Urteilskopf
128 III 246
46. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer i.S. Krankenversicherung X. gegen Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Basel-Landschaft (Beschwerde)
7B.25/2002 vom 26. März 2002
Regeste
Art. 79 Abs. 2 SchKG
; Einreden gegen ausserkantonale Anerkennungsentscheide.
Beseitigt eine Krankenkasse ausserhalb des Kantons, in dem die Betreibung geführt wird, mit der Verfügung über die Zahlungspflicht des Versicherten auch den Rechtsvorschlag, bleiben die Einreden nach
Art. 81 Abs. 2 SchKG
erhalten und es ist das Verfahren nach
Art. 79 Abs. 2 SchKG
einzuschlagen (E. 2).
Das Betreibungsamt entscheidet im Rahmen von
Art. 79 Abs. 2 SchKG
einzig darüber, ob die Äusserung des Schuldners formell als Einrede gemäss
Art. 81 Abs. 2 SchKG
zulässig ist (E. 3).
Am 20. August 2001 verfügte die Krankenkasse X., Winterthur, gestützt auf
Art. 80 des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10)
, dass Y. aus der gesetzlichen Grundversicherung den Betrag von insgesamt Fr. 588.- nebst Fr. 30.- Mahnspesen und Fr. 50.- Betreibungskosten schulde (Dispositiv-Ziff. 1) und in der gegen ihn laufenden Betreibung (Nr. ..., Betreibungsamt Binningen) vollumfänglich definitive Rechtsöffnung erteilt werde (Dispositiv-Ziff. 2). Gestützt auf diese
BGE 128 III 246 S. 247
rechtskräftige Verfügung verlangte die Krankenkasse X. in der Folge die Fortsetzung der Betreibung. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2001 teilte das Betreibungsamt Binningen der Krankenkasse X. mit, dass der Schuldner Y. gegen die Fortsetzung der Betreibung Einrede gemäss
Art. 79 Abs. 2 und
Art. 81 Abs. 2 SchKG
erhoben habe, und dass das Betreibungsverfahren solange eingestellt bleibe, bis die Gläubigerin beim Rechtsöffnungsrichter des Betreibungsortes (Bezirksgericht Arlesheim) einen diese Einrede zurückweisenden Rechtsöffnungsentscheid erwirkt habe. Gegen diese Verfügung des Betreibungsamtes erhob die Krankenkasse X. Beschwerde, welche die Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Basel-Landschaft (Dreierkammer des Obergerichts) mit Entscheid vom 28. Januar 2002 abwies.
Die Krankenkasse X. hat den Entscheid der Aufsichtsbehörde mit Beschwerdeschrift vom 7. Februar 2002 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides sowie die Anweisung an das Betreibungsamt Binningen, die gegen Y. laufende Betreibung fortzusetzen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten wird.
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin macht vorab im Wesentlichen geltend, gegen die Verfügung einer Krankenkasse in Anwendung von
Art. 80 KVG
seien die Einwände von
Art. 81 Abs. 2 SchKG
generell nicht zulässig, weil nicht "ein in einem anderen Kanton ergangener Entscheid" im Sinne von
Art. 79 Abs. 2 SchKG
vorliege. Dieses Vorbringen geht fehl.
Die Rechtsprechung zu der von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Rechtsfrage (
BGE 119 V 329
E. 2b, 3 u. 4 S. 331 ff.;
BGE 107 III 60
E. 2a S. 63;
BGE 75 III 44
S. 46) ist eindeutig. Sie geht zurück auf die im Kreisschreiben Nr. 26 des Bundesgerichts vom 20. Oktober 1910 enthaltenen Grundsätze, welche mit der SchKG-Revision in das Gesetz (
Art. 79 Abs. 2 SchKG
) aufgenommen wurden (BBl 1991 III 65). Gemäss
Art. 79 SchKG
setzt das Betreibungsamt im Falle eines rechtskräftigen Anerkennungsentscheides, der den Rechtsvorschlag ausdrücklich beseitigt (Abs. 1) und der in einem anderen Kanton ergangen ist, dem Schuldner nach Eingang des Fortsetzungsbegehrens eine Frist von zehn Tagen an, innert der
BGE 128 III 246 S. 248
er gegen den Entscheid die Einreden nach
Art. 81 Abs. 2 SchKG
erheben kann (Abs. 2). Eine Krankenkasse - als juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts vom Eidg. Departement des Innern als Versicherer zugelassen (Art. 12 f. KVG) - ist keine Bundesbehörde (vgl.
BGE 123 V 128
E. 1b S. 129), auch wenn sie gestützt auf Bundesrecht entscheidet und das Bundesrecht die entsprechende Verfügung als vollstreckbar erklärt (
Art. 80 und 88 Abs. 2 KVG
). Beseitigt eine Krankenkasse ausserhalb des Kantons der Betreibung mit der Verfügung über die Zahlungspflicht des Versicherten auch den Rechtsvorschlag, bleiben daher die Einwendungen gemäss
Art. 81 Abs. 2 SchKG
in analoger Anwendung erhalten und ist das Verfahren nach
Art. 79 Abs. 2 SchKG
einzuschlagen (
BGE 119 V 329
E. 3 und 4 S. 332 f.; STAEHELIN, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 41 zu
Art. 79 SchKG
, N. 24 zu
Art. 81 SchKG
). Vorliegend hat die Beschwerdeführerin beim Betreibungsamt Binningen/BL die Fortsetzung der Betreibung aufgrund der zur Zahlungspflicht ergangenen und den Rechtsvorschlag beseitigenden Verfügung vom 20. August 2001 ihrer Generaldirektion in Winterthur/ZH verlangt. Wenn die Aufsichtsbehörde vor diesem Hintergrund zum Ergebnis gelangt ist, das Betreibungsamt habe nach Eingang des Fortsetzungsbegehrens dem Schuldner zu Recht Frist zur Erhebung der Einreden gemäss
Art. 81 Abs. 2 SchKG
angesetzt, ist dies nicht zu beanstanden.
3.
Aus den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen sowie den Akten geht hervor, dass das Betreibungsamt dem Schuldner am 12. Oktober 2001 gestützt auf
Art. 79 Abs. 2 SchKG
eine Frist von zehn Tagen ansetzte, um gegen die den Rechtsvorschlag beseitigende Verfügung der Beschwerdeführerin Einreden nach
Art. 81 Abs. 2 SchKG
zu erheben, und dass der Schuldner dem Betreibungsamt mit Schreiben vom 13. Oktober 2001 mitteilte, er sei "an kein Rechtsöffnungsverfahren vorgeladen" worden. Die Aufsichtsbehörde hat erkannt, dass diese Äusserung des Schuldners eine zulässige Einwendung gemäss
Art. 81 Abs. 2 SchKG
darstelle.
a) Die Beschwerdeführerin bringt vor, der Einwand des Schuldners könne nicht als Einrede der "nicht richtigen Vorladung" im Sinne von
Art. 81 Abs. 2 SchKG
qualifiziert werden, weil sich die Äusserung gar nicht gegen das (ausserkantonale) Erkenntnisverfahren richte. Der Schuldner habe nicht die Möglichkeit, die Vollstreckbarkeit mit dem sinngemässen Einwand in Frage zu stellen, es sei gar kein Rechtsöffnungsverfahren durchgeführt worden.
BGE 128 III 246 S. 249
Die Aufsichtsbehörde habe zu Unrecht angenommen, die Einrede des Schuldners falle unter die Einreden von
Art. 81 Abs. 2 SchKG
, so dass die Einstellung der Betreibung durch das Betreibungsamt ohne Grund sei.
b) Das Betreibungsamt entscheidet im Rahmen von
Art. 79 Abs. 2 SchKG
einzig darüber, ob die Äusserung des Schuldners formell als Einwendung gemäss
Art. 81 Abs. 2 SchKG
zulässig ist (GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, N. 61 zu
Art. 79 SchKG
; STAEHELIN, a.a.O., N. 42 zu
Art. 79 SchKG
). Vorliegend hat der Schuldner dem Betreibungsamt mitgeteilt, er sei "an kein Rechtsöffnungsverfahren vorgeladen" worden. Aus der in den Akten liegenden Verfügung vom 20. August 2001 der Beschwerdeführerin geht hervor, dass sie ihren eigenen Sachentscheid, mit dem sie nicht bloss über die Zahlungspflicht des Schuldners befand, sondern auch die definitive Rechtsöffnung bewilligte, einzig mit dem grossen Titel "Verfügung zur Beseitigung des Rechtsvorschlages" bezeichnet hat. Unter diesen Umständen durfte das Betreibungsamt aber die Äusserung des Schuldners ohne weiteres als Bestreitung verstehen, es sei das Erfordernis der richtigen Ladung im Verfahren, in dem der Anerkennungsentscheid ergangen ist, nicht erfüllt. Insoweit ist die Kritik der Beschwerdeführerin an der Schlussfolgerung der Aufsichtsbehörde unbegründet.
c) Weiter macht die Beschwerdeführerin geltend, das Betreibungsamt hätte die Einrede des Schuldners der nicht richtigen Ladung deshalb zurückweisen müssen, weil im Verfügungs- und Einspracheverfahren nach Art. 80 bzw.
Art. 85 KVG
keine mündliche Verhandlung vorgesehen sei. Dieses Argument geht von vornherein fehl: Das Betreibungsamt hat im Rahmen von
Art. 79 Abs. 2 SchKG
nicht zu entscheiden, ob das Erfordernis der richtigen Vorladung in seiner inhaltlichen Tragweite (vgl. STAEHELIN, a.a.O, N. 27 zu
Art. 81 SchKG
, mit Hinweisen) im ordentlichen Prozess oder Verwaltungsverfahren, in dem der ausserkantonale Entscheid erging, erfüllt worden ist. Hat der Schuldner vor dem Betreibungsamt - wie hier (vgl. E. 3b) - eine formell zulässige Einwendung gemäss
Art. 81 Abs. 2 SchKG
erhoben, ist es Sache des Rechtsöffnungsrichter am Betreibungsort, auf Verlangen des Gläubigers diese Mängel am Entscheid zu prüfen (AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Aufl. 1997, § 19 Rz. 12 u. 57; GILLIÉRON, a.a.O., N. 61 zu
Art. 79 SchKG
, N. 89 zu
Art. 81 SchKG
). Soweit die Beschwerdeführerin der Aufsichtsbehörde vorwirft, sie habe den Inhalt der Einrede der nicht richtigen Ladung
BGE 128 III 246 S. 250
gemäss
Art. 81 Abs. 2 SchKG
verkannt, kann auf ihre Vorbringen daher nicht eingetreten werden.
d) Somit ergibt sich, dass die Aufsichtsbehörde zu Recht zum Ergebnis gelangt ist, das Betreibungsamt habe gestützt auf die zulässige Einwendung des Schuldners die Betreibung nicht fortgesetzt, und insoweit ist der Vorwurf der Beschwerdeführerin einer unrichtigen Anwendung von Art. 79 Abs. 2 i.V.m.
Art. 81 Abs. 2 SchKG
unbegründet.