Urteilskopf
122 II 193
27. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. Mai 1996 i.S. B. gegen Regierung des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste
Entzug von Fürsorgeleistungen an abgewiesene Asylbewerber; Grundrecht auf Existenzsicherung;
Art. 20a und 20b AsylG
; Art. 10b der Asylverordnung 2 über Finanzierungsfragen vom 22. Mai 1991.
Fürsorgeleistungen an abgewiesene Asylbewerber, die nicht vorläufig aufgenommen wurden, richten sich nach den
Art. 20a und 20b AsylG
, ihr Entzug somit nach Art. 10 ff. Asylverordnung 2; er kann mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (E. 1).
Ein gänzlicher Entzug von Fürsorgeleistungen ist ein Grundrechtseingriff. Erfordernis der gesetzlichen Grundlage (E. 2).
Unverhältnismässigkeit des gänzlichen Entzugs im konkreten Fall (E. 3).
B., jugoslawischer Staatsangehöriger aus Kosovo, reiste anfangs Juni 1995 in die Schweiz ein und stellte am 6. Juni ein Asylgesuch. Das Bundesamt für Flüchtlinge wies ihn gemäss Art. 20 des Asylgesetzes vom 5. Oktober 1979 (AsylG; SR 142.31) dem Kanton St. Gallen zu. Dieser brachte ihn am 15. Juni 1995 im Zentrum für Asylbewerber T. unter. Am 31. Juli 1995 wurde B. wegen aktiver Arbeitsverweigerung, Sachbeschädigungen und Missachtung der Hausordnung dem Zentrum für Asylbewerber R. zugewiesen. Am gleichen Tag verwarnte ihn der stellvertretende Leiter des Zentrums R., weil er zu spät eingetroffen sei, sich von Anfang an quergestellt und jede Zusammenarbeit verweigert habe. Am 2. und 3. August erfolgten weitere Verwarnungen, weil B. die Mithilfe im Haus verweigerte; in allen drei Verwarnungen wurde darauf hingewiesen, dass Fürsorgeleistungen abgelehnt oder entzogen werden können, wenn der Asylbewerber es offensichtlich unterlässt, seine Lage zu verbessern, oder sich trotz Androhung des Entzugs nicht an die Anordnungen des Betreuungspersonals hält. Am 6. August griff B. einen Zimmerkameraden tätlich an. Mit Schreiben vom 8. August 1995 wies ihn der stellvertretende Leiter des Zentrums R. aus dem Zentrum weg. Mit Verfügung vom gleichen Tag entzog das Departement des Innern des Kantons St. Gallen B. sämtliche Fürsorgeleistungen, wies ihn an, das Zentrum für Asylbewerber R. unverzüglich zu verlassen, und verbot ihm den Zutritt zu allen Zentren für Asylbewerber im Kanton St. Gallen.
Mit Verfügung vom 8. August 1995 stellte das Bundesamt für Flüchtlinge fest, dass B. die Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, lehnte sein Asylgesuch ab, wies ihn aus der Schweiz weg und setzte ihm eine Ausreisefrist bis 31. Januar 1996. Dieser Entscheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Mit Rekurs an die Regierung des Kantons St. Gallen beantragte B., die Verfügung des Departements des Innern vom 8. August 1995 sei vollumfänglich aufzuheben. Die Regierung wies den Rekurs mit Entscheid vom 3. Oktober 1995 ab.
B. erhob am 6. November 1995 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, der Rekursentscheid der Regierung und die Verfügung des Departements des Innern seien aufzuheben und es sei festzustellen, dass ihm Anspruch auf Fürsorgeleistungen zustehe.
Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut, hebt den Entscheid der Regierung des Kantons St. Gallen auf und weist die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
Aus den Erwägungen:
1.
a) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (
Art. 97 OG
in Verbindung mit
Art. 5 VwVG
). Für die Fürsorgeleistungen im Asylbereich gelten unterschiedliche Rechtsgrundlagen: während des Asylverfahrens sind die Art. 20a und 20b des Asylgesetzes vom 5. Oktober 1979 massgebend. Wird das Asyl gewährt, so richtet sich die Fürsorge nach den Art. 31-40 des Asylgesetzes, bis der Flüchtling die Niederlassungsbewilligung erhält; von diesem Moment an ist das kantonale Fürsorgerecht anwendbar (
Art. 40a AsylG
). Wird das Asylgesuch abgewiesen, ist aber der Vollzug der Wegweisung nicht möglich und wird der abgewiesene Bewerber daher gemäss Art. 18 Abs. 1 des Asylgesetzes vorläufig aufgenommen, so richtet sich die Fürsorge nach
Art. 14c Abs. 5 und 6 ANAG
(SR 142.20). Der Beschwerdeführer hat weder Asyl erhalten noch ist er nach
Art. 14a ANAG
vorläufig aufgenommen worden. Er gehört somit zu den Personen, die zwar weggewiesen worden sind, deren weiterer Aufenthalt aber wegen einstweiliger Nichtdurchsetzbarkeit der Ausreise faktisch vorläufig toleriert wird. Für diesen Personenkreis besteht keine ausdrückliche Fürsorgeregelung. Es liegt jedoch nahe, hinsichtlich der Fürsorge für diese faktisch tolerierten Personen ebenfalls die Art. 20a und 20b des Asylgesetzes anzuwenden (ebenso ALBERTO ACHERMANN/CHRISTINA HAUSAMMANN, Handbuch des Asylrechts, 2. A. Bern 1991, S. 407; WALTER SCHMID, Grundsätze des Fürsorgerechts im Asylbereich, Asyl 1992/2+3, S. 23-28, 25; REZA SHAHRDAR, Die Rechtsstellung des Asylsuchenden bis zum Entscheid über die Anerkennung des Flüchtlingsstatus, Diss. Freiburg 1995, S. 175). Das ergibt sich schon daraus, dass gemäss
Art. 20b Abs. 1 AsylG
der Bund den Kantonen die Fürsorgeauslagen bis längstens zu dem Tag vergütet, an dem die Wegweisung zu vollziehen ist, was voraussetzt, dass auch in dieser Verfahrensphase für die Fürsorgeleistungen
Art. 20a AsylG
gilt. Selbst wenn die Fürsorge anstatt nach
Art. 20a AsylG
in analoger Anwendung von
Art. 14c ANAG
geleistet würde (so FELIX WOLFFERS, Fürsorgeleistungen an abgewiesene Asylbewerber, Asyl 1995/1, S. 3-8, 4), würde sich im Ergebnis nichts ändern, da die Unterstützung der vorläufig Aufgenommenen weitgehend derjenigen für Asylbewerber entspricht
BGE 122 II 193 S. 196
(FELIX WOLFFERS, Grundriss des Sozialhilferechts, Bern 1993, S. 192). Sowohl nach
Art. 20a Abs. 2 AsylG
als auch nach
Art. 14c Abs. 6 ANAG
richten sich die Fürsorgeleistungen nach kantonalem Recht, sofern das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement keine abweichenden Bestimmungen erlässt, und vergütet der Bund den Kantonen die entstandenen Fürsorgeauslagen. Das hat in der Praxis dazu geführt, dass die Ausrichtung dieser Fürsorgeleistungen weitgehend nach den vom Bund festgesetzten Regeln erfolgt und somit das kantonale Recht faktisch nur subsidiär Anwendung findet (SHAHRDAR, a.a.O., S. 168; WOLFFERS, a.a.O., 1993, S. 184 f., WOLFFERS, a.a.O., 1995, S. 5). Solche bundesrechtliche Regeln über die Fürsorgeleistungen sind in den Art. 10 ff. der Asylverordnung 2 über Finanzierungsfragen vom 22. Mai 1991 (Asylverordnung 2, SR 142.312) enthalten. Daher stützt sich jedenfalls der Entscheid, Fürsorgeleistungen zu entziehen, auf Art. 10b der Asylverordnung 2 und damit auf öffentliches Recht des Bundes.
b) Gemäss
Art. 46 Abs. 2 AsylG
richtet sich die Beschwerde gegen Verfügungen und Beschwerdeentscheide von Bundesbehörden oder letzten kantonalen Instanzen unter Vorbehalt von
Art. 11 AsylG
nach den allgemeinen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege.
Art. 11 AsylG
betrifft einzig Beschwerden gegen Verfügungen des Bundesamtes für Flüchtlinge, schliesst aber die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide nicht aus. Da es nicht um die Verweigerung einer Fürsorgeleistung nach den
Art. 31 ff. AsylG
geht, ist auch die Regelung von
Art. 36 AsylG
nicht anwendbar. Es besteht auch sonst kein Ausschlussgrund im Sinne der
Art. 98 ff. OG
.
c) Auf die frist- und formgerecht eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher einzutreten.
2.
Der Beschwerdeführer bestreitet die Zulässigkeit eines gänzlichen Entzugs von Fürsorgeleistungen.
a) Aus Art. 23 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (SR 0.142.30) kann der Beschwerdeführer nichts für sich ableiten. Das Abkommen gilt nur für Flüchtlinge, was der Beschwerdeführer gemäss rechtskräftigem Asylverweigerungsentscheid gerade nicht ist. Daran ändert auch
Art. 25 AsylG
nichts: zum einen ist der Beschwerdeführer nicht vorläufig aufgenommen; auch wenn er es wäre, so werden gemäss
Art. 25 AsylG
nur diejenigen Personen, die als Flüchtling vorläufig aufgenommen wurden, den Flüchtlingen gleichgestellt. Dazu gehören nicht alle vorläufig Aufgenommenen, sondern nur Personen, die an sich Flüchtling wären, aber
BGE 122 II 193 S. 197
infolge eines Asylausschliessungsgrundes kein Asyl erhalten (
BGE 121 V 251
E. 3b S. 256).
b) Gemäss
Art. 20a Abs. 1 AsylG
erhält der Asylgesuchsteller, der seinen Unterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten kann, vom Kanton, dem er zugewiesen wurde, die nötige Fürsorge. Das Bundesgericht hat zudem kürzlich entschieden, dass die Bundesverfassung ein ungeschriebenes Recht auf Existenzsicherung enthält, das auch Ausländern, die sich in der Schweiz aufhalten, ungeachtet ihres rechtlichen Status zusteht (
BGE 121 I 367
E. 2 S. 370 ff.).
c) Ist ein verfassungsmässiges Recht auf Existenzsicherung anerkannt, so stellt sich der gänzliche Entzug von Fürsorgeleistungen als Grundrechtseingriff dar und unterliegt den dafür geltenden Voraussetzungen, insbesondere dem Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage (WOLFFERS, a.a.O., 1993, S. 88 f., 166).
aa) Der Regierungsrat stützt seinen Entscheid richtigerweise auf Art. 10b der Asylverordnung 2. Wie vorne (E. 1a) ausgeführt, richten sich die Fürsorgeleistungen für abgewiesene Asylbewerber, die nicht vorläufig aufgenommen wurden, nach
Art. 20a AsylG
, so dass auch die diese Bestimmung ausführenden Art. 10 ff. der Asylverordnung 2 Anwendung finden. Das Verhalten des Beschwerdeführers erfüllt offensichtlich die Voraussetzungen für den Leistungsentzug gemäss Art. 10b lit. g der Asylverordnung 2. Zu prüfen bleibt, ob diese bundesrätliche Verordnung eine genügende gesetzliche Grundlage darstellt.
bb) Das Bundesgericht kann im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens vorfrageweise Verordnungen des Bundesrates auf ihre Gesetzes- und Verfassungsmässigkeit prüfen. Bei unselbständigen Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft es, ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz eingeräumten Befugnis gehalten hat. Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, von der Verfassung abzuweichen, befindet das Gericht auch über die Verfassungsmässigkeit der unselbständigen Verordnungen. Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsstufe eingeräumt, ist dieser Spielraum nach
Art. 114bis Abs. 3 BV
für das Bundesgericht verbindlich. Es darf in diesem Fall bei der Überprüfung der Verordnung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen, sondern beschränkt sich auf die Prüfung, ob die Verordnung den Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenz offensichtlich sprengt oder aus andern Gründen gesetz- oder verfassungswidrig sei (
BGE 120 Ib 97
E. 3a S. 102;
118 Ib 81
BGE 122 II 193 S. 198
E. 3b S. 88, 367 E. 4 S. 372, je mit Hinweisen).
cc) Die Art. 10 ff. der Asylverordnung 2 können sich auf Art. 50 sowie allenfalls auf Art. 20a Abs. 2 des Asylgesetzes stützen. Diese Bestimmungen geben dem Bundesrat ein erhebliches Ermessen in der Konkretisierung der zu erbringenden Leistungen; sie ermächtigen ihn indessen nicht, von der Verfassung abzuweichen. Die Asylverordnung 2 erlaubt daher eine Kürzung oder einen Entzug von Fürsorgeleistungen nur insoweit, als sich dies nicht als Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Minimum erweist.
dd) Das bundesverfassungsmässige Recht auf Existenzsicherung begründet einen Anspruch auf positive staatliche Leistungen. Als solcher ist er zwar unmittelbar gerichtlich durchsetzbar (
BGE 121 I 367
E. 2c S. 373), doch wird er in der Regel durch ausführende Bestimmungen konkretisiert. Soweit diese Bestimmungen den Anspruch bloss umschreiben, müssen sie jedenfalls von Bundesrechts wegen nicht in der Form eines formellen Gesetzes ergehen, solange die gewährten Leistungen noch oberhalb dessen liegen, was bundesverfassungsrechtlich als Minimum staatlicher Leistung geboten ist. Die Frage der formellgesetzlichen Grundlage stellt sich erst dann, wenn - wie vorliegend - in diesen Mindestbereich eingegriffen wird.
ee) Es ist anerkannt, dass selbst ohne gesetzliche Grundlage ein vollständiger Leistungsentzug zulässig ist, wenn sich die unterstützte Person rechtsmissbräuchlich verhält (
BGE 121 I 367
E. 3b S. 375; WOLFFERS, a.a.O., 1993, S. 168), da das Rechtsmissbrauchsverbot als allgemeiner Rechtsgrundsatz in der ganzen Rechtsordnung herrscht, auch ohne dass es ausdrücklich angeordnet sein müsste (vgl.
BGE 119 Ia 221
E. 5a S. 228;
BGE 116 II 497
E. 3 S. 500). Eine formellgesetzliche Grundlage für den Entzug von Fürsorgeleistungen ist daher insoweit entbehrlich, als die Entzugsgründe sich als Konkretisierung des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots darstellen. Als solche Konkretisierungen sind diejenigen Kürzungsgründe zu betrachten, die an die Verletzung von Obliegenheiten anknüpfen, welche die unterstützte Person aufgrund der Natur des Fürsorgeverhältnisses erfüllen muss, um Leistungen beanspruchen zu können, auch wenn sie nur teilweise ausdrücklich gesetzlich festgehalten sind (vgl. ANNE MÄDER/URSULA NEFF, Vom Bittgang zum Recht, Bern 1988, S. 65 ff.; WOLFFERS, a.a.O., 1993, S. 105 ff.). Das betrifft zumindest die lit. a-d von Art. 10b der Asylverordnung 2.
ff) Art. 10b lit. g der Asylverordnung 2, auf den sich vorliegend der Entzug hauptsächlich stützt, knüpft jedoch nicht an die Verletzung solcher
BGE 122 II 193 S. 199
Obliegenheiten an, sondern trägt disziplinarischen Charakter. Nach dem Gesagten ist diese Bestimmung jedenfalls eine genügende gesetzliche Grundlage für Leistungskürzungen, die nicht in den unmittelbar verfassungsrechtlich geschützten Mindestbereich eingreifen. Wieweit sie für einen völligen Leistungsentzug genügen kann, braucht hier nicht weiter untersucht zu werden, da - wie sich aus dem folgenden ergibt - die Beschwerde aus anderen Gründen gutzuheissen ist.
3.
a) Der Entzug von Fürsorgeleistungen muss verhältnismässig sein (WOLFFERS, a.a.O., 1993, S. 114, 168 f.) und darf den Kerngehalt des Grundrechts nicht beeinträchtigen. In der Lehre wird die Ansicht vertreten, dass der vollständige Entzug von existentiellen Leistungen einen absolut unzulässigen Eingriff in den Kerngehalt darstelle (CHRISTINE BREINING-KAUFMANN, Hunger als Rechtsproblem - völkerrechtliche Aspekte eines Rechts auf Nahrung, Diss. Zürich 1991, S. 151; PASCAL COULLERY, Das Recht auf Sozialhilfe, Diss. Bern 1993, S. 100; JÖRG PAUL MÜLLER, Elemente einer schweizerischen Grundrechtstheorie, Bern 1982, S. 151; SCHMID, a.a.O., S. 25; WOLFFERS, a.a.O., 1993, S. 89, 166 f.; WOLFFERS, a.a.O., 1995, S. 6). Das ist jedenfalls insoweit anzuerkennen, als eine Person unverschuldet objektiv nicht in der Lage ist, sich die für ihr physisches Überleben unabdingbaren Mittel zu verschaffen. Vorliegend wurden dem Beschwerdeführer die Leistungen entzogen, weil er sich - wie er nicht bestreitet - verschiedene rechtswidrige Handlungen und Verstösse gegen die Hausordnung zuschulden kommen liess. Solche Umstände vermögen grundsätzlich eine Kürzung von Fürsorgeleistungen zu rechtfertigen. Es muss zulässig sein, ein Verschulden des Leistungsansprechers oder eine mangelnde Kooperation mit den Behörden bei der Bemessung der Unterstützung zu berücksichtigen (WOLFFERS, a.a.O., 1993, S. 165). Ob und allenfalls unter welchen Umständen auch ein gänzlicher und unbefristeter Entzug von Fürsorgeleistungen - wie er gegenüber dem Beschwerdeführer angeordnet wurde - zulässig sein kann, muss vorliegend nicht abschliessend untersucht werden, da, wie im folgenden zu zeigen sein wird, sich im konkreten Fall die Massnahme als unverhältnismässig erweist.
b) Die Prüfung der Verhältnismässigkeit verlangt eine Gesamtwürdigung aller Umstände. Dabei sind die Persönlichkeit und das Verhalten des Leistungsempfängers, die Schwere der ihm vorgeworfenen Verfehlungen, die Umstände des Leistungsentzugs sowie die Gesamtsituation der betreffenden Person in Betracht zu ziehen.
aa) Der Beschwerdeführer hielt sich zunächst eineinhalb Monate im Zentrum T. auf, offenbar ohne zu Beanstandungen Anlass zu geben. Anschliessend war er gemeinsam mit anderen Asylbewerbern an einer Sachbeschädigung beteiligt, die mit einem Sachschaden von rund Fr. 2'000.-- endete. Im Zentrum R., dem er deswegen zugewiesen wurde, verweigerte er gemäss den ihm gegenüber ausgesprochenen Verwarnungen jede Zusammenarbeit und Mithilfe. Schliesslich beging er eine Tätlichkeit gegenüber einem Mitbewohner. All das sind ernsthafte Verfehlungen, die es ohne weiteres rechtfertigen, Fürsorgeleistungen zu kürzen. Der Asylbewerber, der auf Kosten des Staates untergebracht und versorgt wird, hat sich an die hier geltenden Regeln zu halten. Insbesondere verlangt die Unterbringung in einem Zentrum ein kooperatives Verhalten, weil andernfalls ein erspriessliches Zusammenleben der Asylbewerber, die oft aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Kulturen stammen, nicht möglich wäre. Die kantonalen Behörden und die Heimleitungen, denen die schwierige Aufgabe zukommt, dieses Zusammenleben zu regeln, können mit Recht verlangen, dass sich der Beschwerdeführer an die Hausordnung hält, und an die Missachtung dieser Regeln entsprechende Sanktionen knüpfen.
bb) Das Verhalten des Beschwerdeführers ist nicht zu entschuldigen. Immerhin muss berücksichtigt werden, dass es sich bei seinen Verfehlungen nicht um schwere Verbrechen oder Vergehen handelt. Umgekehrt ist der ihm gegenüber angeordnete unbefristete und vollständige Entzug von Fürsorgeleistungen die schwerstmögliche Massnahme. Es ist zwar den kantonalen Behörden beizupflichten, dass es nicht sinnvoll wäre, Asylbewerbern, die sich nicht an die Hausordnung eines Zentrums halten, statt der primär vorgesehenen Sachleistungen (
Art. 20a Abs. 3 AsylG
) eine Geldleistung auszurichten oder eine private Unterkunft zuzuweisen, weil das eine Privilegierung derjenigen bedeuten würde, die sich nicht korrekt verhalten. Indessen wären in einer ersten Stufe weniger einschneidende Massnahmen denkbar, wie ein Entzug des Taschengeldes oder allenfalls anderer, über das physische Existenzminimum hinausgehender Leistungen. Sodann sind in solchen Fällen Entzug und Kürzung von Leistungen grundsätzlich zu befristen (WOLFFERS, a.a.O., 1993, S. 169).
cc) Schliesslich muss die Gesamtsituation des Beschwerdeführers in Betracht gezogen werden. Er wurde gemäss Art. 20 des Asylgesetzes dem Kanton St. Gallen zugewiesen, darf sich somit nicht ausserhalb des Kantons einen Aufenthaltsort aussuchen. Im Unterschied zu anderen Fürsorgeempfängern, die nach dem Entzug von Fürsorgeleistungen in einem Kanton immerhin noch ihren Wohn- oder Aufenthaltsort in einen anderen Kanton verlegen können, bedeutet
BGE 122 II 193 S. 201
für den Beschwerdeführer der gänzliche Entzug von Fürsorgeleistungen durch den Kanton St. Gallen, dass er nirgendwo mehr eine Unterstützung erhalten kann. Hinzu kommt, dass er - zumindest bis zum 6. Dezember 1995 - keine Erwerbstätigkeit ausüben durfte, da ihm gemäss Art. 21 Abs. 1 des Asylgesetzes das Arbeitsverbot verlängert worden war. Schliesslich hat er jedenfalls in der Schweiz offensichtlich keine unterstützungspflichtigen Verwandten. Der gänzliche Entzug der Fürsorgeleistungen bedeutet somit für den Beschwerdeführer, vollständig auf die freiwillige Unterstützung Dritter angewiesen zu sein. Das stellt einen äusserst gravierenden Eingriff in das verfassungsmässige Recht auf Existenzsicherung dar, der - wenn überhaupt - höchstens in ganz ausserordentlichen Fällen in Frage kommen könnte. Zudem liegt eine solche Massnahme auch nicht im öffentlichen Interesse, führt sie doch dazu, dass der Betroffene mit erheblicher Wahrscheinlichkeit kriminell werden könnte, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
c) Gesamthaft ergibt sich, dass der unbefristete Entzug sämtlicher Fürsorgeleistungen unverhältnismässig ist. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben. Es kann nicht Sache des Bundesgerichts sein, selber die dem Beschwerdeführer auszurichtenden Fürsorgeleistungen festzusetzen. Die Sache ist daher in Anwendung von
Art. 114 Abs. 2 OG
zu neuer Beurteilung an die Regierung des Kantons St. Gallen zurückzuweisen. Diese wird dabei zu berücksichtigen haben, dass eine Kürzung der Fürsorgeleistungen angesichts des Verhaltens des Beschwerdeführers zwar zulässig ist, dass aber ein Entzug auch der für das physische Überleben notwendigen Leistungen zumindest für die Zeit unzulässig ist, in der es dem Beschwerdeführer rechtlich verwehrt oder objektiv unmöglich ist, seinen Lebensunterhalt selber zu bestreiten.