Urteilskopf
130 III 515
65. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. und Y. gegen Z. (Berufung)
5C.235/2003 vom 4. März 2004
Regeste
Art. 32 Abs. 2 und 3 SchKG
; Rückweisung und Weiterleitung von Klagen wegen Unzuständigkeit.
Von Bundesrechts wegen besteht für Klagen nach SchKG, die bei einem unzuständigen Gericht eingereicht worden sind, keine Weiterleitungspflicht (E. 4). Das kantonale Prozessrecht kann jedoch eine Prozessüberweisung von Amtes wegen vorsehen (E. 5).
A.
Z. und 115 weitere Kläger sind Gläubiger der W. AG und der V. AG, über die am 18. Juni 1997 bzw. am 3. Juli 1997 der Konkurs eröffnet wurde. Vom Konkursamt A. liessen sie sich Anfechtungsansprüche dieser beiden Firmen gegen X. und Y. (Beklagte) abtreten.
B.
Am 14. Juni 1999 stellten die Kläger beim Friedensrichteramt B. ein Sühnebegehren. Der Vermittlungsversuch vom 27. Juli 1999 blieb erfolglos und der Friedensrichter stellte den Klägern einen Weisungsschein aus. Am 30. September 1999 reichten die Kläger beim Kantonsgericht Zug die Anfechtungsklage ein, mit der sie die Verurteilung der Beklagten 1 zu Fr. 195'022.71 und des Beklagten 2 zu Fr. 128'755.95 verlangten.
Mit Urteil vom 27. März 2003 hiess das Kantonsgericht des Kantons Zug die Klage gut und verurteilte die Beklagten zu den geforderten Beträgen. Das Obergericht schützte diesen Entscheid mit Urteil vom 7. Oktober 2003.
C.
Dagegen haben die Beklagten am 12. November 2003 Berufung erhoben mit den Begehren, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und auf die Klage sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Die Beklagten haben in ihrer Berufungsantwort vom 30. Dezember 2003 auf Abweisung der Berufung geschlossen, soweit darauf einzutreten sei.
Aus den Erwägungen:
3.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts wahrt die Anrufung eines Sühnebeamten bzw. Friedensrichters bundesrechtliche Klagefristen, wenn dieser die Streitsache gemäss kantonalem Prozessrecht mangels Aussöhnung von Amtes wegen an das Gericht weiterzuleiten hat oder wenn zwischen dem Sühne- und dem eigentlichen Prozessverfahren nach kantonalem Prozessrecht ein Zusammenhang wenigstens in dem Sinne besteht, dass der Kläger den Streit innert einer gewissen Frist vor den urteilenden Richter bringen muss (
BGE 98 II 176
E. 11 S. 181). Indes kann die Sühneverhandlung selbstverständlich nur dann als Klageanhebung
BGE 130 III 515 S. 517
gelten, wenn nach kantonalem Recht vor der gerichtlichen Klage auch tatsächlich ein Sühnebeamter bzw. Friedensrichter angerufen werden muss oder kann (
BGE 74 II 14
E. 1 S. 16;
BGE 87 II 364
E. 1 S. 369). Das Obergericht hat in diesem Zusammenhang festgehalten, dass vorliegend direkt beim Kantonsgericht hätte Klage erhoben werden müssen, und es hat folgerichtig befunden, der Sühnevorstand als fristwahrender kantonalrechtlicher Akt der Prozesseinleitung falle ausser Betracht.
4.
In seiner weiteren Entscheidbegründung hat sich das Obergericht auf
Art. 32 Abs. 2 SchKG
abgestützt. Nach dieser Bestimmung ist eine durch das SchKG bestimmte Frist auch dann gewahrt, wenn vor ihrem Ablauf eine unzuständige Behörde angerufen wird, weil diese zur unverzüglichen Überweisung der Eingabe an die zuständige Behörde verpflichtet ist.
Art. 32 Abs. 2 SchKG
in der revidierten 1994er-Fassung knüpft an einen allgemeinen, im ganzen Verwaltungsrecht zum Tragen kommenden Rechtsgrundsatz (vgl. etwa
Art. 21 Abs. 2 VwVG
oder
Art. 32 Abs. 4 und 5 OG
) und an die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum SchKG vor der 1994er-Revision an, wonach Betreibungsämter die bei ihnen eingereichten SchK-Beschwerden an die zuständige Aufsichtsbehörde weiterzuleiten hatten (ab Praxisänderung in
BGE 100 III 8
E. 2 S. 10). Aufgrund der in
Art. 32 Abs. 2 SchKG
verwendeten allgemeinen Terminologie - "Eingaben" an "Behörden" - findet die Bestimmung nicht nur auf die Betreibungs- und Konkursämter im eigentlichen Sinn, sondern insbesondere auch auf alle anderen Zwangsvollstreckungsorgane wie Sachwalter, Liquidatoren und ausseramtliche Konkursverwalter Anwendung. Eine Weiterleitungspflicht gemäss
Art. 32 Abs. 2 SchKG
trifft sodann gewisse weitere staatliche Organe wie namentlich Grundbuch- und Handelsregisterämter. Keine solche Pflicht besteht hingegen bei Eingaben an völlig entlegene Behörden (beispielsweise Rechtsvorschlag beim Gewässerschutzamt), weil sonst die revidierte Bestimmung von
Art. 32 Abs. 2 SchKG
trölerisch missbraucht und ad absurdum geführt werden könnte (GASSER, Revidiertes SchKG - Hinweise auf kritische Punkte, in: ZBJV 132/1996 S. 635; NORDMANN, in: Kommentar zum SchKG, Bd. I, Basel 1998, N. 9 zu
Art. 32 SchKG
).
In
Art. 32 Abs. 3 SchKG
hat der Gesetzgeber in der 1994er-Revision eine spezielle Bestimmung aufgestellt für Klagen nach SchKG,
BGE 130 III 515 S. 518
die bei einem unzuständigen Gericht eingereicht werden: Ist eine solche Klage zurückgezogen oder durch den Richter zurückgewiesen worden, beginnt eine neue Klagefrist von gleicher Dauer. Diese Regelung ist
Art. 139 OR
nachempfunden und hat die alte Streitfrage, ob die betreffende OR-Bestimmung auch auf die Klagefristen des SchKG anzuwenden sei, gegenstandslos werden lassen (NORDMANN, a.a.O., N. 12 zu
Art. 32 SchKG
; WALTHER, Neue und angepasste Fristen im revidierten Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, in: AJP 1996 S. 1380). Zu klären bleibt hingegen das Verhältnis der Absätze 2 und 3 von
Art. 32 SchKG
und dabei insbesondere die Frage, ob die in Abs. 2 statuierte Weiterleitungspflicht auch bei der unzuständigenorts eingereichten Klage nach SchKG durchschlägt.
Die Verwendung der weiten Begriffe "Eingabe" und "Behörde" in
Art. 32 Abs. 2 SchKG
könnte vorerst darauf schliessen lassen, dass auch die "Klage" an ein "Gericht" vom Anwendungsbereich dieser Norm erfasst sei. Einer solchen Auslegung steht indes entgegen, dass der Gesetzgeber in
Art. 32 Abs. 3 SchKG
davon ausgeht, dass ein unzuständiges Gericht die Klage zurückweist. Damit würde sich die in
Art. 32 Abs. 2 SchKG
statuierte Weiterleitungspflicht nicht vertragen, schliessen sich doch Weiterleitung und Rückweisung gegenseitig aus. Nichts anderes ergibt sich aus den Materialien: In der Botschaft zur SchKG-Revision wird festgehalten, dass es bei Klagen keine Überweisung von Amtes wegen gibt (BBl 1991 III 45). Ebenso verneint die einhellige Lehre eine Weiterleitungspflicht für Klagen von Bundesrechts wegen (NORDMANN, a.a.O., N. 11 zu
Art. 32 SchKG
; WALTHER, a.a.O., S. 1380; GASSER, a.a.O., S. 635; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. I, Lausanne 1999, N. 34 zu
Art. 32 SchKG
).
Dass es sich beim Friedensrichter um ein Gericht handelt, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass die Institution des Friedensrichters als solche (vgl. § 1 GOG/ZG), aber auch dessen Kompetenzen im kantonalen Gerichtsorganisationsgesetz geregelt sind (vgl. § 2-4 GOG/ZG). Das Obergericht des Kantons Zug hat demnach mit seiner Erwägung, der Friedensrichter sei gestützt auf
Art. 32 Abs. 2 SchKG
zur Weiterleitung der Klage an das Kantonsgericht verpflichtet gewesen, Bundesrecht verletzt.
5.
Es bleibt zu prüfen, ob
Art. 32 Abs. 3 SchKG
die Behandlung unzuständigenorts eingereichter Klagen abschliessend regelt oder ob
BGE 130 III 515 S. 519
das Bundesrecht Raum für eine Prozessüberweisung nach kantonalem Recht lässt. Ist die vom Bundesgesetzgeber getroffene Regelung abschliessend, wäre auf die Anfechtungsklage nicht einzutreten; ist hingegen der kantonale Gesetzgeber befugt, eine Prozessüberweisung von Amtes wegen vorzusehen, müsste das Obergericht die von ihm angesprochene, aber offen gelassene Frage prüfen, ob der Friedensrichter gestützt auf § 93 GOG/ZG zur Weiterleitung der Eingabe an das Kantonsgericht verpflichtet gewesen wäre.
In seiner frühen Rechtsprechung hat das Bundesgericht entschieden, nur die rechtzeitige Anrufung des örtlich und sachlich zuständigen Richters wahre bundesrechtliche Fristen; eine vom kantonalen Prozessrecht vorgesehene Nachfrist zur Anrufung des zuständigen Richters, verbunden mit der Fiktion, dass die Litispendenz aufrechterhalten bleibe, sei bundesrechtswidrig, weil sie auf eine Erstreckung der Klagefrist hinauslaufe (
BGE 44 III 179
E. 2 S. 183). Diesen Standpunkt hat das Bundesgericht in
BGE 75 III 73
E. 1 und 2 S. 76 f. modifiziert mit der Erwägung, auch eine mangelhafte oder bei einem unzuständigen Richter eingereichte Klage sei fristwahrend, wenn sie ohne Unterbruch der Rechtshängigkeit innert einer kantonalen Nachfrist korrekt wieder angebracht werde; aus
Art. 139 OR
könne jedoch keine bundesrechtliche Nachfrist für die Arrestprosequierungsklage abgeleitet werden (E. 4 S. 78 f.). Einen Schritt weiter ist das Bundesgericht in
BGE 89 II 304
E. 6 S. 307 ff. gegangen, mit dem es erstmals
Art. 139 OR
als auf Verwirkungsfristen bzw. Klagebefristungen des Bundeszivilrechts analog anwendbar erklärt hat; ob diese Betrachtungsweise auch auf die befristeten Klagen des SchKG zutreffe, hat es allerdings noch offen gelassen (E. 6 S. 310 unten). Die analoge Anwendung von
Art. 139 OR
im Bereich der SchK-Klagen hat das Bundesgericht schliesslich für die Aberkennungsklage bejaht (
BGE 109 III 49
E. 3c S. 52); ausserdem hat es befunden, die analoge Anwendung für die Arrestprosequierungsklage sei zumindest nicht willkürlich (
BGE 108 III 41
E. 3b und c S. 43 f.;
BGE 112 III 120
E. 4 S. 125 f.).
An diese Entwicklung hat der Gesetzgeber bei der 1994er-Revision des SchKG angeknüpft: Die Botschaft macht einerseits deutlich, dass
Art. 32 Abs. 3 SchKG
eine Notfrist nach dem Vorbild von
Art. 139 OR
statuiert, bringt andererseits aber klar zum Ausdruck, dass der Bundesgesetzgeber nicht in die kantonale Prozessrechtshoheit eingreifen wollte (BBl 1991 III 45). In der Lehre wird denn auch einhellig die Meinung vertreten, dass eine
BGE 130 III 515 S. 520
Prozessüberweisung nach kantonalem Recht möglich bleibt (GILLIÉRON, a.a.O., N. 43 zu
Art. 32 SchKG
; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl., Bd. I, Zürich 1997, N. 8 zu
Art. 32 SchKG
; BRUNNER/REUTTER, Kollokations- und Widerspruchsklagen nach SchKG, 2. Aufl., Bern 2002, S. 47 und 110 oben; sinngemäss auch: WALTHER, a.a.O., S. 1380).
Art. 32 Abs. 3 SchKG
geht demnach von der Regel aus, dass die Klage vom unzuständigen Gericht zurückgewiesen wird, belässt aber dem kantonalen Gesetzgeber die Kompetenz, anstelle der Rückweisung eine richterliche Weiterleitungspflicht bzw. Prozessüberweisung von Amtes wegen vorzusehen mit der Folge, dass die Klage nach kantonalem Prozessrecht rechtshängig bleibt und die bundesrechtliche Klagefrist als gewahrt gilt (zur Prozessüberweisung allgemein: DUBS, Die Prozessüberweisung im zürcherischen Zivilprozessrecht, unter Berücksichtigung der Regelungen anderer Kantone und des Auslands, Diss. Zürich 1981; ferner: ILG, Heilung fehlerhafter Klageeinleitung, Diss. Zürich 1968; PRAPLAN, La réception en procédure valaisanne des procès commencés dans d'autres cantons, in: SJZ 80/1984 S. 277 ff.). Insofern wird das Obergericht zu klären haben, ob der Friedensrichter im vorliegenden Fall nach kantonalem Recht zur Weiterleitung der Klage an das zuständige Kantonsgericht verpflichtet gewesen wäre.