitete seit Oktober 1975 im Teilzeitverhältnis bei der Migros-Genossenschaft und gehörte damit der Migros-Pensionskasse (nachfolgend: Pensionskasse) an. Nachdem sie auf den 1. Januar 1988 ihr Pensum von 30 auf 25 Wochenstunden reduziert hatte, war sie ab 24. Juli 1990 wegen eines Rückenleidens vollständig arbeitsunfähig.
Die Invalidenversicherungs-Kommission ermittelte aufgrund der gemischten Methode bei einer Einschränkung im erwerblichen Bereich von 70% und im Haushaltbereich von 25% einen Invaliditätsgrad von 52%, wobei sie die Versicherte zu 60% als Erwerbstätige und zu 40% als Hausfrau einstufte.
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Gestützt darauf sprach die Ausgleichskasse Migros der Versicherten mit Verfügung vom 21. August 1991 rückwirkend ab 1. Mai 1990 eine halbe Invalidenrente zu.
In der Folge teilte die Pensionskasse B. mit Schreiben vom 18. Oktober 1991 mit, sie werde aufgrund der reglementarischen Bestimmungen ab 1. Juni 1991 eine Teilinvalidenrente von 50% im Betrag von monatlich Fr. 395.-- ausrichten. Demgegenüber vertrat B. die Auffassung, sie habe Anspruch auf eine volle Invalidenrente, weil für die Pensionskasse einzig die Invalidität im erwerblichen Bereich von 70% massgebend sei und nicht der Gesamtinvaliditätsgrad von 52%, welcher sich unter Einbeziehung der Hausfrauentätigkeit ergebe.
B.-
Nachdem die Pensionskasse auf ihrem Standpunkt beharrt hatte, liess B. am 11. Mai 1992 Klage beim Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft einreichen mit dem Antrag, es sei ihr ab 1. Januar 1988 eine Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 19% und ab 1. Juni 1991 eine volle Invalidenrente von mindestens Fr. 790.-- im Monat zuzusprechen. Nach Beizug der Akten der Invalidenversicherung hiess das Versicherungsgericht mit Entscheid vom 2. September 1992 die Klage teilweise gut und verpflichtete die Pensionskasse, der Versicherten ab Erschöpfung der Lohnersatzleistungen eine volle Invalidenrente auszurichten; das Begehren um Zusprechung einer Teilrente ab 1. Januar 1988 wies es ab.
C.-
Die Pensionskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die halbe Invalidenrente zu bestätigen.
B. lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen, während sich das Bundesamt für Sozialversicherung der Argumentation des kantonalen Gerichts anschliesst und sich einer ausführlichen Stellungnahme enthält.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
3.
a) Anspruch auf Invalidenleistungen haben gemäss
Art. 23 BVG
Personen, die im Sinne der Invalidenversicherung zu mindestens 50% invalid sind und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert waren. Nach
Art. 24 Abs. 1 BVG
hat der Versicherte Anspruch
BGE 120 V 106 S. 108
auf eine volle Invalidenrente, wenn er im Sinne der Invalidenversicherung mindestens zu zwei Dritteln, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zur Hälfte invalid ist.
b) Das Reglement 1990 der Beschwerdeführerin enthält zur Invalidenrente u.a. folgende Bestimmungen:
"Art. 31 Voraussetzungen und Dauer der Invalidenrente
1. Wird der Versicherte vor dem ordentlichen Rücktrittsalter voll- oder teilinvalid und wird sein Anstellungsverhältnis deswegen aufgehoben oder abgeändert, so erhält er eine Invalidenrente.
2. Als vollinvalid gilt, wer infolge von Krankheit, Gebrechen oder Unfall mindestens zu zwei Dritteln voraussichtlich bleibend erwerbsunfähig ist.
3. Als teilinvalid gilt, wer mindestens zu einem Viertel, aber zu weniger als zu zwei Dritteln erwerbsunfähig ist. Eine Erwerbsunfähigkeit von weniger als 25% berechtigt nicht zu einer Invalidenrente.
4. Der Grad der Invalidität richtet sich nach der durch die Invalidität begründeten Einkommenseinbusse, unter Berücksichtigung der medizinischen Begutachtung durch den Vertrauensarzt.
5.-8. ...
Art. 32 Feststellung der Invalidität
1. Der Stiftungsrat entscheidet auf Grund des Zeugnisses eines von ihm besonders bezeichneten Vertrauensarztes über das Vorliegen und den Grad der Invalidität. Er berücksichtigt in der Regel auch den Entscheid der Eidg. Invalidenversicherung (IV), ist aber nicht daran gebunden.
2. ..."
c) Aus der engen Verbindung zwischen dem Recht auf eine Rente der Invalidenversicherung und demjenigen auf eine Invalidenleistung nach BVG ergibt sich, dass der Invaliditätsbegriff im obligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge und in der Invalidenversicherung grundsätzlich der gleiche ist. Aufgrund von
Art. 6 BVG
steht es den Vorsorgeeinrichtungen frei, den Invaliditätsbegriff bereits in der obligatorischen Versicherung zugunsten des Versicherten zu erweitern oder Invalidenrenten schon bei einem Invaliditätsgrad von weniger als 50% auszurichten. Dabei bedeutet allerdings praxisgemäss die Gestaltungsfreiheit nach Art. 6 (und auch diejenige nach Art. 49 Abs. 2) BVG nicht uneingeschränktes Ermessen. Wenn die Vorsorgeeinrichtungen in ihren Urkunden, Statuten oder Reglementen einen bestimmten Invaliditätsbegriff verwenden, so haben sie bei der Interpretation darauf abzustellen, was in anderen Gebieten der Sozialversicherung oder nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen darunter verstanden wird. Die Vorsorgeeinrichtungen sind somit frei in der Wahl des
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Invaliditätsbegriffs; sie haben sich aber an eine einheitliche Begriffsanwendung zu halten. Gehen die Vorsorgeeinrichtungen ausdrücklich oder unter Hinweis auf das Gesetz vom gleichen Invaliditätsbegriff aus wie die Invalidenversicherung, sind sie hinsichtlich des versicherten Ereignisses an die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherungs-Kommission gebunden, es sei denn, dass diese sich als offensichtlich unhaltbar erweist. Verwenden die Vorsorgeeinrichtungen demgegenüber einen anderen Invaliditätsbegriff als die Invalidenversicherung, rechtfertigt sich eine selbständige Prüfung, wobei sich die Vorsorgeeinrichtungen diesfalls auf die medizinischen und erwerblichen Abklärungen der IV-Organe stützen können. Diese Grundsätze über die Massgeblichkeit des Beschlusses der Invalidenversicherungs-Kommission gelten nicht nur bei der Festlegung der Höhe des Invaliditätsgrades, sondern auch bei der Entstehung des Rentenanspruchs, mithin dort, wo sich die Frage stellt, wann die Arbeitsfähigkeit sich erheblich verschlechtert hat (
BGE 118 V 39
Erw. 2b/aa,
BGE 115 V 208
und 215).
4.
a) Die Invalidenversicherungs-Kommission bemass die Invalidität der Beschwerdegegnerin nach der gemischten Methode (Anteil Erwerbstätigkeit: 60%) und ermittelte einen Invaliditätsgrad von 52%. Dabei ergab sich im Teilbereich Haushalt eine Invalidität von 25% und im erwerblichen Bereich eine solche von 70%.
Die beschwerdeführende Pensionskasse stellt sich auf den Standpunkt, angesichts des einheitlichen Invaliditätsbegriffes zwischen BVG und IVG sei für sie der aufgrund der gemischten Methode ermittelte Invaliditätsgrad von 52% massgebend. Demgegenüber vertreten kantonales Gericht und Beschwerdegegnerin die Auffassung, dass für die Invaliditätsbemessung einzig auf die für den erwerblichen Bereich festgestellte Invalidität von 70% abzustellen sei. Diese Auffassung wird auch vom Bundesamt für Sozialversicherung geteilt.
b) Bei der Auslegung der in
Art. 23 und 24 Abs. 1 BVG
enthaltenen Wendung "im Sinne der IV invalid" ist davon auszugehen, dass das BVG (Art. 2 bis 4) im Gegensatz zur Invalidenversicherung lediglich die Erwerbstätigen versichert (BRÜHWILER, Die betriebliche Personalvorsorge in der Schweiz, S. 286, N. 47 zu § 14). Die berufliche Vorsorge stellt einen Ersatz für den nach Eintritt des Versicherungsfalles (Rücktrittsalter, Tod, Invalidität) ausbleibenden Lohn dar (HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 5. Auflage, S. 143). Entsprechend knüpfen beim versicherten Personenkreis sowohl die
BGE 120 V 106 S. 110
obligatorische Versicherung der Arbeitnehmer (
Art. 7 ff. BVG
) als auch die freiwillige Versicherung der Selbständigerwerbenden (Art. 44 f. BVG) an die Erwerbstätigkeit an. Dieser versicherungsmässige Ausgangspunkt kommt bei der obligatorischen beruflichen Vorsorge auch beim versicherten Lohn (
Art. 7 und 8 BVG
) zum Ausdruck. Wenn daher das BVG bei der Umschreibung der Anspruchsvoraussetzungen für Invalidenleistungen auf den Invaliditätsbegriff der Invalidenversicherung Bezug nimmt (
Art. 23 und 24 Abs. 1 BVG
), so steht dies unter dem stillschweigenden Vorbehalt der Erwerbstätigkeit. Eine Invalidität, die nicht auf einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit beruht, kann damit nicht gemeint sein. Die unterschiedliche gesetzliche Regelung des Versichertenkreises der Invalidenversicherung und der beruflichen Vorsorge verbietet daher, den Invaliditätsbegriff der Invalidenversicherung ungeachtet erwerblich nicht relevanter Faktoren integral zur Anwendung zu bringen. Nach Sinn und Zweck der beruflichen Invalidenvorsorge können die Verweise in
Art. 23 und 24 Abs. 1 BVG
einzig die Definition der Invalidität nach Massgabe der Erwerbsunfähigkeit gemäss
Art. 4 Abs. 1 IVG
im Auge haben. Entsprechend ist die Ausgangslage bei der Unfallversicherung, welche für die Bemessung der Invalidität einzig die Methode des Einkommensvergleichs (
Art. 18 Abs. 2 UVG
) kennt.
Der Auffassung des kantonalen Gerichts ist demzufolge beizupflichten, dass in Fällen von teilerwerbstätigen Versicherten, die neben der Erwerbstätigkeit einen Haushalt führen, der nach der gemischten Methode des
Art. 27bis IVV
ermittelte Invaliditätsgrad nicht in den Bereich der beruflichen Vorsorge übernommen werden kann. Der Entscheid der Organe der Invalidenversicherung ist mithin für die Vorsorgeeinrichtungen insoweit nicht verbindlich, als die Invalidität bzw. der Invaliditätsgrad nach andern Kriterien als der Erwerbsunfähigkeit bemessen wird. Es wäre in solchen Fällen unhaltbar, eine Bindungswirkung an die IV-rechtliche Betrachtungsweise anzunehmen. Die Koordination der zweiten mit der ersten Säule hat daher bei teilerwerbstätigen und damit nach der gemischten Methode des
Art. 27bis IVV
eingeschätzten Versicherten in der Weise zu geschehen, dass für die berufliche Vorsorge grundsätzlich nur der Invaliditätsgrad massgebend ist, der für den erwerblichen Bereich resultiert. Einzig insoweit ist eine Bindung an die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung gegeben, unter dem Vorbehalt der offensichtlichen Unhaltbarkeit des Invaliditätsgrades. In diesem Sinne sind die Grundsätze der Rechtsprechung über die Verbindlichkeit der Invaliditätsschätzung durch
BGE 120 V 106 S. 111
die IV-Organe im Bereich der obligatorischen Vorsorge zu ergänzen (vgl.
BGE 118 V 39
Erw. 2 und 3, 115 V 208 und 215).
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann von einer Besserstellung der von
Art. 27bis IVV
erfassten Teilerwerbstätigen nicht gesprochen werden. Das Korrektiv gegen überhöhte Vorsorgeleistungen liegt beim versicherten bzw. koordinierten Lohn, der entsprechend der nur teilzeitlichen Beschäftigung geringer ausfällt. Die Auffassung der Beschwerdeführerin führt im Gegenteil zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung der in Teilzeit Beschäftigten mit bestimmtem Aufgabenbereich im Haushalt gegenüber den vollzeitlich Erwerbstätigen.
c) Keine für die Entscheidung des streitigen Rentenfalles andere Beurteilungsgrundlage ergibt sich nach der statutarischen Ordnung der Beschwerdeführerin. In Auslegung und Anwendung von Art. 31 Abs. 1 bis 4 der Statuten ist für die Bemessung der Invalidität grundsätzlich auf die Erwerbsunfähigkeit, ausgedrückt in der Einkommenseinbusse, abzustellen. Dies schliesst es aus, bei der Invaliditätsbemessung Behinderungen ausserhalb des beruflichen Bereiches miteinzubeziehen. Wohl berücksichtigt der Stiftungsrat in der Regel auch den Entscheid der Invalidenversicherung, ohne aber daran gebunden zu sein (Art. 32 Abs. 1 der Statuten). Es ginge jedoch nicht an, wenn der Stiftungsrat angesichts der statutarisch vorgegebenen Kriterien bei der Festlegung des Invaliditätsgrades bei einer teilzeitbeschäftigten Person unbesehen auf den aus der gemischten Methode der Invalidenversicherung resultierenden Invaliditätsgrad abstellen würde. Es kann in diesem Zusammenhang auf Erw. 5 des vorinstanzlichen Entscheides verwiesen werden. Die Berufung der Beschwerdeführerin auf
Art. 50 Abs. 3 BVG
ist ebenfalls unbehelflich, da sich einerseits beim BVG wie beim UVG - im Gegensatz zur Invalidenversicherung - der versicherte Personenkreis auf erwerbstätige Personen beschränkt und anderseits Art. 31 Abs. 1 bis 4 der Statuten selbst auf die Erwerbsunfähigkeit abstellt.
d) Nach dem Gesagten ist somit für die Invaliditätsbemessung einzig auf den von der Invalidenversicherung für den erwerblichen Bereich ermittelten Invaliditätsgrad von 70% abzustellen. Zu Recht hat daher das kantonale Gericht der Beschwerdegegnerin ab Erschöpfung der Lohnersatzleistungen (Art. 31 Abs. 5 der Statuten) einen Anspruch auf eine volle Invalidenrente eingeräumt.