Urteilskopf
130 III 520
66. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer i.S. Schweizerische Eidgenossenschaft gegen Obergericht des Kantons Zürich (Beschwerde)
7B.116/2004 vom 21. Juli 2004
Regeste
Art. 68 Abs. 1 SchKG
; Leistung eines Kostenvorschusses.
Es steht im pflichtgemässen Ermessen des Betreibungsamtes, in welcher Höhe es einen Kostenvorschuss für eine Betreibungshandlung einverlangt. Der Gläubiger hat keinen Anspruch, lediglich Kosten in der Höhe der Kostenvorschüsse tragen zu müssen (E. 2).
A.a
Die Eidg. Steuerverwaltung betrieb die X. AG für Mehrwertsteuerforderungen in den Betreibungen Nr. 1 (Pfändung Nr. a), 2 (Pfändung Nr. b) und 3 (Pfändung Nr. c). Das Betreibungsamt Zürich 1 pfändete in diesen drei Betreibungen Kleidungsstücke der Schuldnerin. In den ersten beiden Pfändungen vom 22. August und 23. September 2002 wurden jeweils die gleichen Kleidungsstücke gepfändet. Bei der dritten Pfändung vom 11. und 31. März 2003 wurden ebenfalls diese Gegenstände, dazu aber noch weitere Kleidungsstücke gepfändet. Mit der dritten Pfändung nahm das Betreibungsamt sämtliche Pfändungsgegenstände in Gewahrsam, da die Schuldnerin die Abschlagszahlungen im Sinne von
Art. 123 SchKG
nicht mehr leistete. Bevor die Verwertung stattfinden konnte, wurde über die Schuldnerin am 22. Mai 2003 der Konkurs eröffnet.
A.b
In der Folge stellte das Betreibungsamt der Eidg. Steuerverwaltung für Gebühren und Auslagen in den drei Betreibungen insgesamt Fr. 5'801.40 in Rechnung. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bezirksgericht Zürich (6. Abteilung) als unterer Aufsichtsbehörde am 5. April 2004 abgewiesen.
Mit dem dagegen beim Obergericht des Kantons Zürich (II. Zivilkammer) als oberer kantonaler Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen eingereichten Rekurs beantragte die Gläubigerin die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie der betreffenden Kostenrechnungen des Betreibungsamtes. Weiter verlangte sie, es seien die Kosten in der Betreibung Nr. 1 auf Fr. 339.15, in der Betreibung Nr. 2 auf Fr. 272.90 und in der Betreibung Nr. 3 auf Fr. 2'204.- (total Fr. 2'816.05) festzusetzen. Diese Beträge entsprechen den von der Gläubigerin bereits bezahlten Kosten in den betreffenden Betreibungen. Mit Entscheid vom 3. Juni 2004 hiess das Obergericht den Rekurs teilweise gut und hob den angefochtenen Beschluss sowie die Kostenrechnungen und Verfügungen des Betreibungsamtes Zürich 1 vom 26. Juni 2003 auf. Die von der Gläubigerin noch zu zahlenden Kostenanteile wurden neu wie folgt festgesetzt: Fr. 854.35 in der Betreibung Nr. 1; Fr. 1'057.80 in der Betreibung Nr. 2 und Fr. 2'844.65 in der Betreibung Nr. 3 (total Fr. 4'756.80).
B.
Mit Eingabe vom 14. Juni 2004 hat die Eidg. Steuerverwaltung die Sache an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
BGE 130 III 520 S. 522
Bun desgerichts weitergezogen. Sie beantragt, der Beschluss des Obergerichts Zürich vom 3. Juni 2004 und die Kostenverfügungen in den Betreibungen Nr. 1, 2 und 3 seien aufzuheben. Die Kosten seien in der Betreibung Nr. 1 auf Fr. 339.15, in der Betreibung Nr. 2 auf Fr. 272.90 und in der Betreibung Nr. 3 auf Fr. 2'204.- festzusetzen. Eventualiter sei das Verfahren betreffend die Frage des Ermessensmissbrauchs an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Aus den Erwägungen:
2.1
Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Betreibungsamt habe in den vorliegenden Betreibungen/Pfändungen kostspielige Vorbereitungshandlungen in der Höhe von rund Fr. 10'000.- vorgenommen, ohne dafür einen Kostenvorschuss zu verlangen. Das Betreibungsamt habe das ihm zustehende Ermessen missbraucht. Die Vorinstanz sei nicht auf die Fragen eingegangen, ob das Betreibungsamt einen Kostenvorschuss hätte einverlangen müssen, und was die Folgen seien, wenn kein Vorschuss erhoben werde.
2.2
Gemäss
Art. 68 Abs. 1 SchKG
sind die Betreibungskosten vom Gläubiger vorzuschiessen und kann das Betreibungsamt, wenn der Vorschuss nicht geleistet wird, die Betreibungshandlung einstweilen unterlassen. Der Schuldner hat die dem Gläubiger entstandenen Kosten grundsätzlich zu ersetzen (vgl. Art. 68 Abs. 1 erster Satz SchKG). Kommt es nicht zur Verwertung, so tritt die Überwälzung der Kosten auf den Schuldner nicht ein, so dass diese beim Gläubiger bleiben (FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. I, Zürich 1984, § 15 N. 11, S. 184). Es steht im pflichtgemässen Ermessen des Betreibungsamtes, in welcher Höhe es einen Kostenvorschuss einverlangt. Es hat hierzu die anfallenden Kosten zu schätzen (EMMEL, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG I, Staehelin/ Bauer/Staehelin [Hrsg.], Basel 1998, N. 14 zu
Art. 68 SchKG
; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, articles 1-88, N. 26 zu
Art. 68 SchKG
, S. 1053;
BGE 85 III 81
E. 3 S. 85/86). Der Gläubiger hat keinen Anspruch, lediglich Kosten in der Höhe der Kostenvorschüsse tragen zu müssen.
Mit Beschwerde kann gerügt werden, dass bei der Ermessensausübung sachfremde Kriterien berücksichtigt oder rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen worden sind (
Art. 19 Abs. 1 SchKG
;
BGE 128 III 337
E. 3a).
2.3
Gemäss dem angefochtenen Urteil sind in den ersten beiden Pfändungen 922 und in der dritten Pfändung zusätzlich 3'899 Kleidungsstücke gepfändet worden. Dabei sind Sortier- und Transportkosten im Umfang von Fr. 9'921.- angefallen, welche die Vorinstanz als Verwertungskosten denjenigen Gläubigern auferlegt hat, welche ein Verwertungsbegehren gestellt und sich damit zur Übernahme des entsprechenden Kostenrisikos entschieden haben (
BGE 55 III 122
E. 2;
111 III 63
E. 2 S. 65). Weil in der dritten Pfändung Nr. c erheblich mehr Gegenstände gepfändet worden waren als in den ersten beiden Pfändungen zuvor, hat die Vorinstanz die angefallenen Zähl-, Sortier- und Transportkosten im Umfang von Fr. 9'921.- zu einem Fünftel als Verwertungskosten den Gläubigern in den Pfändungsgruppen Nr. a und b sowie zu vier Fünfteln als Pfändungskosten den Gläubigern in der Pfändung Nr. c auferlegt.
2.4
Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichts konnte das Betreibungsamt davon absehen, einen Kostenvorschuss zu verlangen, wenn vorauszusehen war, dass die Verwertung ergebnislos verlaufen wird. Diese Praxis wurde jedoch aufgegeben, da sie zu
Art. 68 SchKG
im Widerspruch stand (
BGE 37 I 344
/345; GILLIÉRON, a.a.O., N. 28 zu
Art. 68 SchKG
, S. 1053/1054). Der Gläubiger, der die Verwertung verlangt hat, wird jedoch nicht von der Leistung eines Kostenvorschusses befreit, wenn zu erwarten ist, dass die Kosten der Verwertung und Verteilung ohne weiteres durch den Erlös gedeckt werden können (
BGE 111 III 63
E. 3 S. 66). Die Pflicht zur Leistung von Kostenvorschüssen stellt den Gläubiger vor die Frage, ob er diese weiteren Ausgaben wagen oder eine aussichtslos erscheinende Betreibung nicht lieber unterlassen soll (FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., § 15 N. 13, S. 184). Die Kostenvorschusspflicht hat somit eine gewisse prohibitive Funktion. Ist vorauszusehen, dass die Kosten aussergewöhnlich hoch sein werden und nicht mehr im Verhältnis zur Forderung stehen, so soll das Betreibungsamt den Gläubiger vorerst darauf aufmerksam machen, bevor es, ohne einen Kostenvorschuss zu verlangen, die betreffende Handlung vornimmt (JAEGER, Das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, 3. Aufl., 1911, Bd. I, N. 4 zu
Art. 68 SchKG
, S. 356).
Wie die Beschwerdeführerin in Übereinstimmung mit den Pfändungsurkunden und dem angefochtenen Urteil ausführt, betrug der Schätzwert der gepfändeten Kleidungsstücke Fr. 108'366.-. Die von der Beschwerdeführerin in Betreibung gesetzten Forderungen
BGE 130 III 520 S. 524
belaufen sich auf Fr. 79'000.-, die der übrigen Gläubiger auf Fr. 20'369.-. Da die Schuldnerin die ihr am 11. November 2002 gewährten Abschlagszahlungen nicht mehr entrichtete, musste das Betreibungsamt gemäss
Art. 123 Abs. 5 SchKG
vorgehen und die bereits gepfändeten Aktiven am 31. März 2003 wegnehmen, was die zusätzlichen Zähl-, Sortier- und Transportkosten zur Folge hatte. Diese Wende trat plötzlich ein, und angesichts des namhaften Schätzwertes der gepfändeten Objekte für die laufenden Betreibungen durfte das Betreibungsamt ohne weiteres die voraussehbaren Kosten des Pfändungsvollzugs als zu den in Betreibung gesetzten Forderungen verhältnismässig würdigen; deshalb durfte es davon absehen, von der Beschwerdeführerin einen Vorschuss für die Kosten des Pfändungsvollzugs zu verlangen. Diese Schlussfolgerung kann nicht mit dem Einwand umgestossen werden, dem Betreibungsamt sei seit "März/April 2003" bekannt gewesen, dass der Schuldnerin der Konkurs angedroht worden sei. Ein dem Schuldner angedrohter Konkurs befreit das Betreibungsamt nicht, eine sich aufdrängende Pfändung gemäss
Art. 123 Abs. 5 SchKG
vorzunehmen.
2.5
Gemäss den vorstehenden Ausführungen hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die Kostenanteile der Beschwerdeführerin nicht auf die Summe der von dieser bereits bezahlten Betreibungskosten festgesetzt hat.