BGE 121 I 150 vom 20. Juni 1995

Datum: 20. Juni 1995

Artikelreferenzen:  Art. 159 ZGB, Art. 163 ZGB , Art. 46 Abs. 2 BV, Art. 145 ZGB, Art. 152 ZGB, Art. 145 Abs. 1 ZGB, Art. 163 Abs. 1 ZGB, Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB, Art. 159 Abs. 3 ZGB, Art. 151 Abs. 1 ZGB, Art. 151 ZGB, Art. 9 Abs. 2 lit. c StHG, Art. 23 lit. f und 24 lit. e des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11)

BGE referenzen:  90 I 293, 116 IA 127, 117 IA 516, 118 IA 277, 121 I 14, 125 II 183, 132 III 97 , 118 IA 277, 117 IA 516, 116 IA 127, 90 I 293, 121 I 14, 121 I 14

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

121 I 150


21. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. Juni 1995 i.S. S. gegen Kantonale Steuerverwaltung Thurgau und Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 46 Abs. 2 BV ; Ehegattenalimente.
Getrennte oder geschiedene Ehegatten sind mit Bezug auf die Unterhaltszahlungen in besonderer Weise rechtlich und wirtschaftlich verbunden. Im interkantonalen Verhältnis ist daher das Doppelbesteuerungsverbot zu beachten (Änderung der Rechtsprechung).
Die Unterhaltszahlungen stehen im interkantonalen Verhältnis dem Wohnsitzkanton des Empfängers zur ausschliesslichen Besteuerung zu; der Wohnsitzkanton des Verpflichteten muss sie zum Abzug von dessen steuerbarem Einkommen zulassen.

Sachverhalt ab Seite 151

BGE 121 I 150 S. 151
S. wurde im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen vom Bezirksgericht Zürich verpflichtet, seiner im Kanton Zürich wohnhaften Ehefrau während des Ehescheidungsverfahrens monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. -.-- zu zahlen.
Die Steuerkommission X. (Kanton Thurgau), wo S. damals Wohnsitz hatte, setzte sein steuerbares Einkommen für das Veranlagungsjahr 1991 (ab 1. Juni 1991) unter Aufrechnung der abgezogenen Unterhaltszahlungen auf Fr. -.-- fest. Der Steuerpflichtige erhob dagegen erfolglos Einsprache und Rekurs.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies das Begehren von S., die seiner im Kanton Zürich wohnhaften Ehefrau bezahlten Unterhaltsbeiträge zum Abzug zuzulassen, mit Urteil vom 17. August 1994 ab.
Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde von S. gut und hebt den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 17. August 1994 auf,

Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

1. a) Gemäss § 19 lit. c des Steuergesetzes des Kantons Thurgau in der hier noch anwendbaren Fassung vom 9. Juli 1964 (StG) können dauernde periodische Beiträge an den geschiedenen oder gerichtlich getrennten Ehegatten vom steuerbaren Einkommen des Schuldners abgezogen werden. Hingegen werden Unterhaltsbeiträge, die nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts vom Massnahmerichter gestützt auf Art. 145 ZGB für die Dauer des Scheidungsverfahrens zugesprochen werden, nicht zum Abzug zugelassen. In § 34 Abs. 1 Ziff. 5 des neuen thurgauischen Steuergesetzes vom 14. September 1992 (nStG) ist der Abzug periodischer Unterhaltsbeiträge umfassender vorgesehen: nebst den Unterhaltsbeiträgen an den geschiedenen oder gerichtlich getrennten können auch Unterhaltsbeiträge an den tatsächlich getrennten Ehegatten abgezogen werden.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, seine Ehefrau sei im fraglichen Zeitraum im Kanton Zürich wohnhaft gewesen und habe die Alimente dort gestützt auf § 19 lit. h des Zürcher Gesetzes vom 8. Juli 1951 über die direkten Steuern versteuern müssen. Wenn er die Alimente nicht abziehen könne, entstehe eine unzulässige Doppelbesteuerung. Nach Art. 46 Abs. 2 BV sei es nicht zulässig, das gleiche Einkommen beim Ehemann und bei der Ehefrau zu besteuern. Auch bei nach Art. 145 Abs. 1 ZGB getrenntlebenden
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Ehegatten bestehe - wie dies das Bundesgericht für Alimentenzahlungen an die Kinder angenommen habe ( BGE 118 Ia 277 ff.) - eine enge wirtschaftliche und rechtliche Beziehung fort, so dass es sich rechtfertige, das Doppelbesteuerungsverbot auf den Fall der Ehegattenalimente anzuwenden.
c) Das Doppelbesteuerungsverbot von Art. 46 Abs. 2 BV schliesst eine Besteuerung der gleichen Person durch zwei oder mehrere Kantone für das gleiche Steuerobjekt und die gleiche Zeit aus. Unzulässig ist sowohl die aktuelle als auch die virtuelle Doppelbesteuerung (vgl. BGE 117 Ia 516 E. 2 S. 518; 116 Ia 127 E. 2a S. 130, mit Hinweisen). Vom Erfordernis, dass sich die Steueransprüche gegen das gleiche Steuersubjekt richten (Steuersubjektidentität), kann abgesehen werden, wenn zwei Steuersubjekte mit Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt rechtlich und wirtschaftlich in besonderem Masse verbunden sind (Steuersubjektverbundenheit, vgl. ERNST HÖHN, Interkantonales Steuerrecht, 3. Aufl. 1993, N. 12 zu § 4 S. 71 und BGE 118 Ia 277 E. 2 S. 279/280, mit Beispielen und Hinweisen). Eine solche Verbundenheit, die zur Anwendung des Doppelbesteuerungsverbots führt, hat das Bundesgericht angenommen für Kinderunterhaltsbeiträge zwischen dem Leistenden und dem Empfänger der Unterhaltsbeiträge ( BGE 118 Ia 277 ff.), bei der Nutzniessung zwischen Nutzniesser und Eigentümer, bei der Kollektiv- und Kommanditgesellschaft zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter, zwischen der Stiftung und dem Stifter sowie dem Schenkenden und dem Beschenkten (vgl. THOMAS KOLLER, Die Besteuerung von Unterhaltsleistungen an Kinder im Lichte von BGE 118 Ia 277 ff. [= ASA 61 S. 741 ff.] und deren Auswirkungen auf das Zivilrecht, ASA 62 S. 289 ff., S. 296 ff.; HÖHN, a.a.O., N. 13 zu § 4 S. 71, und Kommentar BV, N. 41 zu Art. 46 Abs. 2 BV , mit Hinweisen).
aa) Bei Ehegatten hat das Bundesgericht eine Doppelbesteuerung zufolge Identität des Steuersubjekts angenommen, wenn Ehemann und Ehefrau, die zusammenleben und demzufolge gemeinsam besteuert werden, je von einem Kanton für das gleiche Objekt zu Steuern herangezogen werden (HÖHN, a.a.O., N. 13 zu § 4 S. 71 f.). Es hat das Vorliegen einer Doppelbesteuerung in bezug auf Ehegattenalimente bisher verneint ( BGE 90 I 293 E. 2 S. 297); massgebend hiefür war die Erwägung, dass bei Scheidung oder Trennung der gemeinsame Haushalt aufgelöst ist, keine Gemeinschaftlichkeit der Mittel mehr besteht und beide Ehegatten demzufolge als eigenständige Steuersubjekte behandelt werden. Im folgenden ist zu prüfen, ob daran festgehalten werden kann.
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bb) Getrennt lebende Ehegatten sind nach dem Gesagten im interkantonalen Verhältnis eigenständige Steuersubjekte, wenn keine Gemeinschaftlichkeit der Mittel für Wohnung und Lebensunterhalt besteht, d.h. wenn sich die Unterstützung des einen an den anderen Ehegatten - wie im vorliegenden Fall - in der Leistung von ziffernmässig bestimmten Unterhaltsbeiträgen erschöpft (vgl. BGE 121 I 14 E. 5c S. 19; BGE 118 Ia 277 E. 2 S. 279 unten). Tatsächlich bleiben sie jedoch in bezug auf den Unterhalt auch nach der Trennung oder Scheidung rechtlich und wirtschaftlich in besonderem Masse verbunden: So gilt die Unterhaltspflicht der Ehegatten ( Art. 163 Abs. 1 ZGB ) für die ganze Dauer des rechtlichen Bestands der Ehe und somit auch für die Dauer des Getrenntlebens nach Art. 175 f. ZGB (vgl. Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB ) oder des Scheidungsprozesses (vgl. BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 111 zu Art. 145 ZGB ; SPÜHLER/FREI-MAURER, Berner Kommentar, Ergänzungsband 1991, N. 111 zu Art. 145 ZGB ). In der Bedürftigkeitsrente nach Art. 152 ZGB lebt aus dem Gedanken der nachehelichen Solidarität die Beistandspflicht der Ehegatten ( Art. 159 Abs. 3 ZGB ) auch nach der Scheidung fort (SPÜHLER/FREI-MAURER, a.a.O., N. 4 zu Art. 152 ZGB ). Die Unterhaltsersatzrente nach Art. 151 Abs. 1 ZGB ist zwar nicht eine Forderung aus der ehelichen Gemeinschaft, sondern Schadenersatz; doch beruht auch dieser auf dem Verlust von Ansprüchen, die sich aus der Ehe ergeben (SPÜHLER/FREI-MAURER, a.a.O., N. 9 zu Art. 151 ZGB , mit Hinweisen).
Unabhängig davon, ob die Ehegatten noch verheiratet oder bereits geschieden sind, besteht demnach in bezug auf den Unterhalt eine besondere rechtliche und wirtschaftliche Verbundenheit der Ehegatten, in der die Ehe bzw. die frühere Ehe nach der Trennung noch Folgen zeitigt. Eine solche Verbundenheit zwischen den betroffenen Steuersubjekten rechtfertigt es, auf das formale Erfordernis der Steuersubjektidentität zu verzichten (vgl. KOLLER, a.a.O., S. 296 ff. und 301). In bezug auf die Unterhaltsbeiträge, die ein Ehegatte vom anderen nach der Trennung oder Scheidung für sich erhält, ist daher im interkantonalen Verhältnis das Doppelbesteuerungsverbot zu beachten. An der bisherigen Praxis, die der nach wie vor bestehenden besonderen rechtlichen und wirtschaftlichen Verbindung der Ehegatten zuwenig Rechnung trägt, kann nicht festgehalten werden. Das Doppelbesteuerungsverbot schliesst aus, dass der Wohnsitzkanton des Ehegatten, der die Unterhaltsbeiträge zahlt, dessen Einkommen voll (ohne Abzug der Unterhaltsbeiträge) erfasst und der Wohnsitzkanton des Empfängers die Beiträge gleichzeitig ebenfalls als Einkommen besteuert;
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dadurch würden getrenntlebende gegenüber zusammenlebenden Ehegatten in nicht zu rechtfertigender Weise schlechter gestellt (vgl. KOLLER, a.a.O., S. 301).
cc) Mit dieser Praxisänderung wird zudem der Rechtsentwicklung in den Kantonen und im Bund Rechnung getragen. Innerkantonal sind alle Kantone dazu übergegangen, Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder getrennten Ehegatten und an die Kinder nur einmal steuerlich zu belasten (vgl. KOLLER, a.a.O., S. 294). Nur noch einige wenige Kantone lassen den Abzug von Ehegattenalimenten beim leistenden Ehegatten nicht bereits mit der tatsächlichen Trennung, sondern erst mit der Scheidung oder gerichtlichen Trennung zum Abzug zu. Art. 7 Abs. 4 lit. g des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (Steuerharmonisierungsgesetz; StHG, SR 642.14) verpflichtet die Kantone einerseits, die vom geschiedenen oder gerichtlich oder tatsächlich getrenntlebenden Ehegatten erhaltenen Unterhaltsbeiträge beim Empfänger zu besteuern, Art. 9 Abs. 2 lit. c StHG verpflichtet sie andererseits, die entsprechenden Unterhaltsbeiträge beim Leistenden zum Abzug zuzulassen; dieselbe Besteuerung sehen auch die Art. 23 lit. f und 24 lit. e des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) vor.
Wie dies in BGE 118 Ia 277 (E. 3 S. 281) bereits für die Unterhaltsbeiträge an die Kinder entschieden wurde, rechtfertigt sich auch für die Unterhaltsbeiträge der Ehegatten doppelbesteuerungsrechtlich keine Zuteilungsnorm, die von den in den Steuergesetzen getroffenen Regelungen abweicht. In Anlehnung an die Lösung, die bei der Steuerharmonisierung gewählt und bereits von den meisten Kantonen übernommen wurde, sind daher Alimente, die an den geschiedenen oder (gerichtlich oder tatsächlich) getrenntlebenden Ehegatten bezahlt werden, im interkantonalen Verhältnis zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung dem Wohnsitzkanton des Empfängers zur ausschliesslichen Besteuerung zuzuweisen und beim Verpflichteten zum Abzug zuzulassen (vgl. KOLLER, a.a.O., S. 305 ff.).
d) Der Kanton Thurgau hat somit seine Steuerhoheit überschritten, indem er den Beschwerdeführer einschliesslich der an seine Ehefrau im Kanton Zürich bezahlten Alimente besteuert hat. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat einen neuen Entscheid zu fällen und dabei die vom Beschwerdeführer geleisteten Unterhaltsbeiträge zum Abzug zuzulassen.

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