Urteilskopf
121 III 1
1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. März 1995 i.S. K. (Berufung)
Regeste
Legitimation des Dritten zur Erhebung einer Vormundschaftsbeschwerde gegen die Anordnung einer Beistandschaft für ein aussereheliches Kind (Art. 420, 392 Ziff. 2, 309 Abs. 2 ZGB).
Die Berufung ist zulässig gegen die Anordnung einer Vertretungsbeistandschaft (
Art. 44 lit. e OG
). Frage offengelassen für die Anordnung einer Vaterschaftsbeistandschaft (E. 1).
Ein Dritter ist zur Beschwerde gemäss
Art. 420 ZGB
legitimiert, wenn er sich auf die Interessen der schutzbedürftigen Person beruft oder die Verletzung eigener Rechte oder Interessen geltend macht (E. 2a). Der Präsumtivvater, der sich gegen die Anordnung einer Vertretungs- und Vaterschaftsbeistandschaft für das aussereheliche Kind wehrt, ist nicht zur Beschwerde legitimiert (E. 2b und c).
A.-
Am 30. Januar 1982 wurde M. Z. als Tochter von L. Z. geboren. Y. anerkannte am 3. März 1982 vor dem Zivilstandsamt X. die Vaterschaft. Nachdem sich Y. von L. Z. getrennt hatte und mit einer anderen Frau eine Ehe eingegangen war, verweigerte er gegenüber M. Z. die Erfüllung seiner väterlichen Pflichten, seit einiger Zeit insbesondere diejenige der Erbringung von Unterhaltsleistungen. In der Folge wandte sich L. Z. an die Vormundschaftsbehörde der Stadt Biel, damit diese im Interesse des Kindes dessen väterliche Abstammung kläre. Am 3. Oktober 1994 ordnete die Vormundschaftsbehörde der Stadt Biel die Errichtung einer Vertretungs- respektive Vaterschaftsbeistandschaft für M. Z. an und erteilte dem Beistand den Auftrag, namens des Kindes Klage auf Anfechtung der Anerkennung der Vaterschaft durch Y. sowie eine Vaterschaftsklage gegen K. einzureichen.
B.-
Gegen diesen Beschluss erhob K. Beschwerde beim Regierungsstatthalter des Amtsbezirkes Biel. Dieser trat mit Entscheid vom 2. Dezember 1994 auf die Beschwerde nicht ein. Der Appellationshof des Kantons Bern ist auf die dagegen erhobene Beschwerde vom 13. Dezember 1994 mit Entscheid vom 13. Januar 1995 nicht eingetreten.
C.-
Mit Berufung vom 23. Januar 1995 beantragt K. dem Bundesgericht, den Entscheid des Appellationshofes des Kantons Bern aufzuheben und die Sache zur materiellen Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 44 lit. e OG
ist gegen die Anordnung einer Beistandschaft die Berufung zulässig. Diese Bestimmung bezieht sich aufgrund der gesetzlichen Verweise fraglos auf die Anordnung einer Vertretungsbeistandschaft im Sinn von
Art. 392 Abs. 2 ZGB
(POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi d'organisation judiciaire, Bern 1990, Rz. 2.5.4, S. 214). Heikel ist demgegenüber die Frage, ob auch eine Berufung, die sich gegen die Anordnung einer Vaterschaftsbeistandschaft im Sinn von
Art. 309 ZGB
richtet, zulässig ist (verneint in
BGE 95 II 298
E. 1 und von POUDRET/SANDOZ-MONOD, a.a.O., Rz. 2.5.4, S. 215; a.M. MESSMER/IMBODEN, Die
BGE 121 III 1 S. 3
eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, Ziff. 55, Fn. 15; vgl. auch
BGE 107 II 312
, wo stillschweigend auf eine Berufung gegen die Anordnung einer Vaterschaftsbeistandschaft eingetreten wurde). Vorliegend kann diese Frage jedoch dahingestellt bleiben, weil sich die Berufung auch gegen die Anordnung der Vertretungsbeistandschaft richtet. Auf die Berufung ist daher einzutreten.
2.
Der Kläger rügt, dass der Appellationshof des Kantons Bern ihm zu Unrecht die Legitimation zur Erhebung der Vormundschaftsbeschwerde abgesprochen habe. Seine Befugnis zur Beschwerdeführung sei einerseits deshalb zu bejahen, weil er durch die Anordnung der Beistandschaft für M. Z. in eigenen Rechten betroffen sei, da diese Massnahme die Beseitigung der bestehenden Vaterschaft und einen Vaterschaftsprozess gegen ihn bezwecke. Anderseits sei er auch zur Beschwerdeführung legitimiert, weil er damit die Interessen von M. Z. wahrnehme. Die Vorinstanz hätte daher auf jeden Fall auf seine Beschwerde eintreten und zumindest prüfen müssen, ob die Anordnung einer Vaterschaftsbeistandschaft im wohlverstandenen Kindesinteresse liege.
a)
Art. 420 Abs. 1 ZGB
räumt dem Bevormundeten, der urteilsfähig ist, sowie jedermann, der ein Interesse hat, das Recht ein, gegen Handlungen des Vormundes bei der Vormundschaftsbehörde Beschwerde zu führen. Nach
Art. 420 Abs. 2 ZGB
kann sodann gegen Beschlüsse der Vormundschaftsbehörde binnen zehn Tagen nach deren Mitteilung bei der Aufsichtsbehörde Beschwerde geführt werden. Das Recht des Dritten zur Beschwerdeführung ist eingeschränkt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes dient das Rechtsmittel in erster Linie dazu, die vormundschaftlichen Behörden zu einem gesetzmässigen Verhalten und zur Wahrung der Interessen derjenigen, für die sie tätig werden muss, anzuhalten (
BGE 103 II 170
E. 2, S. 174). Zur Beschwerde legitimiert ist nicht nur ein Dritter, der Mündelinteressen wahrnimmt, sondern auch derjenige, der eine Verletzung eigener Rechte geltend macht oder an der Beschwerdeführung selbst interessiert ist (
BGE 113 II 232
; DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 2. Auflage, Bern 1986, N. 987; ZVW 37, 1982, S. 32 f.). Demnach ist die Legitimation eines Dritten zur Beschwerdeführung gemäss
Art. 420 ZGB
zu bejahen, sofern dieser sich auf die Interessen der schutzbedürftigen Person beruft oder die Verletzung eigener Rechte oder Interessen geltend macht.
b) Soweit der Kläger ausführt, dass seine Rechte und schutzwürdigen Interessen durch die Anordnung der Vertretungs- respektive Vaterschaftsbeistandschaft für M. Z. tangiert seien, kann seinen Ausführungen nicht gefolgt werden. Weder bei der Anordnung einer Vertretungsbeistandschaft im Hinblick auf die Anfechtung der Vaterschaft (
Art. 392 Abs. 2 ZGB
in Verbindung mit
Art. 260a ZGB
) noch bei der Errichtung einer Vaterschaftsbeistandschaft (
Art. 309 Abs. 1 und 2 ZGB
) hat die Vormundschaftsbehörde Rechte oder Interessen des Präsumtivvaters zu berücksichtigen. Die Errichtung der Vertretungs- respektive Vaterschaftsbeistandschaft bezweckt einzig, dem ausserehelichen Kind die Mittel zu verschaffen, um ein Kindesverhältnis zum anerkennenden Vater aufzulösen bzw. die Rechtsbeziehung zum natürlichen Vater herzustellen. Dritten stehen im Vormundschaftsverfahren keine subjektiven Rechte zu. Ebensowenig besteht die Möglichkeit, deren Interessen zu berücksichtigen. Die Vorinstanz hält daher zutreffend fest, dass der Kläger erst im Rahmen eines allfälligen künftigen Vaterschaftsprozesses eigene Rechte und Interessen geltend machen kann. Da der Beschwerdeführer im vormundschaftlichen Verfahren somit weder über eigene Rechte verfügt noch sich auf eigene Interessen zu berufen vermag, wurde ihm von der Vorinstanz zu Recht die Legitimation zur Erhebung einer Vormundschaftsbeschwerde abgesprochen.
c) Die Frage, ob der Kläger legitimiert sei, eine Beschwerde gemäss
Art. 420 ZGB
zu erheben, beschränkt sich daher einzig auf die Frage, ob er berechtigte Interessen des Kindes wahrnehme. Diesbezüglich ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der Anfechtung der Vaterschaft zum Registervater einerseits und der anschliessenden Feststellung des Kindesverhältnisses zum natürlichen Vater anderseits. Nur hinsichtlich der Anfechtung der Vaterschaft hat die Vormundschaftsbehörde zu prüfen, ob diese im Interesse des Kindes liege (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 4. Auflage, Bern 1994, N. 8.10 mit Verweis auf N. 6.07). Dabei ist abzuwägen, ob die Anfechtung des Kindesverhältnisses oder dessen Fortdauer für das Kind vorteilhaft ist (SJZ 69, 1973, S. 124 Nr. 77 E. 6). Bezüglich der Feststellung des Kindesverhältnisses nach erfolgreicher Anfechtung (
Art. 309 Abs. 2 ZGB
) ist demgegenüber nach Sinn und Wortlaut des Gesetzes ein Interesse des Kindes nicht erforderlich (HEGNAUER, Darf der Beistand von der Feststellung des Kindesverhältnisses zum Vater absehen?, ZVW 34, 1979, S. 101). Vielmehr ist auf jeden Fall ungeachtet von allfälligen Kindesinteressen eine Vaterschaftsklage zu erheben. Die Frage, ob ein
BGE 121 III 1 S. 5
Interesse des Kindes an der Anordnung der Beistandschaft besteht, ist somit zum vornherein auf die Anfechtung der Rechtsbeziehung zum anerkennenden Vater zu beschränken.
Der Kläger geht fehl in der Annahme, dass vorliegend die Erhebung einer Anfechtungsklage zur Beseitigung des bestehenden Kindesverhältnisses den Kindesinteressen zuwiderlaufe. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das aussereheliche Kind Anspruch auf die Feststellung des Kindesverhältnisses zum Vater hat (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, N. 27.30; vgl. auch
BGE 112 Ia 97
E. 6b; COTTIER, Die Suche nach der eigenen Herkunft: Verfassungsrechtliche Aspekte, Beihefte zur Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 1987, insbes. S. 27 ff.; COTTIER, Kein Recht auf Kenntnis des eigenen Vaters?, recht 4, 1986, S. 135 ff.). An diesem grundsätzlichen Interesse des Kindes ändern die Ausführungen des Klägers nichts. Soweit er geltend macht, dass M. Z. von ihrer Mutter schon vor vier Jahren und seither immer wieder über die wahre biologische Vaterschaft aufgeklärt worden sei, scheint er zu übersehen, dass die Feststellung des Kindesverhältnisses sich durchaus nicht in der Kenntnis des biologischen Vaters erschöpft, sondern auch den Unterhaltsanspruch gegen den Vater sowie die Unterstützungs- und Erbberechtigung gegenüber der väterlichen Verwandtschaft mitumfasst. Ebenso unbehelflich ist der Einwand, dass die Beziehung zum Registervater durch eine Anfechtung tangiert werde, ist diese Beziehung doch bereits vor vier Jahren vollständig abgebrochen worden. Damit erweist sich ohne weiteres auch der Vorwurf des rechtsmissbräuchlichen Vorgehens der Kindesmutter und der Vormundschaftsbehörde als haltlos. Den Ausführungen der Vorinstanz ist daher beizupflichten, dass der Beschwerdeführer nicht Interessen von M. Z., sondern ausschliesslich eigene Interessen geltend macht. Diese können indessen wie dargelegt nicht im Vormundschaftsverfahren, sondern erst in einem künftigen Vaterschaftsprozess vorgetragen werden.
d) Der Appellationshof des Kantons Bern hat demnach die Legitimation des Klägers zur Erhebung einer Vormundschaftsbeschwerde gegen die Anordnung der Vertretungs- respektive Vaterschaftsbeistandschaft zutreffend verneint, weil dieser als Dritter sich weder auf eigene Rechte noch auf die Interessen von M. Z. zu berufen vermag. Die Berufung ist demnach abzuweisen.