BGE 122 V 412 vom 24. Dezember 1996

Datum: 24. Dezember 1996

Artikelreferenzen:  Art. 1 VwVG, Art. 11 AsylG, Art. 12 AsylG , Art. 90 Abs. 2 KVG, Art. 90 KVG, Art. 1 ff. VwVG, Art. 71a Abs. 1 und 2 VwVG, Art. 12 Abs. 7 KUVG, Art. 11 Abs. 2 AsylG, Art. 52 Ziff. 2 AsylG, Art. 100 lit. b Ziff. 2 OG

BGE referenzen:  124 III 266, 129 II 286 , 121 V 24, 115 V 349

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

122 V 412


62. Auszug aus dem Urteil vom 24. Dezember 1996 i.S. A. gegen Bundesamt für Sozialversicherung und Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste

Regeste

Art. 90 Abs. 2 KVG , Art. 1 ff. VwVG .
Entgegen dem Wortlaut des Art. 90 Abs. 2 KVG ist auf das Verfahren vor der Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste das VwVG im Rahmen der Verordnung vom 3. Februar 1993 über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen anwendbar.

Erwägungen ab Seite 413

BGE 122 V 412 S. 413
Aus den Erwägungen:

3. a) Gemäss Art. 90 Abs. 2 KVG richtet sich das Beschwerdeverfahren vor der Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste nach dem Bundesrechtspflegegesetz (OG). Nach Auffassung der Vorinstanz sind entgegen dem Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVG) anwendbar. Zur Begründung führt sie im wesentlichen an, gemäss Art. 71a Abs. 1 und 2 VwVG sowie Art. 1 der Verordnung vom 3. Februar 1993 über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen richte sich das Verfahren vor der Rekurskommission für die Spezialitätenliste generell nach dem VwVG. Aus den Botschaften zu den OG-Revisionen von 1985 und 1991 gehe sodann hervor, dass das Verfahren der eidg. Rekurskommissionen ausdrücklich dem VwVG unterstellt sei. Im weitern werde in keinem Gesetz, das eine solche Kommission vorsehe, wie im neuen KVG für das Beschwerdeverfahren auf das OG verwiesen. Aus all dem ergebe sich, dass es sich bei der Regelung des Art. 90 Abs. 2 KVG um einen Irrtum handle, weshalb sich das Verfahren vor der Rekurskommission für die Spezialitätenliste wie bisher nach dem VwVG richte.
b) (Auslegung des Gesetzes; vgl. BGE 121 V 24 Erw. 4a, BGE 115 V 349 Erw. 1c, je mit Hinweisen)
c) aa) Der Wortlaut von Art. 90 Abs. 2 KVG ist - in allen drei Amtssprachen - eindeutig. Durchwegs ist vom Bundesrechtspflegegesetz und nicht etwa nur von Vorschriften der Bundesrechtspflege die Rede, worunter auch das VwVG und die Verordnung über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen verstanden werden könnte.
bb) Im Entwurf des Bundesrates (Botschaft vom 6. November 1991 [BBl 1992 I 257]) fehlte eine Art. 90 KVG entsprechende Bestimmung. Auf Vorschlag des Bundesamtes für Sozialversicherung nahm die vorberatende Kommission des Ständerates in seiner 2. Lesung einen gleich wie Art. 90 Abs. 2 KVG lautenden Art. 81bis in den Entwurf auf. Der Vertreter des Bundesamtes hatte dazu erklärt, im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege seien anstelle der Departemente die speziellen Rekurskommissionen als Beschwerdeinstanzen eingeführt worden. Diese Neuerung müsse auch in dieses Gesetz aufgenommen werden (Protokoll vom 5. November 1992 mit Anhang 10). Auf Antrag seiner vorberatenden Kommission fügte der Ständerat dem bundesrätlichen Entwurf einen neuen
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Art. 81a ein, der dem geltenden Art. 90 KVG entspricht (zum alten Recht vgl. Art. 12 Abs. 7 KUVG ). In den parlamentarischen Beratungen wurde diese Bestimmung diskussionslos angenommen (Amtl.Bull. 1992 S 1338, 1993 N 1895).
cc) Aufgrund der Entstehungsgeschichte ist für die Ermittlung von Bedeutung und Tragweite des Art. 90 Abs. 2 KVG die OG-Revision vom 4. Oktober 1991 von entscheidender Bedeutung. Nach zutreffender Feststellung der Vorinstanz erachtete es der Bundesrat in seiner Botschaft zu dieser Gesetzesnovelle als notwendig, Zuständigkeit, Organisation, Verfahren und Stellung der eidg. Rekurskommissionen einheitlich im VwVG zu regeln (BBl 1991 II 480, 538). Dementsprechend wurden, ebenfalls mit Änderung vom 4. Oktober 1991, neu die Art. 71a-d ins VwVG eingefügt und wurde gestützt darauf die Verordnung vom 3. Februar 1993 über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen erlassen. Aufgrund dieser Bestimmungen richtet sich das Beschwerdeverfahren vor den eidg. Rekurskommissionen, zu welchen gemäss Anhang 1 der Verordnung auch die Rekurskommission für die Spezialitätenliste gehört, grundsätzlich nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Eine Ausnahme macht lediglich die Asylrekurskommission, für deren Verfahren neben dem VwVG auch das OG gilt ( Art. 12 AsylG ). Die Urteile dieser Kommission haben indessen endgültigen Charakter ( Art. 11 Abs. 2 AsylG ), und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht ist ausgeschlossen ( Art. 52 Ziff. 2 AsylG und Art. 100 lit. b Ziff. 2 OG ). Bei den Rekurskommissionen im Bereich der Sozialversicherung gelten dagegen ausnahmslos die Vorschriften des VwVG.
dd) In Anwendung der allgemeinen Auslegungsregeln hat daher die Vorinstanz richtig erkannt, dass es sich beim Verweis auf das Bundesrechtspflegegesetz in Art. 90 Abs. 2 KVG um ein offensichtliches Versehen des Gesetzgebers handelt und triftige Gründe bestehen, entgegen dem klaren Wortlaut auf das Beschwerdeverfahren vor der Rekurskommission für die Spezialitätenliste das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Verordnung über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen anzuwenden (zum Ganzen vgl. auch Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, S. 175 f.).

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