Urteilskopf
125 V 123
18. Auszug aus dem Urteil vom 19. März 1999 i.S. E. gegen Amt für Wirtschaft und Arbeit, Zürich, und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
Regeste
Art. 2 Abs. 1 lit. a, Art. 8 Abs. 1 lit. e,
Art. 13 und 14 Abs. 2 AVIG
;
Art. 163 Abs. 2 ZGB
: Keine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit bei Wechsel von einer selbstständigen zu einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit.
- Ob der trennungsbedingte Wegfall des ehelichen Unterhalts in Form der gestützt auf
Art. 163 Abs. 2 ZGB
vereinbarten Mithilfe des Ehepartners im Beruf oder Gewerbe des anderen einen Befreiungstatbestand im Sinne von
Art. 14 Abs. 2 AVIG
erfüllt, wurde offen gelassen.
- Eine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit fällt bei einer Person, die vor der Trennung einer ganztägigen selbstständigen Erwerbstätigkeit nachging, nicht in Betracht. Ihr mangelt es auch an der Versicherteneigenschaft.
A.-
Die 1949 geborene E. war seit Januar 1993 Inhaberin der Einzelfirma P. und betrieb damit unter Mithilfe ihres Ehemannes Handel mit Waren aller Art. Am 29. Juli 1994 erklärte das Bezirksgericht X E. als zum Getrenntleben berechtigt, womit auch die Mitarbeit ihres Gatten wegfiel. Am 19. Oktober 1995 meldete sie sich zur Arbeitsvermittlung an und erhob ab 1. Juli 1995 Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Mit Verfügung vom 23. Mai 1996 verneinte das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Abteilung Arbeitslosenversicherung (KIGA; nunmehr: Amt für Wirtschaft und Arbeit [nachfolgend: kantonales Amt]), Zürich, einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, da sie innert der massgeblichen Rahmenfrist nicht während mindestens sechs Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe und die Voraussetzungen für die Befreiung von der Beitragspflicht nicht erfülle.
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 15. Mai 1998 ab.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt E., es sei ihr in Aufhebung des angefochtenen Entscheids ab Oktober 1994 Arbeitslosenentschädigung zuzusprechen.
Sowohl das kantonale Amt als auch das Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit verzichten auf eine Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Aus den Erwägungen:
2.
Es steht fest und ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin innert der Rahmenfrist für die Beitragszeit vom 19. Oktober 1993 bis 18. Oktober 1995 nicht während mindestens sechs Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat und deshalb die Beitragszeit im Sinne von
Art. 13 Abs. 1 AVIG
nicht erfüllt. Vorinstanz und Verwaltung haben weiter die Erfüllung des Befreiungstatbestands "Trennung der Ehe" im Sinne von
Art. 14 Abs. 2 AVIG
verneint.
a) Die Bestimmung von
Art. 14 Abs. 2 AVIG
ist in erster Linie für jene Fälle vorgesehen, in denen plötzlich die Person, welche durch
BGE 125 V 123 S. 125
Geldzahlungen an den Unterhalt der Familie beiträgt, oder die Erwerbsquelle aus- oder weggefallen ist (GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. I, N. 34 zu Art. 14; NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz. 199). Es handelt sich bei dieser Versichertengruppe um Personen, die nicht eigentlich auf die Aufnahme, Wiederaufnahme oder Ausdehnung der Erwerbstätigkeit vorbereitet sind und aus wirtschaftlicher Notwendigkeit in verhältnismässig kurzer Zeit neu disponieren müssen (NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 200). Nach der Rechtsprechung ist eine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit nach
Art. 14 Abs. 2 AVIG
nur möglich, wenn zwischen dem geltend gemachten Grund und der Notwendigkeit der Aufnahme oder Erweiterung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit ein Kausalzusammenhang gegeben ist (
BGE 121 V 344
Erw. 5c/bb,
BGE 119 V 55
Erw. 3b). Kein solcher Zusammenhang liegt vor, wenn die versicherte Person bereits vor Eintritt des Grundes eine Erwerbstätigkeit aufnehmen wollte (
BGE 121 V 344
Erw. 5c/cc; ARV 1987 Nr. 5 S. 70 Erw. 2d).
b) Aus den Akten ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin infolge des Konkurses der Firma ihres Ehemannes bereits im Januar 1993 gezwungen war, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, wobei sie sich für eine selbstständige Tätigkeit entschieden hatte. Die Notwendigkeit, einer einträglichen Beschäftigung nachzugehen, bestand damit lange vor der Trennung der Ehe, die erst am 29. Juli 1994 gerichtlich ausgesprochen wurde. Die Beschwerdeführerin macht nun geltend, die Einkommenseinbusse sei entstanden, weil ihr Ehemann seit der Trennung nicht mehr in der Firma mithalf. Ob nebst dem trennungsbedingten Wegfall der Person, welche durch Geldzahlungen an den Familienunterhalt beitrug, oder der Erwerbsquelle (vgl. Erw. 2a) auch der Ausfall des ehelichen Unterhalts in Form der gestützt auf
Art. 163 Abs. 2 ZGB
vereinbarten Mithilfe des Ehemannes im Beruf oder Gewerbe des anderen den angerufenen Befreiungstatbestand erfüllt (worauf sich die Beschwerdeführerin sinngemäss beruft), kann indessen offen bleiben, da die Regelung über die Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit im vorliegenden Fall ohnehin nicht in Betracht kommen kann.
c) Das Institut der Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit ist letztlich Ausfluss des Verfassungsauftrags, wonach die Arbeitslosenversicherung für - grundsätzlich alle - Arbeitnehmer obligatorisch sein soll (
Art. 34novies Abs. 2 Satz 1 BV
; GERHARDS, a.a.O., N. 5 zu Art. 14). Die Beschwerdeführerin will nicht wieder oder erstmals ins
BGE 125 V 123 S. 126
Erwerbsleben eintreten, sondern von einer - nicht versicherten - selbstständigen Erwerbstätigkeit (
Art. 2 Abs. 1 lit. a AVIG
e contrario) in eine unselbstständige wechseln. Bei Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit besteht kein Versicherungsschutz, es sei denn aus einer früheren Arbeitnehmertätigkeit werde die Beitragszeit in der Rahmenfrist noch erfüllt (NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 39). Die Arbeitnehmereigenschaft, welche Grundvoraussetzung dafür ist, dass eine Person Versicherungsschutz geniesst, kann nicht dadurch hergestellt werden, dass im Nachhinein eine Person für diejenige Zeit, während welcher eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt wurde, als von der Erfüllung der Beitragszeit befreit erklärt wird. Die Befreiungstatbestände können die fehlende Versicherteneigenschaft nicht schaffen. Sie übernehmen vielmehr die Funktion der Beitragszeit als Anspruchsvoraussetzung (vgl. NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 194). Die fehlende Versicherteneigenschaft infolge Ausübung einer ganztägigen selbstständigen Tätigkeit in der Zeit vor Anrufung eines Befreiungsgrundes nach
Art. 14 AVIG
schliesst nach dem Gesagten im vorliegenden Fall die Berufung auf diese Ausnahmeregelung aus (vgl. auch nicht publizierte Erw. 6d des Urteils
BGE 124 V 400
). Die veränderten Umstände nach der Trennung - worauf die Beschwerdeführerin mit Nachdruck hinweist - sind demnach für den Ausgang dieses Verfahrens ohne Belang.
d) Aus dem Wortlaut von
Art. 14 Abs. 2 AVIG
geht, anders als aus Abs. 1 und auch aus dem seit 1. Januar 1996 in Kraft stehenden
Art. 13 Abs. 2bis AVIG
(und der diesbezüglichen Rechtsprechung), nicht hervor, dass die anspruchstellende Person (hier: im Hinblick auf den ehelichen Unterhalt) an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit überhaupt verhindert gewesen sein muss. Vom Wortlaut noch gedeckt wären Fälle, in denen die Person eine schlecht rentierende selbstständige Erwerbstätigkeit ausübte, wenn sie durch einen der Befreiungsgründe gezwungen ist, eine im Rahmen des Üblichen entlöhnte unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Nach dem unzweideutigen Willen des Gesetzgebers sollen aber nur die wegen den in
Art. 14 Abs. 2 AVIG
erwähnten Gründen zur Aufnahme, Wiederaufnahme oder Ausdehnung einer Erwerbstätigkeit gezwungenen Personen von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sein (vgl. Botschaft des Bundesrates zu einem neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980, BBl 1980 III 544 und 564 f.; siehe auch SVR 1997 ALV Nr. 100 S. 307 Erw. 4b/bb; NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 200; GERHARDS, a.a.O., N. 4 und 33 zu Art. 14). Nicht in den Genuss der
BGE 125 V 123 S. 127
Beitragsbefreiung kann daher eine Person gelangen, die bereits einer vollzeitigen Erwerbstätigkeit nachging und von einer selbstständigen zu einer unselbstständigen Tätigkeit wechseln will; sie nimmt weder eine solche erstmals oder wieder auf, noch dehnt sie diese aus. Nachdem die Beschwerdeführerin vollzeitlich selbstständigerwerbend war, stellt sich die Frage der Beitragsbefreiung für eine Teil-Arbeitslosigkeit nicht.