Urteilskopf
128 V 315
47. Auszug aus dem Urteil i.S. S. gegen Arbeitslosenkasse SMUV und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden C 357/01 vom 9. August 2002
Regeste
Art. 2, 8 und 11 sowie Anhang II des Abkommens über die Personenfreizügigkeit (APF); Art. 94 und 95 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71.
- Die Ausgestaltung des Verfahrens richtet sich unter Vorbehalt einschlägiger Bestimmungen, die im APF oder in den Rechtsakten, auf die dieses Bezug nimmt, enthalten sind, auf der einen und der Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität auf der anderen Seite nach schweizerischem Recht.
- Die Bestimmungen des APF sind in einem sozialversicherungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren für den Zeitraum ab Inkrafttreten des APF (1. Juni 2002) jedenfalls grundsätzlich nur anwendbar, wenn schon die Verwaltungsverfügung nach dem Inkrafttreten des APF ergangen ist (unter anderem offen gelassen, wie es sich verhält, wenn ein Einspracheverfahren vorgesehen ist). Denn nach der Praxis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts ist die richterliche Prüfung grundsätzlich auf den Zeitraum bis zum Erlass der Verwaltungsverfügung beschränkt, und nachträgliche Sachverhalts- und Rechtsänderungen werden grundsätzlich nicht berücksichtigt.
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer ist ein spanischer Staatsangehöriger, der in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat und Leistungen der schweizerischen Arbeitslosenversicherung beansprucht. In Anbetracht dieses einen Angehörigen eines EU-Mitgliedstaats betreffenden grenzüberschreitenden Sachverhalts fragt sich, ob und inwieweit im vorliegenden Beschwerdeverfahren das am 1. Juni 2002 in Kraft getretene Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Abkommen über die Personenfreizügigkeit; APF; AS 2002 1529) anzuwenden ist. Dabei ist zu beachten, dass das APF nach Erlass der Verwaltungsverfügung vom 17. Juli 2001 in Kraft getreten ist, aber nach dessen Inkrafttreten über die Verwaltungsgerichtsbeschwerde entschieden wird.
a) Nach Art. 1 Abs. 1 des auf der Grundlage des Art. 8 APF ausgearbeiteten und Bestandteil des Abkommens bildenden (Art. 15 APF) Anhangs II "Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit" des APF in Verbindung mit Abschnitt A dieses Anhangs wenden die Vertragsparteien untereinander insbesondere die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur
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Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (nachfolgend: Verordnung Nr. 1408/71), und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (nachfolgend: Verordnung Nr. 574/72), oder gleichwertige Vorschriften an. Der am 1. Juni 2002 in Kraft getretene neue
Art. 121 AVIG
verweist in lit. a auf diese beiden Koordinierungsverordnungen (AS 2002 699 f.).
b) aa) Art. 94 der Verordnung Nr. 1408/71 sowie Art. 118 der Verordnung Nr. 574/72 enthalten Übergangsvorschriften für Arbeitnehmer und Art. 95 der Verordnung Nr. 1408/71 sowie Art. 119 der Verordnung Nr. 574/72 solche für Selbstständige. Gemäss Art. 94 Abs. 1 und 95 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 begründet die Verordnung keinen Anspruch für einen Zeitraum vor dem Beginn ihrer Anwendung im betreffenden Staat. Eine rückwirkende Anwendung des durch das APF hinsichtlich der sozialen Sicherheit eingeführten Koordinierungsrechts auf einen vor Inkrafttreten des Abkommens liegenden Zeitraum ist deshalb ausgeschlossen.
bb) Hingegen enthalten die Übergangsbestimmungen der Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 keinen Hinweis darauf, ob das neue Recht in einem gerichtlichen Beschwerdeverfahren, welches eine vor Inkrafttreten der neuen Regelung ergangene Verwaltungsverfügung betrifft, für die Zeit ab Inkrafttreten des APF - erforderlichenfalls bei Vorliegen eines entsprechenden Antrags nach Massgabe von Art. 94 und 95, je Abs. 4 und 5, der Verordnung Nr. 1408/71 - anzuwenden ist oder ob für diesen Zeitraum zunächst eine neue Verwaltungsverfügung erlassen werden muss. Auch im APF selbst findet sich keine Antwort auf diese verfahrensrechtliche Frage.
Diese und die folgenden Aussagen beziehen sich nur auf die hier einzig interessierende Situation, dass der Verwaltungsverfügung kein Einspracheverfahren folgte. Wenn etwa gesagt wird, es sei auf den Zeitpunkt der Verwaltungsverfügung abzustellen, folgt daraus nicht ohne weiteres, dass in Fällen, in denen ein Einspracheverfahren durchzuführen ist, (immer) der Zeitpunkt des Einspracheentscheides massgebend ist. Wie es sich bei einem Einspracheverfahren - allenfalls je nachdem, ob der Einspracheentscheid von einem Zeitpunkt
BGE 128 V 315 S. 318
vor oder nach Inkrafttreten des APF datiert - verhielte, braucht hier nicht untersucht zu werden. Dementsprechend sind im vorliegenden Urteil mit dem Ausdruck "Verwaltungsverfügung" nur ohne Einspracheverfahren ergangene Verfügungen gemeint.
c) Mangels einer einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen bzw. für die Schweiz abkommensrechtlichen Regelung ist die Ausgestaltung des Verfahrens grundsätzlich Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung. Dies erhellt zum einen daraus, dass Art. 11 APF, der sich auch auf die Anwendung der Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 bzw. diesen gleichwertiger Vorschriften bezieht (SILVIA BUCHER, Die Rechtsmittel der Versicherten gemäss APF im Bereich der Sozialen Sicherheit, in: Rechtsschutz der Versicherten und der Versicherer gemäss Abkommen EU/CH über die Personenfreizügigkeit [APF] im Bereich der Sozialen Sicherheit, St. Gallen 2002, S. 87 ff., Rz 3), abgesehen von Mindestgarantien (innert angemessener Frist zu behandelnde "Beschwerde" bei der zuständigen Behörde; "Berufung" beim zuständigen nationalen Gericht; vgl. dazu z.B. SPIRA, L'application de l'Accord sur la libre circulation des personnes par le juge des assurances sociales, in: Bilaterale Abkommen Schweiz-EU [Erste Analysen], Basel 2001, S. 369 ff., S. 374 ff.) die Regelung des Verfahrens der innerstaatlichen Rechtsordnung überlässt (KLAUS-DIETER BORCHARDT, Grundsätze des Rechtsschutzes gemäss APF, in: Rechtsschutz der Versicherten und der Versicherer gemäss Abkommen EU/CH über die Personenfreizügigkeit [APF] im Bereich der Sozialen Sicherheit, St. Gallen 2002, S. 49 ff., S. 55; BREITENMOSER/ISLER, Der Rechtsschutz gemäss dem Personenfreizügigkeitsabkommen vom 21. Juni 1999 im Bereich der Sozialen Sicherheit, in: Die Durchführung des Abkommens EU/CH über die Personenfreizügigkeit [Teil Soziale Sicherheit] in der Schweiz, St. Gallen 2001, S. 197 ff., S. 210; BETTINA KAHIL-WOLFF, Im APF nicht geregelte Fragen des Rechtsschutzes, in: Rechtsschutz der Versicherten und der Versicherer gemäss Abkommen EU/CH über die Personenfreizügigkeit [APF] im Bereich der Sozialen Sicherheit, St. Gallen 2002, S. 67 ff. [nachfolgend: KAHIL-WOLFF, Fragen], S. 74).
Zum andern entspricht dieser Grundsatz der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (nachfolgend: EuGH), wonach die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung gerichtlicher Verfahren, die den Schutz der den Bürgern aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, mangels einer einschlägigen gemeinschaftlichen
BGE 128 V 315 S. 319
Regelung Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten ist (z.B. Urteil des EuGH vom 22. Februar 2001 in den verbundenen Rechtssachen C-52/99 und C-53/99, Office national des pensions [ONP] gegen Gioconda Camarotto und Giuseppina Vignone, Slg. 2001 S. I-1395 ff. [nachfolgend: EuGH-Urteil Camarotto und Vignone], Randnr. 21; Urteil des EuGH vom 21. Januar 1999 in der Rechtssache C-120/97, Upjohn Ltd gegen The Licensing Authority established by the Medicines Act 1968 u.a., Slg. 1999 S. I-223 ff. [nachfolgend: EuGH-Urteil Upjohn], Randnr. 32). Die Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten ist allerdings nach der Praxis des EuGH dahin eingeschränkt, dass die Modalitäten nicht weniger günstig sein dürfen als bei gleichartigen Verfahren, die das innerstaatliche Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass sie die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermässig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (z.B. EuGH-Urteil Camarotto und Vignone, Randnrn. 21 und 40; EuGH-Urteil Upjohn, Randnr. 32).
Der Grundsatz der Gleichwertigkeit gilt aufgrund von Art. 2 APF (Nichtdiskriminierung) ohne weiteres auch für die Schweiz (vgl. auch BORCHARDT, a.a.O., S. 55). Auch der vom EuGH entwickelte Grundsatz der Effektivität lässt sich auf das APF übertragen; denn mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 11 APF kann nur ein effektiver Rechtsschutz gemeint sein (vgl. BUCHER, a.a.O., Rz 88 am Ende; KAHIL-WOLFF, Fragen, S. 75). Eine andere Lösung wäre auch unter dem Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit fragwürdig, weil die EU-Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihres Verfahrens nicht nur im Anwendungsbereich z.B. der Verordnung Nr. 1408/71, sondern der gesamten Gemeinschaftsrechtsordnung, zu der auch Assoziierungsabkommen mit Drittstaaten wie das APF (siehe zur Qualifikation des APF als Assoziierungsabkommen BREITENMOSER/ISLER, a.a.O., S. 200; KAHIL-WOLFF, L'accord sur la libre circulation des personnes Suisse-CE et le droit des assurances sociales, in: SJ 2001 II S. 81 ff., S. 83; KAHIL-WOLFF/MOSTERS, Struktur und Anwendung des Freizügigkeitsabkommens Schweiz/EG, in: Die Durchführung des Abkommens EU/CH über die Personenfreizügigkeit [Teil Soziale Sicherheit] in der Schweiz, St. Gallen 2001, S. 9 ff., S. 19) gehören (z.B. Urteil des EuGH vom 15. Juni 1999 in der Rechtssache C-321/97, Ulla-Brith Andersson und Susanne Wåkerås-Andersson gegen Svenska staten [Schwedischer Staat], Slg. 1999 S. I-3551 ff., Randnr. 26), die Rechtsprechung des EuGH
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zur Effektivität zu beachten haben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Grundsatz der Effektivität zu den für die Anwendung des Abkommens herangezogenen Begriffen des Gemeinschaftsrechts gehört, für deren Auslegung nach Art. 16 Abs. 2 APF die einschlägige Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen ist, ist es doch den schweizerischen Behörden jedenfalls nicht verwehrt, diese Rechtsprechung autonom nachzuvollziehen.
d) Nach dem Gesagten beurteilt sich unter dem Vorbehalt der Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität nach schweizerischem Recht, ob die Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 bzw. das Abkommensrecht - erforderlichenfalls bei Vorliegen eines entsprechenden Antrags - in einem gerichtlichen Beschwerdeverfahren, das eine vor Inkrafttreten des neuen Rechts ergangene Verwaltungsverfügung betrifft, für den Zeitraum ab Inkrafttreten des APF anzuwenden sind.
Dass sich gerade die hier interessierende Frage des im gerichtlichen Beschwerdeverfahren anwendbaren Rechts im angeführten Sinne grundsätzlich nach innerstaatlichem Recht beurteilt, wird bestätigt durch das nach der am 21. Juni 1999 erfolgten Unterzeichnung des APF ergangene (vgl. Art. 16 Abs. 2 APF) EuGH-Urteil Camarotto und Vignone. Dieses betrifft den für die Schweiz zwar nicht relevanten (vgl. Anhang II Abschnitt A Ziff. 1 Anpassung a APF), aber mit Art. 94 Abs. 5 bis 7 und Art. 95 Abs. 5 bis 7 der Verordnung vergleichbaren (vgl. für Art. 94 Urteil des EuGH vom 28. Juni 2001 in der Rechtssache C-118/00, Gervais Larsy gegen Institut national d'assurances sociales pour travailleurs indépendants [Inasti], Slg. 2001 S. I-5063 ff., Randnr. 48 in Verbindung mit Randnr. 29) Art. 95a Abs. 4 bis 6 der Verordnung Nr. 1408/71, in welchem ebenso wie in den Abs. 4 bis 7 der Art. 94 und 95 von einem Antrag die Rede ist. Nach diesem Urteil bestimmt unter Vorbehalt der Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität das innerstaatliche Recht, ob ein Antrag im gerichtlichen Beschwerdeverfahren gestellt werden kann oder ob ein solcher trotz hängigen Beschwerdeverfahrens bei der Verwaltung eingereicht werden muss. Damit ist es auch dem nationalen Recht anheim gestellt, ob das neue Recht für die Zeit ab seinem Inkrafttreten im Beschwerdeverfahren vom Gericht anzuwenden ist oder ob diesbezüglich eine neue Verwaltungsverfügung ergehen muss.
e) aa) Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts sind bei einer Änderung der Rechtsgrundlagen diejenigen Rechtssätze massgebend, die bei der Erfüllung des
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rechtlich zu ordnenden oder zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (
BGE 126 V 166
Erw. 4b). Da im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht in der Regel von dem Sachverhalt auszugehen ist, der sich bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Verwaltungsverfügung zugetragen hat (
BGE 121 V 366
Erw. 1b), mithin nur die bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte Erfüllung des rechtlich zu ordnenden bzw. zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes berücksichtigt wird, ist normalerweise auch nur die bis zu diesem Zeitpunkt geltende Rechtslage massgebend.
bb) Nachdem bei Änderungen innerstaatlichen Rechts bei der gerichtlichen Beurteilung nach Erlass der Verwaltungsverfügung in Kraft getretene Rechtssätze nicht zu berücksichtigen sind, steht der Grundsatz der Gleichwertigkeit des Verfahrens der Anwendung dieser Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts auch auf das APF und die Rechtsakte, auf die dieses Bezug nimmt, insbesondere die Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72, nicht entgegen. In Bezug auf das Abkommensrecht von der sonstigen Praxis abzuweichen, was eine Ausdehnung der richterlichen Beurteilung auch auf nach Erlass der Verwaltungsverfügung eingetretene Sachverhaltsänderungen bedingen und den grundsätzlich bestehenden Anspruch auf einen doppelten Instanzenzug (
BGE 125 V 417
Erw. 2c mit Hinweis) beschneiden würde, würde zu einer nicht gerechtfertigten verfahrensrechtlichen Ungleichbehandlung zwischen eurointernationalen und innerstaatlichen (oder anderweitig internationalen) sozialversicherungsrechtlichen Streitsachen führen.
cc) Das Abstellen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Verwaltungsverfügung, welches auch bewirkt, dass die Anträge auf (Neu-)Feststellung nach der neuen Regelung trotz eines hängigen gerichtlichen Beschwerdeverfahrens bei der Verwaltung einzureichen bzw. von dieser zu behandeln sind, verstösst für sich allein nicht gegen den Grundsatz der Effektivität. Es kann nämlich jedenfalls so lange nicht gesagt werden, dieses Vorgehen mache die Ausübung der durch die einschlägigen gemeinschafts- bzw. abkommensrechtlichen Bestimmungen eingeräumten Rechte praktisch unmöglich oder erschwere diese übermässig, als - wie vorliegend - die in Art. 94 Abs. 6 und Art. 95 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1408/71 für die Antragstellung nach Art. 94 und 95, je Abs. 4 und 5, vorgesehene Zweijahresfrist seit Inkrafttreten der neuen Regelung im Zeitpunkt der Urteilsfällung weder abgelaufen ist noch in Kürze abzulaufen droht und die rechtsuchende Person auf die Möglichkeit,
BGE 128 V 315 S. 322
bei der Verwaltung für den Zeitraum ab Inkrafttreten des APF ein neues Gesuch zu stellen, aufmerksam gemacht wird oder ein beim Gericht statt bei der Verwaltung gestellter Antrag zuständigkeitshalber an diese überwiesen wird (vgl. für bei der Prüfung der Frage der Effektivität zu beachtende Aspekte die Randnrn. 35 bis 41 des EuGH-Urteils Camarotto und Vignone). Für solche Fälle kann demnach im Sozialversicherungsrecht auch in Bezug auf das APF an der Praxis, die richterliche Beurteilung auf den Zeitraum vor Erlass der Verwaltungsverfügung zu beschränken und spätere Rechtsänderungen wie spätere Sachverhaltsänderungen nicht zu berücksichtigen, festgehalten werden. Wie in Anbetracht des Grundsatzes der Effektivität und des Umstandes, dass von der betroffenen Person nicht erwartet werden kann, von sich aus ein neues Gesuch zu stellen, solange in Bezug auf die gleiche Leistung ein Beschwerdeverfahren hängig ist (nicht veröffentlichtes Urteil D. vom 5. Dezember 1989, U 40/89), in anders gelagerten Fällen vorzugehen wäre, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.
f) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass weder der Grundsatz der Gleichwertigkeit noch jener der Effektivität erfordert, in Streitsachen wie der vorliegenden in Bezug auf das APF von der bisherigen Praxis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts abzuweichen, wonach die Prüfung grundsätzlich auf den Zeitraum bis zum Erlass der Verwaltungsverfügung beschränkt und nachträgliche Rechtsänderungen sowie nachträgliche Sachverhaltsänderungen grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Da das APF erst nach dem Zeitpunkt des Erlasses der Verwaltungsverfügung in Kraft getreten ist, muss es folglich im vorliegenden Verfahren unberücksichtigt bleiben.