Urteilskopf
133 III 393
47. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_52/2007 vom 22. Mai 2007
Regeste
Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft (
Art. 172 ff. ZGB
); Art. 72 Abs. 1, Art. 90, 98, 99 Abs. 1,
Art. 106 Abs. 2 BGG
.
Die Anordnung von Eheschutzmassnahmen ist eine Zivilsache im Sinne von
Art. 72 Abs. 1 BGG
(E. 2).
Noven (E. 3).
Eheschutzentscheide sind Endentscheide im Sinne von
Art. 90 BGG
(E. 4).
Eheschutzentscheide sind Entscheide über vorsorgliche Massnahmen im Sinne von
Art. 98 BGG
; gegen sie kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (E. 5).
Aus
Art. 106 Abs. 2 BGG
ergibt sich, dass klar und detailliert darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (E. 6).
Im Falle einer
Art. 98 BGG
unterstehenden Beschwerde kommt eine Berichtigung oder Ergänzung von Sachverhaltsfeststellungen nur dann in Frage, wenn die kantonale Instanz verfassungsmässige Rechte verletzt hat (E. 7.1).
X. (Ehemann) und Y. (Ehefrau) heirateten im Jahre 1988. Sie sind die Eltern der beiden Töchter S., geboren 1988, und T., geboren 1994.
Mit Eingabe vom 2. Juli 2004 reichte Y. beim Gerichtspräsidium A. ein Gesuch um Anordnung von Eheschutzmassnahmen ein. Gegen das vom Gerichtspräsidenten 3 von A. hierauf am 19. Oktober 2004 gefällte Urteil erhoben beide Ehegatten Beschwerde an das Obergericht des Kantons Aargau.
Das Obergericht verpflichtete X. mit Urteil vom 18. Januar 2007, an den Unterhalt der beiden unter die Obhut von Y. gestellten Kinder monatliche Beiträge von je Fr. 950.- und an denjenigen von Y. solche von Fr. 2'350.- für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2004, Fr. 2'077.- für die Zeit ab 1. Januar 2005 und Fr. 2'127.- für die Zeit ab 1. Juli 2006 zu zahlen. Ausserdem ordnete es mit Wirkung ab 6. August 2004 die Gütertrennung an.
Auf die von X. gegen das obergerichtliche Urteil eingereichte Beschwerde in Zivilsachen tritt das Bundesgericht nicht ein.
BGE 133 III 393 S. 395
Aus den Erwägungen:
2.
Die Anordnung von Massnahmen zum Schutze der ehelichen Gemeinschaft (
Art. 172 ff. ZGB
) ist eine Zivilsache im Sinne von
Art. 72 Abs. 1 BGG
. Strittig ist die Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers, mithin eine Frage vermögensrechtlicher Natur. Die Streitwertgrenze von 30'000 Franken (Art. 74 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [BGG; SR 173.110]) ist angesichts der Höhe und der unbestimmten Dauer der der Beschwerdegegnerin zugesprochenen Unterhaltsbeiträge, deren Aufhebung der Beschwerdeführer verlangt, überschritten (vgl.
Art. 51 Abs. 4 BGG
). Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Rügen können mit keinem kantonalen Rechtsmittel erhoben werden (vgl. §§ 335 ff. der Aargauer Zivilprozessordnung [ZPO]), so dass die Beschwerde in Zivilsachen auch aus der Sicht von
Art. 75 Abs. 1 BGG
offen steht.
3.
Der Beschwerdeführer legt neue Dokumente vor. Gemäss
Art. 99 Abs. 1 BGG
dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (im gleichen Sinne schon die Praxis zur staatsrechtlichen Beschwerde:
BGE 128 I 354
E. 6c S. 357 mit Hinweisen). In der Beschwerde ist darzutun, inwiefern die erwähnte Voraussetzung für eine nachträgliche Einreichung von Beweismitteln erfüllt sein soll. Die vom Beschwerdeführer hier vorgetragene blosse Behauptung, erst der angefochtene Entscheid habe Anlass zur Nachreichung von Dokumenten gegeben, ist unzureichend. Die neu ins Recht gelegten Schriftstücke sind daher unbeachtlich.
4.
Unter der Herrschaft des Bundesrechtspflegegesetzes vom 16. Dezember 1943 (OG; BS 3 S. 531), das bis Ende 2006 in Kraft stand, galt ein im Eheschutzverfahren ergangener Entscheid der oberen kantonalen Instanz grundsätzlich nicht als Endentscheid im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 OG
, so dass er nicht mit Berufung anfechtbar war; hingegen war (neben der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde) die staatsrechtliche Beschwerde zugelassen (dazu
BGE 127 III 474
E. 2 S. 476 ff.). Zur Begründung wurde hauptsächlich darauf hingewiesen, dass Eheschutzentscheide regelmässig in einem summarischen Verfahren mit Beweismittel- und Beweisstrengebeschränkung ergingen, im Allgemeinen lediglich provisorischen Charakter hätten, erleichtert abänderbar seien und nicht in materielle Rechtskraft erwüchsen (
BGE 127 III 474
E. 2b/aa und 2b/bb S. 477 ff.).
BGE 133 III 393 S. 396
Nach dem Bundesgerichtsgesetz sind Endentscheide Entscheide, die das Verfahren abschliessen (
Art. 90 BGG
). Aus der Sicht dieses rein prozessualen Kriteriums haben nunmehr auch Entscheide in Eheschutzsachen als Endentscheide zu gelten (so auch die Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4331 Ziff. 4.1.4.1).
5.
Der Beschwerdeführer rügt hauptsächlich eine Verletzung der
Art. 176 und 163 ZGB
. Angesichts der Natur von Eheschutzmassnahmen drängt sich die Frage auf, ob sie nicht als vorsorgliche Massnahmen im Sinne von
Art. 98 BGG
zu betrachten seien. Nach dieser Bestimmung kann mit der Beschwerde gegen entsprechende Entscheide nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden.
5.1
Laut Botschaft zum neuen Gesetz (a.a.O., S. 4336) sind unter vorsorglichen Massnahmen im Sinne von
Art. 98 BGG
einstweilige Verfügungen zu verstehen, die eine rechtliche Frage so lange regeln, bis über sie in einem späteren Hauptentscheid definitiv entschieden wird. Eheschutzentscheide sind insoweit mehr als nur vorläufiger Natur, als sie nicht in einem nachfolgenden ordentlichen Verfahren unbeschränkt überprüft werden (
BGE 127 III 474
E. 2b/bb S. 478). Provisorischer Charakter eignet ihnen in der Regel dagegen insoweit, als die in den
Art. 172 ff. ZGB
vorgesehenen Massnahmen nur solange aufrecht bleiben, als aussergewöhnliche Verhältnisse ihren Bestand erfordern: Nehmen die Ehegatten das Zusammenleben wieder auf, fallen, mit Ausnahme der Gütertrennung und der Kindesschutzmassnahmen, die für das Getrenntleben angeordneten Vorkehren ohne weiteres dahin (
Art. 179 Abs. 2 ZGB
). Falls die Verhältnisse sich geändert haben, kann das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Massnahmen mit Wirkung für die Zukunft anpassen oder aufheben, wenn ihr Grund weggefallen ist (
Art. 179 Abs. 1 ZGB
). In dieser im Vergleich zu anderen Sachurteilen erleichterten Abänderbarkeit liegt denn auch einer der Gründe, weshalb Entscheide über Eheschutzmassnahmen nicht in materielle Rechtskraft erwachsen (
BGE 127 III 474
E. 2b/aa S. 477 mit Hinweisen). Während ein Entscheid, dem unbeschränkte Rechtskraft zukommen soll, eine eingehende und umfassende Abklärung des Sachverhalts voraussetzt, ist bei Eheschutzmassnahmen charakteristisch, dass sie in der Regel - so auch vorliegend - in einem summarischen Verfahren angeordnet werden, wo namentlich blosses Glaubhaftmachen genügt.
BGE 133 III 393 S. 397
Ferner fällt in Betracht, dass Eheschutzmassnahmen seit Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts (1. Januar 2000) in zunehmendem Masse dazu dienen, die Folgen des für eine Scheidung nach
Art. 114 ZGB
erforderlichen Getrenntlebens (von ursprünglich vier und heute zwei Jahren) zu regeln. Es kommt ihnen aus dieser Sicht eine ähnliche Bedeutung zu wie den vorsorglichen Massnahmen, die gestützt auf
Art. 137 ZGB
für die Dauer des Scheidungsverfahrens angeordnet werden. Eheschutzmassnahmen bleiben im Übrigen über den Zeitpunkt der Einleitung eines Scheidungsverfahrens hinaus bestehen, solange sie nicht durch Vorkehren im Sinne dieser Bestimmung abgeändert werden (
BGE 129 III 60
E. 2 S. 61). Dass Anordnungen nach
Art. 137 ZGB
unter die eingangs angeführte Umschreibung vorsorglicher Massnahmen im Sinne von
Art. 98 BGG
fallen, steht ausser Zweifel.
5.2
Unter den dargelegten Umständen rechtfertigt es sich, auch Eheschutzmassnahmen grundsätzlich
Art. 98 BGG
zu unterstellen. Eine andere Behandlung würde dazu führen, dass für Eheschutzmassnahmen mehr Beschwerdegründe zugelassen wären als für die allenfalls an sie anschliessenden vorsorglichen Massnahmen nach
Art. 137 Abs. 2 ZGB
. Ob ausnahmslos allen denkbaren Eheschutzmassnahmen im Sinne des Gesagten bloss provisorischer Charakter beizumessen ist und entsprechende Entscheide
Art. 98 BGG
unterstehen oder ob beispielsweise im Falle der Anordnung der Gütertrennung (
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
) die Verhältnisse anders zu beurteilen wären (dazu
BGE 127 III 474
E. 2b/aa S. 477 f.), mag hier, wo es ausschliesslich um die Unterhaltspflicht geht, offenbleiben.
6.
Die Verletzung von Grundrechten, wie sie aufgrund von
Art. 98 BGG
einzig geltend gemacht werden kann, prüft das Bundesgericht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (
Art. 106 Abs. 2 BGG
). Das bedeutet, dass - entsprechend den altrechtlichen Begründungsanforderungen von
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
(dazu Botschaft, a.a.O., S. 4294) - klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (vgl.
BGE 130 I 258
E. 1.3 S. 261 f. mit Hinweisen).
7.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, es habe den Sachverhalt unrichtig festgestellt, und verlangt, dieser sei (in Anwendung von
Art. 105 Abs. 2 BGG
) von Amtes wegen richtigzustellen.
BGE 133 III 393 S. 398
7.1
Nach
Art. 105 Abs. 1 BGG
legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
beruht (
Art. 105 Abs. 2 BGG
). Eine entsprechende Bestimmung findet sich ebenfalls im Abschnitt über die Beschwerdegründe:
Art. 97 Abs. 1 BGG
erklärt, dass die Sachverhaltsfeststellungen der kantonalen Instanz nur hinsichtlich der genannten Mängel gerügt werden können. Da nach dem oben (E. 5.2) Ausgeführten gegen den angefochtenen Entscheid nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht werden kann, gelangen jedoch die
Art. 95 und 97 BGG
und auch
Art. 105 Abs. 2 BGG
nicht (unmittelbar) zur Anwendung. Die hier gegebenen Verhältnisse entsprechen denjenigen bei der subsidiären Verfassungsbeschwerde (
Art. 113 ff. BGG
). Wie dort (Art. 118 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 116 BGG
) kommt eine Berichtigung oder Ergänzung der Sachverhaltsfeststellungen ebenfalls hier nur dann in Frage, wenn die kantonale Instanz verfassungsmässige Rechte verletzt hat. Wird letzteres geltend gemacht, ist neben der Erheblichkeit der gerügten Tatsachenfeststellung für den Ausgang des Verfahrens klar und detailliert darzutun, inwiefern diese verfassungswidrig, insbesondere willkürlich (
Art. 9 BV
), offensichtlich unhaltbar sein soll, d.h. mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehe, auf einem offenkundigen Versehen beruhe oder sich sachlich in keiner Weise rechtfertigen lasse (
BGE 130 I 258
E. 1.3 S. 261 f.;
BGE 128 I 81
E. 2 S. 86;
BGE 120 Ia 31
E. 4b S. 40, mit Hinweisen).
7.2
Der Beschwerdeführer beanstandet die Annahme des Obergerichts, es sei bei ihm von einem massgeblichen Einkommen von monatlich Fr. 6'800.- auszugehen. Sein Vorbringen, er sei im Zeitpunkt der Fällung des angefochtenen Entscheids ohne Einkommen und massiv verschuldet gewesen, sucht er mit unzulässigen neuen Ausführungen und Schriftstücken (vgl. oben E. 3) zu belegen. Mit den eingehenden Erwägungen der Vorinstanz zu seinen Einkommensverhältnissen setzt er sich in keiner Weise auseinander, und er legt denn auch nicht in einer den Anforderungen von
Art. 106 Abs. 2 BGG
genügenden Form dar, inwiefern sie verfassungswidrig sein sollen. Soweit der Beschwerdeführer die dem Bundesgericht gegebene Möglichkeit anspricht, Sachverhaltsfeststellungen wegen offensichtlicher Unrichtigkeit zu berichtigen bzw. zu
BGE 133 III 393 S. 399
ergänzen (
Art. 105 Abs. 2 BGG
), ist zu bemerken, dass von einer solchen - im Sinne der Rechtsprechung zum früheren Recht (
Art. 63 Abs. 2 OG
) - nur dann die Rede sein kann, wenn die kantonale Instanz eine bestimmte Aktenstelle übersehen oder unrichtig, d.h. nicht in ihrer wahren Gestalt, insbesondere nicht mit ihrem wirklichen Wortlaut, wahrgenommen hat (
BGE 115 II 399
E. 2a S. 399 f.;
BGE 109 II 159
E. 2b S. 162, mit Hinweisen). Ein derartiger Mangel, der zudem eine bestimmte Tatsachenfeststellung als willkürlich erscheinen lassen müsste, ist hier indessen nicht dargetan.