BGE 131 III 1 vom 30. August 2004

Datum: 30. August 2004

Artikelreferenzen:  Art. 4 ZGB, Art. 124 ZGB, Art. 125 ZGB , Art. 122 ZGB, Art. 124 Abs. 1 ZGB, Art. 122 BGE 131 III 1 S. 4, Art. 21 AHVG, Art. 63 Abs. 2 OG, Art. 20 Abs. 2 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1), Art. 55 Abs. 1 lit. c OG

BGE referenzen:  129 III 481, 132 III 145, 133 III 401, 136 V 225 , 129 III 481

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

131 III 1


1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. Z. gegen Nachlass des Y. in konkursamtlicher Liquidation (Berufung)
5C.13/2003 vom 30. August 2004

Regeste

Nach Eintritt des Vorsorgefalls entstandener scheidungsrechtlicher Anspruch aus beruflicher Vorsorge ( Art. 124 Abs. 1 ZGB ).
Ist auf Seiten des Ehegatten, bei dem der Vorsorgefall eingetreten ist, als Aktivum einzig eine Rente vorhanden, ist die dem andern Ehegatten zustehende Entschädigung nicht als Kapitalleistung, sondern als Rente auszugestalten (E. 4).
Wo der Vorsorgefall viele Jahre vor der Scheidung eingetreten ist, geht es nicht an, der Bemessung der Rente die Grundsätze von Art. 122 ZGB (hälftige Teilung eines hypothetischen Vorsorgekapitals) zugrunde zu legen (E. 5); massgebend sind in einem solchen Fall hauptsächlich die konkreten Vorsorgebedürfnisse der beiden Ehegatten (E. 6).

Sachverhalt ab Seite 2

BGE 131 III 1 S. 2
Im Ehescheidungsverfahren zwischen Y. (Kläger) und Z. (Beklagte) fällte das Obergericht (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich am 29. November 2002 - teilweise unter Hinweis auf seine Begründung im Entscheid vom 18. Juni 2001 (den das kantonale Kassationsgericht in der Folge aufgehoben hatte) - das folgende Berufungsurteil:
"1. Der Kläger wird verpflichtet, der Beklagten als Entschädigung im Sinne von Art. 124 ZGB folgende Leistungen zu erbringen:
a) Fr. 1'000.- pro Monat, zahlbar monatlich und im Voraus mit Wirkung ab 3. März 2000 bis und mit Februar 2004 an die berufliche Vorsorgeeinrichtung der Beklagten (...).
b) Fr. 1'000.- pro Monat ab 1. März 2004, zahlbar monatlich und im Voraus an die Beklagte.
c) Die Rentenverpflichtung gemäss lit. a und b hievor ist aktiv und passiv unvererblich und erlischt sowohl mit dem Ableben des Klägers als auch mit dem Ableben der Beklagten. Sie fällt bei einer allfälligen Wiederverheiratung der Beklagten nicht dahin. Sie unterliegt nicht der Indexanpassung gemäss Dispositiv-Ziffer 3 des
BGE 131 III 1 S. 3
am 3. März 2000 in Teilrechtskraft erwachsenen vorinstanzlichen Urteils vom 30. März 1999.
2. Der Kläger wird verpflichtet, der Beklagten eine Unterhaltsrente im Sinne von Art. 125 ZGB von Fr. 700.- pro Monat zu bezahlen, zahlbar monatlich und im Voraus ab Rechtskraft dieses Urteils bis 7. Februar 2004. Diese Rente untersteht der Indexanpassung gemäss Dispositiv-Ziffer 3 des am 3. März 2000 in Teilrechtskraft erwachsenen vorinstanzlichen Urteils vom 30. März 1999.
3.
a) Der Kläger wird verpflichtet, der Beklagten eine güterrechtliche Ausgleichszahlung von Fr. 40'531.20 zu bezahlen.
b) Das Gesuch des Klägers, ihm für die Begleichung dieser Ausgleichszahlung Ratenzahlung zu gewähren, wird abgewiesen.
4. -7. (Kosten- und Entschädigungsfolgen)
..."
Am 14. März 2004 beschloss das Kassationsgericht des Kantons Zürich, dass die vom Kläger hiergegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde als gegenstandslos geworden abgeschrieben werde.
Gegen das Urteil des Obergerichts vom 29. November 2002 hatte die Beklagte ihrerseits mit Eingabe vom 16. Januar 2003 eidgenössische Berufung eingereicht. Sie verlangt die Aufhebung der Dispositiv-Ziffern 1, 2, 4, 6 und 7 und stellt detaillierte neue Anträge.
Mit Eingabe vom 30. April 2004 teilte der Anwalt der Beklagten dem Bundesgericht mit, der Kläger sei am 30. Mai 2003 verstorben.
Das mit der Durchführung der Liquidation des klägerischen Nachlasses betraute Konkursamt K. teilte in seiner Berufungsantwort vom 27. Mai 2004 mit, die Erben hätten die Erbschaft ausgeschlagen und das Gerichtspräsidium K. habe mit Verfügung vom 9. Dezember 2003 die konkursamtliche Liquidation der Hinterlassenschaft angeordnet; diese werde im summarischen Verfahren durchgeführt.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit diese nicht gegenstandslos geworden ist und darauf einzutreten ist.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. Hauptstreitpunkt ist der Anspruch der Beklagten aus beruflicher Vorsorge. Für den Fall, dass ein Ehegatte oder beide Ehegatten einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge angehören und bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist, bestimmt Art. 122
BGE 131 III 1 S. 4
Abs. 1 ZGB
, dass jeder Ehegatte Anspruch auf die Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 (FZG; SR 831.42) für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des andern Ehegatten hat. Ist bei einem oder bei beiden Ehegatten ein Vorsorgefall bereits eingetreten oder können aus andern Gründen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge, die während der Dauer der Ehe erworben worden sind, nicht geteilt werden, so ist eine angemessene Entschädigung geschuldet ( Art. 124 Abs. 1 ZGB ).

4.1 Der am 17. März 1936 geborene Kläger hat das 65. Altersjahr am 17. März 2001 vollendet und war demnach seit diesem Zeitpunkt berechtigt, eine AHV-Altersrente zu beziehen ( Art. 21 AHVG ). Fest steht weiter, dass er am 30. November 1991 im Alter von 55 Jahren und 8 Monaten - nach zwei Herzinfarkten - aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig pensioniert worden war und in der Folge von der X.-Pensionskasse eine BVG-Rente der 2. Säule und eine Überbrückungsrente (für die fehlende AHV-Altersrente) bezogen hatte.
Die Beklagte wurde am 7. Februar 1941 geboren. Als die vorinstanzlichen Urteile vom 18. Juni 2001 und vom 29. November 2002 gefällt wurden, war sie beruflich noch aktiv und bekleidete eine Stelle mit 60 % Arbeitsverpflichtung bei der W. AG. Das Obergericht ging davon aus, dass sie mit ihrem Eintritt in das AHV-Rentenalter, d.h. auf den 7. Februar 2004, in den Ruhestand treten werde.
Da im massgeblichen Zeitpunkt auf Seiten des Klägers der Vorsorgefall eingetreten war, richtet sich der Ausgleich gesamthaft nach Art. 124 ZGB ( BGE 129 III 481 E. 3.2.2 S. 485).

4.2 Dem anspruchsberechtigten Ehegatten steht gemäss Art. 124 Abs. 1 ZGB eine "angemessene Entschädigung" zu. Das Gericht hat seine Entscheidung nach Recht und Billigkeit zu treffen ( Art. 4 ZGB ). Es hat dabei die in Art. 122 ZGB getroffene gesetzgeberische Grundentscheidung zu berücksichtigen, wonach Vorsorgeguthaben unter den Ehegatten hälftig zu teilen sind. Allerdings darf nicht ungeachtet der konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse eine Entschädigung festgesetzt werden, die schematisch dem Ergebnis der hälftigen Teilung der Vorsorgeguthaben entspricht. Vielmehr ist den Vermögensverhältnissen nach Durchführung der güterrechtlichen Auseinandersetzung wie auch der sonstigen wirtschaftlichen Lage der Parteien nach der Scheidung gebührend Rechnung zu
BGE 131 III 1 S. 5
tragen. Es kann dabei zweistufig vorgegangen werden, indem das Gericht in einem ersten Schritt die Höhe der Austrittsleistung im Zeitpunkt der Scheidung bzw. des Eintritts des Vorsorgefalles und damit hypothetisch eine hälftige Teilung im Sinne von Art. 122 ZGB ermittelt und alsdann in einem zweiten Schritt unter Berücksichtigung dieses Ergebnisses auf das konkrete Vorsorgebedürfnis der Parteien abstellt ( BGE 129 III 481 E. 3.4.1 S. 488).

4.3

4.3.1 Da der Kläger am 30. November 1991 vorzeitig pensioniert wurde und seither bis zu seinem Tod eine BVG-Rente bezog, besass er im Zeitpunkt des Eintritts der Teilrechtskraft des Scheidungsurteils am 3. März 2000 (vgl. HERMANN WALSER, Basler Kommentar, 2. Aufl., N. 7 zu Art. 124 ZGB ) keinen Anspruch mehr auf eine Austrittsleistung im Sinne von Art. 122 ZGB . Die Übertragung einer solchen, sei es an die Vorsorgeeinrichtung der Beklagten, sei es an diese selbst, ist deshalb nicht möglich (dazu THOMAS SUTTER/DIETER Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 20 zu Art. 124 ZGB ; THOMAS GEISER, Berufliche Vorsorge im neuen Scheidungsrecht, in: Heinz Hausheer [Hrsg.], Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, Bern 1999, Rz. 2.95, S. 92, und Rz. 2.100, S. 93).
Die Entschädigung muss mithin in einer andern Form zugesprochen werden. In Betracht fällt sowohl eine Kapital- als auch eine Rentenleistung (WALSER, a.a.O., N. 15 zu Art. 124 ZGB ). Der Auszahlung einer Geldleistung in Kapitalform ist der Vorzug zu geben, wenn entsprechendes Vermögen vorhanden ist, weil sich dadurch das Risiko eines Ausfalls verringern lässt (KATERINA BAUMANN/ MARGARETA LAUTERBURG, Praxiskommentar Scheidungsrecht, Basel 2000, Vorbem. zu Art. 122-124, N. 64; MYRIAM GRÜTTER/DANIEL SUMMERMATTER, Erstinstanzliche Erfahrungen mit dem Vorsorgeausgleich bei Scheidung, insbesondere nach Art. 124 ZGB , in: FamPra.ch 2002 S. 659). Im Sinne einer Zahlungsmodalität kann auch die ratenweise Tilgung der Kapitalleistung vereinbart werden. Die Verpflichtung zu einer Kapitalleistung hat zur Folge, dass die Schuldpflicht beim Tod des verpflichteten Ehegatten - anders als beim nachehelichen Unterhalt (...) - nicht erlischt, sondern eine Nachlassschuld bildet, die passiv vererblich ist (SUTTER/FREIBURGHAUS, a.a.O., N. 20 zu Art. 124 ZGB ). Das Zusprechen einer Kapitalleistung mit oder ohne ratenweiser Tilgung setzt grundsätzlich voraus, dass das Kapital vorhanden ist, ist es doch nicht Aufgabe der
BGE 131 III 1 S. 6
Erben, für die Altersvorsorge des überlebenden Ehegatten besorgt zu sein. Die Zahlung in Rentenform ist vorab dann vorzuziehen, wenn die nötigen Barmittel für eine Kapitalzahlung fehlen und der Verpflichtete aus seiner eigenen Altersrente regelmässige Leistungen bezieht (GEISER, a.a.O., Rz. 2.104, S. 95; derselbe , Vorsorgeausgleich: Aufteilung bei Vorbezug für Wohneigentumserwerb und nach Eintreten eines Vorsorgefalls, in: FamPra.ch 2002 S. 98; GRÜTTER/SUMMERMATTER, a.a.O., S. 660).

4.3.2 Wie bereits dargelegt, hat das Obergericht in tatsächlicher Hinsicht festgehalten, es müsse angenommen werden, dass der Kläger sein Vermögen praktisch vollständig aufgebraucht habe; er verfüge weder über ein Vermögen noch entsprechend über Vermögenserträge. Es ist deshalb zum Schluss gelangt, der Kläger sei mangels hinreichender Leistungsfähigkeit ganz offensichtlich nicht in der Lage, der Beklagten eine Entschädigung in Kapitalform zu bezahlen. Eine solche könnte nur dann als angemessen im Sinne von Art. 124 ZGB bezeichnet werden, wenn der Kläger über die entsprechenden Mittel tatsächlich verfügen würde.
Diese Schlussfolgerung ist aufgrund der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellung zur Vermögenslage nicht bundesrechtswidrig und verletzt den Anspruch auf eine angemessene Entschädigung nicht. Soweit die Beklagte eine Kapitalleistung (mit oder ohne Ratenzahlungen) verlangt, ist die Berufung demnach unbegründet. Da der Kläger aber über eine eigene Alters- und bis zum Zeitpunkt seiner ordentlichen Pensionierung über eine Zusatzrente verfügt hatte, ist es nicht zu beanstanden, der Beklagten den Vorsorgeausgleich in Form der Rente zuzusprechen.

4.3.3 Das Obergericht hat weiter ausgeführt, die Rente sei nicht vererblich auszugestalten. Weder eine passive Vererblichkeit mit der Folge, dass die Erben des Klägers die Rente nach dessen Ableben weiter bezahlen müssten, noch eine aktive Vererblichkeit, die dazu führen würde, dass die Erben der Beklagten die Rente bis zum Ableben des Klägers beanspruchen könnten, könne als angemessen im Sinne von Art. 124 ZGB betrachtet werden. Aus diesem Grund sei es angezeigt, die Rente in dem Sinne zu befristen, dass sie aktiv und passiv unvererblich erklärt werde.
Auch diese Auffassung ist nicht zu beanstanden. Hätte der Kläger Vermögen gehabt, wäre der Beklagten eine Kapitalleistung zugesprochen worden. Da der Kläger indessen als Aktivum einzig über
BGE 131 III 1 S. 7
eine Rente verfügte, die nicht in die Erbmasse fiel, ist es folgerichtig, die Entschädigung nach Art. 124 ZGB als unvererbliche Rente auszugestalten. Es ist nicht Sache der Erben, aus ihrem eigenen Vermögen für die Altersvorsorge der Beklagten besorgt zu sein. Nach dem Ableben des Klägers kann der Beklagten aus dessen BVG-Rente allenfalls ein Anspruch auf eine Witwenrente erwachsen. Ein solcher hätte aber mit einer vererblichen Rente, die als Passivum in die Erbmasse fallen würde, nichts zu tun.

5.

5.1 In seinen Ausführungen zur Höhe der Rente hat das Obergericht zunächst hypothetische Überlegungen angestellt und sich gefragt, welches das Ergebnis einer hälftigen Aufteilung der Austrittsleistung im Sinne von Art. 122 ZGB gewesen wäre. Es hat darauf hingewiesen, dass für den Vorsorgeausgleich ein wesentlich höherer Betrag zur Verfügung gestanden hätte, wenn der Kläger sich in dem nach Auskunft der X.-Personalvorsorgestiftungen spätest möglichen Zeitpunkt, nämlich bei Vollendung des 62. Altersjahres am 1. April 1998, hätte pensionieren lassen und die Ehe kurz vor diesem Zeitpunkt geschieden worden wäre. Für jenen Fall ermittelte die Vorinstanz einen mutmasslichen Anspruch der Beklagten aus Art. 122 ZGB von rund Fr. 600'000.- oder eine monatliche BVG-Rente von über Fr. 3'600.-. Sie hält sodann dafür, der Umstand, dass wegen der vorzeitigen Pensionierung am 30. November 1991 und der erst am 3. März 2000 eingetretenen Rechtskraft im Scheidungspunkt der Anspruch der Beklagten gemäss Art. 122 ZGB zunichte gemacht worden sei, könne nicht dem Kläger allein angelastet werden, hätten doch auch bei intakter Ehe die negativen finanziellen Folgen einer frühzeitigen Pensionierung von beiden Ehegatten gemeinsam getragen werden müssen.
Der Auffassung des Obergerichts ist beizupflichten. Aus dem Umstand, dass das Ergebnis bei einer späteren Pensionierung des Klägers günstiger ausgefallen wäre, kann die Beklagte daher nichts für sich ableiten.

5.2

5.2.1 Nach den Feststellungen des Obergerichts wäre dem Kläger ein Betrag von Fr. 793'002.- ausbezahlt worden, wenn er bei seinem Eintritt in den Ruhestand am 30. November 1991 eine Austrittsleistung in Kapitalform gewählt hätte. Davon hätte die Beklagte im Sinne von Art. 122 ZGB maximal die Hälfte, also knapp Fr. 400'000.-, beanspruchen können. Die Vorinstanz hält jedoch
BGE 131 III 1 S. 8
dafür, es sei zu berücksichtigen, dass der Beklagten eine rechtskräftig geschuldete lebenslängliche Bedürftigkeitsrente im Sinne von aArt. 152 ZGB im Betrag von monatlich Fr. 1'500.- zustehe. Mit dieser Rente würden für die Zeit nach der Pensionierung der Beklagten auch Leistungen im Hinblick auf den Unterhalt im Alter abgegolten. Gemäss den Barwerttafeln von STAUFFER/SCHAETZLE (4. Aufl., Zürich 1989, Tafel 35, Faktor 9,97 [in der 5. Aufl., Zürich 2001: Tafel 5, Faktor 11,28]) ergebe der kapitalisierte Wert dieser altrechtlichen Bedürftigkeitsrente für die Zeit nach der Pensionierung der Beklagten einen Betrag von knapp Fr. 180'000.-, so dass dieser unter dem Titel Vorsorgeausgleich noch eine Entschädigung von Fr. 220'000.- zugestanden hätte.

5.2.2 Die Beklagte rügt, die Vorinstanz habe mit ihrer Betrachtungsweise gegen zwingend zu beachtende Bewertungsrichtlinien verstossen. Es sei schon an sich problematisch, den Barwert einer Rente mit einer Austrittsleistung zu vergleichen. Vor allem aber gehe es nicht an, der Berechnung, die zur Ermittlung der nach Art. 124 ZGB angemessenen Entschädigung vorzunehmen sei, unterschiedliche Grössen und Zeiträume zu Grunde zu legen. Wenn das Obergericht der Hälfte der Freizügigkeitsleistung, auf die der Kläger am 30. November 1991 Anspruch gehabt hätte, den Barwert gegenübergestellt habe, den eine Rente im Zeitpunkt der angenommenen Pensionierung der Beklagten haben würde, habe es zwei Grössen in Beziehung gebracht, die in keiner Weise vergleichbar seien.
Die Bedürftigkeitsrente nach aArt. 152 ZGB, die hier übergangsrechtlich von Bedeutung ist, diente auch der Altersvorsorge. Würde sie nicht berücksichtigt, könnte die Beklagte gleichwohl nicht die Hälfte der Austrittsleistung beanspruchen. Vielmehr wäre der Wert der Austrittsleistung am 30. November 1991 (Datum der Pensionierung des Klägers) lediglich Ausgangspunkt der Berechnung. Es müssten alsdann die vom Kläger bis zum Zeitpunkt der Scheidung (3. März 2000) bezogenen Renten berücksichtigt werden (dazu GEISER, in: FamPra.ch 2002 S. 97; GRÜTTER/SUMMERMATTER, a.a.O., S. 656), was zu namhaften Abzügen führen würde. Zudem wären noch die eigenen Vorsorgeansprüche der Beklagten in Abzug zu bringen. Erst von dem sich so ergebenden Betrag hätte die Beklagte dann Anspruch auf die Hälfte. Die von der Lehre geforderte Berechnungsart des hypothetischen Vorsorgeausgleichs dürfte zu einem für die Beklagte tendenziell sogar eher schlechteren
BGE 131 III 1 S. 9
Ergebnis führen als das von der Vorinstanz ermittelte. In einem Fall, da der Vorsorgefall beim Ehemann viele Jahre vor der Scheidung eingetreten ist und sich das hypothetische Vorsorgekapital durch die bereits bezogenen Rentenbeträge stark vermindert hat, wäre es unangemessen, den auszugleichenden Betrag nach den Grundsätzen von Art. 122 ZGB zu berechnen.

6.

6.1 Unter den dargelegten Umständen treten für die Festsetzung der angemessenen Entschädigung im Sinne von Art. 124 ZGB die konkreten Vorsorgebedürfnisse der Parteien in den Vordergrund. Das Obergericht führte im Urteil vom 18. Juni 2001 aus, beim Kläger sei von einem erweiterten betreibungsrechtlichen Notbedarf von monatlich Fr. 5'430.- auszugehen. Sein Renteneinkommen habe sich seit Vollendung des 65. Altersjahres (17. März 2001) auf rund Fr. 9'470.- beziffert. Der erweiterte betreibungsrechtliche Notbedarf der Beklagten liege bei Fr. 4'538.- im Monat (im Urteil vom 29. November 2002 erhöht auf Fr. 4'940.-), und ihr Einkommen betrage bis zum Eintritt in den Ruhestand netto Fr. 3'200.- bis Fr. 3'300.- im Monat. Nach der Pensionierung werde sie eine AHV-Rente von Fr. 2'000.- und eine BVG-Rente von Fr. 700.- erwarten dürfen. Zudem stehe fest, dass ihr eine Erbschaft von rund Fr. 200'000.- zugefallen sei, womit sie eine Leibrente gekauft habe, die ihr weitere Fr. 1'050.- im Monat einbringen werde.
In Würdigung der festgestellten Gegebenheiten gelangte die Vorinstanz zum Schluss, dass eine Rente von monatlich Fr. 1'000.-, die nach STAUFFER/SCHAETZLE (a.a.O. Tafel 35, Faktor 11,15) einem kapitalisierten Betrag von rund Fr. 134'000.- entspreche, als im Sinne von Art. 124 ZGB angemessen erscheine.

6.2 Auch in diesem Zusammenhang führt die Beklagte aus, Ausgangspunkt der Entschädigung nach Art. 124 ZGB seien nicht die aktuellen Bedürfnisse der Parteien, sondern müssten die während der Ehe erworbenen Vorsorgeansprüche sein. Sie beansprucht die Hälfte der Rente des Klägers, kapitalisiert diese und erklärt, davon sei einzig ihr eigener hälftiger Vorsorgeanspruch abzuziehen. Die Beklagte beanstandet die Ausführungen der Vorinstanz vor allem für den Fall eines Vorversterbens des Klägers. Stossend und ungerecht sei, dass ihre Rentenansprüche von monatlich Fr. 1'500.- nach aArt. 152 ZGB und von Fr. 1'000.- nach Art. 124 ZGB sowie der Unterhaltsbeitrag im Sinne von Art. 125 ZGB von einem Tag
BGE 131 III 1 S. 10
auf den andern wegfallen würden. Es würden ihr dann neben der AHV-Rente von rund Fr. 2'000.- lediglich ihre eigene BVG-Rente von Fr. 700.- bzw. Fr. 800.- und die Rente der 3. Säule von Fr. 1'050.- verbleiben, womit sich der erweiterte Notbedarf von Fr. 4'940.- nicht decken liesse.

6.3 Bei ihrer die konkreten Vorsorgebedürfnisse ausser Acht lassenden Berechnung übersieht die Beklagte, dass der Kläger mit seiner halben Rente auch ihre Bedürftigkeitsrente und ihren Unterhaltsanspruch gemäss Art. 125 ZGB zu finanzieren gehabt hätte. Von einer angemessenen Entschädigung im Sinne von Art. 124 ZGB könnte unter diesen Umständen nicht gesprochen werden.
Sodann hat sich das Obergericht im Urteil vom 18. Juni 2001, auf das es auch für diesen Punkt im angefochtenen Entscheid ausdrücklich verweist, mit der Situation im Falle eines Vorversterbens des Klägers einlässlich auseinandergesetzt. Es hat ausgeführt, der Beklagten stünde aus der Vorsorgeregelung auf Seiten des Klägers ein Anspruch auf eine BVG-Witwenrente von Fr. 4'294.- pro Monat zu. (Dem von ihm angerufenen Schreiben der Personalvorsorgestiftung der X. Schweiz vom 3. Oktober 2000 ist zu entnehmen, dass sich der genannte Rentenbetrag auf ein Jahr bezieht, und es ist deshalb die auf einem offensichtlichen Versehen beruhende Annahme der Vorinstanz in Anwendung von Art. 63 Abs. 2 OG in diesem Sinne richtig zu stellen.) Die Vorinstanz weist des Weitern darauf hin, dass gemäss Art. 20 Abs. 2 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1) die Beklagte sich eine Kürzung um den Betrag gefallen lassen müsste, um den die Witwenrente zusammen mit der AHV (rund Fr. 2'000.-) und ihrer eigenen BVG-Rente (Fr. 700.-) den Anspruch aus dem Scheidungsurteil (Fr. 1'500.- + Fr. 1'000.-) übersteige. Da die Abzüge höher wären als die Rente, wäre diese nicht geschuldet. Ob der vorzeitige Todesfall des Klägers eintrete, sei ungewiss. Fest stehe allerdings, dass die Beklagte in diesem Fall über eine (zusätzliche) Witwenrente von rund Fr. 800.- verfügen müsste, um ihren erweiterten Notbedarf zu erreichen, was dann möglich wäre, wenn sich die vom Kläger gemäss Scheidungsurteil aufzubringenden Leistungen auf insgesamt Fr. 3'500.- pro Monat belaufen würden, was wiederum eine Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB von Fr. 2'000.- im Monat bedingen würde. Eine Rente in dieser Höhe würde bedeuten, dass dem Kläger zugemutet werden müsste, Zeit seines
BGE 131 III 1 S. 11
Lebens mit rund Fr. 6'000.-, d.h. mit einem nur rund Fr. 500.- bis Fr. 600.- über seinem erweiterten Notbedarf liegenden Betrag, auszukommen, während die Beklagte zu Lebzeiten des Klägers über monatlich Fr. 7'250.- verfügen würde, was auf ihrer Seite einen Überschuss von Fr. 2'700.- ergäbe. Eine solche Entschädigung könne nicht mehr als angemessen bezeichnet werden. Vielmehr sei es der Beklagten zuzumuten, sich im Rahmen des ihr zur Verfügung stehenden Überschusses für den Fall des Vorversterbens des Klägers zu versichern. Im Übrigen sei sie auf allfällige Ergänzungsleistungen zur AHV zu verweisen.

6.4 Statt sich mit diesen Ausführungen der Vorinstanz substantiiert auseinander zu setzen, beschränkt sich die Beklagte im Wesentlichen darauf, ihnen ihre eigenen Überlegungen und Berechnungen gegenüberzustellen. Das genügt nicht, um die einleuchtende Begründung der Vorinstanz umzustossen. Zu präzisieren ist einzig Folgendes: Das Obergericht hat den erweiterten aktuellen Notbedarf der Beklagten im Urteil vom 29. November 2002 von (gerundet) Fr. 4'540.- auf Fr. 4'940.- korrigiert. Gleichzeitig hat es aber in Dispositiv-Ziffer 2 dieses Urteils die Unterhaltsrente nach Art. 125 ZGB von Fr. 200.- auf Fr. 700.- monatlich erhöht, wodurch seine Überlegung, es sei der Beklagten zuzumuten, sich im Rahmen des ihr zur Verfügung stehenden Überschusses bereits zu Lebzeiten des Klägers für den Fall dessen Vorversterbens zu versichern, ihre volle Bedeutung behält. Mit der blossen Behauptung, eine Verbesserung ihrer Einkünfte für den Fall des Vorversterbens des Klägers könnte sie nur mit einem massiven Eingriff in den ihr zustehenden standesgemässen Unterhalt finanzieren, kommt sie der ihr nach Art. 55 Abs. 1 lit. c OG obliegenden Substantiierungspflicht nicht nach. Der - im vorliegenden Zusammenhang rechtlich unbeachtliche - Umstand, dass der Kläger lange vor Ablauf der vom Obergericht für ihn angenommenen Lebenserwartung gestorben ist, macht die Erwägung der Vorinstanz zu dieser Frage nicht bundesrechtswidrig.

Diese Seite ist durch reCAPTCHA geschützt und die Google Datenschutzrichtlinie und Nutzungsbedingungen gelten.

Feedback
Laden