Urteilskopf
129 III 499
79. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. AG gegen A. (Berufung)
4C.9/2003 vom 4. April 2003
Regeste
Recht eines Mitglieds des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft auf Auskunft und Einsicht (
Art. 715a OR
).
Ein ehemaliges Mitglied des Verwaltungsrats hat grundsätzlich auch bezüglich Vorgängen während seiner Amtszeit an der Geltendmachung des Rechts auf Auskunft und Einsicht gemäss
Art. 715a OR
kein hinreichendes Rechtsschutzinteresse mehr. Ein solches ist jedoch zu bejahen, soweit das ehemalige Mitglied des Verwaltungsrats Informationen benötigt, um strittige Ansprüche bezüglich des abgeschlossenen Verwaltungsratsmandats beurteilen zu können (E. 3.3).
A.-
A. mit Wohnsitz in Deutschland war Aktionär und Verwaltungsrat der X. AG. Am 6. Dezember 2001 ist er aus dem Verwaltungsrat ausgeschieden, nachdem er seine Aktien an B. verkauft hatte. Dieser war danach zu 98% an der X. AG beteiligt und wurde Vorsitzender ihres Verwaltungsrats.
B.-
Mit Klage vom 22. August 2002 ersuchte A. (nachstehend: Kläger) das Bezirksgericht Baden dem Sinne nach darum, die X. AG (nachstehend: die Beklagte) und B. (nachstehend: der Beklagte) zu verpflichten, dem Kläger Kopien der Jahresabschlüsse der Beklagten für die Geschäftsjahre 1999, 2000 und 2001 auszuhändigen und für den Unterlassungsfall die Bezahlung eines gerichtlich zu bestimmenden "Zwangsgeldes" anzuordnen. Zur Begründung machte der Kläger geltend, er habe als ehemaliger Aktionär und Verwaltungsrat der Beklagten ein Einsichtsrecht in die verlangten Unterlagen. Mit Verfügung vom 5. September 2002 überwies das Bezirksgericht die Streitsache an das Handelsgericht des Kantons Aargau. Die Beklagte wendete ein, der Kläger habe bestätigt, dass ihm der Abschluss für das Jahr 2000 mit den Vergleichszahlen 1999 vorgelegt worden sei. Ebenso habe er die Abschlusszahlen per 30. Juni 2001 erhalten. Der Beklagte bestritt seine Passivlegitimation.
Der Instruktionsrichter des Handelsgerichts prüfte die Klage im summarischen Verfahren und hiess sie insoweit gut, als er die Beklagte mit Verfügung vom 18. November 2002 anwies, innert 20 Tagen seit Zustellung der Verfügung dem Kläger Kopien ihrer Jahresabschlüsse für die Geschäftsjahre 1999, 2000 und 2001 auszuhändigen. Gegenüber dem Beklagten hat der Instruktionsrichter die Klage abgewiesen. Auf Gesuch der Beklagten hin erteilte der Instruktionsrichter zur Verfügung vom 18. November 2002 eine Rechtsmittelbelehrung und sandte die Verfügung den Parteien am 22. November 2002 nochmals zu.
C.-
Die Beklagte erhebt eidgenössische Berufung mit den Anträgen, die Verfügung des Handelsgerichts vom 18. November 2002 sei aufzuheben, soweit damit die Klage gutgeheissen wurde und diese sei abzuweisen. Eventuell sei die Streitsache zur Ergänzung des Sachverhalts sowie zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Kläger hat innert der ihm gesetzten Frist zur Vernehmlassung keine Berufungsantwort eingereicht.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.
Aus den Erwägungen:
3.1
Das Handelsgericht nahm an, der Kläger habe einen Anspruch auf den Geschäftsbericht des Geschäftsjahres 2001, da er bis zum 6. Dezember 2001 Verwaltungsrat der Gesellschaft gewesen sei und ihm als solcher gemäss
Art. 715a Abs. 3 OR
das Recht zugestanden habe, über den Geschäftsgang informiert zu werden. Dieses Informationsrecht entspreche der Verantwortlichkeit des Klägers als Verwaltungsrat gegenüber der Gesellschaft, den Aktionären und den Gesellschaftsgläubigern.
3.2
Die Beklagte wendet ein, der Kläger könne sich nach seinem Rücktritt aus dem Verwaltungsrat nicht mehr auf das Recht eines Verwaltungsrats gemäss
Art. 715a Abs. 3 OR
berufen. Es gebe keinen Grund dieses Recht, welches zur Ausübung des Verwaltungsratsmandats notwendig sei, über dessen Dauer hinaus zu erstrecken. Zudem betreffe das Informationsrecht des Verwaltungsrats laufende Geschäfte, nicht jedoch einen nach Abschluss des Verwaltungsratsmandates erstellten Jahresabschluss. Alsdann richte sich
Art. 715a Abs. 3 OR
gegen die mit der Geschäftsführung betrauten Personen und nicht die Aktiengesellschaft, weshalb diese insoweit nicht passivlegitimiert sein könne.
3.3
Das Recht auf Auskunft und Einsicht der Verwaltungsräte wird in
Art. 715a OR
geregelt. Diese Bestimmung statuiert als Grundsatz, dass jedes Mitglied des Verwaltungsrats Auskunft über alle Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen kann (Abs. 1). Im Einzelnen wird insbesondere vorgesehen, dass jedes Mitglied des Verwaltungsrats ausserhalb der Sitzungen von den mit der Geschäftsführung betrauten Personen Auskunft über den Geschäftsgang verlangen (Abs. 3) und, soweit es für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich ist, dem Präsidenten beantragen kann, dass ihm Bücher und Akten vorgelegt werden (Abs. 4). Diese Informationsrechte werden den Verwaltungsräten - wie 715a Abs. 4 OR zeigt - zum Zwecke der Erfüllung ihrer Aufgabe eingeräumt. Nach Beendigung dieser Aufgabe entfällt daher in der Regel der Grund des Auskunfts- und Einsichtsrechts der Verwaltungsräte. Ein ehemaliges Verwaltungsratsmitglied hat deshalb grundsätzlich auch bezüglich der Vorgänge während seiner Amtszeit an der Geltendmachung dieses Rechts kein hinreichendes Interesse mehr (vgl. zu dieser Voraussetzung
BGE 122 III 279
E. 3a S. 282). Ein solches ist jedoch zu bejahen, soweit der ehemalige Verwaltungsrat Informationen benötigt, um strittige Ansprüche - insbesondere Verantwortlichkeits-
BGE 129 III 499 S. 502
oder Honoraransprüche - bezüglich des abgeschlossenen Verwaltungsratsmandats beurteilen zu können (HOMBURGER, Zürcher Kommentar, N. 496 zu
Art. 715a OR
; THOMAS C. BÄCHTOLD, Die Information des Verwaltungsrates: Insbesondere das Recht auf Auskunft und Einsicht gemäss OR Art. 715a, Diss. Bern 1997, S. 128 f.; WERNLI, Basler Kommentar, Obligationenrecht II,
Art. 530-1186 OR
, 2. Aufl., N. 4 zu
Art. 715a OR
; vgl. zur Regel FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, S. 306 Fn. 49a; GEORG KRNETA, Praxiskommentar Verwaltungsrat:
Art. 707-726, 754 OR
und Spezialgesetze: ein Handbuch für Verwaltungsräte, S. 174 Rz. 926; FELIX HORBER, Die Informationsrechte des Aktionärs: eine systematische Darstellung, S. 114).
3.4
Im vorliegenden Fall begründete der Kläger das Begehren um Aushändigung der verlangten Jahresabschlüsse damit, dass er nach seinem Ausschluss aus dem Verwaltungsrat von seinem Recht Gebrauch machen wolle, die festgestellten Jahreswerte und die ordnungsgemässe Geschäftsführung zu überprüfen. Er legt jedoch nicht dar, inwiefern er an dieser Überprüfung ein schutzwürdiges Interesse haben soll. So macht er insbesondere nicht geltend, dass er die verlangten Jahresabschlüsse zur Abklärung strittiger Forderungen betreffend das Verwaltungsratsmandat benötige. Das Handelsgericht hat demnach Bundesrecht verletzt, wenn es annahm, der Kläger könne als ehemaliger Verwaltungsrat einen Anspruch auf Informationen gemäss
Art. 715a OR
geltend machen. Damit kann offen bleiben, ob die Beklagte bezüglich eines solchen Informationsanspruchs passivlegitimiert gewesen wäre. Ebenso braucht nicht entschieden zu werden, ob ein solcher Anspruch gerichtlich durchgesetzt werden kann (vgl. dazu WERNLI, a.a.O., N. 13 zu
Art. 715a OR
).