BGE 121 II 166 vom 11. August 1995

Datum: 11. August 1995

Artikelreferenzen:  Art. 81 MStG, Art. 226 MStG, Art. 18 BV , Art. 81 Ziff. 2 MStG, Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BV, Art. 18 Abs. 4 BV, Art. 2 Abs. 1 MO, Art. 114bis Abs. 3 BV, Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 MO, Art. 81 Ziff. 2 Abs. 2 MStG, Art. 18 Abs. 1 BV

BGE referenzen:  113 IB 206 , 113 IB 206

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

121 II 166


28. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. August 1995 i.S. D. gegen Militärpflichtersatzverwaltung und Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 1, 2 Abs. 1, Art. 4 MPG, Art. 81 Ziff. 2 MStG ; Befreiung vom Militärpflichtersatz.
Dienstverweigerung aus Gewissensgründen. Verpflichtung zu einer Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse ( Art. 81 Ziff. 2 MStG ).
Anerkennung der Arbeitsleistung als dem Militärdienst gleichwertige Dienstleistung?
- Voraussetzungen der Abgabepflicht (E. 1).
- Rechtsnatur der Arbeitsleistung (E. 2 u. 4).
- Verhältnis zum künftigen Zivildienst (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 167

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Am 4. Mai 1992 sprach das Militärappellationsgericht 2A D. unter Zubilligung einer schweren Gewissensnot der Dienstverweigerung schuldig, verpflichtete ihn zu einer Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse und verurteilte ihn zum Ausschluss aus der Armee (Art. 81 Ziff. 2 des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 1927 [MStG, SR 321.0] in der Fassung vom 5. Oktober 1990).
Mit Verfügung vom 19. März 1993 wurde D. zum Militärpflichtersatz für das Jahr 1992 herangezogen. Gegen diese Verfügung erhob er Einsprache und beantragte, die Ersatzabgabe sei aufzuheben. Zur Begründung führte er aus, er stehe im Arbeitsdienst und sehe nicht ein, weshalb er Militärpflichtersatz zu bezahlen habe. Sinngemäss forderte er die Anerkennung der Arbeitsleistung im Sinne von Art. 81 Ziff. 2 MStG als dem Militärdienst gleichwertige Dienstleistung.
Gegen den abweisenden Einspracheentscheid der Militärpflichtersatzverwaltung des Kantons St. Gallen führte der Ersatzpflichtige erfolglos Beschwerde bei der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen.
Die gegen das Urteil der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen erhobene verwaltungsgerichtliche Beschwerde wird vom Bundesgericht abgewiesen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BV statuiert die allgemeine Wehrpflicht. Diese ist durch persönliche Dienstleistung (Militärdienst) in den Heeresklassen zu erfüllen (Art. 1 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 12. April 1907 über die Militärorganisation [MO; SR 510.10] in der Fassung vom 22. Juni 1990). Wer die Wehrpflicht nicht durch persönliche Dienstleistung erfüllt, hat einen Militärpflichtersatz zu bezahlen ( Art. 18 Abs. 4 BV ; Art. 2 Abs. 1 MO ). Das Nähere regelt das Bundesgesetz vom 12. Juni 1959 über den Militärpflichtersatz (MPG; SR 661). Ersatzpflichtig sind danach die Wehrpflichtigen mit Wohnsitz im In- oder Ausland, die in einem Kalenderjahr (dem Ersatzjahr) während mehr als sechs Monaten nicht in einer Formation der Armee eingeteilt sind oder als Dienstpflichtige ihren Militärdienst versäumen (Art. 2 Abs. 1 MPG). Ausnahmen von der Ersatzpflicht sieht Art. 4 MPG vor. Nach dieser Vorschrift ist von der Ersatzpflicht u.a. befreit, wer wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen sich in einer wirtschaftlichen Notlage befindet (Abs. 1 lit. a) oder wer dienstuntauglich erklärt oder vom Militärdienst dispensiert wird, weil seine Gesundheit durch den
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Militärdienst geschädigt wurde (Abs. 1 lit. b).
Diese Ordnung in der Verfassung und im Gesetz ist für das Bundesgericht verbindlich ( Art. 114bis Abs. 3 BV ). Nach der gesetzlichen Regelung kann aber unter der persönlichen Dienstleistung nur der Militärdienst, d.h. die Dienstleistung in der Armee, verstanden werden ( Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 MO , Art. 1 MPG). Aus der Armee ausgeschlossene Wehrpflichtige schulden demnach die Ersatzabgabe. Vorbehalten bleiben die Ersatzbefreiungsgründe des Art. 4 MPG, doch fällt die Dienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht darunter. Der Beschwerdeführer kann nicht wegen seiner Gewissensnot vom Militärpflichtersatz befreit werden.

2. Der Beschwerdeführer beruft sich auf den besonderen Charakter der Arbeitsdienstleistung im Sinne von Art. 81 Ziff. 2 MStG und macht geltend, diese müsse als dem Militärdienst gleichwertige Dienstleistung anerkannt werden, weshalb er für die Dauer der Arbeitsleistung keinen Militärpflichtersatz schulde.
Diese Auffassung beruht auf einer Verkennung der verfassungsmässigen und gesetzlichen Ordnung. Nach Art. 81 Ziff. 2 MStG in der Fassung vom 5. Oktober 1990 werden Dienstverweigerer, die unter Berufung auf ethische Grundwerte glaubhaft darlegen, dass sie den Militärdienst mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, seit dem 15. Juli 1991 nicht mehr zu Gefängnis verurteilt, sondern sie werden zu einer Arbeitsleistung verpflichtet, die im öffentlichen Interesse liegt. Die Änderung von Art. 81 Ziff. 2 MStG wurde im Jahre 1990 in das Militärstrafgesetz eingeführt, um die Dienstverweigerung teilweise zu entkriminalisieren; die Verpflichtung zur Arbeitsleistung wird denn auch nicht in die Strafregister eingetragen ( Art. 226 MStG in der Fassung vom 5. Oktober 1990). Sie stellt jedoch keinen Ersatz für den Militärdienst dar, sondern wird anstelle von Gefängnis angeordnet. Es handelt sich um eine Ersatzmassnahme zur Gefängnisstrafe, die ihren Strafcharakter beibehalten hat, auch wenn sie durch die zivilen Behörden vollzogen wird (Botschaft des Bundesrates vom 27. Mai 1987 über die Änderung des Militärstrafgesetzes, BBl 1987 II 1317). Alle anderen Militärdienstverweigerer werden nach wie vor zu Gefängnisstrafen verurteilt. Handelt es sich aber bei der Arbeitsdienstleistung nicht um eine Form der Erfüllung der persönlichen Dienstpflicht, sondern um eine Sanktion für deren Verletzung, so kann sie auch ersatzrechtlich nicht dem Militärdienst gleichgestellt werden. Wenn daher im Zuge der Revision des Militärstrafgesetzes im Jahre 1990 die
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Militärpflichtersatzabgabe keiner Änderung unterzogen wurde, so liegt darin kein Versehen des Gesetzgebers, keine Lücke des Gesetzes, wie der Beschwerdeführer geltend macht. Der Wehrpflichtige, der aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigert, schuldet deshalb den Militärpflichtersatz auch für den Zeitraum, da er zur Arbeitsleistung herangezogen wird.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aufgrund der Dauer der Arbeitsdienstverpflichtung. Die Arbeitsleistung wird in der Regel auf das Anderthalbfache des verweigerten Dienstes festgelegt ( Art. 81 Ziff. 2 Abs. 2 MStG ). Diese Dauer des Arbeitsdienstes bildet indessen nicht den Ausgleich zur persönlichen Dienstleistung, sondern die Sanktion dafür, dass der Dienstverweigerer die persönliche Dienstleistung nicht erfüllt. Schon nach der bisherigen Rechtsprechung trugen die Militärgerichte bei der Bemessung der Gefängnisstrafe der Dauer des insgesamt verweigerten Dienstes Rechnung. Nicht anders verhält es sich bei der Bemessung der Dauer des Arbeitsdienstes.

3. Zu Unrecht beruft sich der Beschwerdeführer auch auf den Zivildienst, wie er im Entwurf zu einem Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst (Zivildienstgesetz; ZDG) vorgesehen ist. Mit Volksabstimmung vom 17. Mai 1992 wurde Art. 18 Abs. 1 BV durch den Satz ergänzt: "Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor." Nach dem Wortlaut ist der Zivildienst ein Ersatzdienst, wobei sich der Ersatzcharakter auf den Militärdienst und nicht auf die Wehrpflicht als solche bezieht. Beim vorgesehenen Zivildienst handelt es sich deshalb um eine Form der Erfüllung der Wehrpflicht (Botschaft des Bundesrates vom 22. Juni 1994 zum Zivildienstgesetz, BBl 1994 III 1626 ff., Ziff. 141 und 142). Zivildienstpflichtige Personen, die ihren Dienst nicht oder nur teilweise persönlich leisten, müssen denn auch künftig eine Ersatzabgabe bezahlen (Art. 15 Entwurf ZDG; Botschaft, a.a.O., S. 1666).
Daraus kann indessen nicht geschlossen werden, die Verpflichtung zur Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse nach Art. 81 Ziff. 2 MStG bilde ebenfalls eine Form der Erfüllung der Wehrpflicht. Am 26. Februar 1984 hatten Volk und Stände zum zweitenmal innert sechs Jahren die Einführung eines Zivildienstes abgelehnt. Mit der Revision des Militärstrafgesetzes im Jahre 1990 wurde daher nur bezweckt, "im Rahmen der Bundesverfassung einen Beitrag zur Entschärfung des Dienstverweigererproblemes zu leisten" und den Strafvollzug für Dienstverweigerer aus Gewissensgründen zu entkriminalisieren. Nach dem erklärten Willen des Bundesrates sollte mit
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der Änderung von Art. 81 MStG die Einführung eines Zivildienstes nicht vorweggenommen werden. Allenfalls sollten damit Erfahrungen gesammelt werden, um später dem Souverän eine neue Vorlage zur Einführung eines Zivildienstes auf Verfassungsstufe unterbreiten zu können (Botschaft des Bundesrates vom 27. Mai 1987, BBl 1987 II S. 1313 Ziff. 11 f.), was inzwischen auch erfolgt ist. Aus der Regelung des Zivildienstes, wie sie im Entwurf zu einem Bundesgesetz vorgesehen ist, lässt sich daher nicht ableiten, beim Arbeitsdienst nach Art. 81 Ziff. 2 MStG handle es sich ebenfalls um einen Ersatzdienst zum Militärdienst.

4. Unbegründet ist schliesslich auch der Einwand des Beschwerdeführers, er werde doppelt bestraft, weil er einerseits zum Arbeitsdienst verpflichtet werde und andererseits den Militärpflichtersatz zu bezahlen habe. Der Militärpflichtersatz ist keine Strafe. Er ist die Ersatzleistung, die der Schweizer Bürger zu bezahlen hat, der seine Wehrpflicht - aus welchen Gründen immer - nicht oder nicht im gesetzlichen Umfang durch persönliche Dienstleistung erfüllt. Die Abgabe ist an sich geschuldet, weil der Wehrpflichtige von seiner ihm gegenüber dem Gemeinwesen obliegenden öffentlichrechtlichen Pflicht zur Leistung von Militärdienst befreit ist (Botschaft des Bundesrates vom 11. Juli 1958 über die Neuordnung des Militärpflichtersatzes, BBl 1958 II 340; BGE 113 Ib 206 E. 3a). Dass es beim Militärpflichtersatz nicht um eine Strafe geht, zeigt sich auch etwa darin, dass derjenige, der rechtmässig im Ausland weilt und aus diesem Grund den Militärdienst nicht leisten kann, die Ersatzabgabe zu bezahlen hat (Art. 2 Abs. 1 lit. c MPG). Der Beschwerdeführer wird dadurch, dass er sowohl zur Arbeitsdienstleistung als auch zur Ersatzabgabe herangezogen wird, nicht doppelt bestraft.

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