Urteilskopf
124 III 97
19. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. Januar 1998 i.S. X. Stiftung gegen Kantonsgericht (Zivilkammer) von Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste
Stiftungsaufsicht; Überprüfung der Kapitalanlagepolitik einer Stiftung (
Art. 84 Abs. 2 ZGB
).
Es verstösst nicht gegen Bundesrecht, bei der Beurteilung der Anlagepolitik einer "gewöhnlichen" oder "klassischen" Stiftung die für Personalvorsorgestiftungen geltenden Anlagevorschriften der Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2) als Orientierungshilfe beizuziehen (E. 2).
Anwendung im konkreten Fall (E. 3).
Unter dem Namen X. Stiftung (nachfolgend Stiftung oder Beschwerdeführerin) besteht seit 1951 eine Stiftung gemäss
Art. 80 ff. ZGB
mit Sitz in Sent. Sie bezweckt einerseits die Pflege des Andenkens des Stifters und die Ausrichtung von Stipendien an begabte Musikschüler; anderseits hat sie verdienten Musikern Ferien in der U. auf Hof Y. zu ermöglichen. Laut Art. 5 lit. A Ziff. 7 der "Satzungen" vom 9. August 1951 soll das Stiftungsvermögen grundsätzlich nicht angetastet werden. Ferner sieht Ziff. 8 Abs. 1 der genannten Bestimmung vor, dass der Stiftungsrat die Verwaltung, Anlage und Aufbewahrung des Stiftungsvermögens bestimmt und für eine sorgfältige Verwaltung verantwortlich ist. Weitere Vorschriften über die Art der Anlage des Stiftungsvermögens sind in den "Satzungen" nicht enthalten. Das Vermögen der Stiftung besteht aus dem Hof Y. samt grossem Umschwung und aus Wertschriften im Werte von ca. Fr. 900'000.--.
Am 13. Januar 1997 erliess das Amt für Zivilrecht des Kantons Graubünden eine Verfügung folgenden Inhalts:
"Mangels vernünftiger anderweitiger Vorschriften nehmen wir für alle
Stiftungen die eidgenössischen Anlagevorschriften für Pensionskassen als
Richtlinie für die Vermögensanlage. Wir ersuchen Sie spätestens bis Ende
1999 die beiliegenden Richtlinien einzuhalten. (Sie haben zuviel
ausländische Schuldner und zuviel Fremdwährung)."
Dagegen führte die Stiftung erfolglos Beschwerde beim Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement des Kantons Graubünden. Eine gegen dessen Entscheid eingereichte Berufung wies das Kantonsgericht von Graubünden seinerseits am 10. April 1997 ab.
Die Stiftung hat gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht mit dem Begehren, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
2.
a) Das Bundesrecht enthält bezüglich der hier in Frage stehenden sogenannten "gewöhnlichen" oder "klassischen" Stiftungen keine Vorschriften über die Vermögensanlage; so verhält es sich auch im Recht des Kantons Graubünden. Aus der Pflicht der Stiftungsaufsichtsbehörden, für eine zweckgemässe Verwendung des Stiftungsvermögens zu sorgen (
Art. 84 Abs. 2 ZGB
), wird jedoch abgeleitet, Stiftungen hätten bei ihrer Kapitalanlagepolitik generell die Grundsätze der Sicherheit, Rentabilität, Liquidität, Risikoverteilung und Substanzerhaltung zu beachten (vgl.
BGE 99 Ib 255
E. 3-5;
BGE 108 II 254
E. 5bb S. 268 und insbes.
BGE 108 II 352
E. 5a S. 359 mit Hinweisen; VEB 30/1961 Nr. 45 S. 78; RIEMER, Berner Kommentar, N. 68 ff. zu
Art. 84 ZGB
; GRÜNINGER, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Basel 1996, N. 14 zu
Art. 84 ZGB
); dabei können die verschiedenen Grundsätze miteinander in Konflikt geraten, insbesondere auch jener der Sicherheit mit jenem der Rentabilität (vgl.
BGE 99 Ib 261
). Stets sind die genannten Grundsätze in Berücksichtigung der gesamten Umstände in einer Weise anzuwenden, dass dem Stiftungszweck dauernd Nachachtung verschafft werden kann, wobei auch der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten ist (
BGE 108 II 352
E. 5a S. 359 mit Hinweisen).
b) Anders als für die "gewöhnlichen" bzw. "klassischen" Stiftungen enthält das Bundesrecht seit 1985 in
Art. 49 ff. der Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1)
für Personalvorsorgestiftungen detaillierte Kapitalanlagevorschriften. Während die erste und die zweite kantonale Instanz die genannten Vorschriften der BVV 2 auf die Beschwerdeführerin analog anwenden wollten, hat das Kantonsgericht diese Analogie erheblich relativiert und diese Normen lediglich als eine Art Orientierungshilfe betrachtet.
c) Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde ist eine Berücksichtigung von
Art. 49 ff. BVV 2
als Orientierungshilfe bundesrechtlich nicht zu beanstanden, stellen sich doch trotz aller sonstigen Unterschiede zwischen gewöhnlichen und Personalvorsorgestiftungen bei beiden Stiftungsarten vergleichbare Probleme im Zusammenhang mit der Sicherheit von Kapitalanlagen. Abgesehen davon dürfte diese Orientierungshilfe den Aufsichtsbehörden eine objektivere Beurteilung in bezug auf die Sicherheit der Anlage von Stiftungsvermögen ermöglichen.
3.
a) In Berücksichtigung der BVV 2-Vorschriften hat die Vorinstanz die Kapitalanlagepolitik der Stiftung unter dem Gesichtswinkel der Risikoverteilung und der Sicherheit kritisiert. Sie hat dabei nicht verkannt, dass die Anlagen nach einem Schreiben der Z. vom 5. Mai 1997 an sich eine hohe Sicherheit aufweisen; beanstandet wurde jedoch, dass praktisch das gesamte Vermögen bei ausländischen Schuldnern, und zwar gegen die Hälfte in DM und erst noch bei einem einzigen Schuldner, angelegt ist. Für die andere Hälfte sei zwar eine Anlage in sFr. erfolgt, jedoch je ungefähr zur Hälfte bei nur zwei Schuldnern.
b) Diese Ausführungen kritisiert die Beschwerdeführerin; sie weist dabei einerseits auf ihren hohen Ertragsbedarf hin, den sie zur Deckung der beträchtlichen Kosten für den Unterhalt der Gebäulichkeiten in Y. und für den Erhalt des Umschwungs, der besonderen Strassen, Wege und Brücken benötigt; anderseits betont sie die effektive Bonität ihrer Schuldner.
c) Diese Rügen sind indessen nicht geeignet, das Urteil der Vorinstanz als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Vor allem verkennt die Beschwerdeführerin ihr hohes Fremdwährungs- bzw. Wechselkursrisiko, welches um so mehr ins Gewicht fällt, als die Stiftung ihre Verpflichtungen grundsätzlich im Inland erfüllen muss; unter diesem Gesichtswinkel dürfte sie allein seit Ende 1996, als der Umrechnungskurs gemäss dem von ihr selbst eingereichten Anlageverzeichnis der Z. DM 100 = sFr. 86.80 betrug, bereits erhebliche Verluste an Kapital und Ertrag erlitten haben. Sodann befindet sich die Beschwerdeführerin mit ihrem Anteil an Fremdwährung von gegen 50% weit ausserhalb der Limite von 20% gemäss
Art. 54 lit. f BVV 2
, was somit auch dann zu beanstanden ist, wenn man diese Grenzwerte lediglich als Orientierungshilfe betrachtet (vgl. E. 2c hievor). Entsprechendes gilt für die Auslandsanlagen der Stiftung insgesamt, zumal fast 100% der Wertschriften im Ausland angelegt sind, während dieser Anteil laut
Art. 54 lit. e BVV 2
lediglich 30% betragen darf. Unter dem Gesichtswinkel von Risikoverteilung und Sicherheit kritisierte die Vorinstanz schliesslich zu Recht, dass das Wertschriftenvermögen der Stiftung bei insgesamt lediglich drei Schuldnern angelegt ist; einerseits sehen
Art. 54 lit. e und f BVV 2
nur gerade einen Anlageanteil von 5% pro Schuldner vor; anderseits ist in diesem Zusammenhang auf das Schreiben der Z. vom 5. Mai 1997 zu verweisen, das zwar die Bonität der berücksichtigten Unternehmen bejaht, jedoch eine Verteilung der Anlage auf insgesamt vier bis fünf Schuldner in Erwägung zieht.
Im Ergebnis ist somit der vorinstanzliche Entscheid nicht zu beanstanden, zumal die Art der Kapitalanlage der Beschwerdeführerin zu sehr von den BVV 2-Vorschriften abweicht.