Federal court decision 121 III 20 from March 29, 1995

Date: March 29, 1995

Related articles:  Art. 93 SchKG

Related court decisions:  84 III 29, 89 III 65, 105 III 48, 107 III 75, 109 III 53, 111 III 13, 112 III 19, 120 III 16, 129 III 242, 129 III 385, 135 I 221 , 112 III 19, 84 III 29, 89 III 65, 107 III 75, 109 III 53, 111 III 13, 120 III 16, 105 III 48, 109 III 53, 111 III 13, 120 III 16, 105 III 48

Source: bger.ch

Urteilskopf

121 III 20


7. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 29. März 1995 i.S. X.

Regeste

Einkommenspfändung ( Art. 93 SchKG ).
Der Grundsatz, dass bei der Berechnung des Existenzminimums nur tatsächlich bezahlte Beträge berücksichtigt werden können, gilt auch für Wohnungsmietzinse und Krankenkassenprämien. Der Schuldner kann eine Revision der Einkommenspfändung verlangen in dem Moment, wo er nachweist, dass er einen Mietvertrag bzw. einen Versicherungsvertrag abgeschlossen hat und dass er die vereinbarten Mietzinse bzw. Versicherungsprämien auch tatsächlich bezahlt.

Sachverhalt ab Seite 21

BGE 121 III 20 S. 21
Nachdem das Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs das Existenzminimum der Schuldnerin - unter Berücksichtigung von Wohnkosten und Krankenversicherungsprämien - von Fr. 1'604.-- auf Fr. 2'514.-- heraufgesetzt hatte, rekurrierte eine Gläubigerin gegen diesen Beschluss an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie beantragte im wesentlichen, dass das Existenzminimum wieder auf Fr. 1'604.-- festgesetzt werde.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer hiess den Rekurs gut aus den folgenden

Erwägungen

Erwägungen:

2. a) Das Obergericht des Kantons Zürich geht in tatbeständlicher Hinsicht davon aus, dass die Schuldnerin weder die Krankenkassenprämien noch die Mietzinse bezahlt hat und dass ihr die Wohnung offenbar bereits gekündigt worden sei; und es ist sich der Rechtsprechung bewusst, wonach bei der Berechnung des Existenzminimums nur tatsächlich bezahlte Auslagen berücksichtigt werden dürfen.
Indessen gibt das Obergericht zu bedenken, dass die Nichtzahlung des dem Vermieter vertraglich geschuldeten Mietzinses einen Schuldner in die Gefahr bringt, aus der Mietwohnung ausgewiesen zu werden und so in eine Notlage zu geraten. Ebenso schwere Folgen könne für ihn das Fehlen einer Krankenversicherung im Krankheitsfall haben. Auch wenn die Schuldnerin im Zeitpunkt der Pfändung mit der Bezahlung der Mietzinse und
BGE 121 III 20 S. 22
Krankenkassenprämien in Verzug gewesen sei und bereits keinen Krankenversicherungsschutz mehr genossen habe, sei es deshalb mit dem hinter der gesetzlichen Pfändungsbeschränkung des Art. 93 SchKG stehenden Schutzgedanken nicht vereinbar, die von der Beschwerdeführerin geschuldeten Mietzinse und die von ihr für die Krankenkasse benötigten Mittel aus ihrem Existenzminimum auszuschliessen, zumal keine Anhaltspunkte dafür beständen, dass der Beschwerdeführerin die Mietzinse erlassen worden seien und dass sie die Krankenkassenprämie nicht bezahlt habe, weil sie auf den Versicherungsschutz verzichten wollte.
b) Das Betreibungsamt betont in seiner Vernehmlassung, dass diese Rechtsauffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde gegen Art. 93 SchKG und die feste Bundesgerichtspraxis verstosse.

3. a) Fast alle Fälle, in denen das Bundesgericht erklärt hat, bei der Berechnung des Existenzminimums könnten nur jene Beträge berücksichtigt werden, welche der Schuldner auch tatsächlich benötigt und bezahlt, beziehen sich auf Unterhaltsbeiträge an Familienmitglieder ( BGE 84 III 29 , S. 31; BGE 89 III 65 E. 1, S. 67; BGE 107 III 75 E. 1, S. 77; BGE 109 III 53 E. 2c, S. 56; BGE 111 III 13 E. 4, S. 15; BGE 120 III 16 E. 2c, S. 17 f.). In dem zuletzt zitierten Entscheid ist gesagt worden, es würde dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen, wenn dem Schuldner Auslagen für den Unterhalt von Kindern zugestanden würden, obwohl ihm die Obhut über die Kinder gerichtlich gar nicht zugesprochen worden ist.
Hingegen geht es in dem sowohl von der Vorinstanz als auch von der Rekurrentin zitierten BGE 112 III 19 E. 4, S. 22 f. um die Berücksichtigung von Wohnkosten, welche der Schuldner geltend machte. Dort ist festgestellt worden, dass dem Rekurrenten bei seinen Eltern ein Zimmer zur Verfügung stehe, für dessen Benützung er keine Miete zu entrichten brauche. Bezüglich eines Mietzinses, den der Schuldner angeblich seiner Freundin entrichte, fehlte es an entsprechenden Feststellungen der kantonalen Aufsichtsbehörde. Dem Schuldner wurden bei der Ermittlung des Notbedarfs deshalb keine Wohnkosten zugestanden.
b) Der vorliegende Fall kann, was die Berücksichtigung des Mietzinses bei der Ermittlung des Existenzminimums betrifft, weder mit BGE 112 III 19 E. 4 noch mit den anderen zitierten Entscheiden unmittelbar verglichen werden. Man könnte im Gegenteil argumentieren, dass aufgrund des Alters und der Lebensumstände der Schuldnerin davon auszugehen sei, dass sie auf eine eigene Unterkunft angewiesen sei und ihr angemessene Auslagen hiefür bei der Berechnung des Notbedarfs auf jeden Fall zuzugestehen seien; denn es
BGE 121 III 20 S. 23
gehe - ähnlich wie dies in BGE 105 III 48 , S. 49 erkannt worden ist - nicht an, die Schuldnerin in eine absolut unhaltbare Lage zu versetzen.
Dem ist nun aber doch entgegenzuhalten, dass es stossend wäre, der Schuldnerin Wohnkosten zuzugestehen, derweil sie mit dem bei der Ermittlung des Existenzminimums berücksichtigten Betrag nicht dem Vermieter den Mietzins bezahlt, sondern das Geld anderweitig ausgibt. Nicht ganz zu Unrecht meint daher das Betreibungsamt in seiner Vernehmlassung, dass es sich dem Vorwurf aussetzen würde, Beihilfe zur widerrechtlichen Verfügung über gepfändetes Einkommen zu leisten, wenn es der Schuldnerin den von ihr geforderten Betrag überliesse. Bei der Berechnung des Existenzminimums muss den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung getragen werden und kann nicht auf behauptete, aber nicht erfüllte vertragliche Verpflichtungen des Schuldners abgestellt werden.
Der nicht bezahlte Mietzins kann daher bei der Berechnung des Existenzminimums nicht berücksichtigt werden. Die Schuldnerin hat jedoch die Möglichkeit, die Revision der Einkommenspfändung zu verlangen von dem Augenblick an, wo sie sich über den Abschluss eines Mietvertrags ausweist und darüber, dass sie den darin vereinbarten Mietzins (wie auch allenfalls geltend gemachte Nebenkosten) tatsächlich bezahlt. Das lässt sich mit der gesetzlichen Regelung besser vereinbaren als das von der kantonalen Aufsichtsbehörde gewählte Vorgehen, wonach der Schuldnerin zwar der Betrag für den Mietzins (und die Krankenkassenprämien) belassen worden wäre, sie aber zugleich zur regelmässigen Zahlung verpflichtet worden wäre unter der Androhung, dass andernfalls die Einkommenspfändung revidiert würde.
c) Grundsätzlich dieselben Überlegungen gelten hinsichtlich der Prämien für die Krankenversicherung, welche bei der Berechnung des Existenzminimums ebenfalls nur unter der Voraussetzung berücksichtigt werden können, dass sie von der Schuldnerin tatsächlich bezahlt werden. Auch diesbezüglich steht der Schuldnerin die Möglichkeit offen, die Revision der Lohnpfändung zu verlangen, sofern sie sich über den Abschluss eines Versicherungsvertrags und die Bezahlung der damit vereinbarten Prämien ausweist.
Dem mag beigefügt werden, dass die von der kantonalen Aufsichtsbehörde gewählte Lösung insofern widersprüchlich wäre, als Einkommen der Schuldnerin der Befriedigung verfallener und betriebener Prämien entzogen würde, die Schuldnerin aber anderseits verpflichtet würde, neu eingehende Prämienrechnungen ungesäumt zu bezahlen.

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