Urteilskopf
131 V 51
8. Auszug aus dem Urteil i.S. M. gegen IV-Stelle Bern und Verwaltungsgericht des Kantons Bern
I 389/03 vom 8. März 2005
Regeste
Art. 5 Abs. 1,
Art. 28 Abs. 2 IVG
(je in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung);
Art. 27 IVV
(in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung);
Art. 27bis IVV
(in der ab 1. Januar 2001 gültig gewesenen Fassung): Invaliditätsbemessungsmethode.
Die Reduktion des zumutbaren erwerblichen Arbeitspensums, ohne dass die dadurch frei werdende Zeit für die Tätigkeit in einem Aufgabenbereich nach
Art. 5 Abs. 1 IVG
verwendet wird, ist für die Methode der Invaliditätsbemessung ohne Bedeutung (Erw. 5.1 und 5.2).
Aus den Erwägungen:
4.3
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird vorgebracht, die Versicherte habe zu Gunsten von mehr Freizeit im Rahmen eines 80 %-Pensums gearbeitet. Ihren freien Tag habe sie nicht benützt, um ihren 2 ½-Zimmer-Haushalt in Ordnung zu bringen. Sie sei somit nicht in einem Aufgabenbereich nach
Art. 5 Abs. 1 IVG
(in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) tätig gewesen. Bei der Invaliditätsbemessung sei daher der Einkommensvergleich anzuwenden.
5.1
Art. 27
bis
Abs. 1 IVV
regelt die anwendbare Methode der Invaliditätsbemessung bei Teilerwerbstätigen und gemäss den seit 1. Januar 2001 geltenden Fassungen bei Versicherten, die unentgeltlich im Betrieb des Ehegatten oder der Ehegattin mitarbeiten. Nach Wortlaut und Systematik ist danach zu unterscheiden, ob die versicherte Person neben der Erwerbstätigkeit oder der Mitarbeit im Geschäft des Ehemannes oder der Ehefrau in einem Aufgabenbereich im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 IVG
tätig war und es auch ohne Gesundheitsschaden wäre oder nicht.
5.1.1
Bei Versicherten, die neben der Teilerwerbstätigkeit oder der unentgeltlichen Mitarbeit im Betrieb des Ehegatten oder der Ehegattin in einem Aufgabenbereich nach
Art. 5 Abs. 1 IVG
tätig waren oder wären, gelangt die gemischte Bemessungsmethode zur Anwendung (
Art. 27
bis
Abs. 1 Satz 2 und 3 IVV
).
Diesfalls errechnet sich die Invalidität aus der Summe der mit den jeweiligen Anteilen gewichteten (erwerbs- und nicht
BGE 131 V 51 S. 53
erwerbsbezogenen) Teilinvaliditäten. Der Anteil der Erwerbstätigkeit bestimmt sich nach dem zeitlichen Umfang der von der versicherten Person ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgeübten Beschäftigung im Verhältnis zu der im betreffenden Beruf üblichen (Normal-)Arbeitszeit. Wird der so erhaltene Wert mit 'a' bezeichnet, ergibt sich der Anteil des Aufgabenbereichs nach
Art. 5 Abs. 1 IVG
aus der Differenz 1-a. Im Weitern sind bei der Bemessung der Invalidität im erwerblichen Bereich die Vergleichsgrössen Validen- und Invalideneinkommen im zeitlichen Rahmen der ohne Gesundheitsschaden (voraussichtlich dauernd) ausgeübten Teilerwerbstätigkeit zu bestimmen (
BGE 125 V 149
Erw. 2b mit Hinweisen).
5.1.2
Ist anzunehmen, die versicherte Person wäre ohne gesundheitliche Beeinträchtigung teilerwerbstätig oder sie arbeitete unentgeltlich im Betrieb des Ehegatten oder der Ehegattin mit, ohne daneben in einem andern Aufgabenbereich nach
Art. 5 Abs. 1 IVG
tätig zu sein, ist die Invalidität ausschliesslich nach den Grundsätzen für Erwerbstätige, somit nach
Art. 28 Abs. 2 IVG
(in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) oder
Art. 16 ATSG
zu bemessen (Art. 27
bis
Abs. 1 Satz 1 sowie Abs. 1 Satz 2 und 3 e contrario IVV). Die gemischte Methode gelangt hier ebenso wenig zur Anwendung wie bei ohne Gesundheitsschaden voll Erwerbstätigen (
Art. 27
bis
Abs. 2 IVV
).
Bei einer hypothetisch (im Gesundheitsfall) lediglich teilerwerbstätigen versicherten Person ohne einen Aufgabenbereich nach
Art. 5 Abs. 1 IVG
bemisst sich somit die Invalidität nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs oder einer Untervariante davon (Schätzungs- oder Prozentvergleich, ausserordentliches Bemessungsverfahren:
BGE 128 V 30
Erw. 1,
BGE 104 V 136
ff. Erw. 2a-c; vgl. auch
BGE 114 V 313
Erw. 3a). Das Valideneinkommen ist nach Massgabe der ohne Gesundheitsschaden ausgeübten Teilerwerbstätigkeit festzulegen. Entscheidend ist, was die versicherte Person als Gesunde tatsächlich an Einkommen erzielen würde, und nicht, was sie bestenfalls verdienen könnte. Wäre sie gesundheitlich in der Lage, voll erwerbstätig zu sein, reduziert sie aber das Arbeitspensum aus freien Stücken, insbesondere um mehr Freizeit zu haben, oder ist die Ausübung einer Ganztagestätigkeit aus Gründen des Arbeitsmarktes nicht möglich, hat dafür nicht die Invalidenversicherung einzustehen (
BGE 125 V 157
Erw. 5c/bb mit Hinweisen; ZAK 1992 S. 92 Erw. 4a). Das Invalideneinkommen bestimmt sich entsprechend den gesetzlichen Vorgaben danach,
BGE 131 V 51 S. 54
was die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte. Dabei kann das - vom Arzt festzulegende - Arbeitspensum unter Umständen grösser sein als das ohne gesundheitliche Beeinträchtigung geleistete.
5.2
Nach der dargelegten Konzeption ist somit die Reduktion des zumutbaren erwerblichen Arbeitspensums, ohne dass die dadurch frei werdende Zeit für die Tätigkeit in einem Aufgabenbereich nach
Art. 5 Abs. 1 IVG
verwendet wird, für die Methode der Invaliditätsbemessung ohne Bedeutung. Die Gründe für eine ohne Gesundheitsschaden bloss teilzeitlich ausgeübte Erwerbstätigkeit sind für die Wahl der Bemessungsmethode lediglich insofern von Interesse, als sie in Zusammenhang stehen mit der Tätigkeit in einem Aufgabenbereich nach
Art. 5 Abs. 1 IVG
(und
Art. 8 Abs. 3 ATSG
). Insbesondere werden allein stehende Personen bei einer Reduktion des Beschäftigungsgrades aus freien Stücken nicht gleichsam automatisch zu Teilerwerbstätigen mit einem Aufgabenbereich Haushalt neben der Berufsausübung.
5.3.1
Es steht fest, dass die Beschwerdeführerin seit mindestens 1992 bis zum Verkehrsunfall vom 24. Dezember 1998 zu 80 % als Krankenschwester erwerbstätig war. In dieser Zeit war sie allein stehend und sie führte einen Einpersonenhaushalt. Als Grund für die zeitlich reduzierte Erwerbstätigkeit gab sie in der vorinstanzlichen Replik mehr Freizeit an. Gemäss dem in diesem Verfahren eingereichten Schreiben vom 4. Juni 2003 wollte sie mehr Zeit ihren Hobbys, vor allem dem Sport, widmen. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird betont, sie habe ihren freien Tag nicht dazu benützt, ihren 2 ½-Zimmer-Haushalt in Ordnung zu bringen. Im September 2000 zog sie mit ihrem damaligen Freund zusammen. Nach ihren Angaben teilten sie die Haushaltarbeiten (Schreiben vom 4. Juni 2003). Seit Januar 2003 lebt die Beschwerdeführerin offenbar wieder alleine.
5.3.2
Im Lichte des in Erw. 5.1 und 5.2 Gesagten ist entgegen der Auffassung der IV-Stelle für die Wahl der Bemessungsmethode (gemischte Methode oder Einkommensvergleich) nicht massgebend, dass die Beschwerdeführerin "eine Wohnung hat, diese auch pflegt und wie jeder andere auch in bestimmtem Rahmen Haushaltarbeiten erledigen muss" (Stellungnahme des
BGE 131 V 51 S. 55
Abklärungsdienstes vom 2. Juli 2003). Ebenfalls ist nicht von Bedeutung, dass die Versicherte im interessierenden Zeitraum teils allein, teils mit einem Freund zusammen wohnte. Entscheidend ist allein, dass sie nach ihren glaubhaften Angaben das Arbeitspensum im Hinblick auf mehr freie Zeit für ihre Hobbys, insbesondere den Sport, reduziert hatte. Die Invalidität ist daher nach den Grundsätzen für Erwerbstätige zu bemessen, wie sie in Erw. 5.1.2 Abs. 2 dargelegt werden. Dies gilt auch, wenn und soweit gesundheitliche Gründe beim Entscheid, lediglich zu 80 % erwerbstätig zu sein, eine Rolle gespielt haben sollten.