BGE 128 III 121 vom 10. Januar 2002

Datum: 10. Januar 2002

Artikelreferenzen:  Art. 126 ZGB , Art. 148 Abs. 1 ZGB, Art. 137 ZGB, Art. 126 Abs. 1 ZGB, Art. 151 ZGB, Art. 137 Abs. 2 ZGB

BGE referenzen:  84 II 466, 109 II 87, 123 III 274, 130 III 537, 130 I 347, 135 III 238, 137 III 586, 142 III 193 , 109 II 87, 84 II 466, 123 III 274

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

128 III 121


21. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. R.B. gegen B.B. (Berufung)
5C.259/2001 vom 10. Januar 2002

Regeste

Beginn der nachehelichen Unterhaltspflicht im Fall der Teilrechtskraft der Scheidung ( Art. 126 Abs. 1 ZGB ).
Ist der Scheidungspunkt gemäss Art. 148 Abs. 1 ZGB in Rechtskraft erwachsen, steht es dem Sachgericht im Rahmen des pflichtgemässen Ermessens frei, hinsichtlich des Beginns der nachehelichen Unterhaltspflicht an den Zeitpunkt der Teilrechtskraft anzuknüpfen. Dies gilt auch dann, wenn der Massnahmerichter für die Dauer des Verfahrens einen Unterhaltsanspruch festgelegt hat und dieser über den Zeitpunkt der Teilrechtskraft hinausgeht (E.3).

Sachverhalt ab Seite 121

BGE 128 III 121 S. 121

A.- Die Parteien heirateten im Jahr 1971. Am 7. November 1996 erhob die Ehefrau B.B. die Scheidungsklage. Mit gerichtlicher Vereinbarung vom 9. Dezember 1996 verpflichtete sich der Ehemann R.B., der Ehefrau B.B. für die Dauer des Getrenntlebens monatlich Fr. 2'000.- an ihren Unterhalt zu bezahlen. Mit Entscheid vom 7. Februar 2001 schied der Gerichtspräsident die Ehe und sprach der Klägerin einen monatlichen Unterhaltsbeitrag zu.
Beide Parteien fochten die erstinstanzliche Unterhaltsregelung beim Appellationshof des Kantons Bern an. Mit Urteil vom 12. September 2001 verpflichtete dieser den Beklagten R.B. rückwirkend ab 1. März 2001 zur Zahlung von zeitlich befristeten nachehelichen Unterhaltsbeiträgen.
BGE 128 III 121 S. 122

B.- Mit Berufung an das Bundesgericht beantragt der Beklagte unter anderem, es seien ihm lediglich für die Zeit nach Rechtskraft des bundesgerichtlichen Urteils Unterhaltsbeiträge an die Klägerin aufzuerlegen. Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es darauf eintritt, und bestätigt das angefochtene Urteil.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Der Appellationshof hat festgestellt, dass das erstinstanzliche Urteil vom Februar 2001 im Scheidungspunkt in Rechtskraft erwachsen ist, und hat den Beginn der nachehelichen Unterhaltspflicht auf März 2001 angesetzt. Der Beklagte wendet ein, diese rückwirkende Verpflichtung verstosse gegen Bundesrecht. Die Parteien hätten 1996 eine Trennungsvereinbarung getroffen, welche für die Zeit des Getrenntlebens einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 2'000.- vorsehe. Der dort festgelegte Betrag gelte bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils, in welchem der nacheheliche Unterhalt bestimmt werde. Die nacheheliche Unterhaltspflicht beginne deshalb erst ab Datum des bundesgerichtlichen Urteils zu laufen.
a) Wurde das Scheidungsurteil unter dem alten Scheidungsrecht weitergezogen und wurden dabei nur die Nebenfolgen, nicht aber der Scheidungspunkt selber angefochten, so hing es vom jeweiligen kantonalen Prozessrecht ab, ob der Scheidungspunkt bereits in Rechtskraft erwuchs, oder ob die Rechtskraft bis zum Zeitpunkt hinausgeschoben wurde, in dem über sämtliche Folgen definitiv entschieden war ( BGE 84 II 466 E. 1 S. 467). Seit 1. Januar 2000 gilt die Teilrechtskraft von Bundesrecht wegen ( Art. 148 Abs. 1 ZGB ; AS 1999 1118 S. 1144).
b) aa) War der Scheidungspunkt in Rechtskraft erwachsen, so konnte unter altem Scheidungsrecht das Sachgericht im späteren Rentenurteil - im Rahmen des pflichtgemässen Ermessens - frei bestimmen, ob die Unterhaltspflicht erst mit Rechtskraft desselben oder rückwirkend ab Eintritt der Teilrechtskraft beginne. Zwar erachtete das Bundesgericht den Beginn der Unterhaltsverpflichtung mit der Rechtskraft des letztinstanzlichen Rentenurteils als die Regel, doch hielt es auch den rückwirkenden Beginn als mit dem Bundesrecht vereinbar ( BGE 109 II 87 E. 4b S. 92; SPÜHLER/FREI-MAURER, Berner Kommentar, N. 54 zu Art. 151 ZGB ).
bb) Gemäss Art. 126 ZGB , in Kraft seit dem 1. Januar 2000, bestimmt das Gericht den Beginn der nachehelichen Beitragspflicht.
BGE 128 III 121 S. 123
Mit der ausdrücklichen Normierung dieser Befugnis wollte der Gesetzgeber keine Änderung gegenüber dem bisherigen Recht bewirken. Sinn und Zweck von Art. 126 ZGB ist es, dem Gericht im Hinblick auf eine möglichst grosse Einzelfallgerechtigkeit bezüglich der Modalitäten des Unterhaltsbeitrags einen breiten Spielraum einzuräumen. Der Beginn der Unterhaltspflicht mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft des Scheidungsurteils ist nach wie vor die Regel, doch weist die neue Bestimmung das Gericht nun auch auf die verschiedenen Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Festlegung der Unterhaltspflicht - etwa die Anknüpfung an eine Bedingung oder an eine aufschiebende Befristung - hin (SCHWENZER, in: Praxiskommentar Scheidungsrecht, 2000, N. 1 und 10 zu Art. 126 ZGB ; SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, 1999, N. 12 zu Art. 126 ZGB ; Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 15. November 1995, BBl 1996 I 1 [Botschaft], S. 117). Dass der Gesetzgeber den Spielraum des Sachgerichts im Hinblick auf den Beginn der Unterhaltspflicht im Allgemeinen und im Zusammenhang mit der Teilrechtskraft im Besonderen einschränken wollte, ist nicht anzunehmen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass es dem Sachgericht auch heute - im Rahmen des pflichtgemässen Ermessens - frei steht, dem Pflichtigen rückwirkend auf den Zeitpunkt des Eintritts der Teilrechtskraft eine nacheheliche Unterhaltspflicht aufzuerlegen.
c) aa) Dies gilt unabhängig von der Frage, ob für die Zeit nach Eintritt der Teilrechtskraft schon gestützt auf einen Massnahmeentscheid eine Unterhaltspflicht besteht. Das Bundesgericht hat darauf unter der Geltung des alten Scheidungsrechts ausdrücklich hingewiesen ( BGE 109 II 87 E. 4b S. 92).
bb) Daran ändert auch nichts, dass das heutige Recht die Fortdauer der vorsorglichen Massnahmen über den Zeitpunkt der Teilrechtskraft im Gegensatz zu früher ausdrücklich vorsieht ( Art. 137 Abs. 2 ZGB ; LEUENBERGER, in: Praxiskommentar Scheidungsrecht, 2000, N. 12 zu Art. 137 ZGB ; SUTTER/FREIBURGHAUS, a.a.O., N. 44 zu Art. 137 ZGB ), und dass zu viel bezahlter vorsorglicher Unterhalt nach geltendem Recht nicht mehr zurückbezahlt werden muss (AB 1996 S 766: Votum von Ständerätin Beerli). Massgeblich ist, dass Unterhaltsbeiträge, welche der Pflichtige aufgrund eines Massnahmeentscheids bezahlt hat, nach wie vor auf den im Rentenurteil festgelegten Unterhalt angerechnet werden können (zur Anrechenbarkeit unter dem alten Scheidungsrecht: VOGEL, in: ZBJV 123/1987 S. 267 ff.).
BGE 128 III 121 S. 124
d) aa) Ermessensentscheide überprüft das Bundesgericht an sich frei. Es übt dabei aber Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen. Es greift ausserdem in Ermessensentscheide ein, wenn sich diese im Ergebnis als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen ( BGE 123 III 274 E. 1a/cc mit Hinweisen).
bb) Vorliegend hat der Appellationshof den Beginn der nachehelichen Unterhaltspflicht an den Zeitpunkt des Eintritts der Teilrechtskraft geknüpft. Dass er dabei einen Ermessensfehler begangen hätte, aufgrund dessen das Bundesgericht seinen Entscheid aufheben müsste, ist weder behauptet noch dargetan. Eine Verletzung des Bundesrechts liegt demnach auch in diesem Punkt nicht vor.

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