Urteilskopf
125 V 373
61. Urteil vom 31. Mai 1999 i.S. A. gegen Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
Regeste
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
;
Art. 4 Abs. 1 BV
;
Art. 69 IVG
;
Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG
;
Art. 97 Abs. 2 OG
: Rechtsverzögerungsbeschwerde. Rechtsverzögerung bejaht bei 33 Monaten Anhängigkeit und 27 Monaten Behandlungsreife.
Art. 159 Abs. 2 und 5 sowie
Art. 156 Abs. 6 OG
: keine Parteientschädigung trotz Obsiegens. Der Entschädigungsanspruch der obsiegenden Partei unterliegt der gesetzlichen Einschränkung des
Art. 156 Abs. 6 OG
, wonach unnötige Kosten zu bezahlen hat, wer sie verursacht. Prozessuale Sorgfaltspflichten und der Grundsatz von Treu und Glauben verpflichten dazu, festgestellte Verfahrensmängel rechtzeitig dem Gericht anzuzeigen. Durch Verletzung dieser Verfahrensregeln entstehende Kosten sind selbstverschuldet und unnötig.
A. machte am 18. Juni 1996 in einer Unfallversicherungssache beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich eine Beschwerde anhängig.
Der Versicherte lässt am 2. März 1999 Rechtsverzögerungsbeschwerde führen mit dem Antrag, das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich sei zu verpflichten, innert Kürze über seine Beschwerde vom 18. Juni 1996 zu entscheiden.
Das kantonale Gericht verzichtet unter Hinweis darauf, dass am 9. März 1999 das Urteil in der Sache ergangen sei, auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Da das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zwischenzeitlich am 9. März 1999 über die Beschwerde des A. entschieden hat, ist die vorher, am 2. März 1999, eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen dahingefallenen Rechtsschutzinteresses gegenstandslos geworden und folglich abzuschreiben (SVR 1998 UV Nr. 11 S. 32 Erw. 5b/aa).
2.
a) Fällt, wie hier, von einer Sache alles Streitige ab, entscheidet das Gericht über die Nebenfolgen, gegebenenfalls über den Anspruch auf Parteientschädigung, mit summarischer Begründung auf Grund der Sachlage vor Eintritt des zur Gegenstandslosigkeit führenden Grundes (
Art. 135 OG
in
BGE 125 V 373 S. 375
Verbindung mit
Art. 40 OG
und
Art. 72 BZP
). Dabei ist besonders auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen (SVR 1998 UV Nr. 11 S. 33 Erw. 6a; vgl. auch
BGE 118 Ia 494
Erw. 4a,
BGE 107 V 127
).
Das strittige Verfahren war seit 18. Juni 1996 anhängig, ab 2. Dezember 1996 mit der förmlichen Beendigung des Schriftenwechsels behandlungsreif, und es wurde mit Entscheid vom 9. März 1999 abgeschlossen. Die gesamte Verfahrensdauer beträgt 33 Monate seit Anhängigmachung und 27 Monate seit Eintritt der Behandlungsreife. Gemäss der Rechtsprechung hätte eine solche Verfahrensdauer bei den gegebenen Umständen zur Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geführt, da sie die für den Tatbestand des unrechtmässigen Verzögerns eines Entscheides erforderliche Schwelle überschritten hat (unveröffentlichtes Urteil L. vom 16. Dezember 1998). Unter dem Gesichtspunkt der Prozessaussichten ist der Anspruch auf Parteientschädigung somit begründet.
b) Zu beachten ist indes im Weiteren, dass gemäss
Art. 135 OG
sowie Art. 159 Abs. 5 in Verbindung mit
Art. 156 Abs. 6 OG
auch der Entschädigungsanspruch der obsiegenden Partei der gesetzlichen Einschränkung unterliegt, wonach unnötige Kosten zu bezahlen hat, wer sie verursacht.
aa) Der Anspruch auf Erledigung einer Sache innert angemessener Frist gehört zu den Verfahrensgarantien nach
Art. 4 Abs. 1 BV
(KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Rz. 119 ff., speziell Rz. 153-155). Der Erreichung dieses Ziels dienen insbesondere die Verfahrensordnungen. Unerlässlich sind dafür Fristen, Formen und prozessuale Sorgfaltspflichten, die einem schleppenden Prozessgang und der Verfahrensverzögerung entgegenwirken (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 49). Eine diesbezüglich wichtige Aufgabe der richterlichen Prozessleitung besteht in der Durchsetzung des Beschleunigungsgrundsatzes. Dieser verlangt zwar in erster Linie vom Richter, daneben aber auch von den Parteien, das je ihnen Mögliche und Zumutbare dazu beizutragen, dass das Verfahren zügig voranschreitet (GYGI, a.a.O., S. 64). Hinzu tritt der Grundsatz von Treu und Glauben, welcher Behörden und Privaten gleichermassen rechtsmissbräuchliches und widersprüchliches Verhalten verbietet (KÖLZ/HÄNER, a.a.O., Rz. 126; GYGI, a.a.O., S. 50). Im Rahmen der prozessualen Sorgfaltspflichten obliegt es daher den Parteien, festgestellte Verfahrensmängel rechtzeitig anzuzeigen (EGLI, La protection de la bonne foi
BGE 125 V 373 S. 376
dans le procès: quelques applications dans la jurisprudence, in: Juridiction constitutionnelle et juridiction administrative, Zürich 1992, S. 239 f., mit Hinweisen).
bb) Diese aus der prozessualen Sorgfaltspflicht sowie Treu und Glauben im Verfahren abgeleiteten Prinzipien sind im Bereich der jederzeit möglichen Rechtsverzögerungs- und Rechtsverweigerungsbeschwerde (vgl. Art. 97 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 106 Abs. 2 OG
) mit Blick auf die Kostenfolgen (Art. 156/159 OG) sinngemäss zur Anwendung zu bringen. Im Bereich der Staatshaftung aus Rechtsverzögerung hat das Bundesgericht in
BGE 107 Ib 158
f. (Erw. 2b/bb mit Hinweisen) entschieden, dass es der durch eine lange Prozessdauer von einem Schaden bedrohten Partei insbesondere zuzumuten ist, das Gericht darauf aufmerksam zu machen und um eine raschere Abwicklung des Verfahrens zu ersuchen. Der Unterlassung solcher (der Erhebung der Rechtsverzögerungsbeschwerde vorausgehenden) Vorkehren misst das Bundesgericht staatshaftungsrechtlich unter dem Gesichtswinkel des Selbstverschuldens Bedeutung bei.
cc) Vorliegend steht fest, dass der Beschwerdeführer nach Eintritt der Behandlungsreife seiner Beschwerde in Verletzung seiner prozessualen Mitwirkungspflichten während 27 Monaten die Vorinstanz weder je um Auskunft nach dem Stand des Verfahrens gebeten, geschweige denn um Beschleunigung des Verfahrens ersucht hatte. Hinzu kommt, dass die Rechtsverzögerungsbeschwerde am 2. März 1999 eingereicht wurde und dass die Vorinstanz die Beschwerde am 9. März 1999 entschied. Mit dem kurz vorher eingereichten Rechtsmittel liess sich daher von vornherein keine zusätzliche Beschleunigung des Verfahrens erreichen. Die Unkenntnis über diese Prozesslage hat der Beschwerdeführer zu vertreten, weil er sich nie nach dem Stand des Verfahrens erkundigte. Die mit der Rechtsverzögerungsbeschwerde entstandenen Vertretungskosten sind deshalb selbstverschuldet und unnötig (ZAK 1989 S. 283 Erw. 3). Unter diesen Umständen ist von der Zusprechung einer Parteientschädigung abzusehen.