Urteilskopf
121 IV 198
32. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. September 1995 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 und
Art. 26 BetmG
;
Art. 63, 21 ff. und 260bis StGB
; Anstaltentreffen; Strafzumessung.
Der Tatbestand des Anstaltentreffens erfasst sowohl den Versuch wie auch gewisse qualifizierte Vorbereitungshandlungen zu den in
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-5 BetmG
genannten Taten und wertet sie zu selbständigen Delikten mit derselben Strafdrohung wie die übrigen nach
Art. 19 BetmG
verbotenen Verhaltensweisen auf (E. 2a, Klarstellung der Rechtsprechung). Eine Strafmilderung bei Vorbereitungshandlungen unter Rückgriff auf allgemeine Grundsätze des Strafgesetzbuchs kommt nicht in Betracht (E. 2b). Wiegt der Unrechts- und Schuldgehalt des Anstaltentreffens im konkreten Fall leichter als der anderer nach
Art. 19 Ziff. 1 BetmG
strafbarer Handlungen, hat der Richter dem bei der Strafzumessung nach
Art. 63 StGB
Rechnung zu tragen (E. 2c).
Das Obergericht des Kantons Zürich befand S. am 15. März 1995 zweitinstanzlich schuldig der mehrfachen qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, des mehrfachen untauglichen Versuchs der Geldwäscherei, des Vergehens gegen die Verordnung über den Erwerb und das Tragen von Schusswaffen durch jugoslawische Staatsangehörige, der Meuterei sowie des vollendeten und unvollendeten Versuchs der Freiheitsberaubung und bestrafte ihn mit 11 Jahren Zuchthaus, abzüglich 909 Tage Untersuchungshaft bzw. vorzeitigen Strafvollzugs.
S. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
aus folgenden Erwägungen:
1.
a) Der Beschwerdeführer macht ausschliesslich geltend, soweit ihm Vorbereitungshandlungen nach
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
(SR 812.121) vorgeworfen werden, habe die Vorinstanz Bundesrecht dadurch verletzt, dass sie bei der Strafzumessung den besonderen Charakter dieser Handlungen nicht berücksichtigt habe. Die Vorinstanz habe ausser acht gelassen, dass - wie vor allem aus
Art. 260bis StGB
hervorgehe - Vorbereitungshandlungen nicht nur minder, sondern milder zu bestrafen seien als das vollendete Delikt. Der Gesetzgeber habe sich mit dem Problem der strafbaren Vorbereitungshandlungen im Betäubungsmittelgesetz nicht näher auseinandergesetzt. Demgegenüber ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien zu
Art. 260bis StGB
, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung dieser Bestimmung ganz allgemein habe festlegen wollen, nicht nur unter welchen Voraussetzungen Vorbereitungshandlungen strafwürdig seien, sondern auch, wie deren Unrechtsgehalt zu bewerten sei. Sinngemäss macht der Beschwerdeführer geltend, dass
Art. 260bis StGB
zum allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches gehöre und diese Bestimmung deshalb nach
Art. 26 BetmG
auch Konsequenzen für das Betäubungsmittelstrafrecht haben müsse.
b) Die Beschwerdegegnerin wendet dagegen ein, der Gesetzgeber habe im Betäubungsmittelstrafrecht eine abschliessende Sonderregelung in bezug auf das Anstaltentreffen zu den in
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-5 BetmG
umschriebenen Tatbeständen getroffen, so dass eine Anwendung der allgemeinen Grundsätze des Strafgesetzbuches nicht in Betracht komme.
2.
a) Gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
wird bestraft, wer zu den in Absatz 1-5 genannten Taten Anstalten trifft. Damit werden sowohl der Versuch im Sinne von
Art. 21 ff. StGB
wie auch gewisse qualifizierte Vorbereitungshandlungen erfasst und zu selbständigen Taten mit derselben Strafdrohung wie die übrigen verbotenen Verhaltensweisen aufgewertet (PETER ALBRECHT, Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, Sonderband Betäubungsmittelstrafrecht, Art. 19 N. 115). Eine Strafmilderung bei Versuch in Anwendung der allgemeinen Regeln nach Art. 21 f. StGB kommt nicht in Betracht. Andernfalls würde der Versuch gegenüber der Vorbereitungshandlung privilegiert.
BGE 117 IV 309
E. 1a ist in diesem Sinne zu präzisieren. Ob die Rücktrittsbestimmungen von
Art. 21 Abs. 2 und
Art. 260bis Abs. 2 StGB
analog anzuwenden sind, braucht hier nicht entschieden zu werden.
b) Die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches finden auch im Betäubungsmittelstrafrecht Anwendung, soweit das Betäubungsmittelgesetz nicht selbst Bestimmungen aufstellt (
Art. 26 BetmG
). Den allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches kommt im Drogenstrafrecht eine doppelte Funktion zu: Sie ergänzen einerseits die speziellen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes und dienen andererseits als Interpretationsrichtlinien (ALBRECHT, a.a.O., Art. 26 N. 1). Das Betäubungsmittelgesetz enthält zahlreiche eigenständige Vorschriften, die von den allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches offensichtlich abweichen. So stellt das Gesetz in
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
das Anstaltentreffen den übrigen verbotenen Verhaltensweisen von
Art. 19 BetmG
gleich, insbesondere auch in bezug auf die Strafdrohung. Im Betäubungsmittelgesetz findet sich somit insoweit eine von den allgemeinen Grundsätzen betreffend Versuch und Vorbereitung abweichende Regelung (ALBRECHT, a.a.O., Art. 26 N. 3). Bei dieser Sachlage geht es nicht an, unter Rückgriff auf die vom Beschwerdeführer behaupteten allgemeinen Prinzipien der Sache nach für reine Vorbereitungshandlungen von einer geringeren Strafdrohung auszugehen.
Richtig ist zwar, dass das Strafgesetzbuch für die in
Art. 260bis StGB
erfassten strafbaren Vorbereitungshandlungen zu den dort genannten Katalogtaten (vorsätzliche Tötung, Mord, schwere Körperverletzung, Raub, Freiheitsberaubung und Entführung, Geiselnahme und Brandstiftung) einen Strafrahmen zwischen 3 Tagen Gefängnis und 5 Jahren Zuchthaus vorsieht. Der Strafrahmen für Vorbereitungshandlungen ist also nach dieser Bestimmung in der Regel wesentlich tiefer als der Strafrahmen für das vollendete oder das
BGE 121 IV 198 S. 201
versuchte Delikt, wobei immerhin festzuhalten ist, dass die Strafdrohung für vollendete Freiheitsberaubung und Entführung gemäss
Art. 183 StGB
genau gleich ist wie diejenige von Art. 260bis (mit der merkwürdigen Folge, dass die Strafdrohung für versuchte Freiheitsberaubung und Entführung sogar milder ist als diejenige für eine strafbare Vorbereitungshandlung zu Freiheitsberaubung und Entführung). Die Strafdrohung von
Art. 260bis StGB
beruht sicher auf der Einsicht, dass der Unrechtsgehalt von strafbaren Vorbereitungshandlungen in der Regel wesentlich weniger schwer ist als derjenige des vollendeten Deliktes. Anderseits ist nicht zu übersehen, dass das Strafgesetzbuch auch Bestimmungen enthält, in denen die Vorbereitungshandlung schärfer bestraft wird als die eigentliche Rechtsgutsverletzung: So wird die Geldfälschung mit Zuchthaus bis zu 20 Jahren bestraft (
Art. 240 Abs. 1 StGB
), während das Inumlaufsetzen des Falschgeldes, worin erst die eigentliche Rechtsgutsverletzung liegt, nur mit Zuchthaus bis zu 3 Jahren oder mit Gefängnis bedroht wird (
Art. 242 Abs. 1 StGB
). Dies zeigt, dass es Vorbereitungshandlungen gibt, deren Unrechtsgehalt der Gesetzgeber geradeso schwer oder sogar noch schwerer bewertet als den Unrechtsgehalt der eigentlichen Rechtsgutsverletzung. Bei der Geldfälschung dürfte der Gesichtspunkt, dass der Fälschungsakt das in erster Linie Vorwerfbare ist (vgl. STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, 4. Aufl., S. 83), im Vordergrund stehen: Die weiteren Schritte bis zur eigentlichen Rechtsgutsverletzung fallen demgegenüber weniger ins Gewicht. Entsprechend gibt es Konstellationen, wo das Anstaltentreffen zu einem Betäubungsmittelvergehen aufgrund der konkreten Umstände als gravierender erscheinen mag, weil damit der Anfang einer ganzen Kette von Betäubungsmittelvergehen gesetzt wird.
Der Auffassung des Beschwerdeführers, Vorbereitungshandlungen im Sinne des Anstaltentreffens seien stets milder zu bestrafen als die Betäubungsmittelstraftaten nach
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-5 BetmG
, kann deshalb nicht gefolgt werden.
c) Zutreffend ist allerdings, dass unter den konkreten Umständen eines Falles der Unrechts- und Schuldgehalt des Anstaltentreffens gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
geringer erscheinen kann als der anderer Handlungen wie etwa des Einführens oder Verkaufens von Betäubungsmitteln. Dann hat der Richter im Rahmen der Strafzumessung nach
Art. 63 StGB
diesen besonderen Umständen Rechnung zu tragen. Er verletzt jedoch kein Bundesrecht, wenn er davon ausgeht, das Anstaltentreffen könne grundsätzlich im Unrechtsgehalt
BGE 121 IV 198 S. 202
den übrigen in
Art. 19 Ziff. 1 BetmG
aufgezählten strafbaren Verhaltensweisen gleichgestellt werden.
Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass die Vorinstanz hier aufgrund der konkreten Umstände das Anstaltentreffen bei der Strafzumessung geringer hätte gewichten müssen. Die Beschwerde erweist sich deshalb als unbegründet.