BGE 132 II 298 vom 10. Mai 2006

Datum: 10. Mai 2006

Artikelreferenzen:  Art. 1 HMG, Art. 9 HMG, Art. 10 HMG , Art. 9 Abs. 1 und 2 lit. a HMG, Art. 9 Abs. 1 HMG, Art. 9 Abs. 2 HMG, Art. 10 Abs. 1 lit. a HMG, Art. 9 Abs. 4 HMG, Art. 9 Abs. 2 lit. b und c HMG, Art. 105 Abs. 2 OG

BGE referenzen:  122 II 446, 125 II 152, 132 II 200 , 132 II 200, 122 II 446, 125 II 152

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

132 II 298


27. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Schweizerisches Heilmittelinstitut Swissmedic sowie Eidgenössische Rekurskommission für Heilmittel (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
2A.677/2005 vom 10. Mai 2006

Regeste

Art. 9 Abs. 1 und 2 lit. a HMG ; Inverkehrbringen von Arzneimitteln ohne Zulassung; nach ärztlicher Verschreibung hergestellte Arzneimittel (sog. Magistralrezepturen).
Voraussetzungen für das zulassungsfreie Inverkehrbringen von Arzneimitteln gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG (Formula magistralis). Serienmässig im Voraus und auf Vorrat - mithin nicht erst im Bedarfsfalle auf ärztliche Verschreibung hin - hergestellte Arzneimittel können nicht gestützt auf diese Bestimmung zulassungsfrei in Verkehr gebracht werden (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 299

BGE 132 II 298 S. 299
Am 6. April 2004 führte das Regionale Heilmittelinspektorat der Nordwestschweiz im Auftrag des Schweizerischen Heilmittelinstituts (Swissmedic; im Folgenden: Institut) eine unangemeldete Inspektion in den gemeinsamen Betriebsräumlichkeiten der X. AG und der Y. AG in A. durch. Am 2. November 2004 erliess das Institut eine Verfügung, mit welcher es der X. AG unter anderem per sofort den Vertrieb von 31 Präparaten verbot, weil diese nicht über die nach dem Heilmittelrecht erforderliche Zulassung des Instituts verfügten.
Hiergegen erhob die X. AG Beschwerde bei der Eidgenössischen Rekurskommission für Heilmittel (im Folgenden: Rekurskommission). Zuletzt waren im Beschwerdeverfahren elf Präparate der X. AG streitig geblieben. Mit Urteil vom 20. Oktober 2005 wies die Rekurskommission für Heilmittel die Beschwerde ab (unter anderem) in Bezug auf folgende Präparate:
- Inhalationslösung A 100 ml mit Spritze 5 ml
- Inhalationslösung B 100 ml mit Spritze 5 ml
- Inhalationslösung B forte 100 ml mit Spritze 5 ml
- Inhalationslösung C 100 ml mit Spritze 5 ml
- Morphinum HCl 5 % 50 ml 1 StAmp.
Mit Postaufgabe vom 21. November 2005 hat die X. AG beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht (Verfahren 2A.677/2005). Sie beantragt, das Urteil der Rekurskommission sei bezüglich des Vertriebsverbotes für die erwähnten Arzneimittel aufzuheben. Eventuell sei das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde insoweit ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. In Bezug auf die erwähnten vier Inhalationslösungen sowie das Präparat Morphinum HCl 5 % 50 ml 1 StAmp. macht die X. AG geltend, dass für diese als so genannte Magistralrezepturen gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) eine Zulassung entbehrlich sei.

4.1 Gemäss dieser Bestimmung brauchen Arzneimittel keine Zulassung,
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"die in einer öffentlichen Apotheke, in einer Spitalapotheke oder, in deren Auftrag, in einem anderen Betrieb, der über eine Herstellungsbewilligung verfügt, nach ärztlicher Verschreibung für eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis oder für ein bestimmtes Tier oder einen bestimmten Tierbestand hergestellt werden (Formula magistralis)".

4.2 Die Rekurskommission hat aus der gesetzlichen Regelung geschlossen, dass der Arzt dem Apotheker ein Rezept vorlegen müsse, welches eine detaillierte Anweisung zur Arzneimittelanfertigung enthält und nicht bloss den generellen Auftrag zur Arzneimittelausgabe, wie dies bei der Verschreibung von zulassungspflichtigen Präparaten der Fall sei. Ausserdem müsse die Zubereitung aufgrund der in der ärztlichen Verschreibung verlangten Zusammensetzung speziell für die Erfüllung des ärztlichen Auftrages hergestellt und dürfe nicht serienmässig auf Vorrat produziert werden. Die Lagerhaltung auch kleiner Mengen sei ausgeschlossen.
Die Rekurskommission ist der Ansicht, dass es sich bei den hier interessierenden Präparaten nicht um derartige Einzelzubereitungen nach ärztlicher Verschreibung handle. Sie hat festgestellt, dass die Präparate wie zulassungspflichtige Medikamente aus einem von der X. AG vorgegebenen Sortiment vorproduzierter Waren ausgewählt werden. Die X. AG stelle für eine Vielzahl von Patienten einheitliche Präparate her, die in keiner Weise individualisiert, sondern geeignet seien, bei unbestimmt vielen Personen eingesetzt zu werden. Die Zubereitung erfolge nicht einzelfallweise, zur Erfüllung eines bestimmten ärztlichen Rezeptes, sondern serienmässig. Für diese Arzneimittel sei die in Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG vorgesehene Ausnahme daher nicht anwendbar.

4.3 Demgegenüber ist die X. AG der Auffassung, Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG umfasse auch in einem gewissen Umfange serienmässig auf Vorrat hergestellte Präparate, wobei sowohl der Apotheke als auch dem Herstellungsbetrieb die Lagerhaltung geringer Mengen erlaubt sei.

4.4 Das Bundesgericht hat bereits festgehalten, dass die in Art. 9 Abs. 2 HMG vorgesehenen Ausnahmen von der Zulassungspflicht restriktiv auszulegen sind ( BGE 132 II 200 E. 1.7.1 S. 203).

4.4.1 Wie die X. AG zwar zu Recht bemerkt, hat der Gesetzgeber den ursprünglichen Entwurf des Bundesrates, der lediglich die
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Zubereitung durch öffentliche Apotheken und Spitalapotheken vorsah, insoweit ergänzt und damit etwas erweitert, als zusätzlich die Möglichkeit der Delegation der Produktion an einen nach dem Heilmittelgesetz herstellungsberechtigten Betrieb vorgesehen wurde. Das Gleiche gilt, soweit zulassungsfreie Magistralrezepturen nicht nur - gemäss Botschaftsentwurf - für eine bestimmte Einzelperson, sondern auch für einen "bestimmten Personenkreis" in Betracht kommen (vgl. BBl 1999 S. 3495 und 3621). Wohl finden sich in den Materialien keine weiteren Ausführungen hierzu, nachdem das Parlament die vorgeschlagenen Ergänzungen diskussionslos angenommen hatte (vgl. AB 2000 N 86 und S 594). Mit diesen Ergänzungen wurde der wesentliche Inhalt des Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG indes nicht geändert: Als Magistralrezepturen sollten nach dem insofern unveränderten, klaren Wortlaut sowohl der deutschen als auch der französischen und der italienischen Fassung nur solche Arzneimittel von der Zulassungspflicht ausgenommen sein, die "nach ärztlicher Verschreibung" für bestimmte Adressaten "hergestellt werden" (frz.: "préparés sur ordonnance médicale"; ital.: "fabbricati [...] su prescrizione medica"). Damit sind also weiterhin Medikamente gemeint, die laut Botschaft "auf ärztliche Verschreibung hin" "im Bedarfsfalle einzeln zubereitet" werden, weil das Arzneimittel etwa in der benötigten "Zusammensetzung oder Dosierung nicht auf dem Markt erhältlich ist" (BBl 1999 S. 3495 zu Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG ).
Die erwähnte Bedarfslage kann nicht nur für eine bestimmte Einzelperson, sondern auch für "einen bestimmten Personenkreis" zutreffen, weshalb die entsprechende Ergänzung des Gesetzestextes durchaus Sinn machte. Damit war jedoch nicht eine serienmässige Produktion auf Vorrat gemeint, die stattfindet, bevor ärztliche Rezepte den konkreten Bedarf für die Medikamente überhaupt festgestellt haben. Dem stünde nicht nur der klare Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG entgegen. Die Sichtweise der X. AG würde die grundsätzliche Zulassungspflicht nach Art. 9 Abs. 1 HMG letztlich in weiten Teilen aus den Angeln heben, was nicht dem Willen des Gesetzgebers entspräche. Es bestünde insbesondere ein Widerspruch zu Sinn und Zweck des Gesetzes, das darauf ausgerichtet ist, im Zulassungsverfahren Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit umfassend zu belegen (vgl. Art. 10 Abs. 1 lit. a HMG ), um damit den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier bestmöglich zu gewährleisten (vgl. Art. 1 HMG ). Für besondere Gefahrenlagen
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(lebensbedrohende Krankheiten) besteht im Übrigen die Ausnahmebestimmung in Art. 9 Abs. 4 HMG (vgl. dazu Urteil 2A.469/2003 vom 6. September 2004, E. 3.3), auf die sich die X. AG hier jedoch nicht berufen kann.
Zu keinem anderen Schluss führt die Möglichkeit der Delegation der Zubereitung an einen Dritten mit Herstellungsbewilligung. Damit sollte nur der Kreis der Herstellungsbetriebe erweitert werden, weil erkannt wurde, dass die Beschränkung auf die genannten Apotheken zu eng ist; das entsprechende Fachwissen und die notwendigen Garantien sind bei Dritten mit Herstellungsbewilligung ebenso gut gewährleistet. Eine darüber hinausgehende Erweiterung der Ausnahmebestimmung konnte damit jedoch nicht gemeint sein.

4.4.2 Der X. AG schweben als Abgrenzungskriterium zwischen den nach Art. 9 Abs. 1 HMG zulassungspflichtigen Arzneimitteln einerseits und den zulassungsfreien Magistralrezepturen anderseits die mengenmässigen Beschränkungen vor, die in Art. 9 Abs. 2 lit. b und c HMG erwähnt sind. Insoweit ist ihr indes vor allem entgegenzuhalten, dass die beiden letztgenannten Ausnahmeregelungen die Beschränkung auf "kleine Mengen" ausdrücklich vorsehen. Das ist für Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG aus dem offensichtlichen Grund nicht der Fall, weil diese Bestimmung nur Arzneimittel erfassen soll, die auf eine ärztliche Verschreibung hin für die betroffenen Personen, Tiere oder Tierbestände hergestellt werden. Das schliesst eine serienmässige Produktion im Voraus und auf Vorrat aus.

4.4.3 Demzufolge ist Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG so zu verstehen, dass Arzneimittel nur dann zulassungsfrei in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie zeitlich nach einer ärztlichen Verordnung sowie gestützt auf diese für die von ihr erfassten Personen oder Tiere hergestellt werden. Das trifft für die hier interessierenden Präparate nach den verbindlichen - und insoweit nicht bestrittenen - Feststellungen der Rekurskommission (vgl. Art. 105 Abs. 2 OG ) nicht zu. Die X. AG kann sich somit nicht auf Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG berufen. Welchen Inhalt die Verschreibungen nach dieser Bestimmung mindestens haben müssen, braucht vorliegend nicht geprüft zu werden.

4.4.4 Die X. AG macht einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht geltend (vgl. dazu BGE 122 II 446 E. 4a S. 451 f.; BGE 125 II 152 E. 5 S. 166, je mit Hinweisen). Entgegen ihrer Meinung ist jedoch
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nicht ersichtlich, dass das Institut in Bezug auf Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG ständig vom Gesetz abweicht und zu erkennen gegeben hat, dass es auch in Zukunft nicht gesetzeskonform zu entscheiden gedenke. Aus den vom Institut eingereichten Unterlagen ist namentlich nicht zu entnehmen, dass es betreffend die Spitalapotheke eines bestimmten Kantonsspitals die genannte Bestimmung anders auslegt bzw. insoweit untätig bleibt.

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