BGE 126 V 207 vom 29. Mai 2000

Datum: 29. Mai 2000

Artikelreferenzen:  Art. 16 AVIG, Art. 23 AVIG , Art. 23 Abs. 3 AVIG, Art. 23 Abs. 1 und 3 AVIG, Art. 23 Abs. 1 und Art. 95 Abs. 1 AVIG, Art. 37 Abs. 2 AVIV, Art. 16 Abs. 2 lit. i AVIG

BGE referenzen:  125 V 475 , 125 V 475, 116 V 283, 125 V 479, 121 V 176

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

126 V 207


35. Urteil vom 29. Mai 2000 i.S. Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn gegen R. und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Regeste

Art. 23 Abs. 1 und 3 AVIG : Versicherter Verdienst bei Vorliegen einer Nebentätigkeit.
- Berechnung des versicherten Verdienstes, wenn ausserhalb einer (Teilzeit-)Haupttätigkeit eine Nebentätigkeit (in casu als halbprofessionell tätiger Eishockeyspieler) ausgeübt wird.
- Beantwortung der bislang offen gelassenen Frage, welche Berechnungsvariante für die Ausscheidung des nicht versicherten Nebenverdienstes zur Anwendung gelangt.

Sachverhalt ab Seite 207

BGE 126 V 207 S. 207

A.- Der 1975 geborene R. arbeitete vom 28. August 1995 bis 31. März 1996 als kaufmännischer Angestellter bei der F. AG. Die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit belief sich auf ca. 38 Stunden pro Woche, während die Normalarbeitszeit des Betriebes 42 Wochenstunden betrug. Diese Stelle kündigte er auf den 31. März 1996. Daneben stand der Versicherte vom 1. Mai 1994 bis 30. April 1996 als Spieler beim EHC Y unter Vertrag. Ab 1. Mai 1996 bezog er Arbeitslosenentschädigung.
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Am 26. September 1997 forderte die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn zuviel ausbezahlte Arbeitslosentaggelder im Betrag von Fr. 8'481.25 für die Auszahlungsperiode 1. Mai bis 30. November 1996 zurück, da der "Vermittlungsgrad" auf 74% festgelegt worden war. Auf Beschwerde hin zog die Arbeitslosenkasse die Rückforderungsverfügung vom 26. September 1997 in Wiedererwägung und ersetzte sie durch die Verfügung vom 9. Dezember 1997, womit sie nurmehr einen Betrag von Fr. 7'395.95 zurückverlangte, ausgehend von einem versicherten Verdienst von Fr. 3'694.-.

B.- Beschwerdeweise liess R. geltend machen, es seien die Verfügung der Arbeitslosenkasse vom 9. Dezember 1997 aufzuheben, der versicherte Verdienst auf Fr. 7'220.90 festzusetzen und die Taggeldleistungen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Dezember 1996 auf der Basis dieses versicherten Verdienstes neu zu berechnen und die entsprechende Differenz an Taggeldern nachzuzahlen.
In Gutheissung der Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn die Verfügung der Arbeitslosenkasse vom 9. Dezember 1997 auf und wies die Sache an diese zurück, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre (Entscheid vom 26. März 1999). Es stellte fest, dass die Arbeitslosenentschädigung auf Grund des Verdienstes bei der F. AG von Fr. 3'470.90 und desjenigen beim EHC Y von Fr. 3'750.-, also total Fr. 7'220.90, zu berechnen sei unter Abzug von Ferienentschädigungen.

C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Arbeitslosenkasse, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Versicherte lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit (ab 1. Juli 1999: Staatssekretariat für Wirtschaft) hat sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. Das kantonale Gericht hat die anwendbaren Rechtsgrundlagen ( Art. 23 Abs. 1 und Art. 95 Abs. 1 AVIG sowie Art. 37 Abs. 1 bis 3 AVIV) zutreffend dargelegt, sodass sich deren Wiedergabe erübrigt. Zu ergänzen bleibt Art. 23 Abs. 3 AVIG . Danach ist ein Nebenverdienst nicht versichert (Satz 1). Als solcher gilt jeder Verdienst, den ein Versicherter ausserhalb seiner normalen Arbeitszeit als Arbeitnehmer oder ausserhalb des ordentlichen Rahmens
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seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit erzielt (Satz 2). In BGE 125 V 475 hat das Eidg. Versicherungsgericht festgehalten, dass es im Hinblick auf den Grundgedanken der Arbeitslosenversicherung (dazu BGE 116 V 283 Erw. 2d mit Hinweis) richtig ist, den versicherten Verdienst auf die normale Arbeitnehmertätigkeit zu beschränken, gleichviel, ob durch die Nebentätigkeit verhältnismässig höhere Einkünfte als durch die eigentliche Haupttätigkeit erzielt werden.

2. Vorliegend ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner bei der F. AG eine 80%-Stelle versah und dass der dort erzielte Lohn Fr. 3'470.90 ausmachte. Dieser Betrag, von dem gemäss vorinstanzlichem Entscheid noch die Ferienentschädigung abzuziehen ist, entspricht dem Durchschnittslohn der letzten sechs Beitragsmonate. Ebenfalls unbestritten ist das beim EHC Y in der fraglichen Zeitspanne erzielte Einkommen von Fr. 3'750.- pro Monat.

3. Streitig ist hingegen, ob der beim EHC Y bezogene Lohn im Rahmen eines (restlichen) 20%-Pensums verdient wurde und somit beim versicherten Verdienst voll anzurechnen ist - wie die Vorinstanz erwog - oder ob dieses Einkommen zum Teil ausserhalb der normalen Arbeitszeit als Arbeitnehmer erzielt wurde und demzufolge teilweise als nichtversicherter Nebenverdienst gilt ( Art. 23 Abs. 3 AVIG ).
a) Bezüglich der normalen Arbeitszeit als Arbeitnehmer ist von 42 Wochenstunden auszugehen - was der betriebsüblichen Arbeitszeit bei der F. AG entspricht (vgl. BGE 125 V 479 Erw. 5b).
b) Wenn von der Vorinstanz bei der Ermittlung des Lohnes bei der F. AG der Zeitraum von sechs Monaten herangezogen wird, was nicht zu beanstanden ist ( Art. 37 Abs. 2 AVIV ), ist es sachgerecht, bei dem vom EHC Y bezogenen Lohn ebenfalls auf diesen Zeitraum abzustellen, und zwar auch bezüglich der Frage, in welchem zeitlichen Umfang der Beschwerdegegner das Einkommen aus der Nebentätigkeit erzielte. Somit ist von der zeitlichen Beanspruchung während der Wintertrainingszeit auszugehen.
Die Parteien stimmen darin überein, dass der Zeitaufwand für das Wintertraining und die wöchentlich je 2 Spiele zusammen 10 Wochenstunden ausmachen. Hinzu kommt klarerweise auch die Reisezeit für Auswärtsspiele sowie die Zeit für die Vorbereitung vor dem jeweiligen Spiel (Umkleiden, taktische Besprechung und Einlaufen), wofür der Aufwand in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf insgesamt 4,5 Wochenstunden beziffert wird, was durchaus realistisch erscheint. Die in der Vernehmlassung vorgetragenen
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Argumente des Beschwerdegegners vermögen nicht zu überzeugen: wenn er sich als Spieler verpflichten lässt, so gehören zu seinen Obliegenheiten aus dem Vertrag auch die Zeit der Vorbereitung unmittelbar vor dem Spiel sowie die Reisezeit bei Auswärtsspielen; auch sie sind Teil des zeitlichen Aufwands, mit dem das zusätzliche Einkommen erzielt wird. Somit ergibt sich ein wöchentlicher Aufwand von rund 14,5 Stunden, was - verglichen mit den oben erwähnten 42 Stunden - einem Teilpensum von 35% entspricht. Zusammengenommen sind die beiden Einkommen aus der Haupttätigkeit als kaufmännischer Angestellter und aus der Nebentätigkeit als Eishockeyspieler somit bei einem Beschäftigungsgrad von 115% verdient worden, also teilweise ausserhalb der normalen Arbeitszeit als Arbeitnehmer.

4. Damit stellt sich die Frage, wie der ausserhalb der normalen Arbeitszeit erzielte und mithin nach Art. 23 Abs. 3 AVIG nicht versicherte Verdienstanteil auszuscheiden ist.
a) Zur Auswahl stehen zwei grundsätzlich verschiedene Verfahren. Beim ersten werden die Einkommen zusammengezählt und der Gesamtlohn sodann auf einen Beschäftigungsgrad von 100% gekürzt; beim zweiten wird nur derjenige Lohn herabgesetzt, der mit einer teilweise ausserhalb der normalen Arbeitszeit liegenden Tätigkeit erzielt wurde, während das Einkommen aus der andern Beschäftigung ungekürzt bleibt. Die erste von der Arbeitslosenkasse im nicht veröffentlichten Urteil H. vom 2. September 1996 angewandte Methode wurde vom Eidg. Versicherungsgericht unbeanstandet gelassen. Im nicht veröffentlichten Urteil St. vom 18. April 1997, konnte offen bleiben, welche der beiden Berechnungsweisen den Vorzug verdient, weil dieser Punkt für den Ausgang des Verfahrens nicht massgebend war.
b) Die Frage ist nunmehr zu entscheiden. Bei der ersten Methode fällt auf, dass hier für die Zusammenrechnung der Einkommen aus der Haupt- und der Nebentätigkeit unberücksichtigt bleibt, dass die beiden Beschäftigungen je einen sehr unterschiedlichen Wertschöpfungsgrad aufweisen können. Dies kann dazu führen, dass immer dann, wenn der Wertschöpfungsgrad der Nebentätigkeit erheblich über dem der Haupttätigkeit liegt, sich bei dieser Methode ein so hoher versicherter Verdienst ergibt, dass dem Versicherten in seinem Beruf oder in seiner bisherigen Haupttätigkeit unter dem Gesichtspunkt von Art. 16 Abs. 2 lit. i AVIG praktisch keine Arbeit mehr zumutbar wäre (vgl. in diesem Zusammenhang BGE 121 V 176 Erw. 4c/dd in fine). Dies zeigt gerade der vorliegende Fall: mit
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der 80%-Stelle bei der F. AG erzielte der Beschwerdegegner einen Lohn von rund Fr. 3'470.-, aus der zeitlich geringeren 35%-Nebentätigkeit dagegen sogar einen höheren von Fr. 3'750.- (vgl. in diesem Zusammenhang GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. I, N 54 in fine zu Art. 23). Diese Überlegungen sprechen gegen die erste und für die zweite Methode, welche den entscheidenden Vorteil für sich hat, dass hier der Lohn aus der angestammten (Teilzeit-)Haupttätigkeit ungekürzt beim versicherten Verdienst berücksichtigt und von der Nebentätigkeit nur so viel angerechnet wird, wie für die Ermittlung des Verdienstes bei einem Beschäftigungsgrad von 100% erforderlich ist.

5. Auf Grund dieser Überlegungen kann der versicherte Verdienst von Fr. 3'694.-, welcher der Rückerstattungsverfügung vom 9. Dezember 1997 zu Grunde liegt, nicht bestätigt werden. Dass die Vorinstanz diese Verfügung aufgehoben und die Sache zur Neuberechnung einer allfälligen Rückforderung oder Nachzahlung an die Arbeitslosenkasse zurückgewiesen hat, ist an sich richtig; indessen kann den Erwägungen, wonach beide Einkommen voll zu berücksichtigen sind, nicht beigepflichtet werden. Vielmehr ist in Anwendung der vorstehend erläuterten zweiten Methode der Lohn der F. AG voll zu berücksichtigen und vom Lohn beim EHC Y ein Anteil von vier Siebteln entsprechend dem Verhältnis von 20% zu 35% anzurechnen. In diesem Sinne sind die Erwägungen der Vorinstanz für die von ihr angeordnete Rückweisung zu berichtigen.

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