BGE 123 III 183 vom 27. Januar 1997

Datum: 27. Januar 1997

Artikelreferenzen:  Art. 8 ZGB, Art. 363 OR, Art. 376 OR , Art. 376 Abs. 1 OR

BGE referenzen:  108 II 337, 115 II 484, 133 III 153, 144 III 519 , 115 II 484, 108 II 337

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

123 III 183


31. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Januar 1997 i.S. R. AG gegen Ehegatten F. (Berufung)

Regeste

Art. 187 Abs. 3 und 6 SIA-Norm 118 (Ausgabe 1977/1991); Vergütungsanspruch des Unternehmers bei teilweisem Untergang des Werkes infolge höherer Gewalt.
Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 begründet für den Fall, dass das Werk infolge höherer Gewalt ganz oder teilweise untergeht, es aber in Weiterführung des Vertrags wieder vertragsgemäss erstellt wird, grundsätzlich einen Anspruch des Unternehmers auf eine über den vereinbarten Werklohn hinausgehende Mehrvergütung. Begriff des teilweisen Untergangs (E. 3c).
Der Unternehmer hat das Vorliegen von Billigkeitsgründen im Sinne von Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 zu behaupten und zu beweisen (E. 3d). Substanzierung des Wertes der vom teilweisen Untergang betroffenen Leistungen des Unternehmers (E. 3e).

Erwägungen ab Seite 184

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Aus den Erwägungen:

3. Gegenstand der Berufung bildet im weitern die vom Obergericht abgewiesene Forderung für Reparaturarbeiten, welche die Klägerin vornehmen musste, nachdem das noch nicht fertiggestellte Unterdach am 18. Dezember 1991 durch einen Sturmwind beschädigt worden war. Die Klägerin verlangt dafür gestützt auf Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 einen Betrag von Fr. 15'715.70.
a) Gemäss Art. 363 OR schuldet der Unternehmer dem Besteller die Herstellung und Ablieferung des versprochenen Werkes. Der Unternehmer trägt damit bis zum Zeitpunkt der Ablieferung die Gefahr, was für den Fall des Untergangs des Werkes vor der Ablieferung in Art. 376 Abs. 1 OR festgehalten wird. Nach dieser Bestimmung kann der Unternehmer, sofern sich der Besteller nicht mit der Annahme im Verzug befindet, keine Vergütung verlangen, wenn das Werk vor der Übergabe durch Zufall zugrunde geht. Bei der Mängelhaftung gilt nach der gesetzlichen Regelung der entsprechende Grundsatz. Der Unternehmer haftet auch für einen Mangel, der vor der Ablieferung durch die Einwirkung von Zufall entstanden ist. Beseitigt er vorher den Mangel, wozu er grundsätzlich verpflichtet ist, kann er dafür keine zusätzliche Vergütung verlangen (GAUCH, Der Werkvertrag, 4. Auflage, Rz. 1503 ff. und Rz. 2412 [nachfolgend zitiert als GAUCH, Werkvertrag]; JO KOLLER, Der "Untergang des Werkes" nach Art. 376 OR , Diss. Freiburg 1983, S. 62 f.). Davon
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abweichend bestimmt indessen Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118, dass beim Untergang des Werkes infolge höherer Gewalt (z.B. Krieg, Aufruhr, Naturkatastrophe) der Unternehmer einen Anspruch darauf hat, dass ihm die vor dem Untergang erbrachten Leistungen nach Billigkeit ganz oder teilweise vergütet werden. Dies bedeutet eine erhebliche Besserstellung des Unternehmers, da Art. 376 OR selbst keinen Raum für solche Billigkeitserwägungen bietet. Gemäss Abs. 6 von Art. 187 SIA-Norm 118 gelten die Bestimmungen bei teilweisem Untergang des Werkes sinngemäss, wobei der Unternehmer für die nicht vom Untergang betroffenen Leistungen grundsätzlich Anspruch auf die vertragsgemässe Vergütung hat.
b) Nach der Behauptung der Klägerin ist von allen Beteiligten anerkannt worden, dass die Mehraufwendungen gemäss Rechnung Nr. 1543 im Betrag von Fr. 15'715.70 kausale Folge eines Sturmwindes, mithin eines Elementarereignisses seien. Falls damit gemeint sein sollte, es sei vom Vorliegen höherer Gewalt im Sinne von Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 auszugehen, könnte ihrer Auffassung jedoch nicht ohne weiteres zugestimmt werden. Wie die Erwähnung des Beispiels der "Naturkatastrophe" zeigt, genügt ein zwar heftiger, aber nicht aussergewöhnlicher Herbststurm wohl nicht, sondern es müsste nach dieser Bestimmung ein unvoraussehbares Elementarereignis grösseren Ausmasses und höherer Intensität vorliegen (vgl. dazu GAUCH, Kommentar zur SIA-Norm 118, Artikel 157-190, N. 20 zu Art. 187 [nachfolgend zitiert als GAUCH, Kommentar]). Diese - vom Obergericht nicht erörterte - Rechtsfrage kann indessen offenbleiben, da ihre Beantwortung am Ausgang des Verfahrens nichts zu ändern vermöchte, wie die folgenden Erwägungen zeigen.
c) Das Obergericht hat die Anwendbarkeit von Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 verneint und darauf hingewiesen, dass die Klägerin gar nicht eine Vergütung für die untergegangenen Teile des Werkes, sondern eine Entschädigung für den zusätzlichen Aufwand bei der Erstellung des vertragsgemässen Werkes verlange. Eine Forderung gemäss Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 macht nach der Auffassung des Obergerichts nur Sinn, wenn das Werk oder der Werkteil nicht wiederhergestellt werden kann, das heisst der Werkvertrag erlischt oder auf Verlangen einer Vertragspartei aufgelöst wird und demgemäss der vertraglich vereinbarte Werklohn nicht geschuldet wird. Mit der Berufung rügt die Klägerin, das Obergericht habe Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 falsch ausgelegt.
Art. 187 SIA-Norm 118 gehört zwar wie Art. 376 OR , dem er im Prinzip folgt, nach der Systematik zum Abschnitt über die vorzeitige
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Beendigung des Werkvertrages. Zu beachten ist aber, dass Art. 376 OR materiell die Tragung von Vergütungs- und Leistungsgefahr regelt und der zufällige Untergang des Werkes grundsätzlich nur dann zur Beendigung des Vertrages führt, wenn beide Gefahren vom Besteller zu tragen sind (GAUCH, Werkvertrag, Rz. 1203 ff.). In analoger Weise regelt auch Art. 187 SIA-Norm 118 die Tragung von Leistungs- und Vergütungsgefahr sowie bestimmte Fälle der vorzeitigen Vertragsbeendigung im Zusammenhang mit dem Untergang des Werkes. Entgegen der Auffassung des Obergerichts setzt somit Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 nicht zwingend eine vorzeitige Beendigung des Vertrages voraus. Das zeigt im übrigen auch der vorangehende Absatz 2, der die Rechtslage bei Fortführung des Vertrags regelt. Nach richtiger Auslegung begründet Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 für den Fall, dass das Werk infolge höherer Gewalt untergeht und der Vertrag weitergeführt wird, das heisst das Werk trotzdem wieder vertragsgemäss erstellt wird, grundsätzlich einen Anspruch des Unternehmers auf eine über den vereinbarten Werklohn hinausgehende Mehrvergütung (vgl. GAUCH, Kommentar, N 22 zu Art. 187 SIA-Norm 118).
Ein teilweiser Untergang des Werks liegt vor, wenn nur einzelne Teile zerstört werden (KOLLER, a.a.O., S. 3). Dieser durch ein quantitatives Kriterium bestimmte Sachverhalt ist abzugrenzen von der Verschlechterung des Werks in qualitativer Hinsicht, welche dessen umfangmässigen Bestand nicht verändert (GAUCH, Werkvertrag, Rz. 1184; ders., Kommentar, N 39 zu Art. 197 SIA-Norm 118; KOLLER, a.a.O., S. 3). Nach den Feststellungen des Bezirksgerichts, die auch dem angefochtenen Urteil zugrunde liegen, wurden Teile der zum Unterdach gehörenden Dachfolie vom Sturm weggerissen. Damit wurde ein Teil des Dachaufbaus vom Werk getrennt und zerstört. Es liegt der Sachverhalt eines Teiluntergangs des Werkes vor, womit Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 zur Anwendung kommt. Davon ist auch das Bezirksgericht ausgegangen. Es hat den Vergütungsanspruch aber mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe die zu vergütenden Leistungen nicht ausreichend substanziert. Anzumerken ist im übrigen, dass unter den gegebenen Umständen nicht erörtert zu werden braucht, ob die Bestimmungen über den Untergang auch im Fall blosser Verschlechterung des Werks durch Zufall während der Erstellung unmittelbar oder ergänzend zu den Vorschriften über die Mängelhaftung anwendbar sind (vgl. zu dieser kontroversen Frage: GAUCH, Werkvertrag, Rz. 1184 und 2411; KOLLER, a.a.O., S. 61 ff.).
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d) Obergericht und Bezirksgericht haben die Frage nicht entschieden, ob die Klägerin ein Verschulden daran treffe, dass der Sturm die Dachfolie wegreissen konnte; die Beklagten haben ihr diesbezüglich eine ungenügende Sicherung durch die Konterlattung vorgeworfen. Auch zur Frage der Billigkeit eines Vergütungsanspruchs finden sich in beiden Urteilen keine Ausführungen. Die Billigkeitsgründe, die eine Vergütung im Sinne von Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 rechtfertigen sollen, sind rechtserzeugende Tatsachen. Gemäss Art. 8 ZGB sind sie vom Unternehmer zu behaupten und zu beweisen (KUMMER, Berner Kommentar, N. 146 ff. zu Art. 8 ZGB ). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es mithin nicht Sache des Bestellers, Gründe für eine "Reduktion aus Billigkeit" geltend zu machen. Inwieweit die Klägerin derartige Billigkeitsgründe im kantonalen Verfahren dargetan hat, ist weder aus dem angefochtenen Urteil noch aus jenem des Bezirksgerichts ersichtlich. Mit der Berufung macht die Klägerin nicht geltend und weist auch nicht nach (vgl. dazu BGE 115 II 484 E. 2a), entsprechende Behauptungen im kantonalen Verfahren vorgebracht zu haben. Ein Vergütungsanspruch der Klägerin ist somit bereits mangels Nachweises von Billigkeitsgründen zu verneinen.
e) Das Bezirksgericht hat den Anspruch auf Vergütung für den untergegangen Teil des Werks als ungenügend substanziert betrachtet, weil die Klägerin sich darauf beschränkt hatte, den Aufwand für die Wiederherstellung des Daches, berechnet nach Arbeitszeit und Materialaufwand, auszuweisen. Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, der ihr zu ersetzende Schaden entspreche dem Aufwand für die Reparatur- und Aufräumarbeiten; dafür sei in Regie Rechnung zu stellen, was sie getan habe. Damit ficht sie sinngemäss den Vorwurf ungenügender Substanzierung an.
Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 bemisst die nach Billigkeit geschuldete Vergütung klar nach den vor dem Untergang erbrachten Leistungen bzw. den vom Untergang betroffenen Leistungen. Das gilt auch für den Fall der Fortführung des Vertrags. Dem widerspricht das Vorgehen der Klägerin, die auf den Aufwand für die Wiederherstellung des Zustandes abgestellt hat, wie er vor dem Eintritt des zerstörerischen Ereignisses bestand. Ob diese Lösung sachgerechter wäre, braucht nicht weiter erörtert zu werden, da der Wortlaut von Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 eindeutig ist und keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, die eine andere Auslegung nahelegen würden. Das Bezirksgericht ist demnach zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin Angaben zum Wert ihrer vom Untergang betroffenen Leistungen hätte machen müssen.
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Ob ein aus dem Bundesrecht abgeleiteter Anspruch durch die Sachvorbringen einer Partei ausreichend substanziert ist, ist eine Frage des Bundesrechts ( BGE 108 II 337 ff.). Nach den Ausführungen des Bezirksgerichts könnte zwar davon ausgegangen werden, dass der Erstaufbau und der Wiederaufbau eines untergegangenen Werkteils gleich hohe Kosten verursachen und dementsprechend der Wert der vom Untergang betroffenen Leistungen mit der Angabe der Kosten der erneuten Erstellung genügend substanziert wäre. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass für beide Varianten der Wert bzw. die Vergütung nach der gleichen Preisart festzulegen ist. Gemäss Werkvertrag war der Werklohn für die Erstellung des Steildachs nach Einheitspreisen bestimmt. Den Reparaturaufwand hat die Klägerin dagegen ausschliesslich in Regie abgerechnet. Wie das Bezirksgericht zutreffend festgestellt hat, erlauben es die Angaben der Klägerin deshalb nicht, den Wert der ursprünglich erbrachten, vom Untergang betroffenen Leistungen zu ermitteln. Hinzu kommt, dass in der Reparaturrechnung der Klägerin ohne erkennbare Ausscheidung auch der Aufwand für Aufräumarbeiten und Arbeiten zur Schadensabwendung enthalten sind. Solche Leistungen können von vornherein nicht Gegenstand einer Vergütung nach Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 bilden.
Die Verrechnung nach Regie lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass in den vereinbarten Einheitspreisen keine separate Position für die Dachfolie ausgewiesen war, sondern sich der Preisansatz auf den gesamten Dachaufbau (Deckmaterial und Unterdach) bezog. Von diesem Einheitspreis ausgehend hätte auch der auf die Dachfolie und deren Anbringung entfallende Teil ermittelt werden können. Diese Art der Preisermittlung gilt gemäss Art. 87 Abs. 2 SIA-Norm 118 auch, falls bei Bestellungsänderungen für bestimmte Leistungen ein ursprünglich vereinbarter Einheitspreis fehlt. Im weiteren hätte ohne weiteres die Fläche bestimmt werden können, auf welcher die bereits angebrachte Dachfolie vom Sturm weggerissen worden war. Wenn die Klägerin demgegenüber nur die für die Neuerstellung aufgewendeten Arbeitsstunden und das dabei verwendete Material ausgewiesen hat, ist es nach Bundesrecht nicht zu beanstanden, dass diese Angaben für die Substanzierung des Wertes der untergegangenen Leistungen als ungenügend betrachtet wurden. Der Vergütungsanspruch ist demnach auch mangels ausreichender Substanzierung zu Recht abgewiesen worden.

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