BGE 122 III 133 vom 8. März 1996

Datum: 8. März 1996

Artikelreferenzen:  Art. 200 SchKG, Art. 214 SchKG, Art. 260 SchKG , Art. 213 Abs. 1 SchKG, Art. 213 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SchKG, Art. 200 SchKG

BGE referenzen:  83 III 82, 111 II 72, 137 II 353 , 106 III 114, 83 III 82, 106 III 117, 111 II 72

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

122 III 133


27. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. März 1996 i.S. Bank X. gegen Gebrüder S. (Berufung)

Regeste

Verrechnung im Konkurs ( Art. 214 SchKG ).
Art. 214 SchKG setzt keine Täuschungsabsicht voraus; es genügt die Absicht des Verrechnenden, sich auf Kosten der Mitgläubiger einen in der gegebenen Situation nicht mehr gerechtfertigten Vorteil zu verschaffen (E. 4a/b. Präzisierung der Rechtsprechung).

Sachverhalt ab Seite 133

BGE 122 III 133 S. 133
Die Bank X. macht als Abtretungsgläubigerin gemäss Art. 260 SchKG aus dem Konkurs der Y. AG gegen die Gebrüder S. geltend, diese hätten sich in der fraudulösen Absicht eigener Bevorteilung gegenüber andern Gläubigern einer Schuld gegenüber der Kridarin durch Verrechnung mit einer eigens dazu erworbenen Forderung entledigt. Die Bank X. focht diese Verrechnung durch Klage an und forderte von den Beklagten die Zahlung von Fr. 4'872'782.15. Das Obergericht des Kantons Solothurn wies die Klage in zweiter Instanz mit Urteil vom 24./30. Oktober 1995 ab mit der Begründung, eine fraudulöse Absicht lasse sich nicht nachweisen.
Das Bundesgericht heisst die von der Bank X. dagegen erhobene Berufung gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Laut den Feststellungen des Obergerichts erwarb die den Beklagten gehörende Y. AG mit Mitteln aus zwei Darlehen sämtliche Aktien der M. AG; das eine Darlehen stammte von der den Beklagten nahestehenden K. AG, das andere von der Klägerin, die sich dafür die Aktien der M. AG zum Pfand geben liess. Die nunmehr von der Y. AG und daher mittelbar von den Beklagten beherrschte M. AG verkaufte ihr Hauptaktivum, eine Liegenschaft,
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am 22. März 1990 für Fr. 7'000'000.-- an die Beklagten, welche die Hypothekarbelastung von Fr. 2'100'000.-- übernahmen und den Restkaufpreis von Fr. 4'900'000.-- der Verkäuferin schuldig blieben. Gleichentags liessen sie sich von der K. AG von deren Guthaben bei der Y. AG einen Teil im Betrage von Fr. 4'900'000.-- abtreten, womit sie also der M. AG (ungefähr, weil unbedeutende Änderungen in der Höhe eingetreten waren) gleich viel schuldeten wie sie von der Y. AG zu fordern hatten. An der Generalversammlung der M. AG vom 30. Mai 1990 wurde eine Ausschüttung an die Y. AG in der Form beschlossen, dass die Forderung von Fr. 4'900'000.-- aus dem Kaufgeschäft auf diese übertragen wurde. Die Beklagten und die Y. AG waren damit gegenseitig Gläubiger und Schuldner für Beträge in dieser Höhe geworden; noch am gleichen Tag erklärten die Beklagten die Verrechnung. Am 6. Dezember des gleichen Jahres meldete die Y. AG dem Richter ihre Überschuldung, und am 13. Dezember fiel sie in Konkurs. Die Forderung der Klägerin aus dem gewährten Darlehen wurde mit Fr. 4'442'620.90 zugelassen; den Wert des Pfandes schätzte das Konkursamt noch auf Fr. 100'000.--.
Unter dem Gesichtspunkt der zeitlichen Abfolge hielt das Obergericht die Anfechtung der Verrechnung für zulässig, obwohl die Beklagten, anders als in Art. 214 SchKG vorausgesetzt, Gläubiger der Y. AG gewesen waren, bevor sie auch ihre Schuldner wurden. Es bejahte auch das Wissen der Beklagten um die Zahlungsunfähigkeit in dem von Art. 214 SchKG gemeinten Sinne der Unausweichlichkeit des Konkurses und erachtete die mit der Verrechnung erreichte Vorteilsverschaffung auf Kosten der übrigen Gläubiger als gegeben. Jedoch verneinte es das für die Anfechtbarkeit vorausgesetzte Erfordernis einer Benachteiligungs- und Täuschungsabsicht, weil das Vorgehen sich an einen von der Treuhänderin vorgeschlagenen Plan gehalten habe, dem andere als die von Art. 214 SchKG geforderten Motive zugrunde gelegen hätten.

4. Die Klägerin wirft der Vorinstanz eine Verletzung von Bundesrecht vor, weil sie gestützt auf BGE 106 III 114 ff. annehme, die Anwendung von Art. 214 SchKG setze eine Täuschungsabsicht voraus.
a) In Art. 213 Abs. 1 SchKG wird der Grundsatz aufgestellt, dass ein Konkursgläubiger seine Forderung mit einer dem Gemeinschuldner gegen ihn zustehenden Forderung verrechnen kann. Nach Ausbruch des Konkurses über den Gemeinschuldner besteht für seine Gläubiger unter bestimmten
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Voraussetzungen ein absolutes Verrechnungsverbot ( Art. 213 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SchKG ). Vor der Konkurseröffnung vorgenommene Verrechnungen sind hingegen lediglich anfechtbar, und auch das nur dann, wenn der Schuldner des Gemeinschuldners eine Forderung gegen diesen in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit in der Absicht erworben hat, sich oder einem andern durch die Verrechnung unter Beeinträchtigung der Konkursmasse einen Vorteil zu verschaffen ( Art. 214 SchKG ). Diese Bestimmung geht auf Art. 137 aOR zurück und will wie dieser (BGE 14 S. 637 E. 4) einem Gläubiger die Möglichkeit nehmen, angesichts des erwarteten Konkurses seine Forderung durch Schaffung einer neuen Rechtsbeziehung mit dem Schuldner auf Kosten der Mitgläubiger zu retten. Insbesondere, aber keineswegs ausschliesslich, soll eine als stossend empfundene Gewinnerzielung durch Forderungserwerb unter pari und nachfolgende Verrechnung zum Nominalwert verhindert werden ( BGE 106 III 117 E. 4; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, § 42 Rz. 32 f.; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, § 40 Rz. 54 f.).
Nach dem klaren Gehalt dieser Regelung ist einzig der Verrechnungsvorgang, also die Verrechnungserklärung des seine Bevorzugung anstrebenden Gläubigers und Schuldners des Kridars, Gegenstand der Anfechtung. Diese Erklärung ist eine einseitige. Sie setzt keine durch sie ausgelöste Mitwirkung einer Drittperson, sei es des Gemeinschuldners oder eines Mitgläubigers, voraus. Daher braucht auch niemand getäuscht zu werden, wie das fehlerhaft übersetzte deutsche Regest von BGE 106 III 114 glauben macht (falsch daher auch der entsprechende Hinweis bei FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., Fn. 64). Irreführend mag auch wirken, wenn an die mit der Verrechnung verfolgte Absicht das qualifizierende Erfordernis der Arglist geknüpft wird, wie das laut Praxisübersetzung von BGE 106 III 114 (Pr. 70/1981, Nr. 116, S. 301) und AMONN (a.a.O., Rz. 54) gefordert sein soll. Dass der Verrechnende sich auf Kosten der Mitgläubiger einen in der gegebenen Situation nicht mehr gerechtfertigten Vorteil verschaffen will, muss nach dem unmissverständlichen Gesetzestext genügen. Der vom Bundesgericht im Originaltext (a.a.O. S. 118 oben) verwendete französische Ausdruck "intention frauduleuse" wie auch die deutsche Übersetzung "fraudulöse Absicht" (AMONN, a.a.O., Rz. 55) bringen den Umgehungscharakter des eigennützigen Vorgehens, das Vordrängen und Zuvorkommen, plastischer zum Ausdruck und kommen damit dem Sinn der Vorschrift näher. Was das dabei
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vorausgesetzte Wissen betrifft, reicht hier wie sonst ( BGE 83 III 82 E. 3a) das Erkennenmüssen der normalerweise aus dem Verhalten erwachsenden Folgen.
b) Bei richtigem Verständnis des Gesetzes lässt sich der angefochtene Entscheid im Ergebnis nicht halten. Richtig ist jedoch, dass die Beklagten aus dem Umstand, dass sie zuerst Gläubiger und dann erst Schuldner der Y. AG geworden sind, nichts für sich ableiten können. Dass sie sich bereits am Tage des Liegenschaftskaufes im Ausmass des noch geschuldeten Kaufpreises zu Gläubigern gegenüber der Y. AG gemacht haben, beweist planmässiges Vorgehen, das ihnen bei gleichzeitig massgeblichem Einfluss auf die beteiligten Gesellschaften die Wahl der zeitlichen Abläufe liess. Daraus Vorteile zu ziehen, wäre Rechtsmissbrauch.
Zutreffend ist auch, dass das Vorgehen der Beklagten zum Ziel und zur Folge gehabt hat, dass ihnen auf Kosten der Mitgläubiger ein Vorteil zukam, und das in einer Situation, in der sie als Alleinaktionäre der Y. AG über deren Verhältnisse im Bilde sein und den Konkurs voraussehen mussten, welches auch immer der von ihnen selber zu verantwortende Stand der Buchhaltung gewesen sein mag ( BGE 111 II 72 E. 3a). Nur diese Voraussehbarkeit und ihr Inkaufnehmen können mit der von Art. 214 SchKG geforderten "Zahlungsunfähigkeit" gemeint sein. Hätte der Gesetzgeber bloss an das zeitweilige Fehlen ausreichender liquider Mittel bei im übrigen intaktem Vermögensbestand gedacht, so hätte er keinen Anlass gehabt, diesen Tatbestand mit der Konkurseröffnung in Zusammenhang zu bringen. Die Beklagten konnten und mussten sich nach dem vom Obergericht festgestellten Sachverhalt Rechenschaft darüber geben, dass ihr Verhalten die Gleichheit unter den Konkursgläubigern beeinträchtigen werde (BGE BGE 106 III 114 E. 4), was genügt ( BGE 83 III 82 E. 3a).
Warum das Verhalten der Beklagten für die Anfechtbarkeit der Verrechnung nicht genügen sollte, ist nicht einzusehen. Auch wenn die Regieabläufe von der Treuhänderin geplant gewesen sein und anfänglich andern Zwecken gedient haben mochten, sind die Beklagten dem Plan in Kenntnis des zur Anwendung von Art. 214 SchKG führenden Sachverhalts gefolgt. Mehr war nicht nötig. Auch ist unerheblich, was die Vorinstanz in diesem Zusammenhang zum Verhalten der Klägerin anführt. Diese brauchte nach dem Gesagten nicht getäuscht zu werden, und dass sie angeblich Sicherung für ihre Forderung hätte erhalten können, wenn sie sich zu einer Änderung des bestehenden Darlehensvertrages bereitgefunden hätte, ist ebenso belanglos. Das gleich
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aus zwei Gründen: Zum einen vermochte das berechtigte Festhalten der Klägerin am Vertrag das verpönte Verrechnungsmanöver der Beklagten ihr gegenüber nicht zu rechtfertigen, und zweitens war das schädigende Verhalten nicht gegen sie als einzelne Gläubigerin gerichtet, sondern gegen die Konkursmasse als solche ( Art. 214 SchKG ), welcher denn auch der Anfechtungsanspruch zusteht ( Art. 200 SchKG ). Die Klägerin tritt im Prozess als deren Zessionarin auf.

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