Urteilskopf
124 III 375
66. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Juli 1998 i.S. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement gegen E.R. Squibb & Sons Inc. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste
Art. 140b PatG
. Voraussetzungen für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates.
Für ein als Arzneimittel zugelassenes Erzeugnis, das aus zwei Wirkstoffen zusammengesetzt ist, kann auch dann ein ergänzendes Schutzzertifikat beansprucht werden, wenn das Grundpatent nur einen der beiden Wirkstoffe nennt und beschreibt.
Gestützt auf ihr europäisches Patent Nr. 0 053 902 beantragte die E.R. Squibb & Sons Inc. (nachstehend: Squibb) am 28. Februar 1996 beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum ein ergänzendes Schutzzertifikat für die Kombination der Wirkstoffe Fosinopril und Hydrochlorthiazid. In einer am 23. Juli 1996 erlassenen Beanstandung stellte sich das Institut auf den Standpunkt, die Kombination der beiden Wirkstoffe Fosinopril und Hydrochlorthiazid sei durch das europäische Patent Nr. 0 053 902 nicht geschützt. Nachdem die Squibb mit Schreiben vom 19. September 1996 mitgeteilt hatte, dass sie sich dieser Auffassung nicht anzuschliessen vermöge, wies das Institut mit Verfügung vom 30. Dezember 1996 das Gesuch um Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats ab.
Auf Beschwerde der Squibb hob die Eidgenössische Rekurskommission für geistiges Eigentum mit Entscheid vom 3. März 1998 die Verfügung des Instituts auf und wies dieses an, dem Gesuch um Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats zu entsprechen.
Gegen den Entscheid der Rekurskommission hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Das Bundesgericht weist diese ab.
Aus den Erwägungen:
1.
Das Patentgesetz (PatG; SR 232.14) sieht die Erteilung von ergänzenden Schutzzertifikaten für Wirkstoffe oder Wirkstoffzusammensetzungen von Arzneimitteln vor (Art. 140a Abs. 1). Es nennt zwei Erteilungsvoraussetzungen: Erstens muss das Erzeugnis als solches, ein Verfahren zu seiner Herstellung oder eine Verwendung durch ein Patent geschützt sein; zweitens muss für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses als Arzneimittel in der Schweiz eine behördliche Genehmigung vorliegen (Art. 140b Abs. 1 lit. a und b). Anspruch auf das Zertifikat hat der Patentinhaber (
Art. 140c PatG
). Je Erzeugnis wird nur einmal ein Zertifikat erteilt (
Art. 140a Abs. 2 PatG
). In den Grenzen des Geltungsbereichs des Patents schützt das Zertifikat jedoch alle Verwendungen des Erzeugnisses als Arzneimittel, die vor Ablauf des Zertifikats genehmigt werden (
Art. 140d Abs. 1 PatG
). Es gewährt in diesem Umfang während einer gewissen Zeit nach Ablauf des Patentschutzes (
Art. 140e PatG
) die gleichen Rechte wie das Patent (
Art. 140d Abs. 2 PatG
).
Dieser mit der Patentrechtsnovelle vom 3. Februar 1995 eingeführten Regelung liegt der Gedanke zugrunde, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass bei Arzneimitteln das zeitaufwendige behördliche Zulassungsverfahren die Markteinführung verzögert und damit die verbleibende Schutzdauer des Patentes verkürzt (vgl. BBl 1993 III 710; PEDRAZZINI/VON BÜREN/MARBACH, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, S. 44 f.; HIRSCH/HANSEN, Der Schutz von Chemie-Erfindungen, Weinheim 1995, S. 267 ff.; BENKARD/ULLMANN, Patentgesetz, 9. Aufl., München 1993, N. 5 zu § 16a). Die schweizerischen Bestimmungen decken sich dabei weitestgehend mit jenen, die in der Europäischen Union gelten (Verordnung Nr. 1768/92 vom 18. Juni 1992, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 2. Juli 1992, Nr. L 182/1).
2.
Gegenstand von Patenten sind Erfindungen (
Art. 1 Abs. 1 PatG
). Ergänzende Schutzzertifikate werden dagegen für patentgeschützte Erzeugnisse erteilt; als Erzeugnisse gelten dabei Wirkstoffe
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oder Wirkstoffzusammensetzungen (
Art. 140a Abs. 1 PatG
). Das Gesetz verlangt - entgegen dem, was der Beschwerdeführer anzunehmen scheint - nicht, dass das Erzeugnis, für das ein Zertifikat beantragt wird, in der als Arzneimittel zugelassenen Form im zugrunde liegenden Patent ausdrücklich genannt und beschrieben wird; die Erteilung des Zertifikats setzt lediglich voraus, dass das Erzeugnis, seine Herstellung oder seine Verwendung durch das Patent geschützt ist (
Art. 140b Abs. 1 lit. a PatG
). Entscheidend ist mithin, wieweit der Schutz des Patents reicht.
Die Rekurskommission tritt mit Recht der Auffassung des Instituts entgegen, wonach das Patent der Beschwerdegegnerin nur den Wirkstoff Fosinopril schütze und nicht auch dessen Kombination mit Hydrochlorthiazid. Denn verwendet ein Dritter einen patentgeschützten Wirkstoff in Verbindung mit einem weiteren Wirkstoff, so benützt er das Patent und begeht er - wie die Rekurskommission zutreffend festhält und der Beschwerdeführer auch nicht bestreitet - eine Patentverletzung (
Art. 66 lit. a PatG
). Die Verwendung des patentgeschützten Stoffes ist auch dann ein Eingriff in den Schutzbereich des Patents, wenn weitere Elemente hinzugefügt werden (vgl. BLUM/PEDRAZZINI, Das schweizerische Patentrecht, Bd. II, 3. Aufl. 1975, S. 460 f.; KAMEN TROLLER, Manuel du droit suisse des biens immatériels, Bd. II, 2. Aufl. 1996, S. 865; siehe ferner auch BENKARD/ULLMANN, a.a.O., N. 49 f. zu § 14). Mit der Rekurskommission ist deshalb davon auszugehen, dass der Schutzbereich des Patents der Beschwerdegegnerin nicht nur den Wirkstoff Fosinopril, sondern durchaus auch dessen Kombination mit Hydrochlorthiazid erfasst. Damit ist aber die Voraussetzung von
Art. 140b Abs. 1 lit. a PatG
erfüllt: Es liegt ein patentgeschütztes Erzeugnis vor.
3.
Was der Beschwerdeführer dagegen einwendet, vermag nicht zu überzeugen. Der Beschwerdeführer argumentiert im wesentlichen wie folgt: Es treffe zwar zu, dass die Beschwerdegegnerin gestützt auf ihr Grundpatent gegen jeden Dritten vorgehen könne, der Fosinopril verwende, sei es allein oder in Verbindung mit anderen Wirkstoffen, insbesondere mit Hydrochlorthiazid. Dies dürfe jedoch nicht zum Umkehrschluss führen, dass Hydrochlorthiazid ebenfalls selbständig vom Grundpatent erfasst sei. Die Auffassung der Rekurskommission würde dazu führen, dass ab dem Zeitpunkt, ab welchem das ergänzende Schutzzertifikat gelte, nicht nur Fosinopril, sondern auch Hydrochlorthiazid absoluten Stoffschutz erhielte, was gegenüber dem Patent eine klare Schutzerweiterung bedeuten würde, indem Dritte auch von der Benutzung von
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Hydrochlorthiazid allein oder in Verbindung mit irgendeinem anderen Wirkstoff ausgeschlossen wären. Der Beschwerdeführer befürchtet, dass damit eine Praxis festgeschrieben würde, die das Institut zwingen würde, in Zukunft Zertifikate zu erteilen, die allesamt nicht nur eine Verlängerung des Patentschutzes, sondern auch eine unzulässige Erweiterung des Schutzes bewirken würden.
Diese Argumentation beruht auf einem Missverständnis. Einen "Umkehrschluss", wie ihn der Beschwerdeführer unterstellt, hat die Rekurskommission nicht gezogen. Wenn Erzeugnisse in denen der Wirkstoff Fosinopril mit anderen Wirkstoffen kombiniert ist, ebenfalls in den Schutzbereich des Patents der Beschwerdegegnerin fallen, so ist damit keineswegs gesagt, dass dieses Patent auch die anderen Wirkstoffe "selbständig erfassen" würde. Es trifft deshalb auch nicht zu, dass die Beschwerdegegnerin gestützt auf das von ihr beantragte ergänzende Schutzzertifikat für den zusätzlichen Wirkstoff Hydrochlorthiazid ebenfalls "absoluten Stoffschutz" beanspruchen könnte. Aus einem ergänzenden Schutzzertifikat kann zum vornherein kein weiterer Schutz abgeleitet werden, als ihn das zugrunde liegende Patent gewährt (vgl.
Art. 140d PatG
). Der Schutzumfang des Zertifikats ist im Gegenteil enger als jener des Patents. Denn ein ergänzendes Schutzzertifikat kann nicht für die patentgeschützte Erfindung an sich, sondern lediglich für ein bestimmtes, unter Verwendung der Erfindung hergestelltes Erzeugnis erlangt werden, das in der Schweiz als Arzneimittel behördlich zugelassen ist (vgl.
Art. 140b Abs. 1 PatG
). Das Zertifikat schützt lediglich dieses Erzeugnis, und zwar, wie
Art. 140d Abs. 1 PatG
ausdrücklich festhält, stets nur in den Grenzen des sachlichen Geltungsbereichs des Patents (vgl. dazu auch BENKARD/ULLMANN, a.a.O., N. 10 zu § 16a). Die Befürchtung des Beschwerdeführers, das Institut könne zur Erteilung von Schutzzertifikaten gezwungen werden, die den Patentschutz nicht nur verlängern, sondern auch erweitern würden, erweist sich als unbegründet.
Unbehelflich ist auch das Vorbringen, Abklärungen seitens des Instituts bei den zuständigen Stellen in Deutschland und Schweden hätten ergeben, dass sich die von ihm für die Schweiz vertretene Rechtsauffassung mit derjenigen dieser Länder decke. Richtig ist zwar, dass es sich angesichts der Übereinstimmung zwischen der schweizerischen Regelung und jener der Europäischen Union (E. 1 hievor) grundsätzlich rechtfertigt, die Praxis mitzuberücksichtigen, die in anderen europäischen Ländern geübt wird. Der Beschwerdeführer vermag jedoch keine konkreten Verfügungen oder Entscheide
BGE 124 III 375 S. 379
aus solchen Ländern anzugeben, die geeignet wären, die enge Rechtsauffassung des Instituts zu stützen. Aufgrund der Hinweise bei HIRSCH/HANSEN (a.a.O., S. 272 f.) ist im Gegenteil davon auszugehen, dass die Praxis in der Europäischen Union dazu neigt, ergänzende Schutzzertifikate nicht nur für den patentierten Wirkstoff selbst, sondern auch für Kombinationen dieses Wirkstoffes mit weiteren Stoffen zu gewähren.