Urteilskopf
128 III 29
7. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. Bank A. und B. gegen D. (Berufung)
4C.208/2001 vom 29. Oktober 2001
Regeste
Aktienrechtliche Verantwortlichkeit des faktischen Organs (Art. 754 aOR).
Keine faktische Organstellung aufgrund Vornahme einzelner, dem Bereich der Geschäftsführung zuzurechnender Handlungen (E. 3c).
D. war vom 25. Februar 1987 bis 1. März 1991 Geschäftsführer der F. AG. Diese erwarb am 24. November 1988 sämtliche Aktien der E. Holding AG, welche ihrerseits alle Aktien der E. AG hielt.
Am 12. Dezember 1988 schlossen die F. AG, die E. AG und die Bank C. eine Vereinbarung zur Sanierung der E. AG. Darin verpflichtete sich die F. AG unter anderem, die Software der E. AG zum Preis von Fr. 3'000'000.- zu kaufen. Der Kaufpreis war zur Hälfte bis Ende 1988 zu bezahlen, für die übrigen Fr. 1'500'000.- sollte die E. AG der F. AG ein langfristiges Darlehen gewähren. Das Darlehen sollte in jährlichen Raten von Fr. 300'000.- amortisiert werden, erstmals per 30. November 1989.
Im Jahre 1990 wurde über die E. AG und über die E. Holding AG der Konkurs eröffnet. Die Bank A. und B. sind Gläubigerinnen der E. AG. Sie liessen sich von der Konkursmasse die Verantwortlichkeitsansprüche
BGE 128 III 29 S. 30
gegen die Organe der konkursiten E. AG abtreten. Die Gläubigerinnen reichten am 2. September 1993 Klage beim Amtsgericht Luzern-Stadt ein. Sie verlangten im Wesentlichen die Verurteilung von vier Beklagten, unter ihnen D., zur Bezahlung von Fr. 3'000'000.- nebst Zins gestützt auf Art. 754 Abs. 1 und Art. 759 aOR. Das Amtsgericht Luzern-Stadt wies die Klage gegen D. am 21. Dezember 1998 ab. Das Gericht verneinte wegen fehlender Organeigenschaft dessen Passivlegitimation. Das Obergericht des Kantons Luzern bestätigte auf Appellation der Klägerinnen hin den erstinstanzlichen Entscheid aus den weitgehend gleichen Gründen.
Die Klägerinnen haben beim Bundesgericht Berufung eingereicht und beantragen die teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Anweisung des Obergerichts, auf die gegen den Beklagten gerichtete Appellation vollumfänglich einzutreten und einen neuen Sachentscheid zu fällen. Der Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Aus den Erwägungen:
3.
Die Klägerinnen beanstanden, dass der Beklagte von der Vorinstanz nicht als faktisch mit der Geschäftsführung der konkursiten E. AG befasstes Organ angesehen worden ist.
a) Die Organhaftung nach Art. 754 aOR erfasst nicht nur die Mitglieder des Verwaltungsrates, sondern alle mit der Geschäftsführung betrauten Personen. Als mit der Verwaltung oder Geschäftsführung betraut im Sinne dieser Bestimmung gelten nicht nur Entscheidungsorgane, die ausdrücklich als solche ernannt worden sind. Auch Personen, die tatsächlich Organen vorbehaltene Entscheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimmen, fallen in den Anwendungsbereich der genannten Bestimmung (
BGE 124 III 418
E. 1b;
BGE 122 III 225
E. 4b;
BGE 117 II 432
E. 2b;
BGE 107 II 349
E. 5a). In jedem Fall ist erforderlich, jedoch nicht ausreichend, dass die tatsächlich als Organ handelnde Person den durch die Verletzung einer entsprechenden Pflicht eingetretenen Schaden verhindern kann (
BGE 117 II 432
E. 2b mit Verweis auf
BGE 111 II 480
E. 2a, wo die formelle Eintragung im Handelsregister ohne diese Möglichkeit für die Haftung als nicht ausreichend angesehen wurde). Für die Organverantwortlichkeit ist zudem erforderlich, dass die nach der internen Organisation tatsächlich mit der Leitung der Gesellschaft
BGE 128 III 29 S. 31
befasste Person in eigener Entscheidbefugnis die sich daraus ergebenden Pflichten zu erfüllen hat, sie also selbständig und eigenverantwortlich handelt. Eine blosse Mithilfe bei der Entscheidung genügt demgegenüber für eine Organstellung nicht (
BGE 117 II 570
E. 3). Diese Grundsätze entsprechen der herrschenden Lehre, wobei im Einzelnen umstritten ist, ob allein die oberste, der Verwaltung direkt unterstellte Geschäftsleitung als Organ in Frage kommt oder die tatsächliche Geschäftsführung unter Umständen auch durch das Kader unterhalb der Direktion wahrgenommen werden kann (FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, S. 442; BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 1072; MAYA R. PFRUNDER-SCHIESS, Zur Differenzierung zwischen dem Organbegriff nach ZGB 55 und dem verantwortlichkeitsrechtlichen Organbegriff, in: SZW 1993 S. 126; BÄR, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1991, in: ZBJV 129/1993 S. 379). In der Lehre wird überwiegend verlangt, dass jedenfalls eine dauernde Zuständigkeit für gewisse, das Alltagsgeschäft generell übersteigende Entscheide in eigener Verantwortung wahrgenommen wird, die sich spürbar auf das Geschäftsergebnis auswirken. Personen in untergeordneter und abhängiger Stellung, wie sie etwa der eines Prokuristen entspricht, können danach höchstens in Ausnahmefällen noch als Organe bezeichnet werden.
BGE 117 II 432
, in dem eine Prokuristin, die auf Weisung ihres Vorgesetzten eine Zweitunterschrift leistete, als Organ qualifiziert wurde, wird in der Lehre daher mit beachtlichen Gründen kritisiert (HÜTTE, Anmerkungen zu
BGE 117 II 432
, in: AJP 1992 S. 516 f.; BÖCKLI, a.a.O., S. 1072, Fn. 120; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, a.a.O., S. 442; RITA TRIGO TRINDADE, La responsabilité des organes de gestion de la société anonyme dans la jurisprudence récente du Tribunal Fédéral, in: SJ 1998 S. 23/24; PETER V. KUNZ, Rechtsnatur und Einredeordnung der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit, Diss. Bern 1993, S. 186 f.). Angestellte auf einer hierarchisch untergeordneten Stufe kommen jedenfalls auch dann nicht als Organe in Betracht, wenn sie im Rahmen von Entschlussvorbereitungen oder -ausführungen Entscheide von erheblicher Bedeutung fällen (URS BERTSCHINGER, Arbeitsteilung und aktienrechtliche Verantwortlichkeit, Zürich 1999, S. 58 ff.; FORSTMOSER, Der Organbegriff im aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsrecht, in Festschrift Meier-Hayoz, Bern 1982, S. 141 ff.).
b) Der Beklagte war nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht formelles Organ der E. AG. Er war formell
BGE 128 III 29 S. 32
Geschäftsführer der F. AG. Die Zusammenlegung des Managements der F. AG und der E. AG oder die Finanzplanung dieser beiden Gesellschaften lag nicht in der Entscheidungskompetenz des Beklagten. Er hatte allein den Auftrag, alternative Unternehmenskonzepte auszuarbeiten und dem Exekutivausschuss zur Entscheidung vorzulegen. Dieser Exekutivausschuss (bzw. dieses Exekutivkomitee) besass nach den Statuten der F. AG erhebliche Kompetenzen und stand hierarchisch zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung. Der Ausschuss hatte unter anderem die Geschäftspolitik der F. AG festzusetzen, die Geschäftsleitung zu instruieren, das von der Geschäftsleitung vorgelegte Budget zu genehmigen sowie zu einer Reihe nicht durch das Budget gedeckter Massnahmen die Zustimmung zu erteilen. Die Geschäftsleitung der F. AG war diesem Exekutivausschuss untergeordnet, so dass die Vorinstanz gar in Frage stellt, ob die formelle Bezeichnung des Beklagten als Geschäftsführer der F. AG der tatsächlichen Stellung überhaupt entsprach. Die E. AG ihrerseits verfügte nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil über eine eigene Geschäftsleitung, wobei in Protokollen des Exekutivausschusses zwischen den Mitgliedern der Geschäftsleitung der F. AG und derjenigen der E. AG unterschieden wurde. Der Ausschuss entschied zwar am 10. März 1989, die Geschäftsleitung der E. AG abzubauen, aber nach den Feststellungen der Vorinstanz waren die Mitglieder der Geschäftsleitung der E. AG zumindest in beschränktem Umfang auch nach diesem Entscheid weiterhin für die E. AG tätig. Der Exekutivausschuss der F. AG beschloss zudem am 19. Mai 1989, dass sämtliche Verträge und rechtsverbindliche Korrespondenz der E. AG mit Kunden nur nach einer internen Abstimmung und Gegenzeichnung durch drei Mitglieder der Gesamtgeschäftsleitung (F. AG und E. AG) - deren Vorsitzender der Beklagte sein sollte - abgegeben werden können, wobei die entsprechenden Weisungen vom Beklagten zu verfügen und von der Geschäftsleitung insgesamt durchzusetzen seien. Dieser Beschluss wurde nach den Feststellungen der Vorinstanz jedoch nicht in die Tat umgesetzt. Dagegen war der Beklagte nach den verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil aufgrund speziell erteilter Vollmachten in Einzelfällen für die E. AG tätig, unterzeichnete beispielsweise am 29. Juni 1989 die Bilanzerklärung für das Geschäftsjahr 1988 und bestätigte gleichentags die Richtigkeit und Vollständigkeit der Aufstellung über die angefangenen Arbeiten für den Jahresabschluss 1988. Im September 1989 unterzeichnete er zudem
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eine Abtretungserklärung zugunsten der Bank A. zur Sicherung eines Kredites an die G. GmbH.
c) Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine faktische Organstellung nur einer Person zukommt, die in eigener Verantwortung eine dauernde Zuständigkeit für gewisse das Alltagsgeschäft übersteigende und das Geschäftsergebnis beeinflussende Entscheide wahrnimmt. Weder ein Handeln im Einzelfall noch eine bloss hilfsweise Tätigkeit in untergeordneter Stellung vermag hingegen die spezifische Organhaftung zu begründen. Die Vorinstanz hat dem Beklagten aufgrund der verbindlichen tatsächlichen Feststellungen über dessen Stellung und Aufgaben die Eigenschaft eines faktischen Organs der E. AG abgesprochen, was bundesrechtlich nicht zu beanstanden ist. Denn nach den Feststellungen der Vorinstanz beschränkte sich der Aufgabenbereich des Beklagten auf die Vorbereitung und Umsetzung der Entscheide, welche der Exekutivausschuss fällte. Zwar nahm der Beklagte in einzelnen Fällen Handlungen vor, welche, wie beispielsweise die Unterzeichnung von Bilanz und Erfolgsrechnung, der Geschäftsleitung vorbehalten sind (vgl. KARL KÄFER, Berner Kommentar, N. 37 zu
Art. 961 OR
). Die Vornahme einzelner Handlungen, die dem Bereich der Geschäftsführung zugerechnet werden können, begründet jedoch keine faktische Organstellung. Dass der Beklagte aber generell die Geschäfte der E. AG in einem besonderen Zuständigkeitsbereich dauernd wahrgenommen hätte, ist den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht zu entnehmen. Im angefochtenen Urteil wird im Gegenteil festgehalten, dass die eigentliche Geschäftsführung der F. AG vom Exekutivausschuss selbst wahrgenommen wurde. Weiter stellte die Vorinstanz fest, dass gewisse Beschlüsse des Ausschusses, die unter Umständen zu einer dauernden Zuständigkeit des Beklagten in gewissen Bereichen für die E. AG hätten führen können, nicht in die Tat umgesetzt wurden. Bei dieser Sachlage hat die Vorinstanz zu Recht erkannt, dass der formell nicht als Geschäftsführer der E. AG bestellte Beklagte auch faktisch deren Geschäfte nicht besorgt hat und daher der besonderen Organverantwortlichkeit nicht untersteht. Die Frage stellt sich daher nicht, ob der Beklagte - wenn er tatsächlich Geschäftsführer der konkursiten E. AG gewesen wäre - mit den von den Klägerinnen beanstandeten Handlungen entsprechende Pflichten eines Organs der E. AG verletzt hätte.